Wandel in Uniform
Die Hilfe für Militär, Polizei und Strafvollzugsorgane im Süden ist umstritten, seit es sie gibt. Viele Skandale haben dieses Arbeitsfeld diskreditiert – sei es die Ausbildung eines Offiziers aus der Armee des Diktators Pinochet an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg oder die Polizeihilfe für Menschenrechtsverletzer in Guatemala. Solche Hilfe war Instrument der Systemauseinandersetzung in der Zeit des Kalten Krieges. Soll man deshalb heute lieber auf Distanz zu den Sicherheitsorganen bleiben? Oder ist Hilfe für eine Reform des Sicherheitssektors sogar unverzichtbar für eine Entwicklung?
von Herbert Wulf
Es gibt heute eine Reihe von Anlässen, sich aus entwicklungspolitischer Sicht mit der Reform des Sicherheitssektors zu beschäftigen. Mit dem Ende vieler Militärregime und beginnender Demokratisierung stellt sich etwa die Frage nach einer angemessenen Höhe der Militärausgaben. Good governance, gute Regierungsführung, wird heutzutage als unerlässlich für nachhaltige Entwicklung betrachtet. Gute Regierungsführung aber darf die Streitkräfte nicht aussparen. Die Frage nach der Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen des Sicherheitssektors stellt sich auch bei friedenserhaltenden Missionen der Vereinten Nationen, bei der Demobilisierung und der Reintegration früherer Soldaten, bei der Konfliktprävention und beim Wiederaufbau nach dem Ende von Kriegen sowie bei Programmen, die den Bürgern mehr innergesellschaftliche Sicherheit bringen sollen.
Aus entwicklungspolitischem Blickwinkel ist eine erfolgreiche Reform des Sicherheitssektors geradezu eine Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung. Wenn der Sicherheitssektor hingegen nicht reformiert wird, wird er eher zur Auslösung oder Verschärfung gewaltsamer Konflikte beitragen als solche verhindern. Ohne eine Reform dieses Sektors werden der Wiederaufbau nach der Beendigung von Konflikten behindert, der Korruption Tür und Tor geöffnet und dadurch knappe Mittel fehlgeleitet. Gelingt es nicht, Militär, Polizei, Justiz, Strafverfolgung und Strafvollzug zu reformieren, dann steht die Entwicklungszusammenarbeit über kurz oder lang vor einem Scherbenhaufen, weil wieder einmal Erfolge jahrelanger Projektarbeit von Mitgliedern des Sicherheitssektors zunichte gemacht werden.
Bei der Reform geht es vor allem darum, einen professionellen Sicherheitssektor in angemessener Größe zu schaffen, einen Sicherheitssektor, der einen präzisen Auftrag hat und der unter demokratischer Kontrolle steht. Nur wenn Militär, Polizei und Justiz so strukturiert sind, können sie einen Beitrag zur Entwicklung eines Landes leisten, während ein nicht reformierter Sicherheitssektor zur Belastung wird.
Wenn man in der Entwicklungszusammenarbeit erkannt hat, dass Sicherheitsprobleme nicht länger ausgeklammert werden dürfen (wie dies lange der Fall war), sondern als Teil einer Strategie nachhaltiger Entwicklung betrachtet werden müssen, bedeutet das aber nicht unbedingt, dass Geberorganisationen automatisch eng mit den Organen des Sicherheitssektors zusammenarbeiten müssen. Die strikte Anwendung entwicklungspolitischer Kriterien ist die Voraussetzung eines Engagements im Sicherheitssektor. Aber längst nicht in allen Ländern sind die Rahmenbedingungen für eine Reform des Sicherheitssektors bereits gegeben. Die Ergebnisse der traditionellen Ausrüstungs-, Militär- und Polizeihilfe mahnen zur Vorsicht. Sie standen zumeist im Zeichen ideologischer Auseinandersetzungen West gegen Ost, in der zum Westen tendierende Streitkräfte mit modernen Waffen ausgerüstet werden sollten. Oftmals diente solche Hilfe auch nur als Türöffner für Rüstungsexporte. Die Reform des Sicherheitssektors kann sich also nicht allein auf diese Erfahrungen stützen. Man muss vielmehr ein umfassenderes Konzept anwenden, das vor allem auch die Zivilgesellschaft einbezieht.
Die Reform des Sicherheitssektors muss mehrere Ebenen umfassen: Auf der politischen Ebene geht es um demokratische Kontrolle der Mitglieder des Sicherheitsapparates durch Zivilisten, auf der wirtschaftlichen Ebene um den Ressourcenverbrauch der Sicherheitskräfte, auf der gesellschaftlichen Ebene darum, dass den Bürgern tatsächlich Sicherheit garantiert wird, und auf der institutionellen Ebene um eine professionelle Ausrichtung der Sicherheitsorgane sowie eine klare Trennung zwischen Militär, Polizei und Justiz. Auf jeder dieser Ebenen finden sich Notwendigkeiten und Ansatzpunkte für Reformen, allerdings sind die ersten drei Ebenen für die Entwicklungszusammenarbeit bedeutsamer als die Veränderungen der inneren Struktur der Kräfte im Sicherheitssektor oder die klare Trennung ihrer Aufgaben. Mit anderen Worten: Die Hauptansatzpunkte für die sicherheitspolitische Entwicklungszusammenarbeit liegen nicht unbedingt in einer direkten Kooperation mit Streitkräften, Polizei, Justiz, Strafverfolgung und Strafvollzug. Als Bausteine für die Reform des Sicherheitssektors können vielmehr folgende Maßnahmen gelten.
Auf der politischen Ebene gilt es, die Zivilgesellschaft zu stärken und demokratisch gewählte Regierungen und Parlamente zu unterstützen, um sie als Instanzen der Beobachtung, der Entscheidung und der Kontrolle bei der Planung und Haushaltsüberwachung zu stärken; gleichzeitig muss aber auch die Schulung von nichtstaatlichen Organisationen und der Presse gefördert werden.
In der Wirtschaft gilt es, vormals militärisch genutzte Ressourcen – etwa Liegenschaften – für zivile Zwecke einzusetzen, um sie für nachhaltige Entwicklung frei zu machen. Dazu zählen Maßnahmen zur Abrüstung und Umstellung auf zivile Produktion sowie zur Demobilisierung und zur Reintegration früherer Kämpfer in die zivile Gesellschaft.
Auf der gesellschaftlichen Ebene bedeutet Reform des Sicherheitssektors mehr öffentliche Sicherheit. Dazu gehören Schulungen, wie man Sicherheitsanalysen erstellt, wie man Sicherheitsbedürfnisse der Bürger erkennt, wie man Waffenhandel kontrolliert und den Missbrauch von Kleinwaffen verhindert.
Auf der institutionellen Ebene geht es schließlich darum, den Streitkräften, der Polizei und der Justiz neue, der Demokratie dienende Aufgaben zuzuweisen und sie zu entsprechend professionellen Organen auszubilden – auch hinsichtlich der strikten Anwendung internationaler Normen und Gesetze.
In Zweifelsfällen ist es sinnvoll, die direkte Kooperation mit Sicherheitskräften zu meiden und stattdessen vor allem die Kräfte zu stärken und zu unterstützen, die für eine demokratische Kontrolle des Sicherheitssektors verantwortlich sind. Die Reform des Sicherheitssektors kann man auf die Dauer eher vorantreiben, wenn man zivile Regierungen, demokratisch gewählte Parlamente, Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes mit Kontrollkompetenzen, die Presse und andere zivile Gruppen und Organisationen mit Kontrollfunktion unterstützt, als wenn man direkt zweifelhafte Militär- oder Polizeihilfe vergibt. Deshalb ist die Betonung der Förderung von good governance auch im und für den Sicherheitssektor ein wichtiger Ansatzpunkt für die Reform.
Ein derartiges Programm ist nicht überall möglich. In Ländern, die sich im Krieg befinden und deshalb die Reform am dringendsten benötigen, gibt es keine oder nur begrenzte Möglichkeiten für Reformen des Sicherheitsapparats. Ebenfalls schwierig oder gar unmöglich ist die Reform in Spannungsgebieten oder in sogenannten schwachen oder gescheiterten Staaten (failed states). Am günstigsten sind die Voraussetzungen nach einem Krieg und in Ländern, die Friedensabkommen unterzeichnet haben, in denen möglicherweise gar die Reduzierung und Anpassung der Sicherheitskräfte vereinbart worden ist.
Der Sicherheitssektor ist ein politisches Minenfeld. Reformprogramme in diesem Bereich müssen besonders sensibel vorgehen.
Erstens kommt es darauf an, mit den richtigen Partnern zusammenzuarbeiten. Oftmals sind Militär, Polizei und Justiz reformunwillig und wegen ihrer dubiosen Rolle in der Vergangenheit diskreditiert. Damit sind die möglichen Grenzen der Unterstützung von außen aufgezeigt. Ist zum Beispiel in Ruanda bei der Reform eine Zusammenarbeit mit den für den Genozid verantwortlichen früheren Sicherheitskräften möglich? Ist die blutige Geschichte des Militärs in Südamerika ein Grund, auch noch heute in der Kooperation vorsichtig zu sein oder sie abzulehnen? Kann Entwicklungszusammenarbeit im Justizbereich mit den Taliban in Afghanistan funktionieren? Muss die Kooperation angesichts des Militärputsches in Pakistan oder des Strebens nach Atomwaffen in Indien verändert oder eingestellt werden? Was bedeuten die Aktionen des indonesischen Militärs in Osttimor für eine Kooperation bei der Reform des Sicherheitssektors? Für fast alle Länder sind kritische Fragen zu stellen, und die Antworten werden nur selten klar und eindeutig ausfallen. Wenn beispielsweise der Justizapparat korrupt ist oder wenn das Wirken der Streitkräfte nicht mehr, sondern weniger Sicherheit für die Bürger bedeutet und die Gefahr besteht, dass eine Zusammenarbeit solche Tendenzen noch unterstützt, sollte von einer direkten Kooperation und von Ausbildungsprogrammen mit diesen Institutionen abgesehen werden. Im Voraus lässt sich nicht immer klar erkennen, wo die Grenze zwischen dem Engagement für ein sinnvolles Reformprogramm und ungewollter Komplizenschaft bei entwicklungspolitisch fragwürdigen Programmen verläuft.
Zweitens ist grundsätzlich nach der Rolle der Sicherheitsorgane zu fragen. Die Streitkräfte vieler Entwicklungsländer können beispielsweise mit ihrer Ausrüstung oft nicht einmal die Grenzen des eigenen Landes erreichen, geschweige denn diese Grenzen verteidigen. Was also ist die Funktion dieser Streitkräfte? Ist es der Einsatz im Inneren, um die Opposition zu unterdrücken, oder dienen die Streitkräfte dazu, Pfründe zu sichern – eine Fortsetzung kolonialer Politik mit neuem Etikett zur Bereicherung einer Elite? In solchen Fällen ist eine grundsätzliche Debatte über die Notwendigkeit regionaler sicherheitspolitischer Kooperation mit den Nachbarländern nötig. Doch davor schrecken manche Regierungen zurück. Es könnte dann allzu offensichtlich werden, dass die Streitkräfte nicht für die vorgeblichen Verteidigungsaufgaben da sind.
Drittens ist zu bedenken, dass die Politik der Geberländer in sich widersprüchlich sein kann. Außen-, Sicherheits-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik konterkarieren einander gelegentlich. Das Interesse der Rüstungslobby, Kunden für den Waffenexport zu gewinnen, kann im krassen Gegensatz zum Interesse der Entwicklungspolitiker an einem Ressourceneinsatz für nachhaltige Entwicklung stehen. Kurzsichtige, oft nur an einzelnen Betrieben oder Branchen ausgerichtete wirtschaftliche Interessen können im Konflikt mit Zielen einer nachhaltigen menschlichen Entwicklung stehen. Internationale Zusammenarbeit im Sicherheitssektor und Technische Zusammenarbeit im zivilen Bereich waren in der Vergangenheit häufig nicht nur nicht aufeinander abgestimmt, sondern bildeten in vielen Fällen geradezu Gegensätze. Diese Aussage kann mit Beispielen aus fast jedem Geberland belegt werden. Während sich das Ministerium für Entwicklung um eine Reduzierung der Militärausgaben bemühte, trat der Wirtschaftsminister als Lobbyist der Rüstungsindustrie auf. Während die Entwicklungsexperten Konzepte zum Transfer angepasster Technologie entwickelten, florierte der Transfer mit Hochtechnologie-Waffensystemen. Während über Entschuldungsprogramme verhandelt wurde, erhöhten Rüstungsimporte die Auslandsverschuldung erneut. Während auf internationalen Tagungen die Missachtung von Menschenrechten angeprangert wurde, trainierten Ausbilder Foltermethoden. Diese Widersprüche gehen so weit, dass nicht selten in Blauhelmmissionen der Vereinten Nationen entsandte Streitkräfte mit Waffensystemen angegriffen wurden, die zuvor vom Entsenderland an die Verletzer der internationalen Normen geliefert worden waren. Die Beispiele aus jüngster Zeit reichen vom Irak bis Jugoslawien, von Angola bis Sierra Leone, von Tadschikistan bis Indonesien. Solche Tendenzen wurden verstärkt durch eine Politik recht freizügigen Exportes von Waffen, die infolge der Abrüstung bei uns überschüssig geworden waren.
Viertens müssen angesichts knapper Mittel entwicklungspolitische Prioritäten gesetzt werden. Die Reform des Sicherheitssektors hat nicht unbedingt Vorrang vor anderen entwicklungspolitischen Zielen. Zielkonflikte könnten zu Lasten der Reform des Sicherheitssektors entschieden werden oder die Reform belasten. Andererseits stehen Mittel, die zur Verbesserung der öffentlichen Sicherheit eingesetzt werden, für andere Programme nicht mehr zur Verfügung. Bei einem Engagement für die Reform des Sicherheitssektors ist deshalb die strikte Anwendung entwicklungspolitischer Kriterien dringend erforderlich. Die in der entwicklungspolitischen Diskussion bekannten Positionen des do no harm (Richte keinen Schaden an; Mary Anderson) gelten insbesondere auch als Maßstab für ein Engagement der Entwicklungszusammenarbeit in der Reform des Sicherheitssektors.
Es ist begrüßenswert, dass Geberorganisationen sich inzwischen mehr mit dem Thema Reform des Sicherheitssektors befassen. Das sollte aber nicht dazu führen, sich automatisch an allen Reformvorhaben zu beteiligen. In jedem Einzelfall sind die Konsequenzen eines solchen Engagements sorgfältig zu prüfen. Je nach den politischen und wirtschaftlichen Bedingungen kann die Sicherheit der Bürger möglicherweise durch indirekte Maßnahmen wie die Stärkung der Zivilgesellschaft oder Demobilisierungs- und Reintegrationsprogramme besser gewährleistet werden als durch direktes Engagement in den Streitkräften oder bei der Polizeireform. Statt – um es militärisch auszudrücken – auf breiter Front in vielen Ländern die Reform des Sicherheitssektors anzugehen, sind Machbarkeitsstudien und Pilotprogramme angebracht. Und zunächst sollte man aus den Erfahrungen anderer Länder lernen. Denn nicht alle Versuche in den letzten Jahren waren von Erfolg gekrönt. Das zeigt allein schon das britische Engagement in Sierra Leone.
Auch sollte man sich davor hüten, einem Modetrend nachzugehen. Eine offensichtliche Tendenz besteht darin, viele der bereits praktizierten Projekte der Entwicklungszusammenarbeit zu einem neuen »Reformprogramm Sicherheitssektor« um-zuetikettieren, wenn sie denn nur irgendwie zu diesem Titel passen, etwa Armutsbekämpfung, Krisenprävention, friedenserhaltende Maßnahmen, Abrüstung, Konversion, Demobilisierung, Minenräumen, Justizreform, Durchsetzung der Menschenrechte,
Good Governance und dergleichen. Umetikettierung mag zwar verwaltungstechnisch kurzfristig attraktiv sein, weil sie neue finanzielle Spielräume eröffnet. Langfristig jedoch rächt es sich zumeist, unkritisch Modetrends nachzulaufen und dabei sein klares Konzept zu verlieren. Die Reform des Sicherheitssektors erfordert ein eindeutiges Engagement, und das mit Augenmaß.
aus: der überblick 02/2001, Seite 62
AUTOR(EN):
Herbert Wulf:
Dr. Herbert Wulf ist Direktor des Internationalen Konversionszentrums Bonn (BICC) und hat eine auf Deutsch und Englisch bei der GTZ veröffentlichte Studie zur "Reform des Sicherheitssektors in Entwicklungsländern" verfasst.