Die UN und die Reform der Sicherheitskräfte in Liberia
von Renate Wilke-Launer
Friedensmissionen der Vereinten Nationen bestehen schon länger nicht mehr allein aus uniformierten Männern. Das Spektrum hat sich auf zivile Aufgaben erweitert, die Diskussionen um die Notwendigkeit veränderter Geschlechterrollen haben sich auch in Theorie und Praxis der peacekeping operations niedergeschlagen. Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrates aus dem Jahr 2000 (vergl. der überblick 2/2001) hat die Bedeutung von Frauen für Friedensprozesse festgehalten.
In der United Nations Mission in Liberia (UNMIL) sorgen ein paar starke Damen dafür, dass die Belange von Frauen nicht zu kurz kommen. Von Anfang an war für die Mission eine dem Sondergesandten des UN-Generalsekretärs zugeordnete gender-Beraterin (Office of the Gender Advisor to the Special Representative of the Secretary General) vorgesehen, die dafür sorgen soll, dass bei der gesamten UNMIL-Arbeit auf Geschlechtergerechtigkeit geachtet wird (mainstreaming gender issues). Die Ghanaerin Joana Foster ist als Senior Gender Advisor nachdrücklich dabei, dieser großen Forderung mit einem ziemlich kleinen Stab nachzukommen. Und es gibt eine Reihe von Abteilungsleiterinnen (Head of Sections), die ebenfalls die Frauen fest im Blick haben. Die Sierra-Leonerin Zainab Bangura leitet zum Beispiel die zivile Abteilung, die Polin Dorota Gierycz den Menschenrechtsstab.
Frau Foster hat dafür Sorge getragen, dass bei der Demobilisierung der etwas mehr als 103.019 Kämpfer auch 24.825 junge Frauen berücksichtigt worden sind, die kämpfenden Mädchen ebenso wie die weiblichen Hilfskräfte der Rebellenarmeen. Hätte sie nicht darauf aufmerksam gemacht und darauf bestanden, die Women Associated with Fighting Forces als eigene Kategorie in den Blick zu nehmen, wären sie durch das Raster gefallen. Nun bekommen alle registrierten Mädchen und jungen Frauen 300 US-Dollar und entweder Schul- oder Berufsausbildung, um ein neues Leben beginnen zu können. Joanna Foster und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter sorgten dafür, dass sich Frauen für die Wahlen registrieren ließen. Joana Foster hat selbst an einem Marktstand Wache geschoben, damit dessen Inhaberin sich einschreiben lassen konnte. Liberianerinnen wurden ermuntert und darin unterstützt, selbst für Parlament und Senat zu kandidieren.
Für die gewünschten 30 Prozent Frauenanteil hat es nicht gereicht, eine Quote hatte es nach dem Willen des Übergangsparlaments nicht gegeben. Im Repräsentantenhaus sind nur 8 von 6 Abgeordneten weiblich, im Senat 5 von 30 Mitgliedern. Aber, so hat die Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf im Interview mit der BBC erklärt, wir können diesen Mangel durch Ernennungen für hohe Positionen ausgleichen, damit sichergestellt ist, dass Frauen eine sehr wichtige Rolle spielen. In ihrem Kabinett sitzen nun fünf Ministerinnen.
Auch unter den uniformierten UN-Truppen sind inzwischen Frauen zu finden, wenn auch viel zu wenige. Bei den Truppen stellenden Staaten gibt es zwar im Schnitt neun Prozent Soldatinnen, in den Missionen ist es aber nur ein Prozent. Weltweit sind erst vier Prozent der UN-Polizisten weiblich, in Liberia sind es nun weit mehr. Ende Januar kamen 103 Polizistinnen (mit 22 Männern als Unterstützung) aus Indien in Monrovia an, die erste all-female police unit der UN. Das sind taffe Profis, die der Central Reserve Police Force angehören und bei verschiedenen indischen Unruheherden praktische Erfahrungen gesammelt haben. Sie bewachen jetzt das Außenministerium (in dem derzeit auch die Präsidentin ihr Büro hat), sie patrouillieren in Monrovia und geben bei Bedarf der bisher unbewaffneten liberianischen Polizei Unterstützung. Auch an der Ausbildung der liberianischen Polizei wirken sie mit.
Und sie werben direkt und indirekt dafür, dass mehr liberianische Frauen in den Polizeidienst eintreten. 20 Prozent sollen es nach dem Willen der UN und der liberianischen Polizeiführung sein, derzeit sind es aber erst sechs Prozent der neu ausgebildeten Polizisten. Um mehr Frauen für das einen High-School-Abschluss voraussetzende Training gewinnen zu können, wurde Ende Januar ein Förderprogramm aufgelegt, in dessen Rahmen 150 Frauen am Stella Maris Polytechnic höhere Schulbildung nachholen können. Die indische Polizeikommandeurin Seema Dhundia hofft, dass schon die Tatsache, dass Frauen für alle sichtbar in starken Positionen sind, die Gewalt gegen Frauen reduzieren hilft.
Im Ausbildungszelt der neuen Polizeiakademie in Monrovia hängen Wandzeitungen, an Hand derer angehende Polizisten lernen, was zu tun und zu unterlassen ist, wenn eine Frau angegriffen wurde. Für die Polizeistationen sind spezielle Unterabteilungen zum Schutz von Frauen und Kindern geplant und zum Teil auch schon vorhanden. Auch da funktioniert vieles nicht oder nicht wie im Plan vorgesehen, manche Polizistin fühlt sich eher als Sozialarbeiterin zur Versorgung von Straßenkindern. Vergewaltigungen werden selten angezeigt und verfolgt.
Auch die liberianische Armee soll einen Frauenanteil von 20 Prozent haben, bekräftigt Alfreda E. Myers von der US-Botschaft in Monrovia. Die USA haben es übernommen (und weitgehend privaten Firmen übertragen), die später 2000 Köpfe starke Truppe auszubilden. Wie auch bei den angehenden Polizisten folgt die Rekrutierung strengen Regeln. Kandidaten müssen nicht nur einen High-School-Abschluss, sondern auch eine reine Weste haben (was durch Publizierung der Namen - mit Foto - und eigene Recherchen überprüft wird). So geht es nur langsam voran, im November 2006 haben gerade mal 106 Soldaten, darunter 10 Frauen den ersten 15-Wochen-Kurs erfolgreich abgeschlossen. Zum Curriculum gehört auch das humanitäre Völkerrecht, das ein Vertreter des IKRK unterrichtet.
Noch nie in der Geschichte Liberias haben Frauen in den Sicherheitskräften einen so hohen Stellenwert, überhaupt einen Stellenwert gehabt. Und wahrscheinlich hat auch keine UN-Mission zuvor Genderfragen so vergleichsweise viel Beachtung geschenkt. Action Aid International kommt in einem im März 2007 vorgelegten Report (UNMIL: International Engagement in Addressing Violence Against Women) zu einer relativ positiven Beurteilung, auch wenn bei UNMIL Rhetorik und Realität an verschiedenen Stellen mächtig auseinander klaffe und im Detail noch vieles anzupacken und zu verbessern sei. Zu den Schwachpunkten gehört vor allem, dass die Mission kein exekutives Mandat und damit auch nicht genügend Geld hat, um ihren Interventionen auch Taten folgen zu lassen. Die Bereitstellung von Mitteln hinkt der Rhetorik noch kräftig hinterher.
Aus dem liberianischen Ministerium für Frauen und Entwicklung (Gender and Development) heisst es, dass den Absichtserklärungen von UNMIL nicht genügend Aktionen folgen. Das Ministerium selbst verfügt - wie die liberianische Regierung insgesamt - nur über sehr begrenzte Mittel und Möglichkeiten und beklagt, dass es die gewünschte Koordinationsfunktion deshalb nicht wahrnehmen könne. So verläuft sich die sowohl von der liberianischen Präsidentin Ellen Sirleaf-Johnson als auch von UNMIL gewollte, frauenfreundliche Reformpolitik im Alltag eines Landes, in dem eigentlich alles prioritär ist und es überall am nötigsten fehlt. Der Bericht von Action Aid International enthält deshalb eine lange Liste von Empfehlungen, vor allem ein Plädoyer für eine Verlängerung des UNMIL-Mandates.
UNMIL besteht, wie alle UN-Missionen, überwiegend aus Männern. Und wo größere Gruppen von ihnen konzentriert sind, gibt es fast immer auch Prostitution und sexuelle Übergriffe, umso mehr, wenn ein großes wirtschaftliches Gefälle zwischen fremden Soldempfängern und der einheimischen Bevölkerung besteht. Zwischen Januar 200 und November 2006 wurde gegen insgesamt 319 UN-Peacekeeper ermittelt; 18 Zivilisten wurden entlassen, 17 Polizisten und 1 Militärangehörige nach Hause geschickt. Strafrechtlich können die UN gegen die Täter nicht vorgehen, das müsste die Justiz ihrer Heimatländer tun. Zwei Drittel der Fälle betrafen die weltgrößte UN-Mission im Kongo (MONUC). Nach neuerlichen Berichten über sexuelle Übergriffe im Südsudan hat sich der neue UN-Generalsekretär in seiner ersten offiziellen Pressekonferenz im Januar 2007 mit dem unappetitlichen Thema beschäftigen müssen und die zero-tolerance-Politik der Organisation bekräftigt.
In Liberia haben UNMIL und die Regierung im Dezember 2006 gemeinsam eine Kampagne unter dem Titel No sex for help, no help for sex gestartet. Bei UNMIL - so hat Alan Doss, der Sondergesandte des UN-Generalsekretärs, bei der Eröffnung versprochen - werde sexuelle Ausbeutung, werde sexueller Missbrauch nicht vertuscht. Im März 2007 legte die von ihm geleitete Mission ihren jüngsten Bericht zum Thema vor, der auf Untersuchungen des Office of Internal Oversight Services zurückgeht, das direkt dem New Yorker UN-Hauptquartier untersteht. Danach ist die Zahl der zur Kenntnis von UNMIL gelangten Fälle von 5 (2005) auf 30 (2006) zurückgegangen, doch, so Doss, jeder einzelne Fall ist einer zu viel. Die Liberianerinnen können jetzt bei einer speziellen Hotline anrufen, um Fälle von sexuellen Übergriffen vertraulich zu melden.
Seit Verabschiedung der Resolution 1325 im Jahr 2000 hat sich eine Menge bewegt. Auch wenn es noch immer achselzuckendes Wegschauen gegenüber sexuellen Avancen und Übergriffen gibt, haben die UN - wenn auch relativ spät - begriffen, dass sie bei fast 200.000 überwiegend männlichen Menschen aus über 100 Ländern in ihren Missionen ein strukturelles Problem haben, so die beigeordnete UN-Generalsekretärin für Friedenseinsätze, Jane Holl Lute, Anfang 2007 in New York. Zero tolerance, Aufklärungskampagnen und Untersuchungskommissionen können es nur einhegen.
Von weitreichenderer Bedeutung ist eine möglichst große Anzahl weiblicher Polizisten und Soldaten. Sie kann den UN-Missionen ein anderes Gesicht geben, ihnen - nicht nur im Hinblick auf die weibliche Bevölkerung - mehr Zugang verschaffen und mittelfristig auch im Geschlechterverhältnis etwas verändern. Und schließlich muss auf eine Gender-Architektur von Friedensmissionen geachtet werden, die dem für den Erfolg so wichtigen Anliegen der Beteiligung und Förderung von Frauen auch Nachdruck und Nachhaltigkeit verschafft. Dazu gehört, dass den Gender-Belangen im Budget der Missionen von Anfang an Mittel zur Verfügung stehen, damit die Stabsmitglieder wissen, was sie machen und versprechen können und nicht wie Joana Foster gezwungen sind, das benötigte Geld im Einzelfall zu erbetteln.
Eine Präsidentin im Gastland, die ihrerseits darauf Wert legt, dass die Sicherheit der Bürger und des Staates auch in die Hände von Frauen gelegt werden kann, wird es leider nicht immer geben.
aus: der überblick 01/2007, Seite 4
AUTOR(EN):
Renate Wilke-Launer
ist Chefredakteurin des "überblick".