Vergangenheitsbewältigung in Mosambik
Der Übergang von einem von Bürgerkrieg zerrütteten Land zu einem demokratischen Staat fand in Mosambik zeitgleich mit demjenigen in Südafrika statt. In beiden Ländern wurden 1994 die ersten freien Wahlen abgehalten. Der Umgang mit der Vergangenheit konnte jedoch unterschiedlicher nicht sein.
von Lothar Berger
In Südafrika hat die von Nelson Mandela ins Leben gerufene Wahrheits- und Versöhnungskommission in einem aufwendigen Verfahren von landesweiten Anhörungen die Verbrechen der über vierzig Jahre dauernden Apartheidherrschaft aufgearbeitet. In den Anhörungen, die zwischen 1996 und 1998 stattfanden, kamen Täter wie Opfer zu Wort. Der umfassende und umfangreiche Abschlussbericht der Kommission dokumentiert die Menschenrechtsverletzungen während der Apartheidzeit. Wenn auch die geringen Entschädigungszahlungen an die Opfer einer wirklichen Wiedergutmachung Hohn sprechen, so hat die Wahrheitskommission mit ihren Anhörungen doch einen entscheidenden Beitrag zur nationalen Versöhnung in Südafrika leisten können und zumindest versucht, Wunden zu lindern.
Eine solche Aufarbeitung der Vergangenheit vermisst man in Mosambik. Die während des 16-jährigen Bürgerkriegs verübten und oft an Grausamkeit kaum zu überbietenden Menschenrechtsverletzungen wurden weder in einem nationalen Versöhnungsprozess thematisiert noch rechtlich aufgearbeitet. Stattdessen wurde von allen Beteiligten ein Deckmantel des Schweigens über die Gräuel der Vergangenheit gelegt. Zur Erinnerung: Eine Millionen Menschen wurde getötet und über fünf Millionen vertrieben. Die 1975 mit Hilfe der weißen Minderheitsregierung Rhodesiens gegründete und vom südafrikanischen Militär logistisch und mit Waffen unterstützte Resistência Nacional Moçambicana (Renamo) überfiel Eisenbahnenlinien und Busse, raubte ganze Landstriche und Dörfer aus, tötete oder verstümmelte die Zivilbevölkerung, zwangsrekrutierte junge Männer, verschleppte und vergewaltigte Frauen.
In den letzten Kriegsjahren bediente sie sich auch Kindersoldaten, die oftmals gezwungen wurden, ihre Heimatdörfer zu überfallen und bisweilen sogar ihre eigenen Familien zu töten. In einem Bericht des US-Außenministeriums wurde die Renamo damals als grausamste Guerilla-Bewegung neben den Roten Khmer von Kambodscha bezeichnet. Bei zunehmender Eskalation des Bürgerkrieges häuften sich auch Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen durch demoralisierte Regierungseinheiten. Gegen Ende der 1980er Jahre hatte der Bürgerkrieg nahezu das ganze Land erfasst, es gab kaum jemanden, der nicht einen Familienangehörigen im Krieg verloren hatte.
Als der Friedensvertrag von Rom im Jahre 1992 den Krieg endlich beendete, konzentrierte sich die Regierung darauf, mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft die Flüchtlinge wieder in ihre Heimatregionen zurückzuführen, die ehemaligen Soldaten zu entwaffnen und mit Reintegrationsprogrammen ins zivile Leben einzugliedern sowie die demokratischen Wahlen von 1994 vorzubereiten.
Eine Aufarbeitung der blutigen Vergangenheit fand nicht statt. Das Land war kriegsmüde und die politische Führung hatte kein Interesse, den Vorschlägen internationaler Menschenrechtsorganisationen nach einer Wahrheitskommission zu folgen. Nicht einmal die Einrichtung kleiner Dorfgerichte nach ruandischem Beispiel (Gacacas) wurde erwogen.
Warum fand in Mosambik nichts Vergleichbares statt? Die Wahlen von 1994 hatten im Grunde genommen eine politische Machtkonstellation bestätigt, wie sie bereits gegen Ende des Bürgerkriegs bestand. Die sozialistische Regierungspartei während des Bürgerkriegs, Frente de Libertação de Moçambique (Frelimo) blieb weiter unter Präsident Joaquim Chissano an der Macht. Und die Renamo hatte sich - wenn auch widerwillig und unter ständigem Beklagen der Siegermentalität der Frelimo - als Oppositionspartei eingerichtet. Sie konnte sogar ihren politischen Einfluss in etlichen Regionen im Zentrum des Landes wahren. Während die Frelimo bei verschiedenen Gedenkfeiern lieber die Heldentaten des Befreiungskampfes feiert, als über die Jahre des Bürgerkriegs zu reden, hatte auch die Renamo kein Interesse an einer Aufarbeitung der Gräuel der jüngeren Vergangenheit, mussten doch ihre politischen Führer fürchten, verurteilt zu werden.
Interessanterweise wurden aber auch aus der Zivilbevölkerung, die so unendlich viel gelitten hatte, kaum Rufe nach Verantwortung und Bestrafung der Täter laut. Die Journalistin Nina Gruntkowski, die 2004 nach Mosambik gereist war, um über die Folgen des Bürgerkrieges für die Menschen zu recherchieren*, schreibt: "Fragt man Mosambikaner nach ihrer Vergangenheit, bekommt man meist die Antwort: 'Ich bin froh, dass es vorbei ist und will einfach im Hier und Jetzt leben.' Das Gespräch über die Vergangenheit ist damit meist erschöpft. Rogério Manjate, Schauspieler am Teatro Avenida in Maputo, erklärt sich dies mit der Fähigkeit der Mosambikaner, vergessen zu können: 'Wir sind friedlich, in einigen Dingen passiv, und vergessen können wir gut'."
"Viele wundert es", so Gruntkowski weiter, "dass die alten Machthaber nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages und den demokratischen Wahlen ohne weitere Ausschreitungen an der Macht bleiben konnten. Die Historikerin Benigma Zimba nennt dies das mosambikanische Wunder. Sie erklärt die Haltung der Mosambikaner gegenüber ihrer Vergangenheit auf der persönlichen Ebene: 'Wahrscheinlich waren die Wunden zu groß und zu tief. Die Menschen wollten den Wunden keinen weiteren Platz einräumen, um sich nicht ständig an die schrecklichen Geschehnisse erinnern zu müssen. Deswegen machen sie ihre Augen zu und sagten: ich vergebe, und gehe weiter. Es ist ein Vergeben, kein Vergessen!' "
Ähnliche Aussagen hörte auch Helena Cobban vom Christian Science Monitor (8. Mai 2003). So meinte ein Kriegsveteran auf ihre Frage, ob Personen wegen ihrer Taten während des Krieges bestraft werden sollten: "Wenn man das tun würde, müsste ganz Mosambik bestraft werden!" Und ein anderer sagte: "Krieg ist Krieg. Alles, was im Krieg passiert, ist Gewalt. Man kann nicht bestimmte Teile als schlechter als den Rest herauspicken." Nur zwei der von Cobban befragten Personen hatten Befürchtungen geäußert, dass die im Friedensvertrag von 1992 vorgesehene Generalamnestie für Kriegsverbrechen einem Klima der "Straflosigkeit" für ehemalige Täter Vorschub leisten würde.
Der Frieden in Mosambik ist stabil, die Gefahr, dass das Land in einen Bürgerkrieg zurückfällt, hat es seit dem "Votum für den Frieden", wie die Wahlen von 1994 bezeichnet wurden, nie mehr ernsthaft gegeben. Wahrscheinlich war es gerade die Fähigkeit der Mosambikaner zu vergeben, die es dem Land ermöglichte, eine Art dritten Weg für den Umgang mit der Gewalt der Vergangenheit zu wählen: den Weg der Heilungszeremonien, die überall auf dem Lande stattfanden. Ohne staatliche Hilfestellung mussten die Mosambikaner ihren eigenen Umgang mit den Kriegstraumata entwickeln und die Tausenden von Kindersoldaten, die in ihrer ferngelenkten Skrupellosigkeit eine ganze Generation prägten, wieder in das Gemeinschaftsleben aufnehmen. Bei solchen Zeremonien sitzen die Eltern des Kriegsrückkehrers traditionell unter einem heiligen Baum und befragen die Ahnen der Familie um Rat bei der Reintegration. Diese besteht aus speziellen Reinigungszeremonien, mit der die früheren Kämpfer vom Makel des Krieges gereinigt werden, bevor sie wieder nach Hause zurückkehren dürfen. Über die traumatischen Erfahrungen aus dem Krieg wird dabei nicht gesprochen. Schweigen wird nicht als Verdrängen der eigenen Traumata interpretiert wie bei den psychoanalytischen und -therapeutischen Methoden zur Problembewältigung in westlichen Ländern.
In traditionellen Gesellschaften wie Mosambik werden Gesundheit und Heilung mindestens ebenso über gesellschaftliche Beziehungen definiert wie in medizinischer Hinsicht. Die bösen, die Gesellschaft vergiftenden Geister von Menschen, die zu Unrecht getötet und nicht richtig beerdigt worden sind, müssen besänftigt werden, erst dann können Gesundheit und Frieden in die Gemeinschaft zurückkehren, so der Glaube. In Südafrika, Sierra Leone oder Ruanda machten Institutionen wie Wahrheitskommissionen, Internationaler Gerichtshof oder Dorfgerichte die Verbrechen der Vergangenheit öffentlich, um einen gemeinsamen Neubeginn für Opfer wie Täter zu ermöglichen. Dagegen zeigt Mosambik, dass gesellschaftlicher Neuanfang und Versöhnung - zumindest für eine begrenzte Zeit - auch mit dem Schweigen über die Vergangenheit möglich sind.
Allerdings gilt dieses stillschweigende Übereinkommen eher für die Bevölkerung und Dorfgemeinschaften, die das Vergangene hinter sich lassen wollen, um sich auf die Bewältigung der Probleme des Alltags zu konzentrieren. Auf politischer und staatlicher Ebene wird das Ausblenden der Vergangenheit ein heikles Thema bleiben, solange die von Schriftstellern und Journalisten immer wieder eingeforderte offene Meinungsäußerung hierzu nicht stattfindet. Im August 2004 löste etwa ein auf historischer Forschung beruhender Roman von Bernabé Lucas Ncomo heftige Diskussionen aus. In dem Roman über den ehemaligen Renamo-Vizepräsidenten Uria Simango wird dessen Hinrichtung ohne Prozess während des Bürgerkrieges aufgerollt. "Die Gegner der Regierung feierten das Buch als Gegenerzählung zur offiziellen Geschichtsschreibung der Frelimo, die sich daraufhin heftig gegen die Beschuldigungen wehrte", schreibt Nina Gruntkowski. Ncomo hatte "mit seinem Buch einen empfindlichen Nerv getroffen". Die Diskussionen verebbten angesichts der im Dezember 2004 anstehenden Präsidentschaftswahlen zwar bald wieder, doch es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis die Aufarbeitung der Vergangenheit von mosambikanischen Intellektuellen wieder eingefordert wird.
* Nina Gruntkowski: Was macht der Bürgerkrieg mit den Menschen? in:
www.heinz-kuehn-stiftung.de.
aus: der überblick 01/2007, Seite 76
AUTOR(EN):
Lothar Berger
Lothar Berger ist Redakteur der Zeitschrift "afrika süd".