Die Wähler von George Bush kämpfen für die Menschenrechte
Über die Rolle der USA in der Weltpolitik wird kaum noch leidenschaftlich diskutiert. Nun muss man sich die Debatten über Yankee-Imperialismus und das Beklatschen von Michael Moore nicht zurückwünschen, aber den derzeitigen amerikanischen Präsidenten achselzuckend als gefährliche Witzfigur abzutun und sich damit von den USA abzuwenden, führt ebenso in die Irre.
Ja, man möchte den Kopf einziehen, wenn George Bush über das Fernsehen zur Welt spricht, noch ein bisschen tiefer, wenn man weiß, welche Hassreaktionen er in weiten Teilen der Welt wieder auslösen wird - egal, was er sagt. Das Sündenregister der Amerikaner ist ja lang genug; zu den offensichtlichen Skandalen des Irakkrieges kann man getrost auch noch "kriminelle Vernachlässigung" (so der Demokratieforscher Larry Diamond nach seiner Zeit in Bagdad) beim Wiederaufbau hinzurechnen. Aus Afghanistan kommen ebenfalls düstere Nachrichten. Und sogar auf diplomatischem Parkett bei den UN in New York schaffen es die USA mit Botschafter John Bolton immer wieder, den Rest der Welt gegen sich aufzubringen.
Von den wenigen positiven Punkten will deshalb kaum jemand etwas hören: eine überproportionale Erhöhung der Entwicklungshilfe unter George Bush, das Engagement für Frieden im Sudan und das Beharren darauf, dass in dem neuen Menschenrechtsrat der UN nur Platz nehmen sollte, wer grundlegende Rechte nicht systematisch verletzt. Abu Ghraib und Guantánamo Bay haben diese Position nicht gerade glaubwürdig gemacht, richtig war sie trotzdem. Nun werden in dem neuen Gremium von Kuba und China schon wieder die Art Reden gehalten, die die alte Menschenrechtskommission diskreditiert hatten.
Die resignative Haltung gegenüber den USA hat auch damit zu tun, dass Präsident Bush trotz allem wiedergewählt worden ist. Dafür macht man die christliche Rechte verantwortlich, einen "Block" von immerhin 80 Millionen Menschen, den man hierzulande schnell als hinterwäldlerisch oder hartherzig abtut. Diese bigotten Millionen erlaubten es den Neocons, mit ihrem macho-militaristischen Unilateralismus gegen alle Welt zu Felde zu ziehen.
In diesem flotten Urteil mischt sich Arroganz gegenüber der in den USA gepflegten Religiosität mit berechtigter Sorge über beunruhigende Entwicklungen zu einem wenig differenzierten Zerrbild. Dabei wird dort unter Christen und Juden heftig über das Verhältnis von Religion und Politik gestritten. Jimmy Carter, als Southern Baptist von 1977 bis 1981 US-Präsident, hat unter dem Titel Our Endangered Values: America's Moral Crisis ein vielbeachtetes Buch veröffentlicht. Darin beschreibt und beklagt er eine Polarisierung in Gut und Böse und die Ausgrenzung aller Andersdenkenden: "Eng definierte theologische Überzeugungen sind als rigide Agenda einer politischen Partei übernommen worden". Der umtriebige liberale Rabbi Michael Lerner macht in seinem Buch The Left Hand of God: Taking Back Our Country From the Religious Right die elitäre Verachtung der Linken für die moralische Krise Amerikas mitverantwortlich. Die Linke sei überwiegend säkular ausgerichtet, habe eine Tendenz, Religion per se als irrational abzutun und sei stark universitär und von Identitätspolitik geprägt. Der theologisch konservative, aber politisch progressive Jim Wallis hat das Unverständnis der Linken gegenüber Religion sogar in den Titel seines Buches aufgenommen: God's Politics: Why the Right Gets it Wrong and the Left Doesn't Get It ("der überblick" 3/2005). Wer wissen möchte, wie und warum die als "christliche Rechte" apostrophierte Bewegung entstanden ist, was sie bewegt und was ihr entgegenzuhalten ist, hat in diesen Gegenplädoyers leidenschaftlich religiöser und politischer Menschen vertraute Führer im fremden Land.
Sofortigen Widerspruch wird dagegen Allen D. Hertzke hervorrufen, der in Freeing God's Children. The Unlikely Alliance for Global Human Rights argumentiert, dass die christliche Rechte ein beachtliches Engagement für die Menschenrechte zeige. Wer nun müde abwinkt oder ungläubig aufschreit, das Buch also von vornherein als unseriös erklärt, macht einen Fehler, denn Hertzke, Professor für Politikwissenschaft in Oklahoma, weiß, wovon er spricht. Der Experte für das Verhältnis von Religion und Politik hat sechs Jahre lang die sich neu entwickelnde, von konservativen Christen getragene Menschenrechtsbewegung begleitet. Nicht nur, wie er zu Beginn offen legt, "als 'objektiver Forscher', sondern als sympathisierender Zeuge in einem Prozess". Das ermöglicht Einblicke, wie sie sonst kaum möglich sind, birgt aber auch jede Menge Gefahren. Hertzke bewegt sich geschickt auf diesem schmalen Grat, indem er Chronik mit Einordnung verbindet. Damit entsteht so etwas wie reflektierte Nähe. Nur wenn es um die Versäumnisse der klassischen, liberalen und linken Menschenrechtsverfechter und deren Kritik am Engagement der christlichen Rechten geht, verfängt er sich in den culture wars zwischen beiden Lagern. In seinem Bemühen, seine Protagonisten zu positionieren, landet er sprachlich und argumentativ auf deren Seite.
Hertzke erklärt die neue Bewegung mit den tektonischen Verschiebungen in der Weltchristenheit, wie sie Philip Jenkins in seinem Buch The Next Christendom ("der überblick" 3/2003) analysiert hat: Heute lebten mehr als 60 Prozent aller Christen und mehr als 70 Prozent aller evangelicals außerhalb Nordamerikas und Europas. Durch die neuen Kommunikationsmöglichkeiten nähmen amerikanische Christen Anteil am Leben und Leiden ihrer Geschwister, die oft arm seien, unter Gewalt und manchmal auch religiöser Verfolgung zu leiden hätten. Deren Zeugnis und Standhaftigkeit berühre viele Amerikaner, und daraus habe sich schließlich das Engagement gegen religiöse Verfolgung in aller Welt entwickelt.
Dass aus diesem Interesse eine schlagkräftige Bewegung wurde, führt Hertzke auch auf soziologische Umstände zurück: Unter den evangelicals seien viele gut qualifizierte Menschen, die ihre beträchtlichen Fähigkeiten zugunsten einer guten Sache einsetzen möchten. Und schließlich gebe es auch viele Führer, die mitzureißen und zu organisieren verstünden, da die Vitalität der Gemeinden und Kirchen davon abhängig sei. Dass die evangelicals in den letzten Jahrzehnten ein florierendes und ziemlich flächendeckendes Netz von eigenen Institutionen, darunter Zeitschriften und Rundfunkstationen, aufgebaut haben, beflügele diese Aktivitäten zusätzlich. Robert Putnam hat dieses Netzwerk in seinem berühmten Buch Bowling Alone als das größte und am besten organisierte des letzten Vierteljahrhunderts bezeichnet. Übersetzt in unsere Sprache heißt das: Hier ist eine hoch motivierte und gut organisierte Zivilgesellschaft entstanden, die etwas bewegen will.
Durch gute Mobilisierung, öffentlichen Druck und mit dem ihr möglichen Zugang zu Kongressabgeordneten hat diese Bewegung aus den Reihen der christlichen Rechten die Verabschiedung von vier Gesetzen erreicht: International Religious Freedom Act (1998), Trafficking Victims Protection Act (2000), Sudan Peace Act (2002), North Korean Human Rights Act (2004) gehen auf sie zurück. In den Kampagnen für diese Anliegen sind die evangelicals interessante Allianzen eingegangen: mit liberalen jüdischen Gruppen, der katholischen Kirche, tibetischen Buddhisten, iranischen Bahai's, säkularen Menschenrechtsgruppen, Feministinnen, Gewerkschaften und dem Black Caucus schwarzer Abgeordneter im Kongress. Es sind diese Allianzen und die damit verbundenen Lernprozesse die Hertzke so positiv, manchmal geradezu enthusiastisch urteilen lassen, dass der Schutz der Menschenrechte in der Weltmacht USA wieder stärkeres Gewicht bekomme.
Ist das nicht alles zu schön (geschildert), um wahr zu sein? Ist dieses Engagement nicht sehr selektiv? Sind die Themen nicht doch typisch für den engen Horizont der christlichen Rechten: Kampf um Religionsfreiheit (für Christen und gegen ein islamisches Regime), Kampf gegen den Kommunismus, Abscheu und Empörung wegen transnationaler Prostitution? Schimmern da nicht die alten Obsessionen durch? Hertzke kennt die Einwände, fragt aber jeweils zurück, ob das Menschenrechtsengagement von Linken und Liberalen nicht auch immer selektiv und einseitig war. Da trifft er, etwa bei der lange stiefmütterlich behandelten Freiheit der Religionsausübung, manchen wunden Punkt. Und dass manche der neuen Internationalisten sich nicht lange mit Analyse aufhalten und ihr Auftreten etwas kreuzzüglerisches hat, weiß der belesene und gewandte Professor natürlich auch.
Es ist kein Zufall, dass die evangelikale Menschenrechtsbewegung mit eben diesen Themen begonnen hat, beschränkt darauf ist sie aber keineswegs. Im Februar dieses Jahres riefen mehr als 85 ihrer Führer zum Kampf gegen global warming auf, unter ihnen Richard Cizik, Vizepräsident der National Association of Evangelicals. Und die einflussreiche Zeitschrift Christianity Today (Auflage: 150.000) hat im Februar mit einem Essay aufgemacht, der sich unmissverständlich gegen Folter ausspricht (5 Reasons Torture is Always Wrong). Zuvor hatten schon andere Autoren des Blattes der Regierung in diesem Punkt die Leviten gelesen.
Auch entwicklungspolitische Anliegen finden sich in Christianity Today wieder: fairer Handel, Schuldenerlass, Kampf gegen Aids und Armut. Entwicklungspolitiker, wie Andrew S. Natsios, bis vor kurzem Chef der amerikanischen Hilfsorganisation USAID, sehen in dem neu erwachten ökumenischen Engagement der evangelicals die größte Bewegung zugunsten von mehr und besserer Entwicklungshilfe. In der Darstellung dieser Themen gibt es allerdings einen fundamentalen Unterschied: ein gar nicht verschämter Bezug auf den eigenen Glauben. Der Artikel über den fairen Handel ist mit: Was würde Jesus tragen? überschrieben und in einer beeindruckenden Themenschwerpunkt über den Kongo ging es im Juni auf anrührende Weise auch darum, dass nicht einmal jeder Prediger der kleinen, auf sich selbst gestellten Gemeinden eine vollständige Bibel hat; sie müssen sich gegenseitig aushelfen.
Dass das Engagement der evangelicals keineswegs kohärent ist und kräftig lahmt, hat Allen D. Hertzke selbst im Oktober 2005 in einem Beitrag für die Zeitschrift First Things erläutert und beklagt (The Shame of Darfur). Und doch muss die Save Darfur Coalition, in der auch evangelicals an führender Stelle mitarbeiten, die in dieser Frage so anämischen Europäer beschämen. Am 30. April haben Mitglieder dieser Koalition von 165 religiösen und humanitären Organisationen in Washington demonstriert - unter Beteiligung vieler Prominenter, unter ihnen George Clooney und Elie Wiesel. Dabei wurden 750.000 elektronische Postkarten übergeben, die ein Ende des Völkermordes fordern und George Bush drängen, sein Amt zu nutzen, damit eine starke multinationale Friedenstruppe nach Darfur entsandt wird. Die USA sind immer noch für positive Überraschungen gut zum Glück.
aus: der überblick 02/2006, Seite 4