Aids-Prävention
Seit etwa zehn Jahren wird im Rahmen des Kampfes gegen HIV/AIDS heftig über Jungfräulichkeitstests gestritten. Zwei südafrikanische Frauen, Nomagugu Ngobese und Andile Gumede hatten 1994 gemeinsam das jährliche Nomkhubulwana-Festival wieder belebt. Nomagugu Ngobese hatte an der Universität von Kwa Zulu/Natal eine Forschungsarbeit über das Festival geschrieben, in dessen Rahmen Jungfräulichkeitstest durchgeführt wurden, da nur Jungfrauen an dem ganzen Festival teilnehmen durften.
von Sandra Neumann
Die Jungfräulichkeit wurde einst entweder von den Müttern und Großmüttern oder von einer vom chief beauftragten Person in dessen homestead attestiert. War ein Mädchen Jungfrau, war der Brautpreis um eine Kuh höher als Anerkennung der Fürsorge und Aufsicht der Mutter.
Wie Nomagugu Ngobese hat auch Andile Gumede eine akademische Ausbildung. Beide Frauen sind als Heilerinnen (sangomas) tätig und bedienen sich gleichzeitig moderner Medien und Organisationsformen. Ngobese ist Gründerin und Vorsitzende der Nomkhubulwane Culture and Youth Development Organisation und hat am Sonntag morgen eine eigene Talkshow auf Radio Ukhozi FM. Nomagugu Ngobese und Andile Gumede berufen sich jeweils auf einen Traum, in dem ihnen nahegelegt wurde, Jungfräulichkeitstests durchzuführen. Sie wollten damit die voreheliche Keuschheit von Mädchen fördern und der Jungfräulichkeit wieder zu der symbolischen Bedeutung zu verhelfen, die sie früher einmal hatte. Gleichzeitig sollte dieses Ritual benutzt werden, um der Geißel HIV/AIDS zu begegnen.
In den ersten drei Jahren nach diesem Traum will Frau Ngobese allein 10 000 Mädchen untersucht haben. Frau Gumede soll in den ersten Jahren 65 000 Inspektionen organisiert haben. Inzwischen hat die Idee zahlreiche Anhänger gefunden und Tests finden sowohl in der dreitägigen großen Veranstaltung in Bulwer zur Ehre von Nomkhubulwana, der Regengöttin, als auch dezentral monatlich an vielen Orten statt: in Gemeindesälen, Sportstätten oder im »Busch«. Dabei laufen die Zeremonien meist ähnlich ab. Eine Gruppe junger Frauen stellt sich in einer Reihe auf. Dann legen sie sich rücklings auf Gras- bzw. Bambusmatten oder Decken, die nebeneinander auf dem Boden liegen. Mit der Hand untersucht eine »Inspektorin« die Genitalien der Mädchen und fällt ihr Urteil. Da die Inspektorinnen manchmal keine adäquate Ausbildung haben, nicht immer einer Meinung sind und um Kundschaft und Ansehen wetteifern, kann es sein, dass manche Mädchen mehrfach getestet werden.
Für die »durchgefallenen« jungen Mädchen kann das Urteil schwerwiegende Folgen haben. Sie werden gleich im Anschluss zur Seite genommen und danach befragt, wer sie entjungfert habe und ob es mit ihrer Einwilligung geschah. Während diejenigen, die den Test bestehen, mit einem schriftlichen Zertifikat und weißer Tonfarbe auf der Stirn ausgezeichnet werden, bleiben die »unreinen« Teilnehmerinnen mit dem Stigma des moralischen Makels behaftet. Sozialarbeiterinnen berichten, dass diese Mädchen große Schwierigkeiten in ihren Familien bekamen und schwer zu verheiraten waren. Manche sollen schließlich in der Prostitution Zuflucht gesucht haben. Auch wurde von einzelnen Fällen von Vergewaltigung durch Männer berichtet, die gezielt eine ausgewiesene Jungfrau angegriffen hatten, weil sie sich einbilden, dadurch von AIDS kuriert zu werden.
Als Reaktion auf die entsprechende Kritik und in Kenntnis der Möglichkeit von Fehlbeurteilungen wird inzwischen teilweise diskreter verfahren. Mit der Verwendung von Latexhandschuhen wird versucht, die Ansteckungsgefahr bei der Untersuchung zu mildern.
In der Diskussion um das Wiederaufleben der Jungfräulichkeitstests vermischen sich verschiedene Argumentationsstränge: von der Wiederbelebung traditioneller Verhaltensweisen als Zeichen kulturellen Stolzes über die Beziehung zwischen den Generationen und das Verständnis von Geschlechterrollen bis hin zur Bekämpfung von HIV/ AIDS. Zu den Befürwortern der »Jungfräulichkeitsbewegung« gehören auch christliche Kirchen, deren Verständnis von Sexualität diese Zulu-Tradition entgegenkommt.
Die Gegner und Gegnerinnen der Jungfräulichkeitstests in der Menschenrechtskommission (Human Rights Commission) und der Kommission für Geschlechtergleichheit (Commission on Gender Equality) argumentieren, dass nicht alle Mädchen freiwillig an diesen Tests teilnähmen, das Recht auf Privatheit und Kontrolle über den eigenen Körper verletzt werde und allein die Frauen dafür Sorge tragen müssten, dass unerwünschte sexuelle Erlebnisse vermieden werden. Wenn aber die Verantwortung für die sexuelle Abstinenz einseitig den Mädchen zugeschrieben werde, liege es nahe, dass die Verbreitung von AIDS ebenfalls nur auf das nachlässige Sexualverhalten von Frauen zurückgeführt werde.
Männer, so die landläufige Vorstellung und auch von den Befürwortern der Tests vertretene Meinung, könnten ihren Sexualtrieb nicht kontrollieren, man könne sie nur durch das »Nein« der jungen Frauen vom Geschlechtsverkehr abhalten. Ein Vertreter der Gesundheitsbehörden wandte sich bei einer Nomkhubulwana-Zeremonie mit folgenden Worte an die Mädchen: »Jungs können nicht aufhören, Euch anzumachen Ihr müßt deshalb standhaft sein. Schaut Ihnen direkt ins Gesicht und sagt, dass Ihr das nicht wollt.«
Obwohl die südafrikanische Regierung Jungfräulichkeitstest nicht offiziell propagiert, werden diese von hochrangigen Staatsfunktionären unterstützt. Vizepräsident Jacob Zuma etwa hat sich als »Vater und Mitglied der Gesellschaft« für die Bewegung stark gemacht, als er im September letzten Jahres die Mädchen seines Landes zum Jungfräulichkeitstest aufforderte. Auf diese Weise könnten Teenager-Schwangerschaften und die Weiterverbreitung von HIV/AIDS vermieden werden.
Aus dieser wiederbelebten Tradition ist inzwischen eine über die Zulu hinausgehende Bewegung entstanden, die nicht nur in Südafrika, sondern auch in Simbabwe und Swasiland zahlreiche Dorfgemeinschaften und städtische Wohngebiete erreicht hat. In Simbabwe hat das auch Kritik hervorgerufen. Dort setzt sich vor allem das Zimbabwe Women´s Rights Centre Network (ZWRCN) gegen die Durchführung solcher Tests ein, nicht nur um die Teilnehmerinnen vor den entwürdigenden Zeremonien zu bewahren, sondern auch um eine Gleichbehandlung von Mann und Frau zu erkämpfen.
Literatur:
aus: der überblick 02/2005, Seite 36
AUTOR(EN):
Sandra Neumann
Sandra Neumann ist Politikwissenschaftlerin und war Hospitantin bei "der überblick".