Sklaverei und Menschenhandel haben in den letzten Jahrzehnten wieder zugenommen
Sklaverei ist praktisch überall verboten. Dennoch müssen Millionen Menschen unter Bedingungen leben, die eine moderne Form der Sklaverei darstellen - etwa Schuldknechte in Südasien, unbezahlte Kinderarbeiter in Westafrika, ausländische Prostituierte in Westeuropa. Ihr Los ist zum Teil sogar schlimmer als das traditioneller Sklaven, denn sie sind billiger zu beschaffen und zu ersetzen als früher. Daher nimmt der illegale Menschenhandel zu.
von Kevin Bales
Eines der Medienereignisse im Jahr 2001 war das "Sklavenschiff von Benin", das zu Ostern vor der westafrikanischen Küste trieb. Berichten zufolge befanden sich mehr als 200 versklavte Kinder an Bord des Schiffes, das in Nigeria unter dem Namen Etireno registriert war und weder von Gabun noch Kamerun in einen Hafen gelassen wurde. Fünf Tage lang war die Etireno plötzlich verschwunden. Während nach ihr gesucht wurde, überschlugen sich die Befürchtungen über das Schicksal der Kinder. Als das Schiff schließlich wieder auftauchte und in Benin andockte, hatte es lediglich 43 Kinder an Bord - davon die Hälfte jünger als 14 Jahre, einige sogar erst fünf - und ungefähr 100 Erwachsene.
Befragungen ergaben, dass der Großteil der minderjährigen Passagiere nach Gabun verkauft worden war, wo sie als Arbeitskräfte eingesetzt werden sollten. Die Zeugenaussagen der Kinder ließen darauf schließen, dass die Eltern ungefähr 20 US-Dollar pro Kopf erhalten hatten. Der Kapitän bestritt jede Beteiligung an dem Handel, obwohl die entführten Kinder ihn als einen der Komplizen bezeichneten. Nach längerer Zeit und unter großen Anstrengungen wurden schließlich alle Kinder zu ihren Eltern zurückgebracht. Für die meisten Menschen in Europa war der Fall der Etireno eine erste erschreckende Begegnung mit den Praktiken moderner Sklaverei, doch tatsächlich handelt es sich nur um die Spitze des Eisbergs.
Die 43 Kinder der Etireno machten nur einen kleinen Teil des Menschenhandels aus, der regelmäßig zwischen Benin und Gabun stattfindet. In der Region, die einst Sklavenküste genannt wurde, werden weiterhin Geschäfte mit der Ware Mensch gemacht. Zunehmend werden Kinder gekauft und verkauft, und zwar sowohl innerhalb einzelner Länder als auch über nationale Grenzen hinweg. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) schätzt, dass in Westafrika 200.000 Minderjährige in Sklaverei leben. In einer im Auftrag von Anti-Slavery International von der Organisation Enfants Solidaires D'Afrique et Du Monde durchgeführten ersten Studie über Kinderhandel in Benin wurden im Jahr 1998 in Benin und Gabun 884 Personen befragt, darunter 229 Kinder, die verkauft worden waren, sowie 170 Familienangehörige dieser Kinder. Verschleppt nach Gabun, werden die Kinder dort zu Arbeiten im Haushalt gezwungen, müssen auf den Märkten Lebensmittel und andere Waren verkaufen oder werden als Landarbeiter eingesetzt.
Der Handel mit Kindern ist in den illegalen Wirtschaftsbereichen in Benin und Togo - beide Länder sind ärmer als Gabun - eine bedeutende Einnahmequelle. Die Sklavenhändler machen bettelarmen Familien meistens betrügerische Versprechungen und überzeugen so die Eltern, ihnen ihre Kinder zu überlassen. Ein Unicef-Mitarbeiter, der in der Gegend arbeitet, erläutert das so: "Irgendwelche Leute kommen vorbei, bieten den Familien Geld und erzählen ihnen, dass ihre Kinder auf Plantagen arbeiten werden, von wo sie Geld nach Hause schicken können. Sie geben der Familie einen kleinen Betrag - meist zwischen 15 und 30 US-Dollar -, und danach sehen die Eltern ihre Kinder nie wieder."
Oft willigen die Kinder selbst in den Handel ein, weil sie darauf brennen, die Welt jenseits der Grenzen ihres Dorfes zu sehen. Manche springen noch rechtzeitig ab, und einige wenige bringen es tatsächlich so weit, dass sie eines Tages mit Geld oder Konsumgütern zu ihrer Familie zurückkehren können. Aber dass ein kleines Häuflein den Weg zurückfindet, ermutigt andere Familien oftmals noch, ebenfalls mit einem der "Anwerber" ihr Glück zu versuchen. Die Forscherin Anne Keilland erklärt: "Es ist wie ein Lotteriespiel. Der Hauptgewinn winkt verführerisch. Außerdem ziehen die wenigen Glücklichen die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Die Tausenden, deren Lose Nieten waren, werden vergessen; für sie haben die Kosten der Teilnahme aber manchmal ruinöse Folgen. Beklagenswerterweise ist beim Kinderhandel der Spieleinsatz ein empfindlicher und äußerst verletzlicher Mensch." Die meisten der versklavten Kinder kommen nie oder genauso arm wie vorher zurück. Und in vielen Fällen sind Mädchen, die im Haushalt arbeiten mussten, schwanger.
So schockierend der Sklavenhandel mit Kindern in Westafrika ist, handelt es sich dabei nur um einen winzigen Teil des gesamten, weltweiten Phänomens. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist eine schnelle Zunahme von Sklaverei und Menschenhandel zu beobachten. Selbst wenn man Sklaverei in engen Grenzen definiert - als vollständige und gewaltsame Kontrolle der Lebensbedingungen zwecks wirtschaftlicher Ausbeutung ohne Bezahlung -, gibt es schätzungsweise 27 Millionen Sklaven auf der Welt. Viele von ihnen werden in einer neuen Form der Knechtschaft gehalten, die erst nach 1945 entstanden ist. Ein entscheidender Unterschied dieser neuen Art der Sklaverei zur traditionellen besteht darin, dass Sklaven heutzutage billiger sind, als sie es jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit waren. Während Sklaven im 19. Jahrhundert noch eine bedeutende Kapitalanlage darstellten, sind sie in unseren Zeiten so billig geworden, dass man sie einfach "wegwerfen" kann.
Drei Faktoren haben den raschen Wandel der Sklaverei herbeigeführt. Zum einen hat sich im Zuge der Bevölkerungsexplosion die Zahl der Erdenbürger seit 1945 verdreifacht, wobei der überwiegende Teil dieses Anstiegs auf die Entwicklungsländer entfällt. Zweitens haben der wirtschaftliche Strukturwandel und die Globalisierung die Menschen in den Entwicklungsländern in die Städte und in die Verschuldung getrieben. Diese verarmten und schutzlosen Massen ermöglichen sozusagen eine "Rekordernte" an potenziellen Sklaven. In den großen Elendsvierteln, die die Städte der Entwicklungsländer umgeben, leben zahllose Familien, die ihr Land verlassen mussten, weil ihre Subsistenzwirtschaft immer mehr durch den Anbau von international handelbaren Agrarprodukten verdrängt wurde. In der Stadt suchen sie nun verzweifelt nach Arbeit.
Mit der Flucht vom Land haben diese Familien aber zugleich Teile der Verwandtschaft sowie ihre Kirch- und Dorfgemeinschaften zurückgelassen, die in Krisenzeiten das soziale Auffangnetz bildeten. In den Barackensiedlungen der Großstädte sind sie jedoch dem wechselhaften Spiel des sozialen und wirtschaftlichen Wandels mehr als je zuvor ausgesetzt. Um aus schutzlosen Menschen Sklaven zu machen, muss allerdings noch eines hinzukommen: die staatliche Korruption. Wenn sich Polizisten bestechen lassen, wegzuschauen, haben diejenigen, die Gewaltmittel einsetzen können (oft natürlich vor allem die Polizei selbst), ein leichtes Spiel, Sklaven zu "ernten". Und Korruption ist so selbstverständlich und weit verbreitet wie die Gesetze der Gewalt in den Elendsvierteln.
Die neue Sklaverei ist die Folge einer dramatischen Steigerung der Rentabilität der Sklavenausbeutung. Kostete ein Sklave für die Landarbeit im Jahr 1850 in Alabama noch 1200 US-Dollar (das entspricht 40.000 US-Dollar zu heutigen Preisen), so kann ein Sklave heutzutage für rund 100 US-Dollar erworben werden. Dieser Preisverfall hat nicht nur die durch Sklaverei erzielbaren Gewinne vervielfacht, sondern auch das Verhältnis zwischen Sklaven und Eigentümer verändert. Während der teure Sklave des 19. Jahrhunderts eine wertvolle Investition darstellte, die es zu erhalten galt, ist der heutige Sklave kaum etwas wert und kann daher jederzeit bequem durch einen anderen ersetzt werden.
Typisch ist etwa, dass ein 14 Jahre altes Mädchen in ein hauptsächlich Arbeitern dienendes Bordell im heutigen Thailand verkauft wird. Der ursprüngliche Kaufpreis dürfte bei weniger als 800 US-Dollar liegen. Im Bordell angekommen, wird dem Mädchen mitgeteilt, dass es die vierfache Summe seines Kaufpreises zurückzuzahlen habe, um freizukommen, zuzüglich der Miete, Mahlzeiten und medizinischer Versorgung. Selbst wenn es 10 bis 15 Männer pro Nacht bedient - was durchaus üblich ist -, werden sich die Schulden des Mädchens durch Tricks bei der Buchführung immer noch erhöhen, sodass sie niemals die Erlaubnis bekommt zu gehen.
Die Gewinnmarge, die die "Eigentümer" des Mädchens erzielen, ist sehr hoch, sie beträgt bis zu 800 Prozent. Der jährliche Umsatz, den das Mädchen erwirtschaftet, das heißt die Summe dessen, was die Männer für sie bezahlen, beträgt unter Umständen mehr als 85.000 US-Dollar, ein Betrag, von dem das Mädchen niemals auch nur einen Cent sieht. Die Eigentümer wiederum verschaffen sich mit kleinen "Gefälligkeiten" aus den Gewinnen Schutz vor der Polizei, Einfluss bei der örtlichen Verwaltung und soziales Prestige. Im günstigen Fall werden die Besitzer des Mädchens fünf Jahre lang etwas von ihm haben, denn die HIV-Infektionsrate ist in Bordellen hoch. Doch da das Mädchen außerordentlich billig war, kann es auch leicht ersetzt werden. Wenn es krank wird, sich verletzt oder einfach nur Schwierigkeiten macht, wirft man es eben mittellos auf die Straße.
Bordelle in Thailand sind nur ein Beispiel für neue Sklaverei. Die Opfer der neuen Sklaverei werden meist für einfache und traditionelle Arbeiten ohne hohe technische Anforderungen eingesetzt. Die meisten arbeiten in der Landwirtschaft. Aber man findet Sklaven auch beim Brennen von Ziegeln, im Bergbau, in Steinbrüchen, in der Textilindustrie, bei der Fabrikation von Feuerwerkskörpern, in der Lederindustrie, bei der Verarbeitung von Edelsteinen und in der Schmuckfabrikation. Weitere Branchen sind die Tuch- und Teppichherstellung, das Roden von Wäldern, die Erzeugung von Holzkohle, der Fischfang und der Ladenverkauf. Meistens werden die mit Hilfe solcher Tätigkeiten erzeugten Waren im nahen Umkreis verkauft und konsumiert. Aber von Sklaven hergestellte Güter sickern auch in die Wirtschaftskreisläufe der gesamten Welt und erreichen auch unsere Haushalte.
Verschiedene Studien haben dokumentiert, dass international vertriebene Produkte wie Teppiche, Zucker und Schmuck oftmals aus Betrieben kommen, in denen Sklaven die Arbeit leisten. Wir im Norden verbrauchen von Sklaven hergestellte Waren und investieren in Unternehmen, deren Umsätze und Gewinne auf Sklavenarbeit beruhen, ohne dass wir etwas davon wissen. Den Kakao zum Beispiel, aus dem unsere Schokolade hergestellt wird, haben mit einiger Wahrscheinlichkeit Sklaven angebaut. Die handgearbeiteten Teppiche aus Indien, Pakistan und Nepal, die hauptsächlich nach Europa und in die USA exportiert werden, haben oft versklavte Kinder geknüpft. In Brasilien benutzt man Sklaven, um die Flächen zu roden, auf denen Rinder für den Fleischexport gezüchtet werden. Häufig werden die Bäume, die die Sklaven fällen, von Sklaven zu Holzkohle verbrannt, mit der die brasilianische Stahlindustrie ihre Hochöfen befeuert. Stahl gehört zu den größten Exportartikeln Brasiliens und wird in Europa und Nordamerika zu Autos und Möbeln verarbeitet oder in Gebäuden verbaut.
Schätzungsweise erwirtschaften Sklaven weltweit jährlich Werte in Höhe von 13 Milliarden US-Dollar. Doch obwohl von Sklaven hergestellte Waren längst auf allen Märkten der Welt angeboten werden, haben nur wenige Unternehmen und Organisationen der nördlichen Erdhälfte etwas dagegen unternommen. Die meisten Gewerkschaften argumentieren, dass es entweder unmöglich sei oder nicht in ihren Verantwortungsbereich falle, die Arbeitsbedingungen der Kollegen im Süden zu überwachen, deren Erzeugnisse in die Produktketten der Betriebe im Norden einfließen. In den Bestimmungen der Welthandelsorganisation (WTO) ließe sich eine Sozialklausel einführen, welche mit Zwangsarbeit erzeugte Produkte vom Handel ausschließen würde, so wie wie seit 1948 schon im Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen Handelsmaßnahmen gegen Produkte aus Gefangenenarbeit möglich sind.
Aber bisher fehlt es an politischem Willen, so etwas durchzusetzen. Und während Fair-Trade-Programme zwar wichtig sind, um eine Alternative zur Ausbeutung aufzuzeigen, sind sie nicht die Lösung für den Großteil der versklavten Arbeiter. Zweifellos sind noch viele Fragen darüber offen, wie die Sklavenwirtschaft funktioniert und welches die wirksamsten Strategien sind, um sie abzuschaffen. Doch angesichts der Tatsache, dass Menschen wieder zu einer international gehandelten Ware geworden sind, stellen sich diese Fragen mit großer Dringlichkeit.
Untersuchungen aus jüngerer Zeit zufolge nimmt der Handel mit Menschen weltweit zu. Die geschätzte Zahl der illegalen Einwanderer in die Europäische Union - ein guter Indikator über das Ausmaß des Menschenschmuggels - ist von 40.000 im Jahr 1993 auf 500.000 im Jahr 2000 gestiegen. Der amerikanische Geheimdienst CIA schätzt aufgrund eigener Untersuchungen aus dem Jahr 1999, dass pro Jahr allein 45.000 bis 50.000 Frauen und Kinder in die USA geschmuggelt werden. Auch die Anzeichen, die von Einrichtungen für soziale Dienstleistungen registriert werden, weisen auf einen starken Anstieg des Menschenhandels hin. Das Zentrum für Internationale Verbrechensbekämpfung der Vereinten Nationen in Wien glaubt, dass dieser mittlerweile nach dem Drogenschmuggel und illegalem Waffenkauf die drittgrößte Einnahmequelle des organisierten Verbrechens ist. Die Ergebnisse dieser Studien deuten auf eine explosionsartige Ausweitung des Menschenhandels hin.
Verlässliche Informationen sind allerdings ausgesprochene Mangelware. Allerorts beeilen sich daher Regierungen, Forschung zu den vielfältigen Aspekten des Themas anzuregen und Gesetze und Verordnungen zu erlassen, die den Menschenhandel eindämmen und helfen sollen, die Opfer zu befreien und wieder ein normales Leben führen zu lassen.
Auch die Wirtschaft wird neuerdings angehalten, aus den jüngsten Enthüllungen über Sklavenarbeit in ihren Lieferfirmen Konsequenzen zu ziehen. Ein Filmbericht über die Sklaven auf den Kakaoplantagen der Elfenbeinküste, wo die Hälfte des jährlich in der Welt verbrauchten Kakaos produziert wird, führte im Jahr 2000 zu einem Boykottaufruf gegen Schokolade. Die Verhältnisse in der Elfenbeinküste sind in vielerlei Hinsicht symptomatisch für die gegenwärtige Form der Sklaverei. Bei den Zwangsarbeitern auf den Kakaoplantagen handelt es sich überwiegend um junge Männer, die aus Mali verschleppt werden. Verzweifelt nach Arbeit suchend lassen sie sich mit dem Versprechen, einen guten Job zu bekommen, anlocken und auf abgelegene Plantagen bringen.
Die Besitzer der - oft nur kleinen - Plantagen, die diese Männer versklaven, sehen sich einem enormen Verfall des Weltmarktpreises für Kakao gegenüber, seit die Erzeugerländer den Export gesteigert haben, um Devisen zur Bezahlung der Auslandsschulden zu verdienen. Außerdem hat die Weltbank in der Elfenbeinküste ein Ende des staatlichen Aufkaufmonopols durchgesetzt. Deshalb ist Kakao aus der Elfenbeinküste neuerdings zu einem sehr niedrigen Preis auf dem Weltmarkt zu haben. Gleichzeitig ächzt das Land unter einer Last von 15 Milliarden US-Dollar Schulden bei der Weltbank und anderen Geldgebern. Der Schuldendienst beträgt das Fünffache dessen, was der Staat für die Gesundheitsversorgung ausgibt. Da bleibt an finanziellen Ressourcen wenig übrig, um den versklavten Wanderarbeitern zu helfen, die das wichtigste landwirtschaftliche Exportprodukt des Landes erzeugen.
Die Reaktion der Schokoladenindustrie auf Berichte über Sklaverei auf den Kakaoplantagen war äußerst erfreulich. In Zusammenarbeit mit der US-Regierung, der Regierung der Elfenbeinküste und Organisationen zur Abschaffung der Sklaverei hat die Industrie Verantwortung für die an der Produktkette beteiligten Rohstofflieferanten übernommen und erhebliche Mittel ausgegeben, um die Verhältnisse auf den Kakaoplantagen zu erforschen, versklavten Arbeitern zu helfen und Inspektionen durchzuführen. In absehbarer Zeit wird ein Abkommen die Einrichtung eines Netzwerkes unterstützen, mit Hilfe dessen man Sklaverei in der Kakaoproduktion künftig verhindern will.
Damit ist ein Durchbruch erzielt, für den Gegner der Sklaverei seit über 100 Jahren gekämpft haben - seit man zu der Einsicht gekommen ist, dass die industrielle Revolution Europas zum Teil auf der Versorgung mit billiger Baumwolle, billigem Zucker und anderen höchst preiswerten Gütern beruhte, die in den Erzeugerländern von Sklaven hergestellt worden waren. Die entscheidende Frage heute ist, ob eine Vereinbarung, wie sie für die Kakaoherstellung und -verarbeitung getroffen wurde, auch in anderen Industriezweigen möglich wäre, die unsere Kaufhäuser und Supermärkte zum Beispiel mit Baumwollerzeugnissen, Zucker oder Kaffee beliefern.
Das Bild der Sklaverei, das sich uns zu Beginn des 21. Jahrhunderts bietet, wird aber erst dann vollständig, wenn man nicht nur die jungen Kakaoarbeiter oder Opfer des Kinderhandels in Westafrika betrachtet, die nur eine Minderheit unter den versklavten Menschen dieser Welt sind. In Pakistan, Indien, quer durch Nordafrika, in Südostasien sowie in Mittel- und Südamerika leben bis zu 20 Millionen Menschen in einer traditionelleren Form der Sklaverei, der Schuldknechtschaft, die eine Art Leibeigenschaft bedeutet. Diese Sklaven, die manchmal schon in der dritten oder vierten Generation in entsprechenden Verhältnissen leben, tragen in der Regel wenig zu den Exporten ihrer Länder bei. Weil sie hauptsächlich in der Landwirtschaft arbeiten, werden sie von der nationalen und internationalen Politik oftmals kaum beachtet. Zudem sind Gesetze gegen Leibeigenschaft in vielen Ländern entweder nicht streng genug oder ihre Einhaltung wird von den zuständigen Behörden nicht durchgesetzt. Die Polizei kennt die Gesetze oft gar nicht oder nur unzureichend, oder ist selbst an den mit Leibeigenen erwirtschafteten Gewinnen beteiligt, wie es zum Beispiel in Brasilien oder Thailand der Fall ist.
Im Ergebnis führen solche Umstände dazu, dass die schwierige Arbeit der Sklavenbefreiung zum größten Teil von unterfinanzierten nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) geleistet wird, überdies oft noch gegen Widerstände von staatlicher Seite. Dabei ist die Befreiung nur der erste Schritt, um Sklaven tatsächlich in ein Leben in Freiheit zu führen. Das bringt uns zurück zu den 43 Kindern in Benin. Fragen über die Zukunft dieser Kinder sind mindestens genauso schwierig zu beantworten wie Fragen nach ihrer Vergangenheit.
Viele der minderjährigen Opfer waren körperlicher und psychischer Gewalt ausgesetzt und benötigen deshalb Hilfe und Betreuung. Fast alle müssen sich sowohl an die Freiheit als auch an die Anforderung, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, erst gewöhnen. Mit einigem Glück greifen ihnen Rehabilitationsprogramme unter die Arme, aber nur wenige Regierungen engagieren sich für derartige Programme. Während für die Opfer von Folter und für Kinder mit Kriegserfahrungen immerhin einige Institutionen bestehen, die sich ihrer annehmen, gibt es bisher nirgendwo auf der Welt eine Universität oder eine ähnliche Einrichtung, die sich der Aufgabe widmet, die geeignetsten Methoden und Strategien zu entwickeln, mit denen aus der Sklaverei befreiten Menschen zu helfen wäre.
Befreiung ist nur der erste Schritt; alle Menschen, die einmal Sklaven waren, brauchen darüber hinaus Hilfe. Man halte sich vor Augen, dass die Vereinigten Staaten immer noch mit den Spätfolgen einer verpatzten Emanzipation zu kämpfen haben, die im Jahr 1865 ungefähr 4 Millionen Sklaven in die Gesellschaft und auf den Arbeitsmarkt entließ. Es gibt vielfältige Formen menschlichen Leidens, aber die Sklaverei ist besonders schrecklich. Das wird jeder bestätigen, der einmal mit eigenen Augen das Leben von Sklaven gesehen hat. "Ich habe in Gefängnissen gearbeitet und mit Fällen häuslicher Gewalt zu tun gehabt", sagt Sydney Lytton, ein Psychiater, der in Paris befreite Sklaven betreut, "aber Sklaverei ist noch schlimmer."
Eine gute Entwicklung ist immerhin, dass sich die Medien des Themas ungleich stärker annehmen als zuvor und dass das öffentliche Bewusstsein für das Problem enorm gestiegen ist. Die weltweite Berichterstattung über das "Sklavenschiff von Benin" ist ein Beispiel für die wachsende Zahl von Beiträgen in Zeitungen, Fernsehen und Internet, die Aufmerksamkeit auf solche Missstände lenken. Mehrfach haben die Medien über Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels berichtet, wie zum Beispiel über die neuen Richtlinien, welche die EU im Jahr 2000 verabschiedet hat. Bei den Vereinten Nationen gibt es eine Reihe von Initiativen, die sich der Bekämpfung von Sklaverei und Menschenhandel widmen. Gleichzeitig verzeichnen Organisationen, die für die Abschaffung von Sklaverei kämpfen, einen deutlichen Anstieg an Spenden und Mitgliedern; Anti-Slavery International hat in Nordamerika gerade eine Schwesterorganisation mit dem Namen Free the Slaves gegründet. In Irland hat die Entwicklungshilfe-Organisation Trocaire mit ihrer landesweiten Kampagne gegen Zwangsarbeit eine öffentliche Resonanz wie nie zuvor erzielt.
Auch viele Kirchen machen das Elend der Sklaven neuerdings zu einem Schwerpunkt ihrer internationalen Hilfe. Ein Vertreter von Anti-Slavery sagt, "es ist ermutigend, nach den vielen Jahren der Vernachlässigung dieses Themas Teil der weltweiten Bewegung gegen Sklaverei zu sein. Diese Bewegung steckt immer noch in den Kinderschuhen, aber sie wächst mit jedem Tag." In Deutschland gibt es allerdings trotz breiter Unterstützung für Initiativen wie die internationale Organisation Rugmark (die Siegel für Teppiche vergibt, die ohne Kinderarbeit hergestellt wurden, und Sozialprogramme für einstige Kinderarbeiter und ihre Familien anbietet) bis heute keine Organisation, die sich landesweit dem Kampf gegen die Sklaverei verschrieben hat.
Zahlen und DefinitionenSchwierige Abgrenzung in der PraxisSklaverei ist heute in fast allen Ländern illegal. Im Gegensatz zur historischen Sklaverei, bei der es verbriefte Eigentumstitel an Sklaven gab und viele Besitzer Inventarlisten über ihre Sklaven führten, läuft die moderne Sklaverei im Verborgenen ab. Deshalb kann es heute auch kaum verlässliche Statistiken darüber geben, wie viele Sklaven es wo gibt und wie hoch der Anteil ihrer Arbeit an der gesamten Produktion ist. Alle veröffentlichten und oft wie unerschütterliche Fakten gehandelten Zahlen sind deshalb Schätzungen. Zwar stammen diese meist von Fachleuten, die lange zu dem Themenbereich gearbeitet haben, aber es bleiben trotzdem Schätzungen. Und diese unterscheiden sich oft erheblich voneinander. In einzelnen Dokumenten der Vereinten Nationen und einer Untersuchung von Dominique Torrès (siehe S. 71) ist zum Beispiel von 200 Millionen Menschen "in Sklaverei und Zwangsarbeit" die Rede. Kevin Bales nennt als "vorsichtige Schätzung" die Zahl von 27 Millionen Sklaven, die es heute weltweit gebe. Er übernimmt damit eine Schätzung der nichtstaatlichen Organisation Anti- Slavery International. Der Unterschied hängt nicht zuletzt von der Definition ab, was ein Sklave ist. Am Arbeitsplatz ist jedoch die Grenze zwischen Sklaverei und anderen Formen extremer Ausbeutung oft nur schwer zu ziehen. Bales führt in seinem Buch "Die neue Sklaverei" ein paar Kriterien an, mit Hilfe derer er die moderne Sklaverei definiert. Danach ist Sklaverei "die vollkommene Beherrschung einer Person durch eine andere zum Zwecke wirtschaftlicher Ausbeutung". Eine versklavte Person werde von einer anderen Person mit Gewalt beherrscht und jeglicher persönlichen Freiheit beraubt, um mit ihrer Arbeit Geld zu verdienen. Das entscheidende Merkmal sei Gewalt und das Festhalten der Person gegen ihren Willen. Im Gegensatz zur historischen Sklaverei sehe der Herr heute keine Verantwortung, für den Lebensunterhalt des Sklaven aufkommen zu müssen; arbeitsunfähige Sklaven könnten jederzeit abgestoßen und gegen neue ausgetauscht werden, da es einen Überschuss an potenziellen Sklaven gebe. In der Praxis ist es manchmal schwer zu entscheiden, ob eine Person "freiwillig" zu sklavenähnlichen Bedingungen arbeitet oder mit Gewalt dazu gezwungen wird. Die Angst vor Verhexung etwa kann manchmal wirksamer sein als die Bedrohung mit körperlicher Gewalt, und kann man es freiwillig nennen, wenn eine Familie wie Sklaven in einer brasilianischen Köhlermine schuftet, weil sie keine andere Möglichkeit sieht, zu überleben? du |
aus: der überblick 01/2002, Seite 6
AUTOR(EN):
Kevin Bales:
Kevin Bales ist Professor für Soziologie der Roehampton University of Surrey in London, Kurator der Organisation Slavery International (www.antislavery.org) sowie Executive Director von Free the Slave (www.freetheslaves.net) und Berater des UN-Programms gegen den Menschenhandel. Sein Buch "disposable people" wurde unter dem Titel "Die neue Sklaverei" 2001 beim Kunstmann Verlag veröffentlicht.