Zu Lasten der Armen
Die südafrikanische Regierung geht mit ihrer Entscheidung, das Telekommunikationsmonopol der südafrikanischen Telkom lediglich in ein Duopol umzuwandeln, einen falschen Weg. Denn damit werden die Telefonkosten hoch bleiben und viele Menschen weiterhin von der Nutzung der modernen Informations- und Kommunikationstechnik ausgeschlossen sein. Die Debatte über Vor- und Nachteile der Liberalisierung der Telekommunikationsbranche wurde in den Industrieländern schon vor längerer Zeit geführt und steht nun auch in den Entwicklungsländern an.
von Margareet Visser
In Südafrika ist das staatliche Monopol der Gesellschaft Telkom bereits im Mai 2001 ausgelaufen und die Regierung erlaubt nun ein Duopol. Gleichwohl gibt es bislang noch keinen konkurrierenden Anbieter auf dem Markt. Zunächst hatte die Regierung angekündigt, nur einen weiteren nationalen Telekommunikationsnetz-Betreiber zuzulassen. Dann erwog sie die Zulassung eines dritten, um schließlich zu ihrer ersten Entscheidung zurückzukehren. Die Geschäftswelt reagierte mit heftiger Kritik auf diese Entscheidung. Ihrer Ansicht nach werden die hohen Telefonkosten, die nicht zuletzt eine Hürde für die Nutzung der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien bedeuten, Südafrikas Wirtschaft vom Rest der Welt abkoppeln.
Die breite Öffentlichkeit ist dagegen weitgehend still geblieben. Das darf nicht so bleiben. Die Debatte über die Folgen politischer Entscheidungen über die Struktur der Telekommunikationsbranche ist nämlich dringend notwendig. Denn wenn hohe Telefonkosten in Verbindung mit unzureichendem Zugang zu den neuen Technologien die Folge sind, würde das die Aufspaltung der Gesellschaft Südafrikas verschärfen. Wieder einmal werden ausschließlich die Privilegierten sich die neuen Informationstechniken leisten können und sich damit zusätzliche Vorteile verschaffen. Der US-Kongressabgeordnete Jesse Jackson hat diese Situation "digitale Apartheid" genannt.
"Wissen ist Macht" - nie war dieses Schlagwort zutreffender als im Informationszeitalter. Die moderne Informations- und Kommunikationstechnik macht es möglich, dass jede Art von Information - von geschäftlichen Transaktionen über wissenschaftliche Untersuchungen bis hin zur Unterhaltung - per Knopfdruck durch den Cyberspace fliegt. Die südafrikanische Regierung ist sich darüber im Klaren, dass diese neue Technologie ein wirkungsvolles Instrument zur Rationalisierung in der Wirtschaft ist. Sie hat deshalb einen politischen Kurs eingeschlagen, mit dieser Technologie wirtschaftliches Wachstum zu stimulieren. Doch hohe Telefonkosten stehen dem im Wege, weil die meisten Menschen in Südafrika, sofern sie überhaupt Zugang zu moderner Kommunikationstechnik haben, sich immer noch über die Telefonleitung ins Internet einwählen müssen.
Das immer noch bestehende Quasi-Monopol der Telkom verewigt die hohen Kosten von Telefon, Internet und der damit verbundenen Dienste. In den USA zahlt man in der Regel nur geringe Monatsgebühren für Telefon- und Internet-Dienste. Die meisten Südafrikanerinnen und Südafrikaner jedoch zahlen unter dem Monopol der Telkom nach einem Zeittakt bemessene Gebühren und keine niedrige Pauschalgebühr, auch wenn sie im Internet surfen. Das macht den Zugang zum Internet für die meisten Menschen unerschwinglich.
Auch die Kosten für Standleitungen benachteiligen Südafrikas Unternehmen im internationalen Wettbewerb. Ein typisches Kleinunternehmen dort muss für eine Standleitung ins Internet mit einer Kapazität von 64 Kilobyte pro Sekunde umgerechnet knapp 650 Euro im Monat bezahlen. In Los Angeles kann eine Verbindung, die 20 Mal schneller ist, für umgerechnet 43 Euro im Monat gemietet werden. Hinzu kommt, dass in Südafrika technische Anwendungen wie das Telefonieren über das Internet (Voice over Internet Protocol), die eine billigere Kommunikation möglich machen, von Telkom kontrolliert und - von wenigen Ausnahmen abgesehen - unterbunden werden. Wer diese Technik nutzt, kann sogar rechtlich belangt werden.
Warum nun lässt die Regierung noch ein solches Monopol in der Telekommunikation zu, das hohe Gebühren von den Bürgerinnen und Bürgern verlangt und die Wirtschaft behindert? Was sind die Kosten für die Gesellschaft? Mitte der siebziger Jahre begann die US-Regierung, Branchen mit Staatsmonopol zu liberalisieren. Im Zuge dessen wurde auch die Telekommunikationssparte dem Wettbewerb auf dem Markt ausgesetzt. Im folgenden Jahrzehnt folgten fast alle Industrieländer diesem Beispiel. In Südafrika gab es eine besondere Situation: Aufgrund der Sanktionen gab es nur wenige ausländische Firmen, die in Südafrika investierten. Deshalb war es auch kaum möglich, im Falle einer Privatisierung von Staatsunternehmen ausländische Investoren für Kapitalbeteiligungen zu finden. Um eine Grundversorgung des Landes sicherzustellen, stützte das Apartheidregime Monopole wie Telkom, den Stromversorger Eskom und die staatliche Transportgesellschaft Transnet. Doch diese Gesellschaften wurden zumeist schlecht geführt und ihre Dienstleistungen zielten vorwiegend auf die weiße Minderheit, während der Rest der Bevölkerung schlecht oder überhaupt nicht versorgt wurde.
Dieser Rückstand zeigt sich in den Daten einer statistischen Erhebung über Haushalte in Südafrika aus dem Jahr 1999 noch immer. Danach hatten nur 7,3 Prozent der afrikanischen Haushalte in ländlichen Gebieten einen Telefonanschluss (einschließlich Handy), verglichen mit 85,6 Prozent der weißen Haushalte, während in den städtischen Gebieten 31,8 Prozent der afrikanischen Haushalte ein Telefon besaßen, verglichen mit 87,6 Prozent der weißen Haushalte.
Warum hat die Regierung nicht sofort das Monopol der Telkom aufgehoben, als sie 1994 an die Macht kam? Sie hat zunächst begonnen, Wohnungen zu bauen, Stromleitungen zu legen und andere Dienstleistungen für die bis dahin vernachlässigten Bevölkerungsgruppen anzubieten, um den Rückstand bei deren Versorgung aufzuholen. Die Regierung hatte Bedenken, dass bei einer zügigen Privatisierung und Aufhebung der staatlichen Monopole die neuen Eigentümer allein Profit erzielen wollten und deshalb dünn besiedelte Gebiete meiden würden, weil die Bereitstellung der nötigen Infrastruktur teuer käme. Zudem kommen die Regierungspartner, der Gewerkschaftsdachverband Cosatu und die Kommunistische Partei (SACP), aus der sozialistischen Tradition und sehen in einer Privatisierung keine Lösung für die südafrikanische Wirtschaft. Sie sind vielmehr der Ansicht, dass Privatisierung den Ausverkauf staatlicher Unternehmen an Ausländer bedeute und dass diese privaten Firmen ihrem Profit Vorrang vor den Interessen der Bevölkerung geben und Arbeitsplätze streichen würden.
Die Regierung war in einer Zwickmühle. Sie musste die bis dahin vernachlässigte Bevölkerung mit Grunddiensten versorgen; um das aber zu tun, brauchte sie Geld. Privatisierung erschien als das beste Mittel, ausländische Gelder ins Land zu locken, um solche Dienste zu bezahlen. Das stieß jedoch bei Cosatu und SACP, die einen großen Einfluss auf eine beträchtliche Anzahl Wählerinnen und Wähler ausüben, nicht auf Gegenliebe.
Als Kompromiss entschied sich die Regierung für eine "gelenkte Privatisierung" - Staatsunternehmen sollten über Jahre hinweg langsam privatisiert werden. Ein 30-Prozent-Anteil an Telkom wurde 1997 an das Thintana-Konsortium verkauft, das zu 60 Prozent der US-amerikanischen SBC und zu 40 Prozent der malaysischen Telecom gehört. Gleichwohl wurde das Monopol der Telkom verlängert. Das Telekommunikationsgesetz von 1996 räumte der Telkom bis 2001 ein Monopol über das Festnetz ein, verband damit aber bestimmte Auflagen, insbesondere die, innerhalb dieser fünf Jahre in ländlichen Gebieten und benachteiligten Gemeinden 2,8 Millionen neue Anschlüsse einzurichten.
Wo steht der Telekommunikationssektor Südafrikas heute? Telkom hat nicht alle Vorgaben erreicht, jedoch die meisten seiner Verpflichtungen eingelöst. Die Wirtschaft ist der Ansicht, dass jetzt eine weitere Verlängerung des Monopols von Telkom oder eines Duopols nicht mehr gerechtfertigt sei. Es gibt heute gute Argumente für die Liberalisierung des Telekommunikations-Sektors, doch auch der Widerstand ist weiterhin stark. Die Regierung steht unter Druck von beiden Seiten.
Im März 2001 hatte die Regierung angekündigt, den Weg einer "kontrollierten Liberalisierung" beizubehalten, indem ein zweiter nationaler Netzbetreiber zugelassen werden sollte. Im Juli 2001 jedoch beugte sie sich dem Druck aus der Wirtschaft und aus dem Ausland und erwog, einen dritten nationalen Netzbetreiber zu berufen. Jetzt ist sie wieder auf ihre ursprüngliche Position zurückgekehrt und will nur einen einzigen Mitbewerber zulassen.
Paradoxerweise kommen die Befürworter von weniger Wettbewerb aus zwei entgegengesetzten Lagern. Cosatu und SACP sind zunehmend verärgert über die Art, wie die vom ANC geführte Regierung Staatsunternehmen privatisiert, und drohen ihr damit, bei den nächsten Wahlen ihre Unterstützung zu entziehen. Auf der anderen Seite üben die Großeigner im südafrikanischen Telekommunikationssektor Druck auf die Regierung aus, weil sie bei mehr Wettbewerb geringere Profite fürchten.
M-Cell, die Holding-Gesellschaft von MTN, dem größten Betreiber drahtlosen Telefonverkehrs, hat gedroht, nicht mehr - wie ursprünglich vorgesehenen - in eine zweite nationale Netzbetreibergesellschaft zu investieren, wenn eine dritte zugelassen werde. Das aber würde ein Loch in die Staatskasse reißen, weil die Regierung erhebliche Kapitalanteile an M-Cell hält. Zusätzlich drohte das oben erwähnte Thintana-Konsortium noch damit, genau so viele Aktien auf dem Markt anzubieten wie die Regierung, wenn Telkom an der Johannesburger Börse notiert werde. Wenn dieses überseeische Konglomerat seine Anteile zur gleichen Zeit wie die Regierung an der Börse verkaufen würde dürfte der Kurs der Telkom-Aktie fallen, und die Erwartung der Regierung auf Einnahmen aus dem Verkauf ihrer Anteile in Höhe von 18 Milliarden Rand (umgerechnet knapp 2 Milliarden Euro) dürfte sich nicht erfüllen.
So hat die Teilliberalisierung eine volle Liberalisierung verhindert, die mehr Wettbewerb und niedrigere Preise hätte bringen können. Mehr noch: Ein überseeisches Konglomerat aus der entwickelten Welt droht der Regierung eines Entwicklungslandes, um den eigenen Kapitalanteil zu schützen. Das kann nicht dazu beitragen, die digitale Kluft zu überwinden.
Die südafrikanische Geschäftswelt brachte ihre tiefe Unzufriedenheit mit der letzten Entscheidung der Regierung zum Ausdruck und sieht dadurch die Wettbewerbsfähigkeit heimischer Unternehmen auf dem internationalen Markt als gefährdet an. Man kann die Entscheidung als einen Teilerfolg von Cosatu und SACP betrachten, denn diese argumentieren, mehr Wettbewerb führe zu einem Verlust an Arbeitsplätzen. Mehr Wettbewerb in einem völlig liberalisierten Telekommunikations-Markt werde zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, lautet das Gegenargument.
Was aber werden die Folgen für den überwiegenden Teil der Bevölkerung sein? Jene, die Probleme haben, ihre Telefonrechnungen zu begleichen, mögen aufatmen. Denn der Monopolist Telkom hat bisher die Leitungen bei Zahlungsverzug nicht so schnell abgeklemmt, wie es bei einem gänzlich liberalisierten Markt der Fall sein dürfte. Aber es ist noch ein anderer Faktor in Erwägung zu ziehen. Gäbe es mehr Wettbewerb, würden die Gebühren für Ortsgespräche fallen und mehr Menschen könnten sich die neuen Informations- und Kommunikationstechniken wie Internet leisten. Die meisten Branchenbeobachter glauben, dass die neuen Technologien letztlich günstige Auswirkungen auf den Alltag der Menschen haben werden. Gleichwohl mokierten sich auf dem G 8-Gipfel in Okinawa im Juli 2000 Demonstranten über internationale Bemühungen, den Armen technologische Innovationen zugänglich zu machen. "Computer kann man nicht essen!", erklärte ein führender Kopf einer Schuldenerlass-Kampagne. "Die Menschen sterben." Um diese Position zu unterstreichen, steckten Mitglieder dieser Kampagne einen Laptop am Strand von Okinawa in Brand.
Der Bericht des Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) über die menschliche Entwicklung im Jahr 2000 vertritt jedoch die Ansicht, die Informations- und Kommunikationstechnik könne einen größeren Beitrag bei der Bekämpfung der Armut leisten, weil mit der neuen Technologie soziale und wirtschaftliche Barrieren und die geografische Isolation überwunden, der Zugang zu Information und Bildung zunehmen und auch arme Menschen in die Lage versetzt würden, mehr an Entscheidungen teilzuhaben, die ihr Leben betreffen. Viele stimmen darin überein, dass die neuen Technologien ein integraler Bestandteil jeden Lösungsansatzes für wirtschaftliche und soziale Probleme in Entwicklungsländern sein müssen. In Südafrika sind hohe Telefongebühren hauptsächlich dafür verantwortlich, dass die digitale Spaltung bestehen bleibt. Und die Kluft zwischen denen, die haben, und den Habenichtsen wird breiter werden, solange nicht mehr Menschen Zugang zur neuen Technologie haben und sie effektiv nutzen können.
aus: der überblick 02/2002, Seite 95
AUTOR(EN):
Margareet Visser:
Margareet Visser und Nhlanhla Mlitwa arbeiten als Programe Associate und Politikberater bei bridges.org, einer nichtstaatlichen Organisation in Südafrika, die sich dafür einsetzt, dass Menschen in Entwicklungsländern mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnik ihr Leben verbessern können. Dies ist eine überarbeitete Fassung eines Artikels, der im Herbst 2001 in der südafrikanischen Zeitschrift "Leadership"erschienen ist.