Pfingstkirchen und öffentliches Leben in Afrika
Die etablierten Kirchen haben den Sturz autokratischer Regime in Afrika meist unterstützt. Die Pfingstkirchen dagegen haben sich aus der Politik herausgehalten und sehen auch keine theologische Begründung für politisches Engagement. Ein ghanaischer Prediger fordert nun die radikale Kehrtwende: Die Menschen seien selbst für Armut und Despotie verantwortlich und könnten dagegen etwas tun.
von Paul Gifford
Das Christentum in Afrika sieht heute anders aus als noch vor zehn Jahren. Traditionell dominierten in der afrikanischen Christenheit die Traditions- bzw. Missionskirchen Anglikaner, Lutheraner, Presbyterianer, Methodisten. Selbst die Katholiken können wir hier dazuzählen, die in Afrika, anders als zum Beispiel in Lateinamerika, nur eine Glaubensrichtung unter vielen sind.
Mit dem Entstehen der Afrikanischen Unabhängigen Kirchen (AICs) vor gut hundert Jahren wurde das Monopol der Traditionskirchen gebrochen . Das »I« der Initialen konnte sowohl independent (unabhängig), instituted (neu gegründet) oder inaugurated (eingeweiht) bedeuten. Während diese in einigen Ländern wie Südafrika, Kenia und Nigeria bald nicht mehr wegzudenken waren, erhielten sie anderswo, etwa in Tansania, kaum Zulauf.
Vor einigen Jahren wurde auch diese Einteilung obsolet. Ende der achtziger Jahre konnte man in jeder afrikanischen Großstadt, von Harare bis Freetown, von Nairobi bis Kinshasa, jeden Sonntag neue Kirchen entdecken. Sie nutzten Klassenzimmer, Kino- und Theatersäle sowie Hotelräume, um dort Gottesdienste abzuhalten. Einige von ihnen wurden in wenigen Jahren zu allgegenwärtigen Megakirchen. Einzelne missionierten bald auch jenseits der Grenzen und stellten die alten Missionskirchen in den Schatten.
Diese Kirchen, die sich durch überschwengliche Gottesdienste und Betonung göttlicher Gaben wie Prophezeiung, Wunderheilung und Zungenreden von anderen unterscheiden, werden gemeinhin als Pfingstkirchen bezeichnet. Man sollte sie jedoch besser als Neo-Pfingstkirchen oder als »charismatisch« kennzeichnen, um sie nicht mit den älteren Pfingstkirchen wie den Assemblies of God gleichzustellen, die es in Afrika seit 80 Jahren gibt. Die neuen Pfingstkirchen unterscheiden sich von den AICs allein dadurch, dass die Prediger keine Roben, sondern westliche Anzüge tragen. Statt der örtlichen Sprache wird in den Gottesdiensten Englisch oder Französisch gesprochen. Es ertönen keine Trommeln, sondern elektronische Gitarren, statt althergebrachter Rituale steht die Predigt im Vordergrund. Die afrikanische Kultur wird nicht gefeiert, sondern verunglimpft. Das alles spricht dafür, sie nicht vor dem Hintergrund der afrikanischen Realität zu analysieren, sondern in Bezug zu ähnlichen Entwicklungen in Lateinamerika und Asien zu setzen.
Erschwerend kommt hinzu, dass andere Glaubensgemeinschaften, die schon länger existieren und die man früher den AICs zurechnen konnte, heute eine eher neo-pfingstkirchliche Glaubenspraxis übernommen haben. Sie sprechen auch keineswegs nur eine bestimmte soziale Schicht an. Selbst wenn eine charismatische Kirche sich auf eine gesellschaftliche Gruppe bezieht, gibt es jeweils weitere, die andere Schichten ansprechen.
Die unmittelbare Teilnahme afrikanischer Christen am öffentlichen Leben ist noch immer den etablierten Kirchen vorbehalten. Dies zeigte sich besonders deutlich zu Zeiten des »Zweiten Unabhängigkeitskampfes«, also in den Jahren zwischen 1989 und 1992, als viele autokratische Ein-Parteien-Regime in Afrika zusammenbrachen. Es löste damals allgemeines Erstaunen aus, dass die etablierten Kirchen zu den Institutionen gehörten, die am vehementesten Reformen forderten. In Kenia ging der heftigste Widerstand gegen das Moi-Regime von einer Gruppe anglikanischer Bischöfe aus (vergl. »der überblick 3/2003). In Liberia war der Erzbischof von Monrovia, Michael Francis, zeitweise der einzige, der lautstark die Einhaltung der Menschenrechte anmahnte. In Malawi hat der Hirtenbrief der katholischen Bischöfe 1992 den Sturz des Banda-Regimes eingeläutet. Auch in den frankophonen Ländern, wo zur Krisenbewältigung zumeist »Nationale Konferenzen« einberufen wurden, übernahmen in fünf Fällen katholische Bischöfe den Vorsitz dieser »Runden Tische«. Einige von ihnen hatten sogar eine Führungsrolle beim Demokratisierungsprozess.
Nicht alle etablierten Kirchen unterstützten den Wandel ihres Landes in gleicher Weise. In Südafrika leisteten der Südafrikanische Christenrat und die Südafrikanische Katholische Bischofskonferenz auf sehr unterschiedliche Art einen Beitrag im Kampf gegen die Apartheid. Die einen waren dort stark, wo die Schwächen der anderen lagen. Andere christliche Strömungen, besonders die AICs und die neueren Pfingstkirchen, zeigten wenig Engagement. Sie hielten sich nicht nur aus dem Kampf gegen die Apartheid heraus, sondern ließen sich sogar vom Regime kooptieren und verstärkten sie damit.
Dass in den letzten Jahren der Apartheid viele Evangelikale dieses tatenlose Zusehen bereuten, belegt ein Zitat aus der 1986 erschienen Dokumentation Evangelical Witness in South Africa: »Wir blieben auf subtile Weise in einem falschen theologischen Bezugsrahmen gefangen ( ) das Problem mit uns Evangelikalen ist, dass wir sehr radikal und kompromisslos gegen eine bestimmte Sorte von Sünden vorgehen und die übrigen ignorieren aus Gründen, die viele Menschen nicht nachvollziehen können. Wir predigen lautstark gegen Ehebruch, Unzucht, Trunksucht, Diebe, Räuber, Hass, aber schweigen beharrlich über die Sünde der Diskriminierung und die Sünde der Apartheid. Wir Evangelikalen sollten Buße tun wegen dieses selektiven Radikalismus und dieser tendenziösen Moral.«
Auch Pfingstkirchen übten auf ähnliche Weise Selbstkritik: »Wenn wir in uns gehen, stellen wir fest, dass wir nicht wahrhaft Zeugnis gegeben haben, dass Apartheid gottlos und unchristlich ist. Wir haben eher dazu beigetragen, sie zu füttern und zu nähren, so dass sie wachsen und zu dem Monster werden konnte, das sie heute ist ( ). Als engagierte Pfingstler bereuen wir unsere Apathie gegenüber dem menschlichen Leid, das so lange in unserem Land an der Tagesordnung gewesen ist.« (A Relevant Pentecostal Witness, 1988)
Es steckt keine boshafte Ignoranz hinter diesem Mangel an sozialer Sensibilität, denn den neuen evangelikalen und Pfingstkirchen fehlte es noch an Tradition und theologischer Basis, um eine prophetische Protestkultur oder politisches Bewusstsein zu entwickeln. Ihr Schwerpunkt lag bisher anderswo, nämlich auf der Evangelisierung und der persönlichen Erlösung. Aber wie sie selbst zugaben, machte ein allzu exklusives Befolgen dieser zweifellos wichtigen Anliegen sie blind für eine differenziertere Realität. Diese Kirchen lassen sich leicht von Staatspräsidenten verführen, die vorgeben oder tatsächlich glauben, »ein Land für Jesus zu gewinnen«. So nahmen diese Kirchen nicht war, dass genau diese Führer für die Misere der Bevölkerung ihres Landes verantwortlich waren. Moi, Eyadema, Momoh, Taylor, um nur einige zu nennen, gehören in diese Kategorie.
Obwohl die Missionskirchen mit ihrem direkten politischen Eingreifen in mehreren afrikanischen Ländern Erfolg hatten, müssen diese Aktivitäten nicht immer zum erwünschten Ergebnis führen. Wo harte Unterdrückung herrscht, ist unmittelbares politisches Engagement nach Ansicht des Soziologieprofessors David Martin häufig weder vernünftig noch praktikabel. Unter solchen Umständen kann eine indirekte Vorgehensweise auf die Dauer mehr bewirken. Diese Argumentation findet man auch in der afrikanischen Debatte über die Zivilgesellschaft wieder.
Der Grundstein für eine funktionierende Zivilgesellschaft kann danach vor allem dadurch gelegt werden, dass gesellschaftliche Organisationen den Bürgern beibringen, sich demokratisch zu betätigen. Wenn sie als Mitglieder bestimmter institutioneller Gruppen ihre eigenen Repräsentanten wählen, Führungsfunktionen ausüben, Sitzungen leiten oder daran teilnehmen, lernen mit Geld umzugehen und Kompromisse zu schließen, wenn sie lernen, gemeinsame Aktionsprogramme zu formulieren, sie sich zu eigen zu machen und umzusetzen, die Ergebnisse zu bewerten und im Licht solcher Erfahrungen ihre Politik ändern, dann erwerben sie die staatsbürgerlichen Fähigkeiten, die eine Demokratie funktionsfähig machen. Genau darin liegt die Stärke der neuen Pfingstkirchen. Sie können diese Fähigkeiten im geschützten religiösen Rahmen vermitteln und so lange bewahren, bis sie in der Gesellschaft als Ganzen praktiziert werden können. Pfingstkirchen können viele dieser Funktionen vielleicht besser erfüllen als andere gesellschaftliche Gruppen, weil sich innerhalb ihrer Gemeinden Menschen als Brüder und Schwestern auf Augenhöhe begegnen können. Außerdem besiegt die Intensität der religiösen Wiedergeburt auch Laster wie Trunksucht oder Müßiggang. Das hier praktizierte Arbeitsethos erweckt einen ausgeprägten Ehrgeiz, mit dem es häufig gelingt, die aus Armut erwachsene Verzweiflung zu überwinden. Außerdem ermahnen die Prediger die männlichen Gemeindemitglieder, ihr patriarchalisches Machoverhalten abzulegen, womit die Chance auf ein besseres Familienleben eröffnet wird.
Die Ethnologin Elizabeth Brusco hat gezeigt, dass die Pfingstkirchen die Lage der Frauen in Lateinamerika deutlich verbessert haben. Die Männer geben ihren lockeren Lebenswandel auf, gewöhnen sich das Rauchen, Trinken und Herumtreiben ab und besinnen sich auf ihre Familie, was für die nächsten Generationen von kaum zu unterschätzender Bedeutung ist.
Der Theologieprofessor Harvey Cox hat bei Pfingstlern in Südkorea einen ähnlichen Verhaltenswandel beobachtet. Die Mitglieder lernen von den »wirklich verblüffenden organisatorischen Fähigkeiten, die diese Kirchen an den Tag legen.« Bei ihren Evangelisationskampagnen und anderen Veranstaltungen bekommen Hunderttausende, zumeist aus ländlichen Regionen stammende Teilnehmer die grundlegenden Prinzipien einer modernen Marktwirtschaft vermittelt. Sie lernen, eine simple Botschaft zu kommunizieren, Werbekampagnen zu organisieren, Listen anzulegen, Telefone zu benutzen, in zielorientierten Gruppen persönliche Reibereien zu überwinden, ihre Arbeit mit den Mitarbeitern und in der Hierarchie zu koordinieren, sich Ziele zu setzen und sie zu erreichen. Außerdem lernen sie pünktlich zu Sitzungen zu erscheinen, sie effizient zu gestalten und die dort getroffenen Entscheidungen umzusetzen. Dieses Training kommt »konzentrierten Crash-Kursen in dem gleich, was Millionen anderer Menschen, die als kleine und mittlere Angestellte in modernen Betrieben arbeiten, in Wirtschaftsschulen und bei Verkaufstrainings lernen«. Ihre ergebnisorientiertes und pragmatisches spirituelles Leben wirkt sich auch auf ihre berufliche Arbeitsweise aus. Cox ist der Ansicht, dass der missionarische Geist, den die koreanischen Pfingstler bei allem, was sie tun, entfalten, einer der Gründe für den ökonomischen Erfolg Koreas ist. Andere würden sagen, dass das zu viel der Ehre ist. Niemand aber zweifelt daran, dass die Gesellschaften enorm profitieren, bei Cox allerdings ist wohl auch Wunschdenken im Spiel.
Doch die Mitgliedschaft in einer Pfingstkirche ist nicht für jeden mit einem privaten oder beruflichen Fortschritt verbunden. Der Glaube an das wundersame Wirken Gottes fördert bei einigen Menschen eher eine fatalistische Lebenseinstellung. Auch sind die Pfingstkirchen nicht immer demokratisch organisiert, sondern werden von autoritären Vorständen geführt, die das Zepter nicht aus der Hand geben und die Finanzen selten transparent verwalten. In vielen afrikanischen Ländern bleibt der Führungsstil von staatlichen Sanktionen verschont, da das kirchliche Finanzgebaren nur ein Spiegelbild des weltlichen Patronagesystems abgibt.
Wie kann die öffentliche Verantwortung von Kirchen aussehen? Der ghanaische Kirchenführer Mensa Otabil fordert eine rege Teilnahme am öffentlichen Leben, um die genannten Missstände zu bekämpfen. Da er sich in den 1980er Jahren nicht vom Rawlings-Regime vereinnahmen ließ, genießt er heute bei seinen Landsleuten ein gewisses Ansehen. In seiner Theologie betont Mensa Otabil ausdrücklich, dass jeder einzelne für sein Handeln verantwortlich ist. Er glaubt nicht an Dämonen, die die Menschen ständig beeinflussen. »Du bist das Resultat von Entscheidungen, die du getroffen hast. In unserem Teil der Welt, in Ghana, Afrika, tendieren wir dazu, unsichtbare Kräfte verantwortlich zu machen, die Tag und Nacht umherfliegen, manche mit Flügeln, manche ohne, körperlose Wesen, sie werden für alle unsere Fehler verantwortlich gemacht. Manchmal reden wir selbst in der Kirche so. Zwar gibt es einen Teufel und Agenten des Teufels, aber der Teufel ist kein Ghanaer und wohnt nicht in Afrika ( ) Wenn ich der Teufel wäre, ich würde nicht in einem armen Kontinent wohnen, ich würde dahin gehen, wo die reichen Leute sind. Wir können ihn nicht für alle unsere Fehler verantwortlich machen. ( ) Wir haben Verantwortung. Die Dinge geschehen nicht einfach, sie werden verursacht, entweder von dir oder von anderen.«
Es ist offensichtlich, dass Otabil mit »Entscheidungen, die von anderen getroffen werden« nur solche meint wie die, ob die Eltern einen in die Schule schicken oder nicht, ob eine Regierung die Wirtschaft ihres Landes plündert usw., nicht etwa Hexerei: »Jeder ist, wo er ist, weil er es so will, menschliche Wesen sind nicht die Opfer von Umständen, sondern die Produkte von Entscheidungen. Du wirst nicht, was du bist, weil die Umstände dich so gemacht haben. Du bist, wo du bist, aufgrund von Entscheidungen, die du getroffen hast oder die über dich getroffen wurden.« Es gibt also viele Bereiche, wo man nicht von Erlösung sprechen kann: »Wir müssen gegen Ignoranz und Analphabetentum kämpfen, als ob sie der Teufel selbst [wären] ( ) Du sitzt da und sagst: 'Jesus ist der Herr, Halleluja!' Versteck' dich nicht hinter der Unwissenheit und versuche nicht, sie im Namen Jesu auszutreiben. So kannst du die Unwissenheit nicht austreiben. Die Unwissenheit kannst du allein durch Erziehung austreiben!«
Otabil hielt im Jahr 2000 in zehn Wochen eine Reihe von Predigten, in denen er ausgehend von 2. Korinther 10,3-6 (Festungen zerstören) die Ursachen für den verpassten Fortschritt Afrikas benennt. In den Köpfen der Ghanaer befänden sich Blockaden wie Minderwertigkeitskomplexe, Stammesdenken, kulturelle Stagnation, Götzendienerei, Fetischismus, bäuerliche Mentalität, Führerkult und Apathie. »Wenn wir über die Armut reden, ist der Feind in Wirklichkeit nicht die Armut, es sind die Leute, die die Armut verursachen. Die Armut sitzt nicht irgendwo und sagt: 'Gut, ich habe Bangladesch verlassen und habe jetzt vor, in dieses westafrikanische Land zu gehen ( ) O.K. Ghana, wir sehen uns nächsten Monat' und wenn sie dann kommt, werden wir alle arm. Nein! Nein! Nein! Nein! Es gibt nichts dergleichen. Alle Bedingungen sind geschaffen worden, sind von Menschen gemachte Blockaden. Sie sind nichts Natürliches. Wenn sie von Menschen gemacht sind, dann besteht die Lösung darin, den Menschen die Eigenschaften auszutreiben, die das Problem verursachen.«
Und so, als wollte er den Ghanaern mit aller rhetorischer Gewalt das Stammesdenken austreiben, fährt Otabil fort: »Wir streiten um kleingeistige Traditionen, die nichts dazu beitragen, unsere heutigen Probleme zu lösen. Du bist stolz und sagst: 'Ich bin ein Ga.' Woher weißt du das? Eines der Probleme mit dem Stammesdenken ist, dass niemand weiß, wer er ist. Du sagst jetzt, du seiest ein Ga, aber geh' fünf Generationen zurück und du stellst fest, dass dein Ururgroßvater aus Burkina Faso gekommen ist. Du hast gehört, dass deine Vorfahren stolze Krieger waren. Ja, sie haben Menschen umgebracht und Elefanten. Aber, mein Freund, heute bringen wir keine Leute um. Wir haben jetzt Email, sind im Internet und haben es mit schwierigeren Problemen zu tun, als Feinde umzubringen.«
Stammesdenken führe zu zweierlei Maß: »Wir sind so stammesorientiert, dass wir darüber hinwegsehen, wenn einer unserer Stammesangehörigen etwas Schlechtes tut. Wenn einer von uns etwas tut, muss es richtig sein. Wie kann eine Nation und ein Volk mit dieser Mentalität daran denken, sich zu entwickeln?« Er beklagt sich über die 'Wir-gegen-sie-Mentalität': »Das Stammesdenken führt dazu, dass unser Land schlecht verwaltet wird. Wir schieben fähige Leute beiseite, weil sie nicht zu unserer Gruppe gehören.« Selbst die Gelder des Internationalen Währungsfonds (IWF) würden nach Stämmen verteilt. All das müsse aufhören, und man müsse in der Kirche damit beginnen. »Die Kirche muss zu der am wenigsten stammesorientierten Gemeinschaft in unserer Nation werden, wo die Leute sich nicht darum kümmern, woher jemand kommt, wo sie sich nur darum kümmern, dass er durch das Blut Christi reingewaschen wird.«
Der Pfingstprediger erwischt wohl den wunden Punkt der afrikanischen Staatenwelt, wenn er die diktatorische Herrschaftsform verurteilt. »Wenn man über Afrika blickt, sieht es so aus, als ob wir ein Copyright auf Diktatur hätten, als ob sie für die afrikanische Gesellschaft patentiert sei, oder dass es für uns natürlich sei, schlechte Führer hervorzubringen. »Otabil beruft sich dabei auf Matthäus 20, 20-21 und sagt, dass gute Führung ein Dienst sei. Die afrikanischen Führer kümmerten sich aber nicht um Leistung und Verantwortung, sondern um Status, Macht und Titel. »Chefallüren sind ein Wesenszug der meisten afrikanischen Staatsmänner. (...) Sobald wir Verantwortung übernehmen halten wir uns für den Chef.«
Und das ist gleich in mehrfacher Hinsicht problematisch. Ämter werden auf Lebenszeit vergeben und Führungskräfte aus den eigenen Reihen rekrutiert. Während diese Leute nicht einmal zu administrativen Aufgaben befähigt sind, bleiben andere, die vielleicht über die entsprechenden Fähigkeiten verfügen, ausgeschlossen. Da Oppositionsgruppen nicht als konstitutionelles Gegengewicht anerkannt werden, kann es keine Machtbalance geben. »Alle, die nicht mit den Oberhäuptern einer Meinung sind, werden Rebellen genannt, ein Feind, der verbannt werden muss.« Der Anführer sei von Lobrednern umgeben, »denn das Oberhaupt ist ein Repräsentant der Ahnen und hat deshalb immer recht.« Gehe deshalb in irgend ein afrikanisches Land und Du wirst Lieder über den Präsidenten hören wie »Wir saßen in der Finsternis, bevor er kam«. So dächten die Leute schließlich, dass ihr Schicksal vom Wohlwollen der Oberen abhänge: »Wenn der Chef dich hebt, gelangst du nach oben, wenn er dich zu Boden setzt, bist du unten.« Aus diesem Grund, sagt Otabil, seien Heuchelei und Schmeichelei so verbreitet in Afrika.
Das Hemmnis der Apathie wird befördert durch die Allgegenwart von Leid und Schmutz stinkende Gullys, Leute, die in der Öffentlichkeit urinieren und Frauen, die gewaltige Lasten tragen. »Wenn wir diese Festung schleifen wollen, müssen wir bewusst und deutlich zurückweisen, was inakzeptabel ist. Wir müssen lernen, wütend zu werden. Die zweite Ursache der Apathie ist die Gefühllosigkeit der Führer. In unserem Teil der Welt kann man protestieren, so viel man will: Die Menschen in Führungspositionen kümmern sich nicht darum ( ) Wir lernen das von Kindesbeinen an. Wenn der Führer Unrecht hat, entschuldigt sich das Kind. Jeder weiß, dass der Führer Unrecht hat, aber man sagt: Es ist OK, das ist Teil unserer Kultur, geh hin und entschuldige dich.« Wenn in einer Ehe der Mann Unrecht hat, entschuldigt sich die Frau. Der dritte Grund für Apathie sei religiöser Fatalismus. »Wir definieren die Dinge in religiösen Termini ( ) Wir fühlen und glauben, dass die bedrohlichen Mächte so stark sind, dass wir nichts gegen sie tun können. Es gibt Leute, die meinen, sie seien arm, weil Gott sie so geschaffen habe ( ) Man selbst kann nichts tun, um diese Situation zu ändern: religiöser Fatalismus bringt Apathie hervor.«
Mit Otabil spricht ein pfingstkirchlicher Glaubensvertreter über öffentliche Verantwortung. Das Bemerkenswerte daran ist, dass er den Bereich des Wundersamen eingegrenzt hat und die Verantwortung des Individuums betont. Er fordert seine Schützlinge auf, nach Bildung und beruflicher Qualifikation zu streben, Fähigkeiten zu entwickeln und Initiative zu ergreifen. Dafür bot Otabil eigens Seminare im Novotel Accra an, in denen Geschäftsleute Selbstvertrauen, Stolz, Entschlusskraft, Disziplin, Fleiß und Fachwissen erwerben sollten. Mit seinem Reklametext sprach er »hochmotivierte, dynamische Leistungsträger der Bereiche Wirtschaft, Recht, Handel und Buchhaltung (an), die biblische und weltliche Prinzipien zur Veränderung der Gesellschaft anwenden wollen für jeden, der etwas werden will, der Erfolg sucht.« Die Teilnehmer dieser Seminare wurden ermuntert, sich auf ihre Weitsicht, Fantasie und Entscheidungsfreude zu besinnen.
Am Ende einer dieser Sitzungen gab er ihnen deutliche Worte mit auf den Weg, womit sich das Postulat über ein selbstverantwortliches Handeln ins Gedächtnis brennen sollte: »Ich hoffe, dass Sie in der kurzen Zeit, die wir miteinander verbracht haben, genügend herausgefordert worden sind, um einen Wandel zu wünschen, das Drehbuch neu zu schreiben, nach dem Sie Ihr Leben gestalten und neue Bereiche in Ihrem Leben für Ihre eigenen Angelegenheiten zu erschließen.«
Ebenfalls in Accra hielt die in Lagos gegründete multinationale nigerianische Glaubensgemeinschaft Winner's Chapel im Mai 2001 unter dem Veranstaltungstitel »Die Geschäftswelt erobern« eine dreitägige Winner's Business Conference ab. Dort wurde ein Verbund von Geschäftsleuten gegründet, deren Treffen dazu dienen sollen, die unternehmerischen Instinkte seiner Mitglieder zu schärfen.
Dies sind Beispiele für wirtschaftliches Engagement, aber Ghanas Kirchen haben sich vor den letzten Wahlen auch auf dem Feld der Politik eingesetzt. Alle größeren Pfingstkirchen predigten über politische Verantwortung, und häufig wurden die Gläubigen dazu ermahnt, statt zur Waffe zum Gebetsbuch zu greifen. Darüber hinaus hatten sie wenig gemein. Otabil verband bemerkenswerterweise seine grundlegende Revision der Glaubenslehre mit beträchtlichem Pragmatismus. Seine Botschaft war: »Wählt den, von dem ihr glaubt, dass er euch am meisten nützt, aber Afrika wird keine Zukunft haben, wenn sich nicht die gesamte politische Kultur ändert.«
Damit wären wir wieder bei David Martin. Mit ihm bin ich der Meinung, dass die Pfingstkirchen damit am meisten leisten können, dass sie leben, was sie predigen, dass sie selbst mit gutem politischem Beispiel vorangehen. Dazu wäre es erforderlich, dass sie sich an ihre Verfassungen halten, ihre Machtausübung rechenschaftspflichtig machen, allen eine Stimme geben und Strukturen schaffen, die die Menschen befähigen, ihre Anliegen in die eigene Hand zu nehmen.
Literatur:
David Martin: Tongues of Fire: the Explosion of Protestantism in Latin America. Oxford 1990
David Martin: The World Their Parish. Oxford 2002
Elizabeth Brusco: The Reformation of Machismo: Evangelical Conversion and Gender: Colombia. Austin 1995
Harvey Cox: Fire from Heaven: The Rise of Pentecostal Spirituality and the Reshaping of Religion in the Twenty-First Century. London 1996
Pfingstprediger in der Demokratischen Republik KongoBeten im BusWer bei uns im Kongo in einem vollgepferchten Bus einen Platz abbekommen hat, gibt den auf keinen Fall auf. Doch neuerdings sieht man häufiger, dass schon bald nach der Abfahrt jemand in den hinteren Reihen freiwillig von seinem Sitz aufsteht. Leute, welche die Route regelmäßig fahren, wissen dann auch schon, was auf sie zukommt. Manche, die lesen oder nur ihre Ruhe haben wollen, stöhnen dann »Oh nein!« Aber sie werden von Frauen schnell beschwichtigt: »Es ist gut, dass ein Gottesmann mit uns fährt.« Der hat auch schon mit schnellem Griff in die Ablage die Bibel hervorgeholt und beginnt seinen Sermon: »Halleluja Brüder und Schwestern!« Und dann fährt er fort: »Einige, die gestern noch unter uns waren, sind heute nicht mehr am Leben.« Für viele Mitfahrer, die keine Zeitung mit Todesanzeigen lesen, ist die Nennung solcher Namen eine wichtige Information. Und sie macht auch gleich bewusst, dass jede und jeder sterblich ist. Es kann einen jederzeit ereilen, wie der Prediger anschaulich deutlich macht: »Ein Reifen kann platzen, vielleicht überholt ein entgegenkommendes Fahrzeug in einer unübersichtlichen Kurve, die Bremsen können versagen.« Da ist es gut, wenn ein Gebet folgt, das die Fahrgäste in Gottes Hände befiehlt. Der Prediger spricht von noch mehr Unglück, von Krieg und Wirtschaftskrise, wettert gegen Korruption und ruft zur Umkehr auf. Es folgt ein Kirchenlied, in das ein paar Mitfahrer einstimmen, und dann das Wichtigste: Rechtzeitig vor Erreichen der Zielstation geht eine Mütze für die Kollekte herum: »Es gibt Mitglieder in meiner Gemeinde, die Ihre Hilfe brauchen.« Der Kassierer im Bus schaut währenddessen aufmerksam zu, wer wie viel in den Hut wirft. Nachdem an der Endstation die Insassen das Fahrzeug verlassen haben, sind nur noch der Fahrer, der Kassierer und der Gottesmann an Bord. Denn letzterer darf erst aussteigen, wenn er die »Provision« abgeliefert hat. Die Buslinien zwischen zwei Slumvierteln sind nicht attraktiv, da findet man selten einen Prediger an Bord. Begehrt ist dagegen die Route zum Markt, denn dorthin fahren Leute mit Geld in der Tasche. In Kinshasa aber gibt es eine Strecke, die besser als jede andere im Land ist: Die Route von den Airline-Büros des früheren Inlandsflughafens zum Inlandsterminal auf dem internationalen Flughafen, von dem heute die »fliegenden Särge« starten, die betagten Antonov-Maschinen, welche die Städte im übrigen Land ansteuern. Der alte Inlandsflughafen ist geschlossen, seit dort beim Landeanflug eine Maschine mitten in einen stark besuchten Markt gestürzt ist. Der Prediger auf dieser Route beginnt denn auch mit dem Gedenken an die Opfer des damaligen schrecklichen Unglücks und vertieft sich anschließend allgemein in die Gefahren weiter Reisen. Wer trotz dieser Risiken eine solche Reise auf sich nehmen muss es sind überwiegend Geschäftsleute wirft gern schon einmal einen größeren Schein, quasi als Versicherungsbeitrag, in den Hut des Gottesmannes. Nachdem der Bus am Flughafen angekommen ist und die Passagiere bereits zu ihrem Flugsteig streben, lässt sich der Patron, der Betreiber der Busgesellschaft, blicken und runzelt die Stirn angesichts der von Fahrer und Kassierer ausgehändigten Provision: »Wir nehmen besser einen anderen Pastor hey Du da hinten...!« »Nein, nein«, kommt schnell die Reaktion des Priesters, und schon zückt er einen weiteren Schein. »Aber mir bleibt dann nichts mehr für meine Gemeinde.« Dudu Musway
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aus: der überblick 01/2005, Seite 49
AUTOR(EN):
Paul Gifford:
Paul Gifford ist Professor für afrikanisches Christentum an der »School of Oriental and African Studies in London« (SOAS). Der Beitrag ist eine leicht bearbeitete Fassung eines Vortrages, den er auf einer Dialogveranstaltung zwischen Pflingstbewegungen und zivilgesellschaften Gruppen gehalten hat, die das »Centre for Law and Social Action« (CLASA) mit Unterstützung des nigerianischen Büro der Heinrich-Böll-Stiftung im Oktober 2004 veranstaltet hat.