Anette Braun verbindet beim EED Entwicklungsförderung mit Kulturaustausch
Knapp 13 Quadratmeter misst ihr Büro. An den Wänden Fotos der Ausstellungseröffnung zum 25. Jahrestag des Schüleraufstands in Soweto, Poster mit Haute Couture aus dem Senegal und ein Plakat "Perlen der Kalahari". Vielfalt und Farbenpracht, ohne überladen zu wirken. Annette Braun, die Koordinatorin für Kulturaustausch beim Evangelischen Entwicklungsdienst (EED), verfügt über Stilgefühl.
von Renate Giesler
Für EED-Vorstandsmitglied Wilfried Steen besitzt Annette Braun ein ungewöhnliches Talent: "Sie hat Mode und Schmuck als entwicklungspolitisches Thema entdeckt und afrikanischen Modedesignerinnen geholfen, in Europa Anerkennung zu finden. Annette Braun ist in vieler Hinsicht ungewöhnlich. So wie ihre Aufgaben." Anfang des Jahres kümmerte sie sich zum Beispiel um ein Süd-Süd-Symposium in Kamerun, einen interkulturellen Austausch zwischen Stadtteilinitiativen zur Verbesserung der Wohn- und Lebensqualität in Slumgebieten.
Mit leiser Stimme gibt die 62-Jährige Auskunft: "Ich habe eine überregionale Querschnittsaufgabe allerdings ohne eigene Mittel und ohne Zugriff auf eine Sekretärin." Für einige Vorhaben, wie für die Soweto-Ausstellung, die in sechs deutschen Städten und in Soweto (South Western Township bei Johannesburg) selbst gezeigt wurde, musste sie Drittmittel einwerben." Es war nicht leicht, doch Siemens bis hin zur baden-württembergischen Landesbank gaben Geld."
Dank ihrer vielfältigen beruflichen Erfahrungen weiß Annette Braun, wie Manager und Medien denken. Die gebürtige Berlinerin hat weder Berührungsängste, noch pflegt sie Vorurteile. Als hilfsbereit und offen charakterisieren sie frühere Kolleginnen bei Dienste in Übersee. "Nie hat Annette ihr Wissen monopolisiert", erinnert sich Heidi Zahn.
Beim EED in Bonn ist sie eine Einzelkämpferin, stimmt sich aber eng mit beiden Afrika-Referaten ab. Jedes Vorhaben, betont sie, sei inhaltlich eingebunden in das regionale Schwerpunktprogramm. "Annette Braun hat eine besondere Begabung, den Nerv der Zeit zu treffen. Sie setzt entwicklungspolitisch und kirchlich relevante Themen künstlerisch gut um", sagt Karin Döhne. Die Regionalleiterin für einen Teil Afrikas beim EED schätzt vor allem Brauns Fähigkeit, auch im Süden Kooperationen und Vernetzungen anzustoßen. Ihr sei es auch zu verdanken, dass der EED in kulturellen Fragen als sensible Organisation wahrgenommen wird. "Sie meistert schwierigste Lagen souverän und besitzt Improvisationstalent ", sagt Wilfried Steen. Selbst die Kollegen, die dem Kulturaustausch eher kritisch gegenüber stehen, erkennen an, dass ihre Stelle in punkto Menschenrechte und Armutsminderung einiges bewirkt hat. Entwicklungszusammenarbeit ist eben mehr als technischer Wissenstransfer.
Annette Braun versteht sich auf Entwicklung wie auf Kultur. Ihr Studium der Anthropologie, Soziologie und Pädagogik schloss sie 1968 mit dem Magister ab, es folgte eine Ausbildung beim Deutschen Institut für Entwicklungspolitik. Danach evaluierte sie Projekte und führte unter anderem Vorbereitungs- und Auswahlkurse für Entwicklungshelfer durch. Nach der Geburt ihres Sohnes im Jahr 1973 legte sie eine Familiepause ein und folgte ihrem journalistisch arbeitenden Mann nach Pretoria.
Auf die Frage, was sie selbst am meisten geprägt hat, antwortet sie: "Die Jahre in Südafrika. Nirgendwo habe ich mehr Würde, Stolz, Entschlossenheit und zugleich Demut, Wärme und Humor erlebt." In den Zeiten der Apartheid schrieb sie Reportagen, unter anderem für die Frankfurter Rundschau, und lieferte Manuskripte für den Hörfunk. Als ihr 1980 das südafrikanische Informationsministerium die Arbeitserlaubnis nicht verlängerte, galt das in Journalistenkreisen als Auszeichnung. Fortan konnte sie nicht mehr aktuell über Bildung, Kirche und Politik berichten. Unter Pseudonym gab sie 1984 gemeinsam mit Gisela Albrecht das Taschenbuch "Winnie Mandela ein Stück meiner Seele ging mit ihm" heraus.
Nach der Rückkehr nach Deutschland arbeitete die Frau mit den vielen Fähigkeiten ehrenamtlich für das Berliner Missionswerk, machte Öffentlichkeitsarbeit und war anschließend beim Deutschen Entwicklungsdienst (DED). 1993 wurde sie bei Dienste in Übersee (DÜ) Referentin für das südliche Afrika, fünf Jahre später kümmerte sie sich bei DÜ um den Kulturaustausch Süd-Nord und vermittelte auch afrikanische Modeschöpferinnen zur EXPO 2000. Deren spektakulärer Auftritt und die Schönheit afrikanischer Textilkunst brachten gängige Afrika-Klischees ins Wanken.
Kulturaustausch erfordert Fingerspitzengefühl und Mut. Für Vorhaben wie die Ruanda-Ausstellung "Die Wunden der Erinnerung", die eine Aufarbeitung des Genozids von 1994 mit künstlerischen Mitteln zeigt, bedarf es zudem inhaltlicher Kompetenz. Bevor Annette Braun mit dem ghanaischen Bildhauer Kofi Setordji verhandelte, hatte sie einen interdisziplinären Erfahrungsaustausch zum Thema "Heilen durch Kunst" in Afrika konzipiert und organisiert. Auf der Kunst-Biennale in Dakar (Senegal) entdeckte sie dann die aus Holz, Terrakotta, Stahl und Bildern gefertigte Skulpturen-Installation von Setordji, war fasziniert und hatte sofort eine Idee: "Diese integre Auseinandersetzung eines Afrikaners mit dem Völkermord müssen wir zum zehnten Jahrestag in Ruanda selbst zeigen."
"Die Wunden der Erinnerung" waren während des Ökumenischen Kirchentages 2003 in Berlin, anschließend in Genf und im Frühjahr 2004 im Museum für Völkerkunde in München zu sehen (vgl. Forum im "überblick" 2/03). Die Resonanz der Besucher und der Medien war überwältigend. Im April 2006, zwei Jahre später als geplant, soll die Ruanda-Ausstellung nun nach Kigali gehen. Warum die Verzögerung? "Malaria", sagt Annette Braun und ein Bedauern klingt in ihre Stimme mit. Sie erkrankte damals, das Vorhaben musste vorerst auf Eis gelegt werden. Einzelkämpferinnen haben keine Stellvertreter.
Ihre Augen wandern zu dem Plakat mit Haute Couture. "Kunst und Kultur sind ein Wirtschaftsfaktor", sagt sie. Annette Braun macht sich dafür stark, dass handwerkliche Fertigkeiten und Textiltraditionen erhalten und weiterentwickelt werden. Nur so gibt es eine Chance im Wettbewerb mit der maschinellen Produktion. Für Annette Braun ist Afrika nicht verloren. "Das wirtschaftliche Potential des afrikanischen Modemarktes ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft", betont sie.
"Made in Afrika" als Rezept gegen Armut und Abwanderung? Ihre Antwort: "Warum nicht europäische Schnitte für afrikanisches Design?" Sie setzt auf Qualität und auf kompetentes Marketing auch bei der Schmuckproduktion. "Frauen vom Volk der San aus der Kalahari-Wüste lernen in Workshops in Windhuk, wie sie Glasperlen und Schalen von Straußeneiern so verarbeiten, dass die Kollektion internationale Käufergruppen anspricht." Sie bilden sich weiter, verbessern ihr Einkommen und ihr Selbstbewusstsein. Im Jahr 2003 wurden die "Perlen der Kalahari", so der Name der Kollektion, in der nationalen Kunstgalerie Namibias, anschließend auf der internationalen Modemesse im Niger präsentiert. Die Presseresonanz war hervorragend. Die Koordinatorinnen im Süden bieten die "Perlen der Kalahari" den Touristenläden in Safari-Lodges an, in Europa sollen sie demnächst auf Schmuckmessen präsentiert werden. "Vielleicht gelingt es, den Schmuck in München in der Modernen Pinakothek im Rahmen einer anspruchsvollen Modeshow zu zeigen", hofft Braun. An Ideen mangelt es ihr nicht. Auch nicht an Durchsetzungskraft. Die Koordinatorin verhandelte mit TUI und erreichte, dass der Touristikkonzern gemeinsam mit dem EED einen Kunstband über die zeitgenössische Kunst der San veröffentlichte.
Der Vertrag von Annette Braun läuft im Oktober 2005 aus. Was wird dann mit den Workshops "Fashion for Development "? Wer wird sich um die Recycling-Ausstellung "From Trash To Treasure innovative Produkte aus Abfall von Madagaskar bis Brasilien" kümmern? Eines steht fest: So schnell gibt die 62-Jährige nicht auf. Kultur und Afrika ziehen sich wie ein roter Faden durch ihr Leben. Daran wird auch das Ende ihres Vertrags beim EED nichts ändern.
aus: der überblick 03/2005, Seite 82
AUTOR(EN):
Renate Giesler
Renate Giesler ist freie Journalistin in Hamburg.