Ein Porträt von Spôjmai Zariâb
In Kabul, das heute in Trümmern liegt, hat Spôjmai Zariâb studiert. Die 1949 geborene Schriftstellerin wuchs in einer toleranten Familie auf zu einer Zeit, als Frauen in Afghanistan formal die gleichen Rechte zustanden wie Männern. Doch selbst gebildete Männer behandelten Frauen als minderwertig, berichtet Zariâb. Der Kommunismus und der folgende Bürgerkrieg haben dann seit 1978 die Grundlagen des geistigen Lebens in Kabul zerstört und schließlich auch Zariâb ins Exil getrieben; seit zehn Jahren lebt sie in Paris.
von Brigitte Voykowitsch
Sie haben als Jugendliche und junge Frau in den 1960er und 1970er Jahren in Kabul gelebt. Welche Freiheiten genossen Sie damals als Frau, und wo spürten Sie die Grenzen?
Ich hatte Glück, jener Generation anzugehören, die Freiheit gekannt hat, wenn auch eine sehr relative. Aber das war sicher eine kulturell und gesellschaftlich sehr dynamische und offene Zeit, und ich habe davon profitiert. In Kabul, wo ich geboren bin und gelebt habe, war die Universität damals gemischt; das war ein Novum und ging zur Überraschung aller sehr gut. Man kann sich das heute kaum mehr vorstellen. Ich selbst hatte noch das weitere Privileg, in eine tolerante Familie hineingeboren zu sein, wo es sehr offen und liberal zuging. Lange habe ich keine Hindernisse gespürt. Später habe ich entdeckt, dass ich damit einer ganz kleinen Minderheit von Frauen angehörte. Grundsätzlich ist der Mann in Afghanistan und in islamischen Ländern generell privilegiert, und die Frau hat keinerlei Anspruch auf Gleichstellung, ja sie wagt meist gar nicht, einen solchen Anspruch zu erheben. Die Frauen haben darunter auch damals, in meiner Jugend- und Studienzeit, sehr gelitten.
Wann und wo stießen Sie an die Grenzen der Freiheit?
Als Mädchen hatte ich keine Probleme. Mein Leid begann, sobald ich erwachsen war. Ich hatte große Schwierigkeiten nach meiner Eheschließung, und es fällt mir bis heute schwer, die untergeordnete Stellung der Frau in der Familie zu akzeptieren. So war ich nicht erzogen worden, und ich konnte mich dieser Tradition nicht unterwerfen.
Die Frauen meiner Generation befanden sich in einem schmerzvollen Widerspruch: Die afghanische Verfassung von 1964 gab ihnen zwar alle bürgerlichen Rechte, auch das Wahlrecht. Innerhalb des Hauses aber galten Kodizes, die stärker waren als die geschriebenen Gesetze und diesen widersprachen. Darunter hat meine Generation sehr gelitten. Die Generation davor hat ihr Los noch weitgehend akzeptiert. Diese Frauen waren ja nicht zur Universität gegangen, sie waren sehr traditionell erzogen worden und damit vorbereitet auf ein Leben, in dem sie stets als minderwertige Wesen behandelt wurden. Frauen meiner Generation aber hatten genau dieselben Studien absolviert wie ihre Brüder, die gleichen Unis besucht, oft mit besseren Studienerfolgen und höheren Abschlüssen. Aber sobald sie das Haus betraten, mussten sie sich unterwerfen und in die Minderwertigkeit fügen. Für sehr gebildete Frauen, die einen intellektuellen Mann gefunden hatten, war das besonders schwer. Denn die meisten dieser Männer wurden trotz ihrer Ansprüche, Intellektuelle zu sein, und obwohl sie die Freiheit und die Frauenrechte verteidigten, in ihrem Privatleben zu ganz traditionellen und verschlossenen Männern. Sie hatten Mühe, die Frau anzuerkennen und ihr Raum zu gewähren. Bei traditionellen Männern verstehe ich das noch, aber dass auch intellektuelle Männer so handeln, enttäuscht mich sehr.
Begann unmittelbar außerhalb des kleinen privilegierten Kreises, in dem Sie aufgewachsen sind, die Gewalt gegen Frauen, die Sie sie in einigen Ihrer Kurzgeschichten schildern?
Das ist um uns herum geschehen. Diese Gewalt war leider tabu, davon sprach man nicht. Doch Gewalt in der Ehe war überall verbreitet und ist es noch immer in allen sozialen Schichten und allen Milieus - unabhängig vom Bildungsniveau. Das Land ist gefangen in einer Tradition, die dem Mann eine derartige Überlegenheit gibt, dass selbst die Intellektuellsten sich daran klammern, ganz gleich, welchen Schaden sie damit ihrer Familie und Umgebung zufügen.
Hatten Sie damals dennoch das Gefühl, dass sich das Land auf dem Weg zu größerer Freiheit befand und sich die Lage der Frauen allmählich verbessern würde? Oder deutete irgendetwas darauf hin, dass in wenigen Jahren alles wieder verloren sein könnte?
Die Geschichte Afghanistans ist die Geschichte des Unerwarteten. Alles ist so überstürzt gekommen - der Putsch 1978, im Jahr darauf die sowjetische Invasion. Nun, der Kommunismus erschien in der Dritten Welt als eine Art Ausweg, die Jugend dort war von kommunistischen Ideen fasziniert. Auf dem Papier ist das ja auch faszinierend - Gleichberechtigung und die Überwindung der sozialen Klassen -, aber in der Praxis ist es wie in Orwells Roman "Farm der Tiere": eine große Klasse mit allen Privilegien neben den armen Massen. In Afghanistan haben die Kommunisten ihrer Doktrin gemäß den Frauen viel Freiheit gegeben, es gab umfangreiche Alphabetisierungsprogramme. Doch sie handelten ungeschickt und brutal. Und die Vereinigungen, die es plötzlich gab, Schriftsteller-, Journalisten-, Frauenverbände und dergleichen, sollten nur im Dienste der Partei stehen. Die meisten Menschen misstrauten ihnen. Ich selbst war nie Mitglied der Frauenorganisation, ich wusste, das diente nur der Ideologie, die ich wegen ihrer ungerechten Praxis, ihrer Unterdrückung und der Okkupation ablehnte. Außerdem passte das radikale kommunistische Gedankengut nicht auf unsere Gesellschaft. Alles sollte sich plötzlich ändern; in Afghanistan wollte man binnen eines Jahres vom Feudalismus, der viele Regionen des Landes prägte, zum Kommunismus gelangen. Das Ergebnis war, dass man alles zerstörte.
Afghanistan ist immer Opfer des Unverständnisse, man entscheidet für das Land, und es explodiert. Seit der Besetzung hat man im Kreml, dann im CIA für Afghanistan entschieden. Weder da noch dort aber war man mit der Wirklichkeit des Landes vertraut. Mehr als zwei Jahrzehnte lang ging das Land damit von einer Katastrophe in die nächste, bis hin zu den Taliban. Auch die wurden im Ausland herangebildet und finanziert und dem Land aufoktroyiert. Und bei allem, was sie dem Land, den Frauen, den Jugendlichen antaten, blieb das Ausland gleichgültig. Afghanistan hat nie zuvor solch ein Elend gekannt, die Kriege haben so viele Werte zerstört. Es ist leicht, materielle Schäden zu beseitigen, doch das Land ist zutiefst traumatisiert, und diese Wunden zu heilen, wird sehr schwierig sein.
An welchem Punkt beschlossen Sie, ins Exil zu gehen?
Ich hatte zunächst nicht die Absicht, ins Exil zu gehen. 1991, gegen Ende des Regimes Nadschibullah, als die sowjetischen Truppen schon weg waren, war Kabul unsicher; es herrschte Bürgerkrieg, und die Stadt war ständig Ziel von Raketenangriffen. Die Schulen wurden geschlossen. Ich hatte zwei Kinder, die in die Schule sollten, und daher ging ich mit ihnen nach Frankreich, während mein Mann in Kabul blieb. Fünf Jahre lebte ich in Frankreich, ohne politisches Asyl zu beantragen, ich verlängerte bloß von Jahr zu Jahr meine Aufenthaltsgenehmigung. Aber als dann die Taliban an die Macht kamen, folgte mir auch mein Mann nach Frankreich, und wir beantragten politisches Asyl.
Wäre es nicht wegen der Kinder gewesen, hätte ich Afghanistan nie verlassen. Man wechselt nicht einfach so das Land mit jedem Regime, da verliert man so vieles. Für mich war Europa auch nicht das verheißene Land, ich kannte es ja, ich hatte in Frankreich studiert. Schon 1973 war ich sofort nach dem Studienabschluss heimgekehrt; ich wartete nicht einmal das Abschlussfest ab. Man hielt mich irgendwie für verrückt. Aber Afghanistan ist mein Land, da hatte ich meine Familie. Das Exil ist eine sehr schwierige Erfahrung, ganz besonders für die Künstler, Schriftsteller und Dichter. Sie verlieren ihre Sprache, ihre Quelle der Inspiration, besonders wenn die Kultur des Gastlandes ganz anders ist. Selbst ein Buch in der eigenen Sprache, in Persisch, zu finden, ist nicht einfach.
Das Thema verbotene Bücher und Bücherverbrennungen spielt in Ihren Kurzgeschichten eine wichtige Rolle. Wie sehr litten Sie als Autorin unter dem kommunistischen Regime?
Alle totalitären Systeme sind gegen die Unabhängigkeit und die Freiheit. Und das Buch steht für Unabhängigkeit, Kultur, Öffnung. Es wird zur Zielscheibe, weil die Herrschenden Angst haben, dem Volk Vergleichsmöglichkeiten zu geben. Das Unglück beginnt ja, wenn man aus dem Käfig hinaus sehen kann. In Afghanistan, das vorher eine relative Freiheit kannte, gab es unter den Kommunisten plötzlich Zensur. Daher haben damals viele Buchhandlungen geschlossen. Die vom Regime aufgezwungenen Bücher fanden nicht viele Leser, sie waren ideologisch. Wer Garcia Marquez gelesen hatte, konnte sich nicht mit einem simplen Roman über den Klassenkampf zufrieden geben.
Aber eine ganze Reihe Ihrer Kurzgeschichten wurde doch erstmals während des kommunistischen Regimes veröffentlicht.
Ja, wieder hatte ich Glück. Das war dank der Hilfe von Freunden. Der Widerstand hatte überall seine Agenten, und dank persönlicher Beziehungen konnte ich publizieren. Es gab ja auch Parteimitglieder ohne kommunistische Überzeugung, die einen gewissen Glauben an Kunst und Literatur hatten. Ich selbst publiziere, seit ich 17 bin. Ich habe immer viel gelesen. Mein Vater hat mich sehr früh das Vergnügen des Lesens entdecken lassen, er hat mir Geschichten erzählt und Bücher gebracht. Das war meine wichtigste Beschäftigung. Und ich denke, alle, die so viel lesen, versuchen sich eines Tages auch selbst am Schreiben. Zum Glück hatte ich die Möglichkeit, auch zu veröffentlichen.
Manche Ihrer Kurzgeschichten muten sehr kafkaesk an. Hatte Kafka einen wichtigen Einfluss auf Sie? Welche anderen Einflüsse spielen für Ihre Werke eine Rolle?
Ich habe vor allem die persische Literatur und Dichtung viel gelesen. Ich glaube, die persische Dichtung ist einzigartig auf der Welt, ihr Reichtum, ihre Tiefe, ihre Bilder haben mich tief geprägt. Für mich ist Lesen eine Art Entkommen. Selbst ein Gedicht, das ich hundert Mal gelesen habe, lese ich wieder, und dann vergesse ich, was mich bedrückt. Aber auch die Entdeckung der westlichen Literatur hat mir neue Türen geöffnet. Die persische Literatur ist in erster Linie Poesie. Kurzgeschichten wie die von Tschechow, Kafka oder Maupassant mit ihrer präzisen Struktur waren daher etwas Neues für uns, das hat mich sehr bereichert und sicher beeinflusst.
Sie haben nur männliche Autoren genannt. Haben auch weibliche Sie beeinflusst?
Rabea war sehr wichtig für mich. Aber leider haben wir sehr wenige Autorinnen. Frauen hatten nicht die Chance, zu schreiben oder überhaupt den Mund zu öffnen. Ausnahmen gehörten den oberen Schichten an; Rabea war eine Prinzessin im 10. Jahrhundert. Dann gibt es die Landays, das sind wunderbare Lieder der paschtunischen Frauen. Diese ganz kurzen Lieder sind sehr authentisch, sie sprechen mit einer ungewöhnlichen Offenheit über Probleme mit aufgedrängten Ehen und mit dem Ehemann oder über die Mädchen, die zwischen der Liebe und der Tradition hin und her gerissen sind. Die Landays waren anonym, sie wurden nur mündlich tradiert und dabei stets verändert. Es war unwahrscheinlich, dass man zweimal dasselbe Lied zu hören bekam. Deshalb habe ich mir manchmal die Texte aufgeschrieben. Und die, die ich habe, hüte ich wie einen Schatz.
Etwa seit den 1980er Jahren hat die Zahl der Dichterinnen zugenommen. In Krisenzeiten tauchen neue Werke auf; das Leiden führt dazu, dass etwas Neues in der Kunst entsteht. Die Dichterinnen sind sehr gut, aber ihre Themen sind düster - Leiden und Exil. Die persische Literatur war immer eine Literatur der Freude, der Trunkenheit, des Kultes der Gegenwart, des Hier und Jetzt. Aber seit 23 Jahren hat sie sich gewandelt in eine Literatur der Verzweiflung, der Trennung, der Trauer, der Wunden, der Erniedrigung.
Sie leben seit zehn Jahren in Frankreich und konnten in dieser Zeit westliche Medienberichte über Afghanistan und die Frauen dort verfolgen. Wie beurteilen Sie diese Berichterstattung?
Viel zu lange wurde von den Frauen ein völlig falsches und oft dumm folkloristisches Bild gezeichnet. Heute stimmt schon, was wir zu sehen bekommen. Vor kurzem lief auf Arte eine Dokumentation über die Frauen meiner Heimat, die erschütternd war. Aber ich verstehe dennoch nicht, warum man das Land bombardiert. Ich war strikt gegen diese Bombardements. Man hat keine Bilder von der anderen Seite und will der Öffentlichkeit weismachen, dass das die einzige Lösung ist. Das ist doch das Gesetz des Stärkeren. Heute werden Filme darüber gezeigt, was afghanische Frauen und die Bevölkerung insgesamt zu erleiden hatten. Doch wo waren diese Filme vorher? Es gab welche, aber sie lagen in den Archiven. Warum hat man sie nicht früher gezeigt? Musste man warten bis zur Zerstörung in New York, um endlich aufzuwachen, hatten Menschenleben in Afghanistan vorher keinen Wert?
Literatur
Spôjmai Zariâb: La Plaine de Cain; traduit du persan par Didier Leroy. Editions de l'Aube, Paris 2001.
Spôjmai Zariâb: Ces murs qui nous écoutent. Editions L'inventaire, Paris 2000.
Einige hundert Landays hat der 1988 im pakistanischen Exil ermordete Schriftsteller Sayd Bahodine Majrouh gesammelt:
Sayd Bahodine Majrouh: Le Suicide et Le Chant. Poésie populaire des femmes pashtounes; traduit du pashtou, adapté et présenté par André Velter et l'auteur. Editions Gallimard, Paris 1994.
aus: der überblick 01/2002, Seite 98
AUTOR(EN):
Brigitte Voykowitsch:
Brigitte Voykowitsch ist freie Journalistin mit dem Themenschwerpunkt Asien und lebt in Wien.