Bilanz der Initiativen zur Konfliktnachsorge in Afrika
Im Verlauf von Konflikten ergeben sich manchmal Chancen zu deren Beendigung, etwa wenn die kriegführenden Seiten Zeichen der Bereitschaft zeigen, die vertrauten Muster der Kriegsführung aufzugeben und für kreative Alternativen offen zu sein. Etwa dann, wenn die Rhetorik ihrer Führer aktiven Kämpfern hohl und kriegsmüde erscheint oder schlicht nicht mehr überzeugend ist. Solche Intervalle mögen oft nur kurzzeitig aufflackernde Hoffnungsschimmer für ein Ende des Konfliktes sein. Doch in den vergangenen Jahren wurden solche Gelegenheiten von Opferorganisationen an der Basis, von internationalen Pressure Groups, von regionalen regierungsübergreifenden Institutionen und manchmal von den Kriegführenden selbst beim Schopf ergriffen, um die Ursachen zu prüfen, die dem jeweiligen Konflikt zugrunde liegen, um Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen und Methoden in Erwägung zu ziehen, die Vergangenheit aufzuarbeiten und die Herrschaft des Rechts durchzusetzen und insgesamt wieder voranzukommen.
von Tyrone Savage
Afrika kennt ein großes Spektrum solcher Bemühungen. Einige sind groß gefeiert worden. Andere waren schlichtweg Täuschung. Die meisten haben eine Reihe verschiedener Reaktionen hervorgebracht, die zugleich bedenklich und unterstützenswert sind. Zusammengenommen bieten die Initiativen, die in Afrika entstanden sind, eine reichhaltige Mixtur, die zugleich zahlreiche herbe Lektionen enthalten wie auch einen Fächer von bahnbrechenden Beiträgen zur Geschichte menschlicher Anstrengungen, mit Unmenschlichkeit umzugehen. In den vergangenen Jahren sind zahlreiche kritische Studien zu einzelnen Beispielen veröffentlicht worden, die zu Debatten beitragen, welche weiterführend aber auch noch unvollkommen sind. In diesem Zusammenhang mag es nützlich sein, einen Schritt zurückzutreten und in einem summarischen Überblick einige der innovativsten Ansätze zur Wahrheitssuche, die sich in Afrika herausgebildet haben, festzuhalten und der Frage nachzugehen, wie sie bei Bemühungen um Gerechtigkeit und Versöhnung gewirkt haben.
Paradoxerweise wurde die erste derartige Einrichtung von einem der notorischsten Diktatoren Afrikas geschaffen, von Idi Amin Dadda. Im Jahr 1974 lenkte Amin gegenüber der internationalen Erregung über die Menschenrechtsverletzungen seines Regimes ein und schuf eine Kommission zur Untersuchung von Fällen des Verschwindens von Menschen in Uganda. Ihr Mandat war, Fälle aus dem ersten Regierungsjahr von Amin zu untersuchen, in denen Personen gewaltsam vom Militär verschleppt worden und dann verschwunden waren. In Anbetracht der lebensgefährlichen Bedingungen, unter denen die Kommission ihre Arbeit ausführen musste, war ihr Bericht eine außerordentliche Leistung: Sie fand heraus, dass die von Idi Amin selbst geschaffenen Sicherheitsorgane die Hauptübeltäter waren. Die unmittelbare Wirkung der Kommission war jedoch begrenzt: Der Bericht wurde nicht veröffentlicht, seine Inhalte blieben strikt geheim, und keine seiner Empfehlungen wurde umgesetzt.
Gleichwohl sollte der Wert der Arbeit der Kommission zur Untersuchung von Fällen des Verschwindens von Menschen in Uganda nicht unterschätzt werden. Die Gefahr der Aufdeckung solcher Verbrechen ließ, zumindest vorübergehend, die Zahl der Fälle gewaltsamen Verschwindenlassens sinken. Darüber hinaus gelang es der Kommission, indem sie ein ehrliches, akkurates historisches Dokument erstellte, "das Ausmaß der zulässigen Lügen einzuschränken", um es mit den Worten des kanadischen Historikers und Menschenrechtlers Michael Ignatieff auszudrücken, und zwar noch während Amin im Amt war wie auch in den Reformdebatten nach seinem Sturz.
Im Jahr 1984, vier Jahre nach der Unabhängigkeit von Simbabwe, schuf Präsident Robert Mugabe eine Kommission zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen beim - wie er es nannte - "Krieg gegen Dissidenten" im Matabeleland. Die Kommission lieferte ihren Bericht direkt an den Präsidenten. Trotz des Versprechens, die Ergebnisse zu veröffentlichen, verkündete der Justizminister schließlich, dass eine Entscheidung gefällt worden sei, den Bericht vertraulich zu behandeln. Menschenrechtsorganisationen in Simbabwe waren empört, führten eigene Untersuchungen durch und erstellten einen umfassenden Bericht, der 1997 von der katholischen Kommission für Frieden und Gerechtigkeit gemeinsam mit der Legal Resources Foundation veröffentlicht wurde. Sein Titel lautet: Breaking the Silence, Building True Peace: A Report on the Disturbances in Matabeleland and the Midlands, 1980 to 1988.
Der Bericht dokumentiert im Detail die Gräueltaten, die in der Shona-Sprache unter der Bezeichnung Gukurahundi bekannt sind (ein zynischer Euphemismus nach dem Sprichwort "der erste Regen wäscht die Spreu weg vor dem Frühlingsregen"); während dieser Phase wurden Zehntausende gefoltert und schätzungsweise 10.000 Menschen ermordet. Der Bericht führt auch auf, wie Gemeinden terrorisiert und dann dazu gebracht wurden, selbst Grausamkeiten zu begehen, etwa Dorfbewohner mit vorgehaltener Waffe zu zwingen, auf den Gräbern ihrer Angehörigen zu tanzen. Breaking the Silence ist ein Beweis für den Mut von Menschenrechtskämpfern in Simbabwe, die sich gegen systematische Bemühungen der Regierung wandten, diese Tatsachen zu verschweigen.
In Uganda wurde zwei Jahrzehnte nach der Kommission unter Idi Amin eine zweite Kommission ins Leben gerufen. Wenige Monate, nachdem der jetzige Präsident, Yoweri Museveni an die Macht gekommen war, wurde Anfang 1986 die Kommission zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen gegründet. Ihr Mandat war umfassend, beginnend mit den Jahren der Unabhängigkeit, über die Jahre Amins bis vor den Regierungsantritt von Museveni. Gräueltaten der von Museveni vor der Eroberung Kampalas geführten Rebellentruppen waren jedoch ausgenommen. Die Untersuchung setzte neue Maßstäbe, was die Veröffentlichung ihrer Arbeit anbetrifft. Einige Anhörungen wurden live im Rundfunk und Fernsehen übertragen, und das öffentliche Echo war überschwänglich und oft äußerst emotional. Jedoch war der Kommission kein Schlusstermin für ihre Arbeit gesetzt worden. Das Resultat war ein Prozess mit offenem Ende, der an Dynamik verlor, als der Finanzierungsfluss versickerte, und während Übergriffe unter der gegenwärtigen Regierung zunahmen, blieben diese vom Mandat der Kommission ausgeschlossen. 1995 übergab die Kommission der Regierung ihren abschließenden Bericht ganze neun Jahre nach Beginn ihrer Arbeit. Zu dem Zeitpunkt war das Interesse der Öffentlichkeit abgeflaut, und bis heute ist der Bericht in Uganda wenig verbreitet.
Im Tschad hatte der derzeit amtierende Präsident Idriss Déby im Jahr 1990 eine Kommission eingesetzt, die Menschenrechtsverletzungen während des Regimes seines Vorgängers, Hissène Habré untersuchen sollte. Die Kommission zur Untersuchung von Vergehen und Veruntreuungen mittels präsidentieller Verordnungen, begangen vom früheren Präsidenten Habré, seiner Komplizen und/oder seines Apparates" wurde beauftragt, unter anderem Fälle von Verschwundenen, zu Unrecht Festgenommenen und Inhaftierten, Folter, Barbarei, Hinrichtungen und andere Formen von Übergriffen auf die physische oder mentale Unversehrtheit von Personen zu untersuchen. Die Kommission war auch angewiesen worden, Habrés Unterschlagung von Staatsgeld zu recherchieren.
Die Ergebnisse der Kommission im Tschad waren umfangreich. Als die Kommission ihre Resultate im Mai 1992 präsentierte, zeigte sich, dass unter dem Regime Habrés mindestens 40.000 Menschen von Staatlichen Sicherheitskräften umgebracht worden sind. Erschreckend waren dabei auch vorgelegte Beweise, dass ausländische Mächte, insbesondere die Vereinigten Staaten, darin verwickelt waren, indem sie die notorischsten Übeltäter finanziert und ausgebildet hatten. Die Kommission war bahnbrechend darin, dass sie Namen nannte - die erste Wahrheitskommission, die das tat - und Fotos der Täter veröffentlichte. Darunter waren einige hohe Funktionäre in Débrys neuer Regierung. Der detaillierte und zuverlässige Bericht der Kommission im Tschad wurde zur Hauptinformationsquelle, als in den folgenden Jahren ausländische Anwälte einen von Belgien ausgestellten internationalen Haftbefehl gegen Habré erwirkten.
Seit den frühen neunziger Jahren bis heute gab es eine Reihe verschiedener Initiativen für Wahrheits- und Versöhnungskommissionen in der Region der großen Seen. Nach der Ermordung des burundischen Präsidenten Melchior Ndadaye bei einem gescheiterten Putschversuch Ende 1993, bat die burundische Regierung die Vereinten Nationen (UN), eine Fact-Finding-Mission zu dem Vorfall zu schicken. Es gab allerdings Befürchtungen, dass diese Initiative die Spannungen an der Basis erhöhen könnte insbesondere als im April 1994 in Ruanda das massenhafte Morden begann. Einige Kommentatoren haben argumentiert, dass diese Befürchtungen sich bewahrheitet haben: Eine Kommission wurde schließlich gebildet, aber genau an dem Tag, an dem die Kommission ihre Ergebnisse präsentieren sollte, wurde die burundische Regierung durch einen Coup d' tat gestürzt. Die UN suspendierten daraufhin die Herausgabe des Berichts vorläufig. Einen Monat später veröffentlicht sprach der Bericht von Völkermord in der Region und empfahl, eine Untersuchung einzuleiten, die tiefer in Burundis Geschichte gräbt und über die Ereignisse von 1993 hinausgeht. Die Arbeit der Kommission bildet somit einen wertvollen Meilenstein auf dem Weg der Bemühungen, den Zyklus der massenhaften Gewalt in Burundi zu durchbrechen. Sie war auch ein wichtiges Präjudiz für den internationalen Mechanismus der Schaffung von Gerechtigkeit nach Konflikten (transitional justice): Ein hybrides Gericht aus internationalen und lokalen Richtern, eine Wahrheitskommission und wiederbelebte traditionelle Gerichtsbarkeit auf Gemeindeebene wie sie derzeit in Burundi verwirklicht wird, nachdem der Friede schließlich eingekehrt ist.
In Ruanda hat es zahlreiche außergewöhnliche Initiativen gegeben, um mit der extremen Gewalt fertig zu werden, insbesondere seit dem Völkermord im Jahr 1994, bei dem über 850.000 Tutsis und gemäßigte Hutus umgebracht worden sind. Das schiere Ausmaß der Herausforderung war entmutigend. Vor dem Genozid von 1994 hatte das Land 758 Richter, 70 Staatsanwälte und 631 weitere im Justizwesen Beschäftigte. Als das Morden aufhörte, waren nur 244 Richter, 12 Staatsanwälte und 137 Justizangestellte übrig. Der reduzierte Justizapparat aber war konfrontiert mit 130.000 der Teinahme am Völkermord Verdächtigten, die in Gewahrsam genommen worden waren. Zugleich musste Ruanda die Aufgabe leisten, nicht nur die Vergangenheit zu bewältigen, sondern auch Vergeltung zu verhindern, die noch auf freiem Fuß befindlichen Völkermörder strafrechtlich zu verfolgen und vor allem, jede künftige Wiederholung solchen Völkermordes zu verhindern.
Mitten in diesen Herausforderungen wurde eine gravierende Reform forciert: Die Strukturen der Justiz wurden von Grund auf erneuert, sowohl hinsichtlich der Gesetze als auch des Personals im Justizwesen und der nationalen Strafverfolgung. Der UN-Sicherheitsrat hatte bereits 1994 einen Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda (ICTR) beschlossen, um die Hauptverantwortlichen vor Gericht zu stellen. Als Sitz des Gerichts wurde 1995 die tansanische Stadt Arusha bestimmt. Mit einem Budget von einigen Millionen Dollar pro Jahr schaffte es der ICTR innerhalb eines Jahrzehnts lediglich, 69 Personen in Haft zu bringen, 25 Fälle abzuschließen und 19 Personen zu verurteilen. Ein langsames und teures Unterfangen. Gleichwohl ist der ICTR ein weites Stück vorangekommen auf dem Weg, dem ordnungsgemäßen Rechtsweg in einer Region wieder Geltung zu verschaffen, die gebrandmarkt ist von Konfliktmustern, welche periodisch in völkermordartigen Tötungen gipfelten. Ihm ist es außerdem gelungen, eine Reihe hoher Funktionäre aus dem Verkehr zu ziehen, einschließlich des früheren Premiers Jean Kambanda.
In Ergänzung zu den Verfahren im Land und der Tätigkeit des ICTR hat die seit 1994 amtierende ruandische Regierung auch die traditionellen Gemeinschaftsgerichte, bekannt als Gacaca, wiederbelebt und reformiert. Abgeleitet von einem ruandischen Begriff für einen Grasplatz, wo sich Gemeinschaftsmitglieder versammeln, um Konflikte zu schlichten, repräsentieren die Gacaca eine innovative Adaption der traditionellen afrikanischen Opfer-Täter-Konfrontation. Der Schwerpunkt liegt auf der Wahrheitsfindung, wobei Überlebende und Täter jeweils ihre Version der Ereignisse erzählen und die Gemeinde versucht, einen Lösungsweg für die einzelnen Vergehen beim Genozid von 1994 zu finden. Gemeinsam wird die Entscheidung gefällt, ob und unter welchen Bedingungen ein Täter wieder in die Gemeinschaft aufgenommen wird, oder ob man ihm dem formellen Justizapparat zur Strafverfolgung übergibt.
Kritiker wenden eindringlich ein, dass die Gacaca-Gerichte keine objektive Gerichtsbarkeit seien, dass sie anfällig sind für die Befangenheit einer Gemeinschaft, die Gefahr von Vergeltungsmorden bergen oder der Straflosigkeit den Weg bereiten könnten. Die Befürworter der Gacaca-Gerichte betonen, dass sie eine entscheidende Rolle dabei spielen, durch und durch konfliktträchtige Verhältnisse umzuwandeln, und damit wesentlich zu Bemühungen nationaler Versöhnung beitragen. Den Überlebenden der Gräueltaten werde es damit ermöglicht, sich so weit zu arrangieren, dass der Zyklus von Mord und Vergeltung gebrochen wird, der so tief in der ruandischen Politik verwurzelt war.
Nimmt man die drei Strategien - nationale Strafverfolgung, das internationale Tribunal und die Gacaca-Gerichte - zusammen, dann können sie einander durchaus ergänzen. Die Planer des Völkermords, dessen Organisatoren und die Funktionäre, die dafür sorgten, dass die Verbrechen durchgeführt wurden oder dazu aufstachelten, darüber hinaus die notorischsten Killer und Personen, die vergewaltigt und sexuelle Folter angewendet haben, müssen beim ICTR oder der ruandischen formellen Justiz vor Gericht stehen. Die Gacaca-Gerichte sind ermächtigt, alle anderen Fälle zu verhandeln. Während das ICTR seine Arbeit innerhalb der nächsten drei Jahre abschließen soll, kann man erwarten, dass die nationale Gerichtsbarkeit noch viele Jahre lang arbeiten wird. Die Anhörungen vor den Gacaca-Gerichten haben schließlich gerade erst begonnen.
Die Mitte 2006 in der Demokratischen Republik Kongo (DRC) abgehaltenen Wahlen beendeten die formale Übergangsperiode, die nach den Friedensgesprächen und der Beendigung des Krieges gegen Ende 2002 begonnen hatte. Der Krieg hatte nach Angaben der US-Hilfsorganisation International Rescue Committee innerhalb von fünf Jahren mehr als drei Millionen Leben gekostet. Nachdem sowohl in der kongolesischen Öffentlichkeit als auch bei internationalen Akteuren die Hoffnungen auf einen praktikablen Übergang gewachsen sind, gedeiht auch die Debatte, wie man mit dem vergangenen Unrecht und den Tätern umgehen soll.
Aber zahlreiche Dilemmata sind offenkundig geworden, als die Nation begann, ihre traumatische Vergangenheit anzugehen und die für die Untaten Verantwortlichen auf irgendeine Weise zur Rechenschaft zu ziehen. Ansätze zur strafrechtlichen Verfolgung stießen auf das Problem, dass das Justizwesen selbst während seiner ganzen Geschichte immer Teil des üblichen Konfliktgeschehens war, dass seine vermeintliche Unabhängigkeit ständig von bestimmten politischen Interessen für ihre Zwecke missbraucht wurde. Zudem ist die Infrastruktur des Justizwesens praktisch zusammengebrochen. Richtern und Staatsanwälten fehlen Ausgaben der grundlegenden Gesetzestexte und nur wenige Urteilsentscheidungen wurden auf brauchbare Weise formal und lückenlos dokumentiert. Eine Prüfung des Justizsystems in der DRC im Mai 2004 ergab, dass gerade einmal 20 Prozent der Bevölkerung Zugang zur formalen Justiz hatten.
Große Anstrengungen wurden seit der Friedensvereinbarung von 2002 unternommen, Fachwissen und Struktur der kongolesischen Justiz zu verbessern. Unter anderen hat sich die nichtstaatliche Menschenrechtsorganisation International Human Rights Law Group mit Sitz in Washington D.C. dafür eingesetzt, die Infrastruktur des Justizwesens im Kongo wieder aufzubauen, Rechtsanwälte zu schulen und Anstrengungen der Zivilgesellschaft zu unterstützen, gegen Sexual- und genderbezogene Verbrechen vorzugehen.
Nichtsdestotrotz wird es unmöglich sein, in allen Fällen von Untaten zu ermitteln und die Strafverfolgung einzuleiten. Deshalb wird die Strafverfolgung zwangsläufig selektiv und eine "de facto Amnesty" unausweichlich sein, um den als Anwalt beim südafrikanischen Obersten Gericht tätigen Rechtsprofessor Jeremy Sarkin zu zitieren. In diesem Kontext ist es nötig, eine sorgsame Strategie zu entwickeln, die einen Fächer von Bedürfnissen berücksichtigt: nicht zuletzt das Verlangen kongolesischer Bürger, dass Täter zur Rechenschaft gezogen werden, ferner die Notwendigkeit, die Herrschaft des Rechts zu sichern, das Bedürfnis der Opfer, dass öffentlich zur Kenntnis genommen wird, was ihnen zugefügt wurde, die Sicherheitsorgane in die Lage zu versetzen, die schlimmsten Verbrecher festzunehmen, und letztendlich das Bedürfnis der Nation, nach solch einer Vergangenheit wieder voranzukommen.
Die Verhältnisse in der DRC haben nicht zur Einrichtung eines internationalen Tribunals geführt, aber sie fanden international Beachtung, und im März 2006 erwirkte der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag seine erste Verhaftung in der Ituri-Provinz im Nordosten Kongos, den Milizenführer Thomas Lubanga. Dieser wurde in drei Punkten wegen Kriegsverbrechen angeklagt, darunter die gewaltsame Rekrutierung von Kindersoldaten, die an militärischen Gefechten teilnehmen mussten.
Während all dieser Bemühungen, einen gewissen Grad an Rechtswesen im Kongo zu etablieren, hatte die Wahrheitskommission des Landes, die Commission Vérité et Réconciliation (CVR) schwer zu kämpfen. Während der Friedensgespräche gegründet, hat sich die Kommission hauptsächlich damit befasst, traumatisierte Gemeinschaften zu beschwichtigen. Sie hat es nicht vermocht, einen wirklichen Wahrheit suchenden Prozess einzuleiten, und scheint keine Vision davon zu haben, welche Rolle die Aufdeckung der Wahrheit für die Transformation der Beziehungen in der DRC haben könnte. Das Hauptproblem war die Zusammensetzung der Kommission: Als Teil der bei den Friedensgesprächen vereinbarten Teilung der Macht, sind in der Kommission Mitglieder, die von den an dieser Vereinbarung beteiligten Parteien ernannt wurden. Es gibt also Kommissionsmitglieder, die selbst in Menschenrechtsverletzungen verwickelt sein sollen. Da liegt der Verdacht nahe, dass diese in der Kommission sitzen, um sich selbst und die Interessen ihres politischen Lagers zu schützen und nicht um einen unparteilichen Prozess der Wahrheitssuche voranzubringen.
Kurz, die CVR vermochte nicht, sich als unabhängige, glaubwürdige Institution zu präsentieren. Wegen ihrer Präferenz für Versöhnung ohne Prozess der Wahrheitssuche, sieht man die Kommission nur noch als - wie es ein kongolesischer Aktivist ausdrückte - truth omission and pacification (wahrheitsverschweigende Befriedungskommission). Gesetzesvorlagen sind derzeit in Arbeit, eine bereinigte und reorganisierte Kommission zu schaffen, um dazu beizutragen, die zunehmende Stabilität zu konsolidieren. Aber das verlief während der Übergangsperiode und seit den Wahlen im Stop-and-Go-Verfahren.
In Westafrika hat es mehrere Initiativen gegeben, die Aufdeckung der Wahrheit, Gerechtigkeit und Versöhnung voranzubringen. Nach dem neunjährigen Krieg in Sierra Leone, der berühmt-berüchtigt für Verstümmelungen, Amputationen und viele andere Terrortaktiken geworden ist, wurden eine Nationale Wahrheitskommission (TRC-SL) gegründet sowie ein von den UN initiiertes Tribunal (SCSL), bestehend aus internationalen und lokalen Juristen, der Sondergerichtshof für Sierra Leone. Besonders am Anfang der Arbeit der Kommission gab es Fragen, in welcher Beziehung beide Institutionen zueinander stehen sollten. Zum Einen, könnten Zeugenaussagen bei der Wahrheitskommission vom Sondergerichtshof verwertet werden, und, falls ja, würde das nicht eher unwahrscheinlich machen, dass sich Täter im Prozess der Wahrheitssuche offenbarten? Während einige zwiespältige Punkte - vielleicht unvermeidlich - noch ungelöst bleiben, hat sich die Beziehung im Verlauf so entwickelt, dass beide Institutionen einander strategisch ergänzen und die Kommission in die Lage versetzt wurde, den Bedürfnissen der Opfer Vorrang zu geben, während der Sondergerichtshof die Hauptverantwortlichen für die schlimmsten Verbrechen verfolgt.
Die durch Parlamentsbeschluss aus dem Jahr 2000 eingerichtete Kommission hat im Oktober 2004 ihren Bericht vorgelegt und der Regierung empfohlen, den Opfern, insbesondere Amputierten und sexuell missbrauchten Bürgerinnen, auf vielfältige Weise Unterstützung zu gewähren. Erstmals gab es auch eine eigene kindgerechte Kurzfassung des Berichts. Das Gericht hat bisher gegen 13 Personen aller drei Konfliktparteien (der Milizen der RUF, der Regierungssoldaten und der Kamajor-Bürgerwehren) Anklage erhoben, einige Täter sind jedoch inzwischen verstorben. Das Verfahren gegen den früheren liberianischen Präsidenten Charles Taylor wird das Gericht aus Sicherheitsgründen in Den Haag abhalten.
Andere bemerkenswerte Initiativen in Westafrika sind etwa die vom nigerianischen Präsidenten Olusegun Obasanjo ernannte Kommission, die Menschenrechtsverletzungen zwischen Januar 1984 bis zum 29. Mai 1999 untersuchen soll, dem Tag, an dem er sein Amt antrat. Im Jahr 2002 schuf Ghana eine Nationale Versöhnungskommission (NRC) zur Prüfung von autoritärer Regierungsführung nach der Unabhängigkeit. Diese hat im Verlauf wobei die Möglichkeit der Strafverfolgung heruntergespielt wurde eine Reihe von Tatbeständen, vor allem während der Herrschaft von Jerry John Rawlings, ans Licht gebracht und Täter veranlasst, öffentlich ihr Fehlverhalten einzugestehen. Das wiederum hatte eine heftige öffentliche Debatte über Wiedergutmachung und Entschädigung zur Folge. Als im August 2003 der liberianische Diktator Charles Taylor ins Exil gehen musste, endeten 14 Jahre Krieg und Bürgerkrieg. Das Friedensabkommen enthielt ein Mandat, eine Nationale Wahrheits- und Versöhnungskommission einzusetzen, die derzeit vorbereitet wird.
Die afrikanische Institution, die wohl am dramatischsten und am produktivsten die Dilemmata der Wahrheitsfindung, der Gerechtigkeit und Versöhnung widergespiegelt hat, vor denen Gesellschaften nach einem Konflikt stehen, war die südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission (SATRC). Im Jahr 1995 eingerichtet, ein Jahr nach der ersten demokratischen Wahl in Südafrika, hat die Kommission die über 22.000 Zeugenaussagen von Opfern angehört. Es war die erste - und bislang einzige - Kommission, die eine bedingte Amnestie angeboten hat, die Befreiung von der Strafverfolgung für Täter, die alle Details ihrer Verwicklung in schwere Verbrechen gegen die Menschenrechte gestanden und zeigen konnten, dass ihre Handlungen politisch motiviert waren. Es wurde kritisiert, dass Südafrikas bedingte Amnestie die Opfer ihres Rechts beraubt habe, die Täter juristisch zur Verantwortung zu ziehen. Doch gerade der Anreiz der Amnestie hat über 8000 Täter bewogen, Einzelheiten der Gräueltaten offenzulegen, die vom Apartheid-Staat systematisch vertuscht oder manipuliert worden waren. Die Opfer, die Nation und die Menschheit insgesamt hat so einen weitgehenden Zugang zu vielen Schichten der Wahrheit bekommen, der andernfalls verschlossen geblieben wäre.
Während die Nutzen und Kosten einer bedingten Amnestie umstritten bleiben, ist der südafrikanische Prozess der Wahrheit und Versöhnung der vielleicht bemerkenswerteste bezüglich der Beispiele von Tauschgeschäften, mit denen eine Gesellschaft konfrontiert ist, die einen tragfähigen Übergang von verwurzelten Konfliktstrukturen zu einem friedlichen Zusammenleben sucht. Da geht es sofort um die Werte und Bestrebungen, die einer Gesellschaft teuer sind, wie zugleich um ihr Überleben. Keinen einzigen Vergeltungsmord hat es als Antwort auf die Wahrheit, die während der Anhörungen der Kommission ans Licht kam, gegeben. In einer Nation, die nach den Kriterien der Apartheid konzipiert, reguliert und regiert worden ist - was seit langem als Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert ist - , konnte der weithin erwartete Show-down in einem rassistischen Krieg offenbar abgewendet werden. Man hat die historische Gelegenheit ergriffen, sondiert und genutzt, um eine blühende Demokratie zu schaffen, eine Nation, an der alle Anteil haben, in welcher es möglich geworden ist, über die Nachwirkungen der Vergangenheit auf die Gegenwart von Tag zu Tag zu verhandeln und gemeinsam alternative Wege in die Zukunft zu entwerfen. Südafrika befindet sich, wie manch andere Übergangsgesellschaft, um es mit den Worten des nigerianischen Schriftstellers Chinua Achebe auszudrücken, "noch am Morgen des ersten Schöpfungstages".
aus: der überblick 01/2007, Seite 58
AUTOR(EN):
Tyrone Savage
Tyrone Savage unterrichtet an der Universität von Stellenbosch, Südafrika. Sein Arbeitsschwerpunkt ist
Vergangenheitsbewältigung.