Religiöse Symbolik in der Warenwelt der Shopping Malls
Shopping Malls sind Kathedralen des Kommerzes in einer Religion des Marktes, einer Religion, die zurzeit das öffentliche Leben in den Vereinigten Staaten von Amerika bestimmt. Die Verbraucher werden eingeladen, sich solch religiöser Vorstellung hinzugeben, und sie tun es oft bereitwillig, wie verzaubert. Die Shopping Mall hat eine Affinität zu gnostischen Träumen.
von Jon Pahl
Shopping Malls desorientieren die Besucher, indem sie Symbole aus der Natur und der Religion benutzen, um die Wirkung eines Irrgartens zu erzeugen und die Pilger dann umzuorientieren in Richtung auf den Erwerb einer Ware. Die Bedeutung jeder beliebigen Ware wird jedoch überhöht zu etwas "mehr" als das Gewöhnliche und das durch nichts Dramatischeres als ihren Platz in der Shopping Mall. In Amerika erzeugt Einkaufen heutzutage nicht nur Vergnügen: Einkaufen erlöst.
Shopping Malls, ebenso wie andere heilige Orte, sollen eine verzaubernde Wirkung auf die Pilger ausüben. Jeder Besuch in jeder beliebigen Shopping Mall ist ein Fest der Sinne. Die Architektur der Shopping Mall bietet auf geringst möglichem Raum die Erfahrung von Wasser, Licht, Bäumen, Worten, Lebensmitteln, Musik und Körpern, die in Kombination miteinander im Menschen das Gefühl erwecken, verzückt, betäubt, desorientiert zu sein und letztlich etwas zu entbehren. Auf diese Weise verletzlich geworden, kann die Seele sich dem nächsten, wenn auch nicht immer dem billigsten Anbieter verkaufen. Sich verloren zu fühlen, ist das herkömmliche, ja beabsichtigte Gefühl. Immerhin vierzig Prozent der Besucher einer Shopping Mall beabsichtigen nicht, irgendetwas zu kaufen. Aber nur zehn Prozent gehen wieder heraus, ohne dass ihre Geldbörse oder Brieftasche erleichtert ist.
Wasser etwa wird in fast jeder Shopping Mall dazu benutzt, den Besucher dazu zu bringen, mit dem "Einkaufsfluss" zu gehen. Wasser löst Grenzen auf und ist ein weit verbreitetes religiöses Symbol. Zu den symbolischen Bedeutungen des Wassers gehört natürlich die Reinigung: Shopping Malls benutzen Springbrunnen, Wasserfälle und reflektierende Teiche, um die Einkäufer symbolisch von jedem Schmutz zu reinigen, den die Profitgier an diesem Orte suggerieren könnte. Die Religionsgeschichtlerin Ira G. Zepp weist darauf hin, dass man in vielen Shopping Malls symbolisch in einem Springbrunnen baden kann, durch das Geräusch eines nachgeahmten Wasserfalls erfrischt oder sogar neben winzigen Wasserpflanzen symbolisch getauft werden kann. Kurz gesagt, Wasser führt den Besucher in eine Erfahrung ein, die "mehr" sein soll als ein Einkaufsbummel.
So wie Shopping Malls Wasser benutzen, um als etwas "mehr" zu erscheinen als ein herkömmlicher Ort, so sind sie auch von Licht überflutet, noch ein weiteres entscheidendes religiöses Symbol. Licht vielerlei Art wird in Shopping Malls eingesetzt, doch jedes Licht ist strategisch platziert, um die Sinne auf diese oder jene Attraktion zu lenken. Neonlicht wird benutzt, um mit seinem besonderen Glanz die Besucher vor allem durch die Schriftzeichen über den Eingängen zu den Attraktionen der Shopping Mall hinzulocken; es verbreitet eine Aura, die mit ihren sanften und doch strahlenden Farben verführend wirkt. Auch natürliches Licht ist ein hervorstechendes Merkmal der meisten Shopping Malls.
Neben Wasser und Licht gehören auch ausdrucksstarke Symbole wie Bäume und Pflanzen zum Design von Shopping Malls. Wachsende Dinge werden in fast jeder Religion heilig gehalten; und zu vielen Traditionen gehören Geschichten oder Mythen über Lebensbäume oder menschliche Lustgärten. Die Einbeziehung von wachsenden Dingen durch die Gestalter von Shopping Malls ist auch hier mehr als die Nützlichkeitsentscheidung, die Innenluft rein zu halten. Denn beachtlicherweise stirbt nie ein Baum in der Shopping Mall. Die Bäume in den Shopping Malls sind alle immergrüne Pflanzen, selbst wenn es Laubbäume sind. Leben im Überfluss, ja ewiges Leben das ist die Botschaft.
Shopping Malls nutzen das menschliche Verlangen aus, Wachstum und neues Leben zu erfahren. Und diese Symbolik ist kraftvoll und wirksam. Leben ist Wachstum das bietet dieses Evangelium, und zwar genau in der Sprache, die uns lieb ist. Das ist der Garten Eden ohne den Sündenfall, die Auferstehung ohne das Kreuz, Frühling und Sommer ohne Herbst oder Winter. Dass dieses Wachstum seinen Preis hat, wird ständig verschleiert oder verdunkelt durch das geschickte Design, das uns dazu verführt, zu glauben, wir wohnten in einem Garten freier Lust. Direkter gesagt, Shopping Malls werben für sich mit Worten und mit einer Musik, die uns Einheit, Hingabe, Liebe, Glück und andere Dinge versprechen, die einst der Lohn traditioneller religiöser Übungen waren.
Jede Shopping Mall ist durchtränkt von Liturgiegeeigneter Musik, die auf die Erwartungen des "Ziel"-Marktes zugeschnitten ist. Werbeslogans und Schlagworte benutzen religiöse Sprache, wie Ira Zepp bemerkt. So bietet die Shopping Mall Gemeinschaft: "Du bist einer von uns" wird suggeriert. Und die Shopping Mall verheißt uns Hingabe. Es ist ein Ort, wo man sich dem Essen, dem Einkaufen und dem Streben nach Glück hingibt. Die Worte fließen zusammen zu einem Schwall religiöser Bedeutungsinhalte: "Sie werden die Erfahrung lieben". "Wir wollen Ihr Leben anrühren". "Wir können uns mit allen Ihren Bedürfnissen identifizieren!"
Wirklich? Natürlich nicht. Hier gibt es kein "Wir". Doch eingekleidet in solche Versprechungen, mit einschmeichelnder Musik zugedeckt, wird die nackte Realität einer Shopping Mall als ein Ort der Profitmache verborgen; und wir werden dazu verlockt, an den heiligen Riten teilzuhaben. Die Shopping Mall verkleidet ihren Zweck des Profit-Machens in eine Poesie der Verheißung. Wenn es eine Religion des Marktes gibt und Shopping Malls heilige Orte sind, dann ist die Mall of America am Rande von Minneapolis, Minnesota, zweifellos der allerheiligste Ort.
Es gibt sogar eine Reihe von Paaren, die sich im Bereich E 3 5 dieser Shopping Mall, der den verheißungsvollen Namen " Kapelle der Liebe Traukapelle" trägt, das Ehegelübde geben. Die Kapelle sieht wie ein Geschäft unter anderen aus. Der Eingang dazu ist der gleiche wie der zum "Brautladen" der Shopping Mall, wo man vermutlich alles ausleihen oder kaufen kann, was man zu einer perfekten Hochzeit oder einem Hochzeitsjubiläum braucht.
Einerseits kann die Shopping Mall einen "freien" Raum bieten, wo die intimsten menschlichen Ereignisse gefeiert und erinnert werden können, wenn natürlich auch die meisten Benutzer dafür bezahlen müssen. Einige Paare, deren Gelübde die Kirche oder der Staat nicht anerkennen würde oder die, aus welchem Grund auch immer, Vorbehalte gegen kirchliche oder politische Macht haben, könnten ihre Verbindung in Anwesenheit von Familie und Freunden in der Mall of America feiern. Andererseits, um es einfach zu sagen, ist die "Kapelle der Liebe" ein armseliger Ersatz für eine religiöse Kultstätte, ist sie doch von der Kakophonie des Marktes umgeben und in der Nachbarschaft eines ganz gewöhnlichen und unpersönlichen "Brautladens" gelegen.
Der Geograph Jon Goss versucht in seiner ausgezeichneten Studie über die Shopping Malls zu erklären, dass die Aufgabe für Einkaufspilger nicht nur darin besteht, sich die Welt außerhalb des Konsums bewusst zu machen, sondern auch, "sich des Potentials bewusst zu werden, das der Traum, in dem wir einkaufen, in sich birgt, und so die Spuren von Idealen eines gemeinschaftlichen sinnvollen Lebens zu entdecken, die so leicht dem Vergessen anheim fallen".
Das Problem mit den Shopping Malls ist, dass sie uns aktiv dazu ermutigen, alle Ideale gemeinschaftlichen sinnvollen Lebens zu vergessen, die jenseits der Ideale des Marktes liegen. Die Shopping Mall schafft keine dauerhafte Gemeinschaft, beruht auf keiner Tradition und fördert keine Werte über die hinaus, die von Konzernen festgelegt werden, für welche die Konsumenten nichts als anonyme Größen oder Etiketten sind. Wir sind durch den Ort "vereint" und zwar nur in der Hierarchie, die durch unsere Konsumfähigkeit bestimmt ist. Es ist kein Zufall, dass diese Hierarchie, in der Reiche mehr bekommen und die Armen leer ausgehen, auch das öffentliche Leben in Amerika bestimmt. Die Mall of America spiegelt somit akkurat eine gebrochene Vision unserer kollektiven Zukunft wider, getrieben von einer Illusion grenzenloser und sich ständig verschiebender "Lieben".
Dauerhafte Verpflichtung widerspricht dem Geist der Shopping Mall. Im Grunde genommen versucht die Shopping Mall, unsere Aufmerksamkeit von einem Grundbedürfnis zu grenzenlosen Wünschen nach Waren zu verschieben. Mit anderen Worten theologisch gesprochen bietet die Shopping Mall uns ein Idol an als Ersatz für eine reale Präsenz. Die Shopping Mall kleidet Gott in ein paar armselige Gewänder, verbirgt die Quelle und das Ziel authentischen Lebens und den Sitz von Güte, Wahrheit und Schönheit hinter Objekten, die die Werbung uns verkaufen will. Das heißt nicht, dass man Gott in der Shopping Mall nicht finden kann. Es ist vielmehr die Art und Weise, in der Gott dargestellt wird, welche die Einkaufspilger einlullt und verunsichert, so dass sie nicht mehr wissen, was wirklich befriedigend ist im Leben. Das Verlangen verschiebt sich dramatisch von der Gemeinschaftlichkeit hin zum Besitz, von der Beziehung mit realen Menschen hin zum Erwerb von Dingen.
Es passiert kein "wirkliches Einkaufen" in der Shopping Mall, nur ein Einlullen von Einkaufspilgern, die sich vorstellen, in einer Phantasiewelt unbegrenzter Waren und Vergnügungen leben zu können. Abschließend kann man sagen, dass der von der Shopping Mall geförderte Wunsch, etwas zu erwerben, umgeleitet wird, und zwar fort von der Quelle und dem Gegenstand mancher Wünsche (wie Nahrungsmittel, Obdach, Gemeinschaft, Intimität und so weiter) hin zum "Heiligen", das heißt zu Ersatzobjekten, die vervielfacht und konsumiert werden können.
Doch da die Shopping Mall gewöhnlich nicht als eine heilige Stätte anerkannt wird (sie ist eben "nur" eine Shopping Mall), scheint die religiöse Gewalt, durch die der Wunsch von seinen "natürlichen" Objekten zu einem Ersatz hingelenkt wird, unschuldig zu sein an den Prozessen menschlichen Schaffens oder sie sogar zu transzendieren. Eine solche Ersetzung erscheint "normal" oder als Teil eines "freien" Marktes, in dem alle im Ritual des Einkaufens vereint sind. Beim Einkaufen wird so die Illusion gefördert, vom Heiligen Besitz zu ergreifen. Die Shopping Mall "wirkt" als ein heiliger Ort, weil das Begehren von Objekten grundlegender Bedürfnisse (bei denen der Wettbewerb endlos eskalieren kann) auf künstliche Konstrukte umgeleitet wird, die formbar und ausdehnbar sind. Doch dass man das Heilige besitzen kann, ist natürlich eine Illusion.
aus: der überblick 03/2007, Seite 9
AUTOR(EN):
Jon Pahl
Jon Pahl ist Professor für Geschichte des Christentums in Nordamerika am "Lutheran Theological Seminary
at Philadelphia", USA. Er hat von seinen Kindern gelernt, Malls gelegentlich auch
zu genießen.