Zusammenarbeit und politische Einmischung - Ein Diskussionsbeitrag.
Als Mitinitiator und Mitautor der Studie "Entwicklungspolitische Wirkungen des Fairen Handels" möchte ich mich gerne an der Debatte über die Orientierung des Fairen Handels beteiligen, die in den letzten zwei Ausgaben von der überblick begonnen wurde. Insbesondere möchte ich etwas zur bisherigen Diskussion der Studie und einige Fortschritte seit ihrer Veröffentlichung schreiben.
von Klaus Piepel
Auch ein Jahr nach Erscheinen der Studie findet in Seminaren und Publikationen eine lebendige Auseinandersetzung mit den zum Teil provokativen Analysen und Schlussfolgerungen der Autoren und Herausgeber statt. Das ist gut so. Die "nicht leicht verdauliche" Studie - die Publikation hat immerhin 320 Seiten - wird, so hoffe ich zumindest, noch lange nachwirken.
Ihr Ziel, Diskussionen über die zukünftige Orientierung des Fairen Handels anzuzetteln, hat sie erreicht, auch wenn man in Bezug auf ihre Rezeption, das heißt Kenntnisnahme und Diskussion realistisch bleiben sollte. Lesbar und hörbar zu Wort gemeldet haben sich bisher vor allem die haupt- und ehrenamtlichen Funktionäre verschiedener Fair-Trade-Organisationen.
Gemeinsam ist den verschiedenen Diskussionsbeiträgen, dass sie - bei aller unterschiedlicher Bewertung von Einzelfragen - der Notwendigkeit einer selbstkritischen Diskussion der Ziele und der Praxis des Fairen Handels grundsätzlich zustimmen. Die in der Studie kritisch angesprochenen Defizite und Herausforderungen des Fairen Handels werden überwiegend als berechtigt akzeptiert - unterschiedliche Meinungen sind vor allem im Blick auf die erforderlichen Konsequenzen festzustellen.
Seit der Fertigstellung der Studie sind über zwei Jahre vergangen. Seitdem hat sich in der deutschen Fair-Handels-Bewegung manches verändert - zum Guten, wie ich meine. Diese Veränderungen zeichneten sich während der Erstellung der Studien bereits keimhaft ab. Vielleicht haben die deutliche Kritik der Studie und die Empfehlungen ihrer Herausgeber dazu beigetragen, die anstehenden praktischen und konzeptionellen Reformen zu unterstützen. Ich möchte drei aktuelle Herausforderungen des Fairen Handels kommentieren:
Die Studie beklagte die mangelnde Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure im Fairen Handel. Unterschiedliche Aufgaben, Zielsetzungen aber auch unproduktive Abgrenzungs- und Profilierungsbedürfnisse haben in der Vergangenheit einen gemeinsamen Auftritt der Fair-Handels-Aktiven erschwert und oft verhindert.
Inzwischen ist aber das Bewusstsein gewachsen, dass der Faire Handel sein oft beklagtes Randdasein in der Nische - wenn überhaupt - nur dann überwinden kann, wenn die verschiedenen Organisationen und Gruppen enger zusammenarbeiten. Hans-Christoph Bill hat dazu in seinem Beitrag in der letzten Ausgabe von der überblick einige Beispiele aufgezählt, unter anderem auch die erstmalige Durchführung der "Fairen Woche 2001" in der letzten Septemberwoche.
Diese große PR-Aktion für den Fairen Handel wurde erstmalig von allen wichtigen Fair-Trade-Organisationen gemeinsam durchgeführt. Diese breite Koalition für den Fairen Handel ist an sich schon ein wichtiger Erfolg angesichts früherer intensiver interner Auseinandersetzungen und wenig Bereitschaft zur Kooperation untereinander. Nicht nur in der Öffentlichkeit, auch in der Politik dringt bestenfalls eine Stimme des Fairen Handels durch - die feinsinnigen Differenzierungen innerhalb der Szene interessieren außerhalb niemanden.
Die Europäische Kommission hat schon vor Jahren die Zersplitterung der Fair-Handels-Szene beklagt und als ein wesentliches Hindernis für ihre Unterstützung angesprochen. Deshalb stellt es einen großen Fortschritt dar, dass die Dachverbände der verschiedenen Fair-Handels-Organisationen auf europäischer Ebene die Verständigung untereinander und die Zusammenarbeit vorantreiben. Auch in Deutschland gibt es Vorbereitungen für die Gründung einer nationalen Plattform des Fairen Handels, eines Fair-Trade-Forums, das die gemeinsamen Ziele der unterschiedlichen Akteure effektiv und glaubwürdig nach außen vertreten und zugleich interne Spannungen und Konflikte zu überwinden helfen sollte.
Eine wichtige Schlussfolgerung aus den Studien war es, dass der Faire Handel präzisere handels- und entwicklungspolitische Vorstellungen entwickeln müsse, um der recht allgemeinen Forderung nach "mehr Gerechtigkeit im Welthandel" politisches Gewicht zu verleihen. Die Forderung nach stärkerem politischen Engagement der Fair-Trade-Bewegung wird inzwischen auch von außen mit Nachdruck vorgetragen, aber auch von engagierten Einzelnen, Gruppen und Organisationen der Fair-Trade-Bewegung selbst vertreten. Bei der Weltkonferenz der International Federation of Alternative Trade (IFAT), die im Juni 2001 in Arusha/Tansania stattfand, forderte zum Beispiel der tansanische Minister für Armutsbekämpfung die Fair-Trade-Organisationen auf, nicht nur ihren Handel auszuweiten, sondern auch Einfluss auf die Verhandlungen in der Welthandelsorganisation zu nehmen. Denn die katastrophal niedrigen Weltmarktpreise für Kaffee und auch für Erdnüsse würden alle Entwicklungsanstrengungen des Landes zunichte machen.
In Deutschland haben sich in der letzten Zeit neben dem Bundespräsidenten vor allem die Ministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate Künast, und die Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul für den Fairen Handel stark gemacht. Ihr gemeinsames Anliegen, den europäischen Binnenmarkt stärker auch für Agrarprodukte aus Entwicklungsländern zu öffnen und in diesem Zusammenhang auch die entwicklungspolitisch fragwürdige EU-Agrarpolitik zu reformieren, verdient noch mehr politische Unterstützung durch die Fair-Handels-Bewegung, als bisher schon vor allem in der Kampagne des Weltladen-Dachverbandes "Land - Macht - Satt" geleistet wurde.
Die wachsende Einsicht, dass die Umsatzsteigerung des Fairen Handels den entwicklungspolitischen Zielen der Bewegung allein nicht genügen kann, zeigt sich auch in der Konzeption aktueller Fair-Handels-Kampagnen in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, die bewusst die Imageverbesserung und politische Impulse des Fairen Handels verbinden wollen.
Noch ein Wort zur Diskussion über das fehlende handels- und entwicklungspolitische Konzept des Fairen Handels, zu der sich Claudia Greifenhahn und Hans-Christoph Bill in der überblick gegensätzlich geäußert haben. Unsere Studie hatte vor allem gefordert, dass die Fair-Handels-Bewegung ihren grundsätzlichen Ansatz der "Hilfe beziehungsweise Entwicklung durch fairen Handel" präziser formulieren und auf die gegenwärtigen welthandelspolitischen Rahmenbedingungen beziehen müsse, um ihrer abstrakten Forderung nach mehr "Gerechtigkeit im Welthandel" in der hochaktuellen Debatte um die Steuerung der Globalisierung Gehör zu verschaffen. Der Faire Handel muss Farbe bekennen und erläutern, wie er sich Handelserleichterungen zu Gunsten der Ärmsten vorstellt, welche besonderen Schutzrechte Entwicklungsländern im Welthandel eingeräumt werden sollten und wie die in der Weltwirtschaft Marginalisierten in der Welthandelsorganisation stärker zu Wort kommen sollen. Der lapidare Hinweis von Bill, angesichts der komplexen internationalen Situation gebe es keine umfassenden Lösungskonzepte für die globalen Herausforderungen mehr, ist mir zu einfach und zu beliebig. Natürlich gibt es nicht mehr die Totaltheorie, die "wissenschaftliche Anleitung zur Rettung der Welt" - aber ein bisschen mehr intellektuelle Anstrengung zur Einordnung des eigenen Ansatzes in die Diskussion um Lösungsperspektiven der globalen Fragen würde der Fair-Trade-Bewegung gut anstehen.
Die Herausgeber der Studie hatten eine "Abnabelung" der Handelspartner vom Fairen Handel als eine entwicklungspolitisch wichtige Perspektive gefordert, um diese auf das "raue Umfeld" des Weltmarktes vorzubereiten und Abhängigkeiten von den vergleichsweise komfortablen Bedingungen des Fairen Handels zu vermeiden. Gerd Nickoleit, Grundsatzreferent der gepa, weist in der letzten Ausgabe von der überblick zu Recht auf das Spannungsverhältnis zwischen entwicklungspolitischen Zielen und betriebswirtschaftlichen Erfordernissen hin. Was aus entwicklungspolitischer Perspektive geboten erscheint, nämlich Handelspartner, die durch den Fairen Handel "groß und stark" geworden sind, in den "freien Weltmarkt" zu entlassen, ist aus betriebswirtschaftlicher Perspektive, nämlich der Notwendigkeit, leistungsfähige Lieferanten zu haben, kaum sinnvoll.
Dieses Spannungsfeld von altruistischem Helfen und eigennutzorientiertem Handel (schließlich sollen ja auch die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der gepa und nicht weniger Weltläden ein anständiges Gehalt bekommen) ist und bleibt dem Fairen Handel erhalten. Die "eierlegende Wollmilchsau" gibt es nicht - genauso wenig ein Handlungsmodell, das zugleich ganz unterschiedliche, zum Teil gegensätzliche Ziele erfolgreich erfüllt.
Der Faire Handel kann nicht seinen Handelspartnern im Süden überdurchschnittliche Erzeugerpreise zahlen, Investitionen in Produktentwicklung und Produzentenberatung leisten, die eigenen Handelsstrukturen finanzieren (unter anderem durch attraktive Handelsspannen für Weltläden und Gruppen) und zugleich seine Umsätze steigern, wenn sich die verschiedenen Mehrkosten in höheren Endverkaufspreisen seiner Produkte niederschlagen (müssen).
Der Faire Handel ist - insbesondere im Blick auf neue Produkte und die Förderung marginaler, wenig professioneller Handelspartner im Süden - auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Die spezifischen Entwicklungsleistungen, auf die Fair-Handelsorganisationen immer wieder zum Zweck der Abgrenzung vom normalen Handel hinweisen, können nur sehr bedingt durch Überschüsse aus gut eingeführten und quantitativ bedeutsamen Umsatzträgern (zum Beispiel Kaffee) quersubventioniert werden - es muss von außen Zuschüsse geben. Diese Anforderung betrifft sowohl die privaten Hilfswerke als auch die staatliche und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit (zum Beispiel der Europäischen Union).
Absichtserklärungen zur Unterstützung des Fairen Handels, die es von Politikern auf nationaler und internationaler Ebene wie auch von den für die Entwicklungszusammenarbeit zuständigen Behörden genügend gibt, müssen sich - um Glaubwürdigkeit beanspruchen zu können - auch in spürbarer finanzieller Unterstützung der Entwicklungszusammenarbeit durch Fairen Handel niederschlagen. In dieser Hinsicht hat die Fair-Handels-Bewegung potenzielle Reserven bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Sowohl die Europäische Kommission als auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (zum Beispiel im Rahmen des Public-Private-Partnership-Programms) könnten ihre finanzielle Unterstützung des Fairen Handels, die sich bisher überwiegend auf Aktivitäten von Fair-Handels-Organisationen in Europa beziehungsweise in Deutschland konzentriert, durch Förderung entsprechender Programme zur Qualifizierung der Handelspartner mit einer klaren entwicklungspolitischen Zielrichtung ergänzen. Voraussetzung dafür wäre allerdings - und damit kehren wir zu den beiden zuvor genannten Herausforderungen zurück - ein koordinierter Auftritt der Fair-Handels-Organisationen und eine gemeinsame politische Lobbyarbeit, die die Chance hat, gehört und ernst genommen zu werden. Ich hoffe, dass das geplante Fair-Handels-Forum in Deutschland eine Chance eröffnet, diese Ziele mit Nachdruck und erhöhter Wirksamkeit gemeinsam zu verfolgen.
aus: der überblick 04/2001, Seite 120
AUTOR(EN):
Klaus Piepel:
Klaus Piepel arbeitet seit 1986 für das Bischöfliche Hilfswerk Misereor. Seit 1991 ist er in der Abteilung Entwicklungspolitik für Fragen des Welthandels und der Menschenrechte zuständig.