Das Trainingszentrum "new world foundation" in Lavender Hill, Südafrika
Johannes Pholoto - er ist ein Sotho aus dem ländlichen Norden Südafrikas - zieht es im Alter von 20 Jahren wie viele junge Männer nach Kapstadt, um Arbeit zu finden. Schüchtern, mit schlechten Englischkenntnissen und einem Sprachfehler macht er sich in der Millionenstadt auf die Suche. Er träumt davon, Ingenieur zu werden. Doch nicht einmal als Hilfsarbeiter kommt er unter.
von Nicole Scherzer
Die 31-jährige Rose Francis, Mutter von zwei Töchtern - im Apartheid-System als Cape Coloured kategorisiert - lebt mit ihrem 60-jährigen Partner im Elendsviertel Vrygrond bei Kapstadt auf 20 Quadratmetern. Ihr Mann ist gut zu ihr, er schlägt sie nicht und verdient etwas Geld mit dem Verkauf von selbstgebastelten Drahtkörben. An seinen Alkoholkonsum hat sie sich gewöhnt. Für pap sak, billigen Wein im Aluminiumbeutel, reicht das Geld immer. Für Maismehl, Brot oder Schulgebühren reicht es oft nicht.
Zwei Geschichten, zwei Generationen, zwei verschiedene Kulturen - doch beide tragen wie Millionen Südafrikaner die Altlasten der Apartheid mit sich herum: kei-ne berufliche Qualifikation, fehlendes Know-how, mangelndes Selbstvertrauen und, daraus resultierend, Arbeitslosigkeit und Armut.
Rose und Johannes führt es Anfang des neuen Jahrtausends zum Sozial- und Trainingszentrum New World Foundation ins farbige Township Lavender Hill, 25 Kilometer südlich von Kapstadt. Das Zentrum, das vom "Evangelischen Entwicklungsdienst" in Bonn gefördert wird, bietet seit Mitte der neunziger Jahre ein innovatives Trainingsprogramm an. Die Kurse zur Berufsvorbereitung, in Hauswirtschaft und Kindererziehung verbinden die Vermittlung von beruflichen Fähigkeiten mit dem Erwerb von lifeskills.
Lifeskills - das sind "Lebensfähigkeiten", die den Kursteilnehmenden helfen, das tägliche Leben besser, effizienter und vor allem eigenverantwortlich zu organisieren. Das fängt damit an, sich der eigenen Ängste bewusst zu werden, geht über das Entdecken und Fördern ungeahnter Talente und hört bei Fähigkeiten wie Zeit-Management und Konflikt-Bearbeitung noch lange nicht auf.
So lernt Rose beim sechswöchigen Hauswirtschaftskurs nicht nur bügeln, backen, Gäste bewirten und mit Geld haushalten. Sie muss sich auch in einem simulierten Vorstellungsgespräch erproben und eine gespielte Konfliktsituation am Arbeitsplatz lösen.
"Viele Menschen in Südafrika haben weder das Selbstvertrauen noch das Wissen, um Konflikte friedlich und konstruktiv zu lösen. Sie gehen Problemen aus dem Weg oder begegnen ihnen mit Gewalt", sagt die Sozialarbeiterin Carlette Egypt aus Lavender Hill. "Oft sind sie dadurch nicht in der Lage, Jobs langfristig zu halten."
Doch genau solche Fähigkeiten sind im neuen Südafrika lebensnotwendig: Wer in einer marktwirtschaftlichen Ordnung und Demokratie nicht Eigeninitative und Eigenverantwortung zeigt, hat keine Chance, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden. "Deshalb muss Bildung in Südafrika heute nicht nur Wissen vermitteln, sondern die Entwicklung der gesamten Persönlichkeit fördern", erklärt Michelle Solomons. Sie schwört dabei auf lifeskills und experiential learning - Lernen aus Erfahrung.
Partizipativer Unterricht, kreative Methoden, sich ohne Angst vor Bewertung erproben zu können - das verschafft den an langweiligen Frontalunterricht und Prügelstrafe gewöhnten Südafrikanern neue Lust am Lernen. Und erfolgreich sind die lifeskills allemal. Sonst würden sie nicht landesweit in die Lehrpläne der Schulen integriert. Das bestätigt auch der Blick in die Akten der New World Foundation: Immerhin 60 Prozent der bislang fast 3000 Kursabsolventen haben Arbeit gefunden.
Rose ist eine davon. Ihre Zuverlässigkeit überzeugte während eines Praktikums als Zimmermädchen in einem Hotel. Sie hat nun einen Teilzeit-Job und verdient das Geld für Maismehl und Brot selbst.
Auch Johannes Pholoto verhalf die New World Foundation zum Durchbruch. Er lernte im Unterrichtsfach goal setting, Lebensziele zu formulieren und systematisch anzustreben. "Ich habe mich durch den Papierkram gekämpft und ein Stipendium beantragt", erzählt er selbstbewusst, ohne zu stottern. Mit 6000 Rand (etwa 600 Euro) Unterstützung macht er eine Grundausbildung zum Elektrotechniker. 2002 hat ihn die südafrikanische Telefongesellschaft übernommen. Sein nächstes Ziel? Ein Ingenieursstudium.
aus: der überblick 01/2003, Seite 56
AUTOR(EN):
Nicole Scherzer :
Nicole Scherzer ist Journalistin in Frankfurt am Main. Sie hat von 1997 bis 2002 als Entwicklungshelferin des Evangelischen Entwicklungsdienstes e.V. (EED) bei der "New World Foundation" in Südafrika gearbeitet.