Die leidige Schönheit
Gespürt habe ich den Druck schon immer, und ich gebe zu, dass ich das kritische Auge der Gesellschaft fürchte. Im modebewussten Beirut wird von den Frauen erwartet, dass sie perfekt aussehen, zumindest fast. Und ich, in Jeans, Hemd und bequemen Schuhen, ich passte einfach nicht ins Bild. “Wie willst Du jemals einen Ehemann finden?” fragte mich ein Cousin vor Jahren. “Eine junge Frau muss immer Röcke und hohe Absätze tragen.” (Als ich mich einige Jahre später verlobte, setzte ich ihn umgehend davon in Kenntnis.)
von Reem Haddad
Die Mutter einer Freundin bestand darauf, dass diese, als sie 18 Jahre alt geworden war, nur noch stark geschminkt aus dem Haus ging. Meine Freundin hasste das. “Warum kann ich nicht einfach ich selbst sein?” jammerte sie. Die Wahrheit ist, dass nur wenige Frauen hier sie selbst sein können. Ein lässiges Äußeres erregt Aufsehen, Fettpölsterchen werden mitleidig belächelt, und wenn die Kleidung nicht der neuesten Mode entspricht, ist das willkommener Gesprächsstoff.
Weil perfektem Aussehen ein so hoher Stellenwert beigemessen wird, finden in der kleinen Stadt zahllose Schönheitswettbewerbe statt. Im Sommer vergeht kaum ein Wochenende, an dem nicht ein solcher Wettbewerb vom Fernsehen übertragen wird. Nutznießer sind die Schönheitssalons. Es gibt kaum freie Termine, sollten Sie sich anmelden wollen. Da kommen Ihnen Leute wie meine Freundin Maya zuvor, die jeden Morgen vor der Arbeit zum Friseur hetzt. Als ich es wagte, ihr vorzuschlagen, sie solle einmal einen Termin auslassen und mit mir statt dessen eine Tasse Kaffee trinken, erntete ich einen vernichtenden Blick. “Wie würde ich denn aussehen!” empörte sie sich. “Da würden die Leute aber Augen machen.”
Meine Mutter ist Leiterin von mehreren Berufsschulen und erzählte mir vor kurzem, dass sie zwei Nähkurse streichen und statt dessen zwei zusätzliche Friseurklassen anbieten musste. “Früher rissen sich die Mädchen um eine Ausbildung als Näherin”, klagte sie. “Heute wollen alle nur Schönheitssalons eröffnen.”
Fitness-Studios schießen fast überall wie die Pilze aus dem Boden, die Preise sind gesalzen. Trotz eines Durchschnittsgehalts von umgerechnet 700 US-Dollar im Monat denken sich viele nichts dabei, ein Viertel ihres Einkommens im Fitness-Studio zu lassen. “Ich halte diesen Druck nicht mehr aus”, beschwerte sich Lamisse nach der Geburt ihres dritten Kindes. Ich konnte das nur zu gut nachfühlen. Wir kämpften beide nach unseren Schwangerschaften vergeblich gegen das Übergewicht. Wir kochten innerlich, wenn Bekannte immer wieder auf das ohnehin Offensichtliche hinwiesen. “Dein altes Gewicht hast Du wohl noch nicht wieder erreicht?” fragten sie in schöner Regelmäßigkeit und konnten sich dabei ein Kichern kaum verkneifen. Wir ließen uns also nicht allzu oft in der Öffentlichkeit blicken. Ich hatte Lamisse einige Monate nicht gesehen, als sie plötzlich bei einer Veranstaltung wieder auftauchte. Jede Frau, ich eingeschlossen, beneidete sie um ihre schlanke Figur. “Fett absaugen und Bauchdecke straffen lassen”, raunte sie mir zu. “Ich kann es Dir nur empfehlen.”
Für libanesische Frauen ist die Plastische Chirurgie heute die Traumlösung. Frauen, und in geringerem Umfang Männer, laufen in Scharen zu den Chirurgen. Nasenkorrekturen scheinen am gefragtesten zu sein, gefolgt von Lippen- und Brustkorrekturen, Fettabsaugungen, Wangen- und Kinnimplantaten und schließlich Gesichtsstraffungen. Im Jahr 1965 waren im Libanon nur sechs Schönheitschirurgen tätig. Heute bemühen sich über 50 dieser Spezialisten, der steigenden Nachfrage Herr zu werden. “Ohne Zweifel sind die Menschen im Libanon eher bereit, sich einer Schönheitsoperation zu unterziehen, als in anderen Ländern”, wurde ein Mediziner vor einigen Tagen in einer Zeitung zitiert. Die niedrigen Kosten des Eingriffs - eine Nasenkorrektur etwa kostet nur 1000 US-Dollar - machen Schönheitsoperationen für breite Gesellschaftsschichten erschwinglich. Ob sie arm sind oder reich, ob sie Schleier tragen oder nicht, in das Leben vieler Frauen scheint die Plastische Chirurgie Einzug gehalten zu haben. Manche haben Kredite aufgenommen, um den Eingriff zu finanzieren. Andere haben sich in Gruppen zusammengeschlossen, deren Mitglieder einen bestimmten Beitrag einzahlen müssen. Der Gesamtbetrag geht dann abwechselnd jeweils an eine der Frauen.
“Meine Cousine hat beschlossen, das Geld in eine Operation zu investieren”, erzählte Ali, der Taxifahrer. “Sie ließ sich Wangen und Lippen aufspritzen, oder wie immer man das nennt.” Ali schüttelte missbilligend den Kopf. Eine Mitfahrerin im Taxi schaltete sich ein. “Ich kann es diesen Frauen nachfühlen”, gesteht sie. “Ich bin es leid, mich andauernd mit meinem Aussehen zu befassen. Ich kann die Ratschläge meiner Freundinnen, wie meine Frisur oder meine Kleidung auszusehen haben, nicht mehr hören. Sogar die ständige Schminkerei habe ich satt. Und am schlimmsten ist es, ständig hohe Absätze tragen zu müssen.” Weder Schönheitsoperationen noch Fitness-Studios kommen für sie in Frage. Beides kann sie sich nicht leisten. So geht sie eben jeden Abend eineinhalb Stunden joggen. “Ich muss auf meine Figur achten”, meint sie. “Ich werde keine Ruhe mehr haben, wenn ich auch nur ein paar Kilo zunehme.”
Ich verstehe sie. Die Menschen sind in ihrer Kritik am äußeren Erscheinungsbild gnadenlos. Ob Sie es wollen oder nicht, Sie leben für den einen Moment, in dem jemand sagt: “Sieht sie nicht großartig aus!” Dann und nur dann haben Sie Erfolg in der Gesellschaft von Beirut.
aus: der überblick 04/2004, Seite 26
AUTOR(EN):
Reem Haddad:
Reem Haddad arbeitet für den »Daily Star« in Beirut. Diesen Beitrag haben wir dem »New Internationalist« vom Dezember 2004 entnommen und veröffentlichen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.