Eine afrikanische Klage
Weiße haben seit dem Römischen Reich in Afrika gewohnt und sich mit dem Kontinent identifiziert. Die wenigen, die dort gelebt haben, haben im Guten wie im Schlechten großen Einfluss auf den Kontinent genommen. Was bedeutet es, wenn immer mehr Weiße Afrika verlassen? Und was hält die, die bleiben?
von Richard William Johnson
Karen Blixen beginnt ihren Roman "Jenseits von Afrika" so: "Ich hatte eine Farm in Afrika am Fuße der Ngongberge. Hundert Meilen nördlicher lief der Äquator durchs Hochland... Die Ngongberge ziehen sich als langer Kamm von Nordwesten nach Südosten und sind von vier stolzen Gipfeln gekrönt." Für Karen und andere Weiße, die dort gelebt haben, war die Höhe von mehr als 2000 Metern und die kühle Luft die Hauptsache. "Es atmet sich leicht in der hohen Luft, man saugt Lebensgewissheit und Unbeschwertheit der Seele in sich. Im Hochland erwacht man in der Frühe und weiß: Hier bin ich, wo ich sein sollte."
Während ich diese Zeilen schreibe, blicke auch ich auf die vier Gipfel der Ngongberge. Ich bin am äußeren Rand von Nairobi, im Stadtteil Karen (benannt nach Frau Blixen) auf einem dem ihren benachbarten Anwesen und habe heute ihr Haus besichtigt. Es ist gut erhalten - wesentlich dank der dänischen Regierung, die den Besitz gekauft und dem kenianischen Volk zur Unabhängigkeit geschenkt hat. Das wunderschöne Stück Land, das dazu gehört - zu Blixens Zeit eine Kaffeeplantage von über 2400 Hektar -, verströmt den Geruch eines frisch gemähten Cricketfeldes. Es ist ein zauberhafter Ort; die Möbel wie sie waren, Fotos von der lächelnden, attraktiven Karen mit ihren zahlreichen (ebenfalls lächelnden) schwarzen Bediensteten. Aber man muss sich auch in Erinnerung rufen, dass Karen Blixen trotz ihrer zuversichtlichen Aussage: "Hier bin ich, wo ich sein sollte", im Jahre 1931 Afrika verlassen und in den folgenden 31 Lebensjahren nie wieder einen Fuß auf den Kontinent gesetzt hat. Von daher mutet es doch merkwürdig an, wenn ihr Buch und ihr Leben als zentrales Stück des authentischen Afrikas gefeiert werden. Ein Laden in der Nähe zeigt ein augenfälliges Foto von Meryl Streep während der Filmaufnahmen zu "Jenseits von Afrika" und vermittelt so beinahe den Eindruck, als sei Karen Blixens eigentliche Leistung, dass Robert Redford und Frau Streep lange nach ihrem Tod in einem Film über sie zu sehen waren.
Wenn man in Karen herumfährt, erzählen die Namensschilder an den Eingangstoren die Geschichte der Besitzungen - Harney, Griffiths, Koch, Bulloch, Mbwa Kali, Pelizzioli, Dobie, Fryer, Ballantyne Evans, Cross - die Häuser selbst sieht man nicht. Denn die Anwesen hier sind alle mehrere Hektar groß und haben lange Auffahrten mit großen Bäumen und dichten vielfarbigen Büschen. Die Zufahrt zu dem Haus hoch zu fahren, in dem ich derzeit wohne, ist, als führe man geradewegs ins Paradies: Sobald man von der Straße abbiegt, hat man überall blaue, violette, rote und orangefarbene Blüten und hohen wogenden Bambus vor sich; der beinahe narkotisierende Geruch der Büsche ist überwältigend.
Aber auch hier liegt über allem mehr als nur ein Hauch von Trauer. "Jede Menge Leute sind dabei, das Land zu verlassen", erzählt man mir, eine Tatsache, die der Wald von Schildern mit der Aufschrift "zu verkaufen" bestätigt. "Nicht nur Weiße und Asiaten, sondern auch viele hoch qualifizierte Schwarze. Manche der Schwarzen gehen nach Südafrika, im übrigen aber auch an dieselben Orte, wohin die anderen gehen, etwa in die USA, nach Kanada oder Großbritannien. Sie haben Kenia einfach aufgegeben." Man kann sich vorstellen, warum.
Die Machtübernahme der reformorientierten Kibaki-Regierung war das ermutigendste Ereignis seit Jahrzehnten. Aber die Probleme sind so groß und die Naivität der Regierung so offensichtlich, dass man kaum glauben kann, dass sie in der Lage sein wird, schnell mit der organisierten Kriminalität und den Bürgerwehren, mit den allgegenwärtigen Stromausfällen, den Schlaglöchern, den schwindenden staatlichen Leistungen, den schwindelerregend hohen Preisen, den Aidswaisen auf den Straßen, dem Verkauf von Kleinkindern, über den man im East African Standard liest, und mit allem übrigen aufzuräumen.
Ich habe einen Großteil der letzten drei Jahre in Simbabwe verbracht und das starke Gefühl eines déjà-vus - das, was in Kenia passiert, schon einmal erlebt zu haben. Wenn auch nicht voll und ganz: Denn bei der Simbabwe-Krise handelt sich um den tödlichen Wahnwitz der Befreiungsbewegung, darum dass Mugabe lieber die Pfeiler des ganzen Gebäudes einreißt, als dass ihn seine alten Feinde, die Weißen, überleben. Schlimmer noch, Mugabe versucht, die Hälfte oder mehr derjenigen Einwohner Simbabwes absichtlich auszuhungern, welche die Opposition gegen ihn unterstützt haben. Nichts auch nur entfernt Vergleichbares erklärt die verzweiflungsvolle Emigration in Kenia. Die einzige Gemeinsamkeit und vielleicht das einzige, worauf es ankommt, ist, dass beide Länder viel zu lange eine afrikanische Elite an der Macht geduldet haben, deren Machtgenuss und Kleptomanie keinerlei rechtliche Grenzen, keinen Patriotismus oder auch nur rationales Verhalten kannten.
Ich muss an ein mir bekanntes weißes Ehepaar aus Simbabwe denken, an ihr Haus in Harare, ein wunderschöner Zufluchtsort, an dem ich nicht ohne ein aufsteigendes warmes Gefühl vorübergehen kann. Als junger Rechtsanwalt hat Morris seine Kanzlei am Kap verlassen, nachdem ein als weiß klassifizierter Mandant zum Farbigen zurückgestuft worden war. Morris hatte sich daran gemacht, die Entscheidung anzufechten. Aber der Mandant, dessen Ehe aufgrund dieses alles verändernden Eingriffs zu Bruch ging, der seine Kinder in schlechtere Schulen ummelden musste und der sich gezwungen sah, in einen Slum zu ziehen, erhängte sich. Für Morris und seine Frau Sandra, beide atheistische Juden, war diese Geschichte vergleichbar mit dem Rassismus im Hitler-Deutschland. Deshalb zogen sie in den Süden des liberaleren Rhodesien (wie Simbabwe damals hieß). Morris wurde ein führender Anwalt; Sandra widmete sich der Menschenrechtsarbeit und später der Hilfe für Aidskranke.
Schließlich, als Mugabe das Land zugrunde richtete, habe ich ihnen beim Packen für ihre Ausreise nach Sydney geholfen. Das Haus, so schön es auch war, war natürlich unverkäuflich. Das Leben in Sydney würde viel ärmer werden, sogar schrecklich eingeschränkt, aber wenigstens kalkulierbar - es würde eine funktionierende Stromversorgung geben, Läden mit Lebensmitteln, die Gewissheit, dass Ärzte und Zahnärzte erreichbar wären, und sogar die Aussicht, dass die Kinder und Enkel eines Tages dort wieder mit ihnen zusammenkämen. Australien wäre ein Land, dessen Pfeiler nicht einstürzten. Darüber, weniger über Gefühle der Bitterkeit, sprachen sie, als sie packten, um das Land zu verlassen, das sie liebten und nie hatten verlassen wollen. Ich erinnere mich, dass ich eines Abends, nachdem ich ihnen packen geholfen hatte, in einem Schlafzimmer voller Kisten lag und dachte: Vielleicht werden alle Weißen, die lange genug in Afrika bleiben, das Land einmal als Flüchtlinge verlassen.
Manchmal erweist sich der Wegzug als schrecklicher Fehler. Akademiker in ihren Fünfzigern lassen sich frühpensionieren, verkaufen ihr Haus in Durban oder Johannesburg für beklagenswert niedrige Summen in harter Währung und geben ein angenehmes, wenn nicht sogar aufregendes Leben auf, um hoffnungsvoll nach Toronto oder Auckland aufzubrechen, wo sie sich dann vergeblich um Arbeitsplätze als Lehrer oder Nachtredakteure bemühen und ihr winziges Kapital mit den hohen Mieten für ihre kombinierten Wohnschlafzimmer davonfließen sehen. Einer der besseren Philosophen, den ich in Südafrika kannte, endete, ohne dass ihm seine Zenstudien genützt hätten, als Wartungsarbeiter für Motorräder in Wisconsin. Bedeutungsvolle Lebensläufe verlieren ihre Farbe und ihren Zusammenhang.
Zu viele Weiße haben sich in Afrika zu übel aufgeführt, als dass ihre Emigration viel Mitleid erregen würde. Trotzdem ist das nicht der springende Punkt; der liegt vielmehr darin, dass Afrika jedes Jahr tiefer in die Krise gerät. Wenn es je die Talsohle dieser Krise durchschreiten, wenn Afrika sich je erholen sollte, wird es alle nur auffindbaren Menschen mit guter Ausbildung dringend nötig haben, die bereit sind, hart zu arbeiten, und eine menschenfreundliche Einstellung haben. Länder, die Menschen wie Morris und Sandra vertreiben, machen sich selbst den Gar aus.
Viele hoch qualifizierte Arbeitskräfte, die heute Afrika verlassen, sind Asiaten und Afrikaner, aber oft auch Weiße. Viele schwarze Professionals sind von Weißen wie Morris und Sandra überhaupt erst auf den Weg gebracht worden; sie haben innovative liberale Impulse gegeben, waren der erste Antrieb, das Modell, an dem man sich orientierte. Das ist - weit mehr als ihre Hautfarbe -, was ihren Auszug so bedeutsam und traurig macht.
Aber es gibt durchaus auch den Aspekt "Rasse": Wenn man junge Weiße fragt, warum sie Südafrika verlassen, dann sprechen sie oft von affirmative action (der gezielten Bevorzugung von Schwarzen), eine Antwort, die Asiaten weit weniger und Afrikaner nie geben würden. Wenn man normalerweise von affirmative action spricht, denkt man an die unterprivilegierten Minderheiten in den USA oder in Großbritannien. Es fällt gar nicht auf, dass in Südafrika affirmative action zugunsten einer überwältigenden Mehrheit die Diskriminierung der gebildeteren Minderheit bedeutet - also etwas ganz anderes.
Natürlich gab es zu bestimmten Zeiten bestimmte Gruppen von Weißen, die sich hier ganz und gar verwurzelt fühlten, so dass sie meinten, nirgendwo anders leben zu können, ganz besonders die Buren. Aber man darf nicht vergessen, dass etwa auch Albert Camus und über eine Million anderer Weißer sich in Algerien ebenso verwurzelt gefühlt haben. Heute sind sie alle fort; und Afrikaans-Sprecher emigrieren jetzt genauso leicht aus Südafrika wie Anglophone.
Man hatte immer gehofft, dass mit dem Einzug der Demokratie auch die südafrikanische Diaspora aus dem Ausland zurückkehren würde. Denn schließlich hatte das Land während der Apartheid nach und nach viele Talente verloren. Tatsächlich ist aber nicht einmal ein Zehntel der weißen Emigranten zurückgekehrt. Ich selbst war einer der wenigen weißen Rückkehrer aus der Diaspora. Viele derjenigen, die zurückgekommen sind, sind allerdings nicht lange geblieben. Jedermann hatte die Demokratie begrüßt, aber niemand konnte die immens gestiegene Kriminalität, die Diskriminierung der Weißen, Asiaten und Farbigen auf dem Arbeitsmarkt und die Geschwindigkeit gut heißen, mit der Mandelas Rhetorik der nationalen Versöhnung Mbekis schwarzem Nationalismus Platz machte.
Eine Flut junger Weißer ging ins Ausland - allein 300.000 sollen in London sein - und der Exodus hält an. Hauptsächlich die älteren Jahrgänge bleiben, so dass die natürliche Sterblichkeit in den nächsten ein, zwei Jahrzehnten die weiße Bevölkerung stark schrumpfen lassen wird. Bei Theater- oder Konzertbesuchen in Südafrika sieht man ein Meer grauer und weißer Haare im immer noch überwiegend weißen Publikum. Das erlaubt, den Kollaps der Einrichtungen der Hochkultur, die bisher überlebt haben, mit einiger Sicherheit vorauszusagen. In den Universitäten bekommen Leute Assistenzprofessorenstellen und werden auf Lehrstühle oder Vizepräsidentenposten berufen, die es früher aufgrund ihrer Qualifikation nicht einmal auf die Berufungslisten geschafft hätten. Meine Heimatstadt Durban rühmt sich zweier Universitäten. Der Vizepräsident der einen ist ein Mann, der sich kürzlich damit brüstete, wie er sich jeden Morgen überall mit Löwenfett einreibe, um gegen seine Gegner gewappnet zu sein. Der andere leitet heute die Institution, von der er früher wegen Examensbetrugs ausgeschlossen worden war.
Ist schon der Zusammenbruch der Standards und der Kultureinrichtungen oder, in einem viel umfassenderen Sinne die Tatsache, dass Südafrika letztlich das Scheitern seines immerhin 350 Jahre währenden Kolonialismus erdulden musste, unsagbar schrecklich und traurig, um wie viel schlimmer ist dann die Gewissheit, dass die euphorisch umjubelte Entstehung des neuen Südafrika den Niedergang kaum überstehen kann. Wie kann ein Land zum Erfolg geführt werden, wenn seine Orchester, Theater, Museen, Zeitungen, Universitäten zusammenbrechen oder eine katastrophale Absenkung der Standards erleiden? Die Regierung glaubt offenbar, sie könne durch bloße Verwaltungsanordnung eine neue Intelligenzija hervorbringen, die alle diese Einrichtungen betreibt. Tatsächlich erreicht sie aber nur den immer schnelleren Verfall all dessen, was sie anrührt. Es gibt Zeiten, da ist das Gefühl des "Wartens auf die Barbaren" - um den Titel eines Buches von J. M. Coetzee zu borgen - einfach überwältigend.
Das bringt mich auf John Maxwell Coetzee, Südafrikas größten literarischen Sohn, der den Literaturnobelpreis des Jahres 2003 gewann. In seinem Roman "Disgrace" (auf deutsch unter dem Titel "Schande" erschienen) offenbart er seine Sicht auf die neue political correctness (den neuen politisch korrekten Sprachgebrauch und Umgang), die sich als Tod zu Lebzeiten auswirkt. Sein Anti-Held beginnt, wie Coetzee selbst, als Hochschullehrer für englische Literatur in Kapstadt. Er unterhält zu einer farbigen Prostituierten eine regelmäßige Beziehung, welche ihm durchaus fair erscheint: Er gibt ihr Geld - sie gibt ihm Sex..., bis er sie eines Tages gequält und erschöpft mit ihrer jungen Familie sieht. Danach rutscht er in eine Affäre mit einer jungen Studentin. Auch diese erscheint ihm ziemlich fair, eine beiderseits freiwillige Beziehung. Aber dann muss er sich verantworten: Er hat, wie viele südafrikanische Weiße zu allen Zeiten, scheinbar gleichberechtigte Abmachungen mit Menschen getroffen, die tatsächlich aber nicht nur von Natur aus schwächer sind als er, sondern sogar, wie im Falle der Studentin, seiner Fürsorge anvertraut sind. Ihm wird mitgeteilt, dass der einzige Ausweg ein Geständnis ist, für ihn eine absolute Erniedrigung. Er lehnt ab und gibt starrköpfig auch keine andere Erklärung - er wird sich nicht demütigen. Damit wird er ins gesellschaftliche Abseits gestoßen, in die vollständige Schande.
Bezeichnenderweise arbeitet der Anti-Held an einem Projekt der Hochkultur, das in der hochgezüchteten eurozentrischen Geisteswelt verankert ist. In fast allen seinen wachen Stunden beschäftigt ihn das Projekt, aber es führt zu nichts. Wie alle diese Projekte ist es auf afrikanischem Boden deplaciert und scheitert. Er zieht zu seiner Tochter auf eine Farm am östlichen Kap. Sie wird von einer Gruppe vorüberziehender Afrikaner vergewaltigt. Sie wird schwanger und beschließt, das Kind auszutragen. Darüber zu klagen lehnt sie ab: Dies sei der Preis fürs Bleiben - wenn man weiß ist. Er ist völlig entsetzt, aber zu nichts weiter fähig, als auf triviale, ausweglose Weise zu trösten: einsame Frauen - oder mit einem anderen sprechenden Bild: tote Hunde, deren Kadaver nur noch so arrangiert werden müssen, dass sie umstandslos in den Verbrennungsofen rutschen.
Wenn man weiß ist, bleibt einem keine positive, aktive Rolle. Entweder man passt sich der Unvernunft an oder man verbringt sein Leben auf dem Abstellgleis. Dazu verurteilt einen die schändliche Geschichte der eigenen Art. Vielleicht ist das fair, vielleicht auch nicht, aber so liegen die Dinge.
Anfangs besteht die moralische Dissonanz in "Disgrace" lediglich darin, dass das Sex-für-Geld-Geschäft des Hochschullehrers mit der Prostituierten nicht wirklich fair ist, dann in seiner Affäre mit der Studentin, die paradoxer Weise behandelt wird, als sei sie ernster. Seine eigentliche Schlagkraft bezieht der Roman aber aus der weit stärkeren Diskrepanz zwischen der Gruppenvergewaltigung und deren Hinnahme durch die Tochter. Für "Disgrace" erhielt Coetzee seinen zweiten Booker-Preis und viele andere Auszeichnungen. Das Buch verkaufte sich gut in Südafrika, aber sein Gegenstand machte ihn zur Unperson in der feinen Gesellschaft. Er wurde von Südafrikas Preisverleihern ignoriert, die drittklassige, aber politisch korrekte Arbeiten vorzogen.
Dabei könnte man die Sache bewenden lassen, wäre da nicht noch die Tatsache, dass der junge Thabo Mbeki in den sechziger Jahren durch den engen Umgang mit marxistischen Literaten der Universität von Sussex gelernt hat, wie gut sich Literaturzitate als Einleitung für einen Vortrag machen. Diese Eigenheit nutzt er in buchstäblich jeder Rede als Präsident, was ihm in den Kreisen der Regierungspartei African National Congress (ANC), wo solches zur Schau Stellen sonst unbekannt ist, den Ruf eines Intellektuellen eingebracht hat.
Überdies hat der ANC im Jahr 2000 entschieden, die abweichlerische liberale Presse durch inquisitorische Anhörungen vor der Menschenrechtskommission zum Thema "Rassismus in den Medien" zur Räson zu bringen. Der glücklose ANC-Minister Jeff Radebe wurde dazu ausersehen, die ANC-Hetzrede gegen den "unterschwelligen Rassismus" vorzutragen. Was herauskam war eine ätzende Denunzierung von "Disgrace", die offen erkennbar Mbeki selbst verfasst hatte. Tatsächlich gelang es einer Zeitung, das Dokument bis zu Mbekis Computer zurückzuverfolgen. Wie die Aidsdebatte gezeigt hat, empfindet Mbeki ganz besondere Wut über das Bild (das nach seiner Meinung auch vielen Diskussionen über HIV/Aids zugrunde liegt) von schwarzen Männern als sexuell unverantwortlichen "Krankheitsüberträgern". Da musste ihn die Beschreibung einer Gruppenvergewaltigung durch schwarze Männer geradezu zu Wutausbrüchen treiben.
"Disgrace" wurde auf diese Weise von der herrschenden Partei - und ziemlich eindeutig vom Präsidenten selbst - als Inbegriff des weißen Rassismus zerrissen. Coetzee, der öffentliche Stellungnahmen immer vermieden hat, sagte nichts dazu, aber es überraschte auch nicht, als ein paar Monate später die Nachricht von seiner Emigration bekannt wurde. Auch diesmal lehnte er in gewohnter Weise eine Erklärung ab und verwies darauf, dass jede Emigration Privatsache sei; manchmal verstehe man ihre wahre Bedeutung erst später. Dass kein Wort des Protestes oder gar des Bedauerns über diese Behandlung des größten Schriftstellers des Landes laut wurde, ist ein gutes Indiz dafür, wie ängstlich und ideologisch eingeschüchtert die südafrikanische Intelligenzija inzwischen ist.
Letztes Jahr habe ich diese Abfolge von Ereignissen in einer Kolumne aufgezeigt, die ich regelmäßig für eine Johannesburger Zeitung schreibe. Das Ergebnis war die vorhersagbar wütende Antwort eines Sprechers des Präsidenten, der Mbekis Autorschaft an der ursprünglichen Denunziation Coetzees in Abrede stellte und behauptete, Coetzee selbst habe gesagt, er verlasse das Land nicht aus den von mir angeführten Gründen. Beide Behauptungen waren unwahr: Coetzee hat jede Erklärung abgelehnt und Mbeki war als Vorsitzender des ANC eindeutig verantwortlich für dessen Äußerungen zu so grundlegenden Themen wie der Pressefreiheit. Außerdem war das zweite Statement gespickt mit literarischen Anspielungen - diesmal zu Mary Shelley und "Frankenstein". Wahrscheinlich hat Mbeki es geschrieben und dann einem Regierungssprecher zur Veröffentlichung gegeben.
So sehr ich "Disgrace" bewundere, seine Botschaft ist sicherlich falsch. Davon ausgehend, dass die Doktrin der Kollektivschuld Unsinn ist, sollten sich Weiße in Afrika nur schuldig fühlen, wenn sie im Einzelfall dazu Veranlassung haben. Weiterhin glaube ich nicht, dass für Leute wie mich nur die Wahl bleibt, tote Hunde so zurecht zu biegen, dass sie hübsch und einfach in den Verbrennungsofen passen. Weiße haben seit der Zeit der Römer in Afrika gelebt. Nie mehr als eine winzige Minderheit, haben sie außerordentliche Leistungen vollbracht - und ebenso große Verbrechen begangen. Wenn Afrika sich selbst aus seiner jetzigen Krise befreien soll, wird es jede Hilfe brauchen, die es bekommen kann, und ganz gewiss auch die Hilfe der Weißen.
All das muss bereits zu Karen Blixens Zeit ganz offensichtlich gewesen sein. Was seither passiert ist, waren die großen Mau-Mau-Aufstände, der Aufstieg und jetzt der Fall des afrikanischen Nationalismus. Selbst Kenianer verweisen abwertend auf die Gruppe, die in den sechziger Jahren die Macht übernahm, als "Nationalisten". Denn der Nationalismus erwies sich im wesentlichen als Deckmantel für Diebstahl. Erst Kenyatta und dann Moi, im Verein mit den meisten ihrer Minister, haben ihre Ämter benutzt, um enormen Reichtum zu erwerben. Ihr Beispiel durchdrang unvermeidlich nach und nach alle Lebensbereiche. Das Ergebnis ist die ökonomische, ökologische und moralische Auszehrung des Landes.
Die gleiche Geschichte wiederholte sich überall in Afrika. Die nationalistische Entschlossenheit, die Asiaten und Weißen los zu werden, ist wesentlicher Grund für diese irrationalen Krämpfe. Was sie so irrational macht, ist, dass diesen Nationalisten jeder Patriotismus fehlt. Hätten Kenyatta oder Moi Kenia wirklich aufbauen wollen, so hätten sie die alles durchdringende Kultur der Korruption nicht noch ermutigt. Moi ist inzwischen erklärtermaßen der zehntreichste Mann der Welt, während Kenias Krankenhäuser, Schulen und seine Infrastruktur in Scherben liegen: überall wurde der natürliche nationale Reichtum ausgeplündert. Mugabe hat Simbabwes Bruttosozialprodukt in drei Jahren um 30 Prozent reduziert und lässt die Hälfte seiner Landsleute buchstäblich verhungern - Maßnahmen, die im Namen des gleichen befremdlichen Nationalismus gerechtfertigt werden, der keinerlei Rücksicht auf nationale Interessen kennt.
Das gleiche gilt für Mbeki. Wäre er wirklich um Südafrikas nationale Interessen besorgt, würde er nicht die Universitäten zerstören oder die Besten und Intelligentesten zu Tausenden ins Ausland treiben. Auch würde er nicht beharrlich Mugabe und seinen Genozid als "progressiv" beklatschen. Solche afrikanischen Nationalisten - mögen sie ihre Taten noch so sehr mit den universellen Begriffen "Gerechtigkeit" und "Entwicklung" verteidigen - leben Psychodramen von Rache und Selbsterhöhung aus, deren Wurzeln mehr in dem beschädigten kolonialen Ego liegen, das Fanon beschreibt, als in irgendeiner rationalen Rücksicht auf die nationalen Bedürfnisse. Vidiadhar Surajprasad Naipaul hat das alles vor langer Zeit in "A Bend in the River" (auf deutsch unter dem Titel "An der Biegung des großen Flusses" erschienen) gesagt.
Viele der Weißen und Asiaten, die weiterhin in Afrika bleiben, tun dies, weil sie glauben, dass diese ungeheuren, irrationalen Zuckungen doch eines Tages vorbei sein müssen, und zwar noch zu ihren Lebzeiten. Aber viele haben diese Wette bereits verloren. Morris und Sandra haben während der achtziger und neunziger Jahre in Simbabwe durchgehalten in dem Glauben, dass der Wahnsinn nachlassen oder die Opposition dem Land einen neuen Start ermöglichen würde. Das Bitterste für diejenigen, die Afrika jetzt verlassen, ist, dass sie Grund haben, jene zu beneiden, die bereits in den Siebzigern und Achtzigern gegangen sind - Leute, die sie damals des Kleinmuts bezichtigt haben. Diese konnten aber, weil sie die Hoffnung früher aufgegeben haben, ihre Zeit nutzen, um sich andernorts ein angenehmes Leben aufzubauen. So scheint es im Nachhinein, als haben die Ausharrenden diese Zeit vergeudet und für eine Zukunft gearbeitet, die nicht kommen will. Logische Folge, so könnte es den Anschein haben, wäre für alle Weißen, Asiaten und Mischlinge, Afrika zu verlassen. Ein solches Ergebnis würde die irrationalen Krämpfe aber nicht stoppen: Denn die übergroße Mehrheit von Mugabes Opfern ist schwarz, genau so wie fast alle Opfer von Mbekis Aidspolitik schwarz sind. Wenn alle Asiaten und Weißen gingen, würden noch größere Zahlen hochqualifizierter Afrikaner das Land ebenfalls verlassen, den wirtschaftlichen Zusammenbruch weiter beschleunigen und den Kontinent nicht nur einer gemeinsamen, nicht mehr von Rasse bestimmten Zukunft berauben, sondern ziemlich sicher jeder Zukunft überhaupt.
Für diejenigen von uns, die entschlossen sind zu bleiben, gibt es viele Frustrationen, vor allem die, dass uns nicht erlaubt wird, das beizutragen, was wir gerne geben würden. Aber selbst wenn sich erweisen sollte, dass jene Unrecht hatten, die glaubten, der Irrationalismus vergehe schneller, als er es tatsächlich tut, so behalten sie doch darin recht, dass er eines Tages verschwinden muss. Afrika jedenfalls ist größer als irgend jemandes persönliche Enttäuschung. Es ist immer schön und nie langweilig. Aufzuwachen und auf die Tafelbucht herunterzusehen oder über die subtropische Vegetation von Durban hinweg auf die riesigen rollenden Wogen des Indischen Ozeans oder eben auf die vier Ngongberge ist Kompensation genug für jeden, der noch eine Seele zu verlieren hat.
aus: der überblick 04/2003, Seite 104
AUTOR(EN):
Richard William Johnson:
Richard William Johnson lebt als freier Autor und Journalist in Südafrika. Er ist emeritierter Professor für Politikwissenschaften des Magdalen College in Oxford und hat unter anderem an der Sorbonne in Paris gelehrt. 1995 kehrte er nach Südafrika zurück. Diesen Artikel entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung der Redaktion der britischen Monatszeitschrift "Prospect" (Ausgabe Juni 2003).