Verkaufen als gelebter Protest
Soll der Faire Handel sich ein stärkeres Marken-Image zulegen, vorrangig seinen Umsatz mit Werbung ausweiten, stärker politisch Stellung nehmen, die Zusammenarbeit mit anderen alternativen Bewegungen suchen? Das überblick-Forum hat mehrere Stellungnahmen dazu veröffentlicht. Sie haben Bernd J.P. Kähler zum folgenden Beitrag angeregt.
von Bern J. P. Kähler
Die Stärke der Fairer-Handel-Bewegung ist der Verkauf von Waren. Mit dieser Praxis haben die Eine-Welt-Läden - oder wie immer die mit der Bewegung verbundenen Läden und Verkaufsstände heißen - ein wirtschaftspolitisches Ziel: Sie wollen den Austausch von Gütern mit "fairen Löhnen" für die Hersteller und "fairen Preisen" für die Käufer zumindest ansatzweise verwirklichen. Die zumeist ehrenamtlichen Mitarbeitenden im Fairen Handel wollen so Menschen in anderen Ländern dabei helfen, selbst für ihren Lebensunterhalt und für die Zukunft ihrer Kinder sorgen zu können.Die Teilnahme an dieser praktischen Arbeit und die Beobachtung lassen mich in der Debatte über den Fairen Handel vier Aspekte betonen.
Erstens: Waren stehen offensichtlich im Mittelpunkt der Eine-Welt-Läden und der entsprechenden Stände in Kirchengemeinden oder auch Kaufhäusern wie Karstadt. Um sie zu kaufen, kommen Menschen in die Läden. Die Waren sind gut und werden dauerhaft auch nur wegen ihre Qualität gekauft. Die politische Botschaft ist dabei: Auch ohne Ausbeutung der Produzenten lassen sich gute Waren importieren und zu erschwinglichen Preisen kaufen.
Damit diese Botschaft bewusst wird und bleibt, sind entsprechende Informationen in den Läden und auf den Verpackungen sowie ergänzende Veranstaltungen nötig. Was ist aber von Überlegungen und Versuchen zu halten, den Anteil des Fairen Handels am Gesamthandel dadurch zu vergrößern, dass die Namen von Importfirmen wie der gepa bekannter gemacht werden - analog zu Markennamen wie Fishbone, BOSS und adidas - oder dass Kunden mit Bekennernamen wie Fairena angesprochen werden? Nach meinen Beobachtungen nimmt das weder die Interessen der Käufer noch der Verkäufer auf. Für beide stehen die Waren im Vordergrund - nicht die Importgesellschaften und auch nicht der Appell an die edle, fortschrittliche Gesinnung der Käufer. Zudem stehen mit den Produkten die Produzenten im Mittelpunkt. Beide haben das verdient, und an den Produzenten ist ja auch das Engagement der Mitarbeitenden in den Läden und Gruppen orientiert.
Zweitens: Das handelspolitische Ziel (der "faire" Welthandel) und die Praxis (der Verkauf bzw. Kauf von Waren aus wirtschaftlich schwachen Ländern zu fairen Preisen) sind ein Protest gegen die gegenwärtige Form des Welthandels. Entgegen der ideologischen Hochschätzung des Faktors Kapital halten die Engagierten des Dritte-Welt-Handels, die Verkäufer wie die regelmäßigen Käuferinnen, demonstrativ den Faktor Arbeit hoch. Sinnvoll ist das aus humanitären Gründen wie aus wirtschaftspolitischen (wegen der weltweiten Stärkung der Massenkaufkraft). Diese Position wird von Laden- und Aktionsgruppen aber nicht deutlich artikuliert. Stattdessen bestimmen soziale Appelle das Bild und Hinweise wie die der Importorganisation El Puente, dass sie "Kleinbetriebe und Genossenschaften durch die Vorfinanzierung ihrer Lieferungen" und durch Preisaufschläge fördert. Statt die eigene Position und ihre Gründe deutlich zu machen, verharrt man trotz des eigenen politischen Anspruchs in einem vorpolitischen, überparteilichen Raum - sowohl in der Diskussion untereinander wie nach außen.
Ein Beispiel aus Hamburg: Nach der Bürgerschaftswahl konnten in einigen Stadtteilen die Stellschilder der Parteien mit Plakaten der "Weltläden" überklebt werden. Welch eine Möglichkeit zur Werbung! Nur: Verkleistern Weltlädenplakate auf den Ständern von Parteien einer primär am Kapital orientierten Wirtschaftspolitik nicht die eigene ordnungspolitische Grundentscheidung der Läden? Plump gefragt: Was ist die Aussage einer Fairer-Handel-Werbung auf FDP-Stellwänden?
Drittens: "Bewusstseinsbildend und konkret der unkontrollierten Verselbständigung des Welthandels etwas entgegenzusetzen", gehört laut Claudia Greifenhahn im "überblick 2/2001" zu den Zielen der Fairer-Handel-Bewegung. Dies ist aber nicht allein deren Ziel. Ausgehend von der Frage, wer sich in unserer Gesellschaft für ein soziales und ökologisches Wirtschaften einsetzt und wer dagegen steht, müsste die Fairer-Handel-Bewegung nicht wenige Partner finden können. Nach meinen Beobachtungen geht sie aber vor Ort nicht konsequent und sichtbar auf andere Gruppen zu. Dabei ginge es nicht nur um Übereinstimmungen in den Zielen. Andere engagierte Gruppen bilden auch einen beachtlichen Käuferkreis für Waren des Fairen Handels. Sie erhalten gleichzeitig die Möglichkeit, mit der Beteiligung am Fairen Handel zumindest einen Teil ihres angestrebten großen Zieles bereits jetzt zu leben, statt immer nur von den notwendigen Veränderungen reden zu müssen oder immer wieder von neuem zu analysieren, was und wer genau diese Veränderungen verhindert.
Was aber hält die Aktiven des Fairen Handels davon ab, die inhaltliche und unter Umständen auch parteiliche Nähe zu kritischen wirtschaftspolitischen Gruppen zu suchen und zu zeigen? Parteilichkeit schließt ja weder Selbständigkeit im eigenen Handeln und Denken aus noch Distanz zu den Partnern. Was veranlasst also die Aktiven des Fairen Handels, stattdessen Überparteilichkeit zu demonstrieren? Ihre kirchliche Prägung? Die Bindung zumindest der größten "fairen" Importgesellschaft an kirchliche Entwicklungsorganisationen? Der tiefverankerte Wunsch, mit dem "schmutzigen Geschäft der Politik" nichts zu tun haben? Sieht man in offener Parteilichkeit eine Gefahr für das eigene Geschäft?
Viertens: Auch wenn viele Läden und Aktionsgruppen des Fairen Handels inzwischen Eine-Welt-Läden oder -Gruppen heißen, bleiben ihre Waren, Informationen und Kampagnen doch Dritte-Welt-orientiert. Warum? Was spricht eigentlich gegen ein umfassenderes Warenangebot aus dem Bereich des sozial gerechten und ökologischen Wirtschaftens? Warum können zum Beispiel die fair gehandelten Krippenfiguren aus Peru nicht um fair gehandelte Ostereier aus Russland ergänzt werden, sofern es sie gibt? Und warum passt der Rotwein aus Chile - aus konventionellem Anbau und mit immensen Transportwegen belastet - besser in Eine-Welt-Läden als der ökologisch angebaute Rotwein einer Genossenschaft in Südfrankreich? Die Konzentration auf Waren aus der "Dritten Welt" und die Klassifizierung aller weiteren Waren als "Zusatzsortiment" trennt den Fairen Handel vom allgemeinen Welthandel. Möglicherweise ist auch das ein Grund dafür, dass die Fairer-Handel-Bewegung selten als Teil eines umfassenderen politischen Engagements erscheint.
Nochmals: Der besondere Ansatz der Läden und Gruppen im Fairen Handel ist die Verbindung von sozialem Engagement und Verkauf von Waren. Nach meinen Erfahrungen in einer Ladengruppe, die zu einer evangelischen Kirchengemeinde gehört, liegt gerade im letzteren der besondere Reiz: Wir erfreuen uns des Umsatzes und vor allem seiner Steigerungen. Offensichtlich ist auch im fairen, ökologischen und sozial gerechteren Handel der wirtschaftliche Erfolg eine Antriebskraft. Und bei allen theoretischen Überlegungen ist eines nicht zu vergessen: Die Hersteller und Herstellerinnen der Waren leben davon, dass wir ihre Produkte verkaufen und nicht nur über sie nachdenken.
Flächen-NutzungspläneDas Plakat nach der WahlAktivisten der Fairer-Handel-Bewegung sollen nach der Bundestagswahl im September die Wahlplakate mit Werbung für den fairen Handel überkleben. Das haben der Weltladen-Dachverband, der Dachverband entwicklungspolitischer Aktionsgruppen in Baden-Württemberg (DEAB) und das entwicklungspolitische Netzwerk INKOTA angeregt. Auf diese Weise könnten auffällige Plakatflächen kurze Zeit ohne Mietkosten genutzt werden. Plakatentwürfe zu den Themen Kaffee, Schokolade und Bananen liegen vor. Auf die Mitarbeitenden der einzelnen Eine-Welt-Läden käme damit eine Menge Arbeit zu: Sie müssten vor Ort aushandeln, welche Parteien oder Kandidaten eine "Zweitnutzung" ihrer Flächen gestatten, und noch am Wahlabend die eigenen Plakate anbringen. Wie viele Läden sich daran beteiligen wollen, ist offen. Nähere Informationen gibt es unter www.weltladen.de. bl |
aus: der überblick 01/2002, Seite 122
AUTOR(EN):
Bern J. P. Kähler:
Bernd J. P. Kähler ist Pastor der Ev.-Luth. St.Johannisgemeinde in Hamburg-Harburg, Mitarbeiter einer Fairhandels-Ladengruppe und seit langem in der entwicklungspolitischen Bildung engagiert.