Den Alleinanspruch auf das "Gutsein" aufgeben - Gedanken zum Fairen Handel aus der Sicht einer Ladenmitarbeiterin im Osten Deutschlands
Immer, wenn ich in eine Stadt komme, suche ich auch den ansässigen Weltladen. Inzwischen habe ich mir angewöhnt, nicht vorher die Adresse herauszusuchen, sondern einfach die Menschen auf der Straße nach dem Weg zu fragen. Selbst in Orten, in denen ein Weltladen schon seit vielen Jahren existiert, brauche ich selten weniger als 30 Minuten, um jemanden zu treffen, der mir Bescheid geben kann, dabei schaue ich schon auf sogenannte Zielgruppen und frage "bekannte" Gesichter. Warum wissen immer noch so wenig Menschen von dieser Szene?
von Claudia Greifenhahn
Wir haben vor sechs Jahren in Dresden den Versuch unternommen, die Forderungen des Konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in die Praxis umzusetzen und mitten im Stadtzentrums einen Weltladen als "Fachgeschäft für Fairen Handel" aufzubauen, der ohne Fremdfinanzierung bestehen kann und nahezu ausschließlich fair gehandelte Produkte vertreibt. Um diesem Anspruch gerecht zu werden und Risiken gering zu halten, haben wir den Laden mit einem ökologischen Restaurant gekoppelt — beide Geschäftsteile werden umrahmt von einer bewusstseinsbildenden Bildungsarbeit.
Seit inzwischen vier Jahren bin ich mit der Geschäftsführung des Ladencafés aha beauftragt. Im Verlauf dieser vier Jahre musste ich manche Desillusionierung verarbeiten, bin aber nach wie vor der Überzeugung, dass Fairer Handel ein Mittel sein kann, bestehende Handelsstrukturen aufzubrechen und neue Rahmenbedingungen zu postulieren.
Der Faire Handel ist vor mehr als 25 Jahren mit dem Ziel angetreten, eine Alternative zur bestehenden Weltwirtschaftsordnung zu bieten und bestehende Handelspraktiken aufzubrechen. Dabei sollten sowohl die Bevölkerung der reichen Industriestaaten mit Hilfe von bewusstseinsbildender Arbeit aufgeklärt als auch die Produzentinnen und Produzenten in den benachteiligten Ländern unterstützt und gestärkt werden.
Verschiedene Studien belegen die positiven Wirkungen des Fairen Handels auf Produzentinnen- und Produzentengruppen. Das betrifft vor allem den Bereich der Direktkontakte — Projekte werden direkt erreicht und die Produzentinnen und Produzenten profitieren durch höhere Einkommen, bessere Sozialleistungen und Einkommenssicherheit. Besonders wichtig vor allem für im konventionellen Bereich benachteiligte Gruppen ist es, Zugang zu den Absatzmärkten des Nordens zu finden. Nicht zuletzt fördert der Faire Handel durch die konsequente Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Produzentinnen und Produzenten, aber auch der Konsumentinnen und Konsumenten.
Im westlichen Europa haben sich viele sehr unterschiedliche Gruppen der Idee des Fairen Handels verschrieben und arbeiten daran, in ihrem jeweiligen Mikrokosmos diese Idee so gut wie möglich zu verbreiten. In den vergangenen 30 Jahren haben sich die Diskussionsprozesse verändert. Vor allem in jüngster Zeit setzen sich auch die Fair-Handels-Akteure kritisch mit der eigenen Idee auseinander. Eine erst im Herbst 2000 von Brot für die Welt, Misereor und der Friedrich-Ebert-Stiftung erschienene Studie "Entwicklungspolitische Wirkungen des Fairen Handels" hinterfragt sehr kritisch sowohl die Inlandswirkungen des Fair-Handels-Konzeptes als auch ökonomische Faktoren und die Auswirkungen auf die Produzentinnen und Produzenten im Süden.
Auch wenn ich auf dem Konzept des Fairen Handels meine eigene Existenz aufbaue — vielleicht auch gerade deswegen —, sehe ich an verschiedenen Stellen wesentliche Grenzen. Der Faire Handel könnte ein Ansatz sein, bewusstseinsbildend und konkret der unkontrollierten Verselbstständigung des Welthandels etwas entgegenzusetzen. Was aber macht es so schwer, die Idee des Fairen Handels umzusetzen? Warum gelingt es der guten Idee kaum, die Regeln und Praktiken des konventionellen internationalen Handels auch nur im Ansatz zu beeinflussen?
1. Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass der Faire Handel in seinem jetzigen Auftreten keine Alternative zu bestehenden Handelsstrukturen darstellt, sondern bestenfalls eine Nischenfunktion inne hat. Eine wichtige Ursache dafür sind aus meiner Sicht die Engagierten selbst. Sehr weit verbreitet ist die Illusion, dass lediglich die Erhöhung der Marktanteile des Fairen Handels durch Mehrverkauf fair gehandelter Produkte dazu führen, die Weltwirtschaft gerechter zu gestalten. Dabei wird vorausgesetzt, dass nahezu alle Menschen bereit sind, mehr für Produkte zu zahlen, die sie im Supermarkt nebenan auch wesentlich billiger einkaufen könnten. Individualethische Motive — wie Mitleid und Solidarität — spielen eine übergeordnete Rolle.
Der Faire Handel wird vor allem als Symbol gesehen, mit welchem man ein Zeichen setzen kann — doch kann ein Symbol kaum Einfluss auf bestehende Strukturen nehmen. Derzeit liegt der Marktanteil fair gehandelter Produkte im Lebensmittelbereich in Deutschland bei weniger als 0,1 Prozent .
2. Den Akteuren des Fairen Handel fehlt ein klares handels- und entwicklungspolitisches Konzept. Stattdessen erschöpfen sie sich hier in langen Kleinkriegen und Endlosdebatten innerhalb der eigenen Szene. Die derzeitige Zersplitterung der Fair-Handels-Bewegung vor allem in Deutschland, die Spannungen, die unterschiedlichen Akzentsetzungen arbeiten der Grundidee des Fairen Handels entgegen. Sowohl die Partner im Süden als auch die Bevölkerung vor Ort werden zunehmend verunsichert.
Der Faire Handel hat wohl nur dann eine Chance, tatsächlich Einfluss auf die bestehenden Rahmenbedingungen zu gewinnen, wenn er sich in ein umfassendes Entwicklungskonzept einbetten lässt und dabei sehr eng mit anderen bestehenden Entwicklungsorganisationen zusammenarbeitet.
Eine gute Möglichkeit ist die von fast allen Akteuren der Fair-Handels- Bewegung praktizierte entwicklungspolitische Bildungsarbeit. Es gibt ja bereits Synergieeffekte — vor allem dort, wo der Faire Handel eng mit anderen Gruppen und Organisationen zusammenarbeitet. Deutlich wurde die neue Wirkkraft durch Zusammenschluss zum Beispiel bei der Erlassjahrkampagne, wo eine zielgerichtete Lobbyarbeit sehr breite Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat und wirkliche Resultate hervorbrachte. Leider passieren solche Kooperationen viel zu selten.
3. Es kann dem Fairen Handel durch bewusste und zielgerichtete Bewusstseinsarbeit gelingen, die bestehenden Standards des konventionellen Handels zu erhöhen. Dazu müssen die Akteure aber bereit sein, ihren Alleinanspruch auf "Gutsein" aufzugeben und Kooperationen zu akzeptieren.
Die Frage ist immer, was Produzentinnen und Produzenten im Süden mehr nützt — eine Unterstützung ausgewählter Projekte oder gar nur ausgewählter Projektteile oder eine generelle Veränderung von Handelspraktiken.
4. Das Festhalten an Kriterien, die in den siebziger Jahren festgelegt worden sind, hemmt die Entwicklungsfähigkeit des Fairen Handels.
Besonders in Frage zu stellen ist aus meiner Sicht das Kriterium des fairen Preises. Ich glaube, mit diesem Schwerpunkt werden lediglich Symptome der ungerechten Weltwirtschaftsstrukturen bekämpft, nicht aber die bestehenden Rahmenbedingungen an sich näher betrachtet. Im Gegenteil, die Produzentinnen und Produzenten machen sich eher vom Fairen Handel abhängig, da sie mit ihren Kalkulationen für den konventionellen Markt nicht konkurrenzfähig sind. Darüber hinaus macht der faire Preis auch die Kalkulation auf den Absatzmärkten problematischer — hohe Preise ziehen hohe Nebenkosten nach sich und führen zu solch hohen Einkaufspreisen, dass für die Verkäufer hier eine sinnvolle Preisgestaltung kaum noch möglich ist. Somit fallen Gewinnspannen derart gering aus, dass die Bewegung nahezu ausschließlich auf eine breite Unterstützung ehrenamtlich Engagierter angewiesen ist, die durch unbezahlte Arbeit das Konzept tragen. Ich denke, dass diese Idee auf Dauer nicht durchzuhalten ist. Fairer Handel ist nur dann wirklich fair, wenn die Handelskette bis zum letzten Glied konsequent beachtet wird.
Aus meiner Sicht ist es unerlässlich, die betriebswirtschaftlichen Ansätze so zu modifizieren, dass auch die Struktur in Deutschland finanzierbar wird — denn Gattinnen, die in ihrer Freizeit Wohltätigkeitsstunden absolvieren, werden rar und auch die Jugend ist kaum noch bereit, über einen längeren Zeitraum ehrenamtlich zu wirken .
Zusammenfassend stelle ich fest: Der Faire Handel kann sich zu einem wesentlichen Einflussfaktor bei der Veränderung handelspolitischer Normen entwickeln, wenn
Aber vielleicht ist in letzter Zeit doch einiges in Bewegung geraten. Ich denke zum Beispiel an die Faire Woche, die vom 24.-30. September diesen Jahres von einem breiten Aktionsbündnis entwicklungspolitischer Fair-Handels- Organisationen geplant ist. Eine Vielzahl von lokalen und überregionalen Aktionen soll nach der Vorstellung der Organisatoren für eine breite Öffentlichkeitswirksamkeit sorgen. Eine extra eingerichtete Homepage www.faire-woche.de informiert und ist gleichzeitig Informationssammelstelle.
Ich denke aber auch eine mögliche Großaktion zu den Bundestagswahlen 2002. Wenn es überall in Deutschland gelingt, Parteien zu überzeugen, ihre Plakatflächen nach der Wahl dem Fairen Handel zu überlassen, könnte für mindestens drei Tage flächendeckend auf fair gehandelte Produkte aufmerksam gemacht werden. Dazu bedarf es einer engen Zusammenarbeit verschiedenster Organisationen und Gruppen, einer inhaltlichen Auseinandersetzung, einer einheitlichen Argumentationslinie und einer guten Koordination. Das wiederum bedeutet, Hand in Hand zu arbeiten, an einem Strang zu ziehen und sich darauf zu besinnen, was Fairer Handel wirklich will — nämlich einerseits ein Bewusstsein in der Öffentlichkeit zu schaffen und andererseits Absatzmöglichkeiten auszuschöpfen. In Stuttgart, Köln und Backnang ist eine solche Aktion bereits erfolgreich durchgeführt worden. Ein Grund mehr, sich an einen deutschlandweiten Versuch zu wagen .
Das Projekt LadenCafé aha besteht auch heute noch und setzt jährlich circa eine Millionen DM um, leider aber haben wir in den sechs Jahren seit der Eröffnung einige Illusionen verloren. Es gelingt uns nicht, ein hundertprozentiges Angebot fair gehandelter Produkte zu führen — dazu sind die Handelsspannen zu klein, die Lieferfähigkeit zu unzuverlässig und die Qualität der Produkte oft zu mangelhaft.
Um auch Angestellte bezahlen zu können, müssen wir inzwischen fast 50 Prozent eines sogenannten "Zusatzsortimentes" (das heißt Produkte aus dem ökologisch/biologischen Bereich) führen — trotz steigender Nachfrage und wachsender Kundenströme. Und auch wir lassen uns durch die umsatzorientierten Alltagssorgen vom großen Ziel des Fairen Handels ablenken.
aus: der überblick 02/2001, Seite 102
AUTOR(EN):
Claudia Greifenhahn:
Claudia Greifenhahn ist Geschäftsführerin des zu den "Weltläden" gehörenden "Landecafes aha" in Dresden.