Bilder und Projektionen im Umgang mit Afrika
von Renate Wilke-Launer
Das Bild von Afrika, so schreibt Robert Calderisi in diesem Heft, erinnert an jene Tintenkleckse der Psychologen, aus deren Beschreibung man vor allen Dingen etwas über die eigenen Neigungen und Prinzipien, Hoffnungen und Enttäuschungen erfahren kann. Dass an dieser Beobachtung eine Menge dran ist, zeigt sich auch daran, dass immer wieder heftig darüber geklagt wird, dass das "Bild" Afrikas zu negativ sei. Wissenschaftler treten an, es durch systematische Beobachtung zu korrigieren, Entwicklungspädagogen und -politiker beklagen, dass der Alltag doch sehr viel friedlicher und freundlicher sei als die ständig wiederkehrenden Berichte von Krisen und Katastrophen. Beide setzen dabei gern "die Medien" auf die Anklagebank. Journalisten können dem eine Menge entgegensetzen: von ihren Arbeitsbedingungen über die Gesetze und das Handwerk ihres Berufes bis hin zu Zufällen. Und die Diskussionen um das "Afrikabild" kennen sie natürlich auch. Doch auch differenzierende und sorgfältig formulierte Texte und Bilder können zu bloßen Tintenklecksen werden, wenn die Leserinnen und Leser nur sehen, was sie sehen wollen.
Es wäre schon eine Menge gewonnen, wenn bei allen Aussagen über Afrika zwischen den Bürgern und den Politikern unterschieden würde. Viele Afrikanerinnen arbeiten hart, Männer und Frauen wissen zu improvisieren, strahlen selbst unter bedrückenden Lebensumständen noch Freude und Hoffnung aus. Eltern legen sich krumm, damit ihre Kinder zur Schule gehen können, sie pflegen ihre kranken Angehörigen, nehmen Waisen selbstverständlich in die Familie auf. Viele Politiker dagegen denken in erster Linie an sich, sind an Erster-Klasse-Tickets mehr interessiert als an Erster-Klasse-Schulen (so Robert Calderisi), sie füllen ihre Taschen und betrachten die Verbesserung der Lebensumstände der Bevölkerung als Aufgabe der internationalen Gemeinschaft. Um an der Macht zu bleiben, schrecken manche vor nichts zurück, bis hin zum Völkermord.
Differenziert man zwischen den Bürgern und den Politikern, lässt sich auch die Diskussion um die Entwicklungshilfe für Afrika besser verstehen. Die Not vieler Afrikanerinnen und Afrikaner bewegt viele Menschen in den entwickelteren Regionen, vor allen Dingen des "Westens" immer wieder zu (mehr oder wenigen großzügigen) Spenden und dazu, die staatliche Entwicklungshilfe zu erhöhen. Die Aufrufe Prominenter aus dem Show Business, die erklärte Bereitschaft der Geber, die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit insgesamt zu erhöhen und Afrika einen größeren Anteil zuzusprechen, die Anstrengungen im Rahmen der Millenium Development Goals all das hat die Vorstellung eines big push für den ärmsten Teil der Welt Sympathie und Auftrieb verschafft. Wer möchte diesem Gedanken, dieser Hoffnung, dieser Anstrengung widersprechen?
Zu schön ist die Vorstellung, dass das so ernsthaft lernende Mädchen, das einen zur Spende bewogen hat, weiter zur Schule gehen, einen Abschluss machen und Arbeit finden kann, wenn man nur der Regierung die Schulden erlässt und sie mit zusätzlichem Geld ausstattet. In der schönen Welt von Konzerten & Kampagen kommt aber das andere Afrika der zynischen Politiker, der korrupten Präsidenten und Beamten, der brutalen Armeen und Ban- den nicht vor. Sie zerstören mutwillig, was erreicht wurde, sie verhindern, dass das Geld zu denen gelangt, für die es bestimmt ist, sie torpedieren manchmal sogar die Eigenanstrengungen ihrer Bürgerinnen und Bürger.
Die Vorstellung eines big push ist nicht neu, sie stand am Anfang der Entwicklungszusammenarbeit. Fünfzig Jahre später und an vielen Erfahrungen reicher kann man nicht nur optimistisch einen solchen Pfad beschreiten, man muss ganz nüchtern, um nicht zu sagen, kaltblütig ans Werk gehen. Denn jeder (heute lebende) Afrikaner, so hat ein kluger Kopf errechnet, hat (auf heutige Verhältnisse umgerechnet) schon etwa 5000 US-Dollar Entwicklungshilfe erhalten, in vielen Ländern aber sind die Menschen heute ärmer als zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit, ihr Kontinent ist im Verhältnis zum Rest der Welt immer weiter zurückgeblieben.
Die Entwicklungs(fach)politiker und die Hilfswerke der Geberländer wissen das natürlich. Und deshalb hat man immer neue Strategien und Instrumente entwickelt, die Entwicklungspolitik hat sich als lernfähiges und experimentierfreudiges Gewerbe etabliert. Aber waren die Analysen richtig und die Instrumente geeignet? Gilt nicht auch für die entwicklungspolitische Diskussion und Praxis, dass sie nach den besonderen Vorlieben und Vorstellungen der Geber und ihrer handverlesenen Partner gestaltet und geformt wurde, was ein Tintenkleckstest oder radikale Selbstkritik ans Tageslicht befördern könnte. Ist mit der Professionalisierung nicht auch ein Selbsterhaltungsinteresse erwachsen?
Drückt die Entwicklungspolitik in ihrem Bemühen, den Menschen Afrikas zu helfen, nicht immer noch zu viele Augen zu? Wie soll man sonst den Vertrauensvorschuss für Afrikas "neue Führer" erklären, von denen sich einige dann doch zu big men entwickelten? Ist die neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung (NEPAD) wirklich so erfolgversprechend? Macht Entwicklungshilfe, gar eine Erhöhung, wirklich Sinn, solange es selbstherrliche und korrupte Eliten gibt, die Entwicklung verhindern? Behindert Geld nicht Eigenanstrengungen? Alimentiert es (wenn auch ungewollt) nicht Diktatoren?
Seit einiger Zeit tauchen Stimmen auf, die solche Fragen stellen und für Zurückhaltung oder weniger Entwicklungshilfe plädieren. Soweit sie sich nicht hinter vorgehaltener Hand, sondern öffentlich äußern, findet man diese Stimmen eher außerhalb der entwicklungspolitischen Zeitschriften: in Tageszeitungen und außenpolitischen Magazinen. Es sind Auslandskorrespondenten wie Kurt Pelda (Wie Afrika durch Geld gelähmt wird, NZZ 9/10.Juli 2005), Wissenschaftler wie Stephen Ellis (How to rebuild Africa, Foreign Affairs September/Oktober 2005), Praktiker wie Robert Calderisi (s.S.10), Berater wie Thomas Dichter (Give Less Aid a Chance, South Africa Institute of International Relations, 17.5.2005), und Afrikaner wie der ugandische Redakteur Andrew Mwenda (Bitte helft uns nicht!, SZ vom 7.7.2005 und Foreign aid sabotages reform, IHT vom 8.3.2005) und der kenianische NGO-Vertreter James Shikwati (Fehlentwicklungshilfe, Internationale Politik April 2006). Wie wäre es, mit ihnen öffentlich zu diskutieren und zu streiten statt wie bei entwicklungspolitischen Veranstaltungen so oft unter sich zu bleiben. Keiner dieser Herren ist per se gegen Hilfe. Zum Bild Afrikas tragen auch Redakteure etwas bei, die ein Heft planen, Themen aufgreifen, Autoren beauftragen. Diese Redaktion und diese Zeitschrift sind Afrika in besonderer Weise verbunden. Was hat sie in den letzten drei Monaten bewegt, wie sieht ihr Tintenklecks, ihr Afrika aus? Sie hat sich gefreut zu lesen, dass in Monrovia, Liberia, Straßenlaternen angezündet wurden, auch wenn gleich der nächste Bericht ins Haus flatterte, der von der nächtlichen Unsicherheit in der Stadt berichtete. Sie war erleichtert, dass die Wahlen im Kongo einigermaßen ordentlich und bisher friedlich verlaufen sind und sie hat mit Freude gehört, dass im Norden Ugandas ein Verhandlungsfrieden in greifbare Nähe gerückt ist und hoffentlich nie wieder Kinder zu grausamen Kriegsdiensten gepresst werden.
Und doch war eher unerfreulich, was auf den Schreibtischen landete und zu bearbeiten war: Eritrea, dessen Befreiungsbewegungen einst manche Europäer von einer besseren Gesellschaft träumen ließen, hat sich zum Alptraum entwickelt, über den heute lieber geschwiegen wird. Ein zunehmend totalitäres Regime, das auch für seine Nachbarn zur Bedrohung wird, weil es um jeden Preis Äthiopien schaden will. In Äthiopien wiederum ist deutlich geworden, dass auch mit viel Vorschusslorbeeren und Geld bedachte "neue Führer" ganz schnell zu alten Mitteln greifen, wenn das Volk anders wählt, als sie es wünschen.
In Eritrea wie Äthiopien scheint von den gesellschaftspolitischen Diskussionen der Vergangenheit nur das Sendungsbewusstsein und die Selbstüberschätzung geblieben zu sein, für immer an der Macht zu bleiben zu wollen. Dass aus Befreiungsbewegungen hervorgegangene Regierungen ihre Legitimation aus der Vergangenheit und nicht aus einem demokratischen Wettbewerb beziehen, zeigt sich auch in Südafrika: die Regenbogennation Nelson Mandelas kämpft mit einer moralischen Krise: Gewalt, einer von Richtungs- und Machtkämpfen geschüttelten Regierungsallianz, einer als gemeingefährlich angesehenen Gesundheitsministerin, einer im Konsumrausch lebenden black spending class, die nicht mit einer für die Demokratie und die Wirtschaft so wichtigen Mittelklasse verwechselt werden sollte.
Und dann Darfur. Der für die sudanesische Regierung und die internationale Gemeinschaft so vernichtende Artikel von Gérard Prunier (Seite 26) war schon deprimierend genug. Seither hat sich die Lage in dem Gebiet, ohnehin nach Einschätzung der Vereinten Nationen (UN) die derzeit schlimmste humanitäre Katastrophe der Welt, weiter verschlechtert. Es sind neue Fraktionen und Fronten entstanden, die Not leidenden Menschen können zum Teil nicht mehr versorgt werden, zwölf humanitäre Helfer sind ermordet worden. Die sudanesische Regierung hat der weitgehend ineffektiven Friedensmission der Afrikanischen Union (AU) ein brutales Ultimatum gestellt, sie soll nur noch zu von Khartum diktierten Bedingungen bleiben können, die jede Kooperation mit der vom Sicherheitsrat am 31. August beschlossenen UN-Friedenstruppe ausschließt. Und die lehnt das Regime von Omar Hassan al-Bashir kategorisch ab, bezeichnet sie als "Verschwörung zur Rekolonisierung des Sudan". Mehr noch: Das Regime tönt, dass eine Konfrontation tausendmal besser sei und hat bereits damit begonnen, seine eigene gewaltsame "Lösung" mit Bombenabwürfen durchzusetzen. In ungewöhnlich starken, fast verzweifelten Worten hat UN-Generalsekretär Kofi Annan am 11. September an den Sicherheitsrat appelliert, etwas gegen die sich abzeichnende Katastrophe zu tun, die schon jetzt als Völkermord bezeichnet wird. Die dreisten Herren von Khartum können es sich leisten, die Weltgemeinschaft zu verhöhnen, weil sie sich auf die Duldung von Russland (liefert Waffen) und China (kauft Öl) verlassen können.
In Deutschland herrscht Schweigen, wie Kerstin Müller, die als damalige Staatsministerin im Auswärtigen Amt mit den Khartumer Tätern zu tun hatte, vor dem Bundestag beklagt hat. Im täglich von vielen Anliegen überschwemmten Email-Eingang der Redaktion kommen nur vereinzelte Erklärungen an, von der Deutschen Welthungerhilfe, der Gesellschaft für bedrohte Völker, dem Ökumenischen Rat der Kirchen.
Was lehrt uns Darfur über afrikanische Herrscher, über die gern beschworene internationale Gemeinschaft und über uns selbst?
aus: der überblick 03/2006, Seite 4
AUTOR(EN):
Renate Wilke-Launer