Wie in Uganda Aids fast ohne Geld behandelt wird
Gulu, Uganda. Es ist vier Uhr nachmittags, und Rose Ayo hat noch nichts gegessen. Die 28-jährige Mutter von fünf Kindern isst nur einmal am Tag, meistens verschiedene grüne Gemüse zusammen mit Bohnen oder Maismehl. Sie hat keine Arbeitsstelle. Was ihre Familie zu essen hat, wird auf einer kleinen Landparzelle angebaut oder als Wildkräuter gesammelt. Fleisch zu essen, kommt nicht infrage. Eier und Milch sind ein Luxus, den sie sich nur wenige Male im Jahr leisten kann. Dabei gehört eine ausgeglichene Ernährung zu den wichtigsten Grundsätzen eines "positiven Lebens" - das heißt zu den Veränderungen im Lebensstil, die die Gesundheit von HIV-infizierten Menschen fördern.
von Mark Schoofs
"Das", sagt Ayo, die von ihrer Infektion erfuhr, als ihr Mann vor drei Jahren an Aids starb, "ist wirklich sehr schwierig." Ihre Lebensumstände werden noch schwieriger, wenn sie medizinische Behandlung braucht. "Letztes Jahr bekam ich Malaria und hatte Erbrechen. Ein ganzes Becken voll habe ich erbrochen", erinnert sich Ayo. "Statt Miete zu bezahlen, kaufte ich Medikamente, woraufhin der Vermieter uns aus unserem Haus jagte." Sie floh zu ihrem Onkel, der ihr und ihren Kindern Obdach in einem Zelt bot. Ein Jahr später ist dieses undichte Zelt immer noch ihr Zuhause.
Ayo lebt in Uganda, dem Land Afrikas, das wohl am meisten zur Bekämpfung von Aids unternommen hat. Uganda war eines der ersten Länder, in dem die afrikanische Variante der Krankheit entdeckt wurde, und zwar unter der vom Fischfang lebenden Bevölkerung an den Ufern des Viktoriasees. Heute sind bei einer Einwohnerzahl von etwa 20 Millionen schätzungsweise 9,5 Prozent der Erwachsenen infiziert. Allerdings verfügt Uganda auch über einige der erfahrensten und engagiertesten Aids-Mediziner des Kontinents. Es gibt dort ein vielbeachtetes Präventionsprogramm, tragfähige Netzwerke und Selbsthilfegruppen für HIV-positive Menschen sowie eine Regierung, die alle diese Aktivitäten unterstützt. Kurz, dieses Land hat alles außer Geld. Wie also sieht die Behandlung von Aids in diesem fortschrittlichsten aller armen Länder aus?
In den Industrieländern haben hochwirksame sogenannte anti-retrovirale Medikamente (Proteasehemmer, die direkt der Vermehrung der Aids-Viren entgegenwirken; Anm. d. Red.) die Zahl der Aids-Toten drastisch gesenkt. Viele Aids-Hospize sind geschlossen worden; HIV-positive Menschen nehmen an Marathonläufen teil und machen tagelange Bergwanderungen. Doch selbst wenn die Medikamente mit Preisnachlass verkauft würden, würden die Kosten, um allen rund 23,3 Millionen Infizierten in Afrika die Standardkombination von drei Medikamenten zukommen zu lassen, bei mehr als 150 Milliarden US-Dollar pro Jahr liegen. In Uganda würde ein solches Behandlungsprogramm laut einer Studie mehr als 60 Prozent des Bruttosozialproduktes verschlingen.
Trotzdem betreiben das Joint United Nations Programme on HIV/AIDS (UNAIDS) und eine Gruppe von Pharmaunternehmen in Uganda ein Pilotprojekt, im Rahmen dessen HIV-Medikamente zu Preisen abgegeben werden, die um bis zu 56 Prozent unter den in Industrieländern üblichen liegen. Doch auch dieses Programm versorgt nicht einmal 0,1 Prozent der infizierten Bevölkerung Ugandas mit anti-retroviralen Medikamenten. Und viele dieser glücklichen Patienten treiben sich und ihre Familien in den finanziellen Ruin, damit sie sich auch nur die billigste Medikation leisten können, die oft auch die am wenigsten wirksame ist.
Die überwältigende Mehrheit der Aids-Patienten in Uganda hat sehr viel grundlegendere Bedürfnisse. In der Stadt Gulu im Norden des Landes sitzen unter zwei riesigen Bäumen 98 Menschen, die alle infiziert sind, darunter Ayo. Fünfundachtzig von ihnen erzählen, dass sie im vorangegangenen Jahr fünf oder mehr Tage ohne jede Nahrung aushalten mussten. "Ich werde dünner und dünner", sagt Morris Opio, der Vorsitzende von Waloko-Kwo, der Aids-Beratungsorganisation des Krankenhauses von Gulu. Uganda war das Land, in dem Aids zuerst als die "dünne Krankheit" bezeichnet wurde, weil sie die Menschen bis auf Haut und Knochen abmagern lässt. Opio streckt seine spindeldürren Arme aus und sagt: "Ich sehe krank aus, aber das kommt vom Mangel an Essen."
Eine Autostunde entfernt, in der Stadt Lira, erklärt Juliet Awany, ein Mitglied des National Guidance and Empowerment Network of People Living with HIV/AIDS (NGEN+): "Wir haben keine Schuhe oder Stiefel, sodass wir uns leichter vom Gras Infektionen wie Ausschläge und Furunkel holen." Sie fürchtet außerdem Krankheiten wie Würmer und Ruhr, die es in wohlhabenden Ländern kaum mehr gibt.
Doch Forderungen, der Bevölkerung die wichtigsten Medikamente für die medizinische Grundversorgung zukommen zu lassen, haben viel weniger Aufmerksamkeit auf sich gezogen als die Kampagne für HIV-Medikamente. Und nur wenige westliche Aids-Aktivisten treten für Nahrungsmittelhilfe ein. Erst vor kurzer Zeit ist ihm bewusst geworden, dass für HIV-positive Afrikaner in ländlichen Gegenden der Hunger das Hauptproblem darstellt, sagt der Direktor von UNAIDS, Peter Piot, der jahrelang in Afrika gearbeitet hat. Und doch verfolgt der Hunger die HIV-Infizierten auf dem gesamten Kontinent.
Studien in Sambia und Malawi haben ergeben, dass Patienten oft die Sorge um Nahrung als ihre größte bezeichnen. Die sambische Studie bezog auch die häusliche Krankenpflege mit ein und stellte fest, dass nach dem Tod eines Patienten die Familie nicht nur den Verlust des Angehörigen beklagt, sondern auch das Ende der Unterstützung mit Lebensmitteln. Sogar in Kampala, der vergleichsweise wohlhabenden Hauptstadt Ugandas, ist es nach Aussagen von Patienten oft schwierig, sich ausgewogen zu ernähren. Die Meisten beschweren sich, dass Fleisch und frisches Obst zu teuer seien. Was Medikamente angeht, sagt Vincent Wandera, der HIV-infiziert ist, lakonisch: "Sie schreiben dir Arznei auf, aber du kannst sie nicht kaufen."
Kein Wunder also, dass der altgediente Aids-Mediziner Peter Mugyenyi erklärt, die Behandlung in Uganda "bedeutet Frustration". Angesichts der Tatsache, dass nur ein kleiner Teil der HIV-Infizierten auf der Welt in den Industrieländern lebt, stellt Mugyenyi fest: "Die Medikamente sind da, wo kein Problem ist, und die Probleme findet man dort, wo es keine Medikamente gibt. Der Grund, warum sich das nicht ändern lässt, liegt in den wirtschaftlichen Verhältnissen. Es spielt keine Rolle, wie viele Menschen sterben. Es geht um knallharte Geschäftsentscheidungen. Solange wir kein Geld haben, werden wir ignoriert."
Die Afrikaner stehen nicht nur vor der qualvollen Entscheidung, welche Prioritäten sie setzen sollen - Nahrung? Sauberes Wasser? Medikamente? Sie müssen zugleich mit den Gefühlen zurechtkommen, die eine endlose Flut von Todesfällen mit sich bringt, von denen sie wissen, dass sie vermeidbar sind. "Es war leichter, als es noch nichts gab, womit man Aids behandeln konnte", sagt Lillian Mworeko, eine HIV-positive Lehrerin, die auch Mitglied des NGEN+ ist. "Aber jetzt gibt es etwas. Das ist wie wenn man verhungert und etwas zu essen sieht, es aber nicht bekommen kann."
Elly Katabira bewältigt seine Gefühle, indem er alles ausblendet außer "den einen Patienten, der gerade vor mir sitzt". Katabira hat die Aids-Klinik in Ugandas bestem Krankenhaus gegründet, im Mulago Hospital in Kampala. Er ist außerdem Ko-Autor des ersten afrikanischen Handbuchs zur Behandlung von Aids-Kranken. In diesem Buch legte er seine Philosophie dar: "Nutze, was du hast."
Durch ausgedehnte Forschungen und Beobachtungen haben Katabira und seine Kollegen das Maximale aus verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten herausgeholt. Zum Beispiel: Mundfäule, eine schmerzhafte Pilzerkrankung in Mund und Rachen, befällt fast jeden HIV-Patienten und macht das Essen zur Qual, weil das Schlucken schmerzhaft ist. Die preiswerteste Behandlung ist Nystatin. Ugandische Ärzte haben herausgefunden, dass eine größere Menge des Wirkstoffs in das Gewebe des Mundes gelangt und somit die Wirkung des Medikaments erhöht wird, wenn man die Tabletten lutscht, statt sie zu schlucken. Auch Hautausschläge sind unter HIV-Patienten weit verbreitet. "Üblicherweise schaute man sich nur die Haut an", sagt Katabira. Er jedoch verschreibt, wenn der Ausschlag sehr schlimm ist, ein Beruhigungsmittel. "Dadurch kann der Patient sich entspannen und besser schlafen, sodass er am nächsten Tag erfrischt ist und seine Motivation zurückgewinnt, was wiederum bedeutet, dass er weniger kratzen wird."
"Was meiner Meinung nach am wichtigsten ist", fährt er fort, "ist Unterstützung - Beratung und die Bestätigung: Ja, du bist krank, aber trotzdem kannst du vieles tun, um auch ohne Medikamente besser zu leben. Einfache Dinge - zum Beispiel weniger Alkohol trinken und den Arzt aufsuchen, sobald man sich krank fühlt. Und das Gespräch mit den Angehörigen gehört dazu: Einem Vater oder einer Mutter wird es niemals besser gehen, solange sie sich Sorgen um die Kinder machen. Diese Faktoren werden für zweitrangig gehalten, aber ich glaube, sie sind sehr wichtig." Der schlagende Beweis dafür: "Unsere Patienten leben länger. Darauf bin ich stolz. Auch ohne Proteasehemmer leben sie länger."
Trotzdem führt kein Weg an der harten Tatsache vorbei, dass sich das Virus ohne den Einsatz solcher neuen Medikamente immer neu repliziert und das Immunsystem allmählich zerstört. Fast alle Infektionen, die infolgedessen auftreten, können behandelt werden - in reichen Ländern. Aber in Uganda, sagt Katabira, "wenn man CMV bekommt" - das ist eine Virusinfektion, die den Patienten erblinden und sterben lässt -, "dann ist das das Ende. Die Medikamente dagegen sind einfach zu teuer." Das Gleiche gilt für die Kryptokokken-Meningitis, eine Art der Hirnhautentzündung. Schlimmer noch: Sowohl CMV als auch die häufigste im Zusammenhang mit Aids auftretende Form der Lungenentzündung lassen sich verhindern - mit Vorbeugemaßnahmen, die aber wiederum in der Dritten Welt nicht bezahlbar sind. Die schmerzhaften Wunden an den Geschlechtsorganen, die Herpes simplex auslöst und an denen die meisten ugandischen HIV-Patienten irgendwann leiden, lassen sich mit Aciclovir leicht in den Griff bekommen. Doch Katabira schätzt, dass "weniger als ein Prozent meiner Patienten sich das Medikament leisten kann."
"Viele Leute glauben, dass ich die Dinge besonders krass sehe, weil ich mit Aids-Fällen zu tun habe. Aber nein", sagt Katabira. "Das Problem ist viel allgemeiner. Wenn ich auf die Kinderstation gehe, sehe ich dort Kinder sterben, weil es kein Amoxicillin gibt", ein einfaches Antibiotikum. "Ich hätte aus Protest weggehen können. Doch ich muss alles Menschenmögliche tun, damit meine Patienten den nächsten Tag erleben. Nutze, was du hast."
Patrick Okello, ein großer HIV-infizierter Mann, der in Lira lebt, hat einen Mangobaum. Er kocht dessen Wurzeln und behandelt damit seine Durchfälle. Viele Afrikaner gehen zu traditionellen Heilern und besorgen sich medizinische Kräuter. Bis zu 85 Prozent der Afrikaner konsultieren einen Medizinmann oder Naturheiler. Das überrascht nicht, da es die viel häufiger gibt als Ärzte und sie außerdem in den meisten afrikanischen Kulturen hohes Ansehen genießen. Westliche Ärzte neigen dazu, ihre Methoden einfach abzutun. In Uganda hat man jedoch erste Belege dafür gesammelt, dass sich Aids-bedingte Krankheiten mit Heilkräutern wirksam behandeln lassen. Eine Studie über Patienten mit chronischem Durchfall oder Gürtelrose kam zu dem Ergebnis, dass es denen, die sich von traditionellen Heilern behandeln ließen, ein wenig besser ging als Patienten, die westliche Medikamente bekommen hatten. Studien in Zimbabwe und Senegal haben bestätigt, dass einige traditionelle Heilverfahren gegen bestimmte Krankheiten wirken, insbesondere gegen Diarrhöe. Darüber hinaus vermitteln Heiler ihren Patienten oft das Gefühl, dass sich jemand wirklich um sie sorgt, und geben ihnen damit eine wichtige psychische Stütze.
Leider ist es jedoch völlig unmöglich zu sagen, wer ein Scharlatan ist oder welche der Therapien eines wohlmeinenden Naturheilers tatsächlich wirksam sind. Awany, die Frau, die sich Schuhe wünscht, um ihre Haut gegen Ausschläge und Furunkel zu schützen, ging mit chronischem Durchfall zu einem Naturheiler. Die Kräuter, die sie dort bekam, verschlimmerten jedoch nur das Problem. "Als ich ihm erzählte, das es nicht die richtige Wirkung habe, sagte er, die Kräuter würden meinen Magen auswaschen, um die Keime herauszuspülen. Ich war kurz davor zu sterben, als ich schließlich ins Krankenhaus ging." Eine Frau in der Nachbarstadt, Rose Aciro, schwört jedoch auf die Behandlung gegen Mundfäule, die sie von ihrem Medizinmann bekommt.
Die meisten ugandischen Heiler behaupten, dass sie Krankheiten lindern können, die als Folge der Immunschwäche ausbrechen; aber nur wenige nehmen für sich in Anspruch, Aids selbst heilen zu können. Nicht einmal anti-retrovirale Medikamente können das, aber sie halten das Virus immerhin in Schach. Das ist der Grund, warum David diese Arzneien haben möchte. Im Januar 1999 begann der gepflegte und eloquente Partner einer Werbe- und Medienagentur, der seinen wirklichen Namen nicht genannt sehen möchte, eine Kombinationstherapie mit drei Medikamenten im Rahmen des UNAIDS-Programms. Einschließlich aller Laboruntersuchungen kostet ihn die Behandlung zwischen 8 und 9 Millionen ugandische Schilling oder ungefähr 12.500 Mark. Das wäre im Jahr zuvor noch halbwegs erträglich gewesen, als seine Firma einen einmaligen Großauftrag an Land ziehen konnte, sodass David ein Jahreseinkommen von ungefähr 20 Millionen Schilling hatte. Aber dieses Jahr", sagt er, "verdiene ich nicht einmal die Hälfte davon."
Als David Anfang September 1999 mit mir sprach, hatte er die Medikamente bereits absetzen müssen, denn er war mit der Miete für die Dreizimmerwohnung, in der seine Familie lebt, zwei Monate im Verzug. Außerdem hatten sie ihren Fleischverzehr schon um 60 Prozent gekürzt. Als nächstes waren die Schulgebühren für seine Kinder fällig. Hatte er das Geld dafür? Er lächelte wehmütig und schüttelte den Kopf. "Wenn ich es hätte, würde ich Medikamente kaufen. Ich würde nicht über Schulgebühren nachdenken, wenn mein Leben in Gefahr ist."
Von den geschätzten 930.000 HIV-Infizierten in Uganda erhalten ganze 852 über UNAIDS anti-retrovirale Medikamente. Ungefähr drei Viertel davon nehmen nur zwei Substanzen ein statt der üblichen drei, und die Meisten davon wiederum nehmen AZT und 3TC, eine Medikation, die in den USA als unter dem Standard gilt. Rose Byaruhanga ist Leiterin der HIV-Beratung in der Klinik, wo David seine Medikamente bekommt. Sie ist ein mütterlicher Typ und weiß genauestens über ihre Patienten Bescheid. "Die Meisten bezahlen die Medikamente mit ihren Ersparnissen", sagt sie. "Aber es ist abzusehen, dass sie sich das nach sechs bis acht Monaten absolut nicht mehr leisten können."
David erzählt: "Ich liege in meinem Bett und kann nicht schlafen. Ich stelle Berechnungen an, wie ich an das Geld kommen kann. Erst denke ich über eine Möglichkeit nach, dann über eine andere. Obwohl ich um zehn ins Bett gehe, schlafe ich nicht vor drei oder vier ein. Ich liege einfach nur da und denke nach."
Auch Peter Nsumuga hat Geldsorgen. Er leitet Ugandas Sexually Transmitted Infections Project, das nicht nur Medikamente gegen Geschlechtskrankheiten bereitstellt, sondern auch gegen die häufigsten Begleitkrankheiten, mit denen Aids-Patienten zu kämpfen haben. Die ugandische Regierung übernimmt jedoch nur fünf Prozent der Kosten, und das Projekt läuft im Jahr 2000 aus. "Wenn es keinen Ersatz gibt", sagt Nsumuga, "wird es eine große Lücke hinterlassen." Auf Drängen des Internationalen Währungsfonds verlangt Uganda von Patienten mittlerweile, dass sie für viele medizinische Dienstleistungen bezahlen, darunter für Medikamente. Könnte diese neue Einnahmequelle möglicherweise das Geld erbringen, mit denen sich die Medikamente bezahlen lassen? "Höchstwahrscheinlich nicht", sagt Nsumuga. "Diese Arzneimittel sind verdammt teuer."
Die Kosten sind ein Grund, dass Afrikaner, die Aids haben, normalerweise erst dann ins Krankenhaus gehen, wenn sie dem Tode nahe sind. Josca
Lalaa wohnt in einem der überfüllten Lager für Vertriebene in der Umgebung der Stadt Gulu, einem Gebiet, das viele Jahre bürgerkriegsähnliche Zustände durchgemacht hat. Solche Lager sind in Afrika mit seinen 3,2 Millionen Flüchtlingen keine Seltenheit. Bereits im Dezember 1996 fing Lalaa an, Blut zu husten. Trotzdem ging sie sechs Monate lang nicht zum Arzt.
Lalaa litt an Tuberkulose, eine der häufigsten Aids-bedingten Krankheiten. Wenn sie Bluthusten bekommen sollte, kann es jedoch passieren, dass sie im Krankenhaus von Gulu kein Bett bekommt. Die Tuberkulose-Station hatte früher eine Erweiterung - ein Zelt, in dem die Hälfte der TB-Betten untergebracht war. Doch Ameisen haben das Zelttuch, die Leinen und sogar die hölzernen Stangen weggefressen. Als das Krankenhaus sich 1998 schließlich in das Unvermeidliche fügte und das Zelt abbaute, bestand der Boden nur noch aus Fetzen, sodass die Patienten der nackten Erde ausgesetzt waren.
Im Laufe der letzten acht Jahre haben sich die Tuberkulosefälle in Gulu vervierfacht, was vor allem auf die vielen HIV-Erkrankungen zurückzuführen ist. Es gibt jedoch kein Geld für ein neues Zelt. Deshalb nimmt die TB-Station nur die am schwersten kranken Patienten auf. Sie ist zu 150 bis 170 Prozent überbelegt. Manche Patienten schlafen einfach auf dem Boden.
Charles Odonga ist der wichtigste für Aids zuständige Arzt im Krankenhaus von Gulu. Er erzählt, dass das Hospital wegen des ständigen Zustroms von neuen Patienten die Aufenthaltsdauer auf zwei Tage beschränkt hat. "Wenn sie länger als zwei Tage bleiben, nehmen sie anderen Menschen den Platz weg", sagt er. "Also werfen wir sie raus." Viele Patienten machen sich erst gar nicht die Mühe zu kommen, sagt er, "weil ihnen klar ist, was wir tun können und was nicht." Wenn diejenigen, die auf der Station liegen, spüren, dass der Tod naht, bitten sie oder bittet die Familie häufig um Entlassung. "Sie rechnen so: 'Wir sollten von dem Geld, das wir noch haben, die Heimfahrt bezahlen, denn es ist billiger, wenn die Person noch lebt, als wenn wir einen Leichnam zu transportieren hätten.'"
Odonga ist nach Gulu gekommen, gerade weil er mit HIV-Patienten arbeiten wollte. "Es gibt bestimmte Fälle, in denen man einem Patienten ein paar zusätzliche Tage schenken kann", erzählt er. "Aber manchmal frage ich mich, sollte ich nicht einfach aufgeben und gehen? Tue ich hier irgendetwas Nützliches?"
Odonga ist seit weniger als einem Jahr in Gulu. Daher ist der Schock über "die begrenzten Möglichkeiten an diesem Ort" noch frisch. Das sieht im Fall der Krankenschwester Florence Opoka ganz anders aus. Sie hat vor neun Jahren im Hospital von Gulu eine Stelle für HIV-Beratung eingerichtet. Zwei Jahre später, 1992, wollte sie aufhören. "Es gab keine Medikamente", sagt sie. "Ich konnte den Menschen nur ins Grab helfen." Doch wenn die Patienten schwächer werden, sagt sie, "kommen wir uns näher. Sie kommen in mein Haus, und wenn sie sterben, hinterlassen sie Testamente. Sie überlassen mir sogar ihre Kinder." Vier Waisen von vier verschiedenen Patienten zieht Opoka zu Hause auf.
Hat Opoka in den letzten neun Jahren irgendeine nennenswerte Verbesserung in der Behandlung von Aids feststellen können? "Nein", sagt sie und wendet den Blick ab. Dann erklärt sie: Zur Zeit hat das Krankenhaus nicht einmal Medizin gegen Bilharziose, eine häufige Krankheit, die von Parasiten im Trinkwasser verursacht wird. Auch ein wichtiges Medikament gegen Malaria ist ausgegangen. Am meisten schmerzt sie jedoch, dass die Lebensmittelspenden an ihre Organisation 1999 gekürzt worden sind. Praktisch keiner ihrer Patienten hat genug zu essen.
Trotzdem macht sie wie Elly Katabira das Beste aus dem, was sie hat. "Mein Haus steht offen", sagt sie. "Wenn ich Hirse oder Brot habe, teile ich das Wenige, was ich habe."
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Von Pillen und PatentenMedikamentenpreiseWenn David Sekirevu nicht Freunde mit guten Beziehungen hätte, die ihm Medikamente besorgen, wäre er längst tot. Er hat sich eine Kryptokokken-Meningitis zugezogen - diese Hirnhautentzündung ist eine der meistgefürchteten infolge von Aids auftretenden Krankheiten. Das Medikament, mit dem sich diese Form der Hirnhautentzündung behandeln lässt, Fluconazol, ist für Sekirevu und die große Mehrheit der Ugander viel zu teuer. Aber muss das so sein? Nein, sagen Aids-Aktivisten und verweisen auf Thailand. Als der riesige Pharmakonzern Pfizer in diesem Land noch das Monopol auf Fluconazol hatte, kostete eine tägliche Dosis umgerechnet 28 Mark. Als örtliche Firmen jedoch das Mittel als Generikum herzustellen begannen, sank der Preis auf 1,40 Mark, eine Verringerung um 95 Prozent. (Generika werden von anderen Firmen hergestellt als der, die den Wirkstoff entwickelt hat und das Patent besitzt - sie werden gewissermaßen kopiert; Anm. d. Red.) Thailändische Firmen stellen auch ein Generikum von AZT her. Der Preis dieses Aids-Medikamentes ist um fast drei Viertel gefallen. Aids-Aktivisten fordern, dass die USA und die großen multilateralen Institutionen des Welthandels den armen Ländern erlauben, mehr lebensrettende Medikamente selbst zu produzieren oder sie zu niedrigeren Preisen zu importieren. Als Länder wie Südafrika Anstalten machten, das zu tun, drohten die USA mit Handelssanktionen. Erst als die Gruppe ACT UP auf Vizepräsident Gore Druck ausübte, gaben die USA nach. Der Kampf um die sogenannten anti-retroviralen Medikamente, die das HIV direkt angreifen, hat am meisten öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Eine der Firmen, die in die Kritik geraten sind, ist Bristol-Myers Squibb, die das Aids-Medikament DDL herstellt. Für ein Pilotprogramm der Vereinten Nationen in Uganda verkauft Bristol das Arzneimittel zum Preis von weniger als 160 US-Dollar pro Monatsdosis. Das ist ein deutlicher Nachlass gegenüber den Preisen in der Ersten Welt, aber immer noch astronomisch teuer für die meisten Afrikaner. Aids-Aktivisten argumentieren, dass der Preis viel niedriger sein sollte, weil die US-Regierung die Entwicklung von DDL bezahlt hat. Bristol verweist dagegen darauf, dass die Firma das Patent von der Regierung gekauft sowie zusätzliches Geld in klinische Studien investiert habe und daher Anspruch darauf habe, den Preis zu bestimmen. Allgemein macht die Pharmaindustrie geltend, dass ihre Gewinne der Forschung nach neuen Medikamenten zugute kommen. Bristol weist zudem auf das Aids-Hilfsprogramm der Firma hin, das 1999 begonnen worden ist und mehreren afrikanischen Ländern insgesamt 100 Millionen US-Dollar in Form von Spenden zukommen lässt. Kritiker halten dem entgegen, dass Charles Heimbold jr., der Vorstandsvorsitzende von Bristol, 1998 mehr als 56 Millionen Dollar verdient sowie Aktienoptionen in Höhe von 200 Millionen Dollar erhalten hat. Patentrechte aufzuweichen, ist jedoch kein Allheilmittel. Die Patente für die meisten Wirkstoffe der Arzneien, die auf der UN-Liste der lebenswichtigen Medikamente stehen, sind bereits ausgelaufen. Trotzdem bleibt bei diesen Substanzen die Verteilung bisher mangelhaft. In weiten Teilen des ländlichen Afrika werden nur die Hälfte der Kinder geimpft, und nur 30 Prozent haben Zugang zu sauberem Wasser. Die Erfahrungen, die mit Tuberkulose gemacht worden sind, sind ernüchternd. Obwohl sich diese Krankheit mit relativ preiswerten Medikamenten vollständig heilen lässt, kommen afrikanische TB-Programme nicht voran, weil es an Grundvoraussetzungen fehlt - etwa an Elektrizität, um die zugehörigen diagnostischen Tests durchzuführen. Die erdrückende Armut des Kontinents führt zu "Unterschlagung von Medikamenten an jedem Punkt des Verteilungssystems", schrieb kürzlich die langjährige Aids-Forscherin Susan Allen. Patienten verkaufen zum Beispiel ihre Tabletten gegen TB, sobald sie sich besser fühlen, auch wenn sie noch nicht geheilt sind. Aids lässt sich aber überhaupt nicht heilen, und HIV-Medikamente müssen ein Leben lang eingenommen werden; das bedeutet, dass die Behandlung von Aids durch zusätzliche Fallstricke erschwert ist. Für viele HIV-positive Afrikaner ist außerdem Nahrung das drängendste Bedürfnis, nicht Medizin. Elhadj Sy vom United Nations AIDS Program (UNAIDS) nennt daher die Forderung nach billigen anti-retroviralen Medikamenten "löblich", fügt aber hinzu: "Für Menschen in den westlichen Ländern ist Hunger etwas sehr Abstraktes. Sie wissen nicht, was das bedeutet." Zum Vergleich verweist er auf den groß angelegten Versuch der Vereinten Nationen vor mehreren Jahren, in ländlichen afrikanischen Regionen hygienische Latrinen zu bauen. "Ich erinnere mich, dass in einem der Dörfer ein alter Mann eine sehr einfache Frage stellte. 'Meine Kinder', sagte er, 'meint ihr nicht, dass ihr das Problem von der falschen Seite aus angeht?'" Mark Schoofs |
aus: der überblick 03/2000, Seite 52
AUTOR(EN):
Mark Schoofs:
Der amerikanische Journalist Mark Schoofs hat für seine achtteilige Serie über Aids in Afrika im Jahr 2000 den Pulitzer-Preis erhalten, einen der bedeutendsten Journalistenpreise. Die Reportagen sind das Ergebnis Hunderter von Interviews, die über einen Zeitraum von sechs Monaten in neun Ländern geführt wurden. Die Reportagen wurden von Michael Wachholz für den überblick übersetzt. Sie sind erstmals auf Englisch in der in der New Yorker Zeitung Village Voice erschienen.