Eine Studie zur Arbeit der Kindernothilfe
Sie sind inzwischen Geschichte, die heftigen Auseinandersetzungen um das Konzept und die Arbeit der Kindernothilfe (KNH), eines der größten christlichen Hilfswerke in Deutschland. In den siebziger und achtziger Jahren löste vor allem das Konzept der Patenschaften für Kinder in der Dritten Welt massive Kritik aus. Sie ist mittlerweile weitgehend verstummt.
von Frank Kürschner-Pelkmann
Warum also die alten Geschichten noch einmal aufwärmen? Für die Kindernothilfe selbst war das 40-jährige Bestehen des Werkes ein Anlass, eine Studie in Auftrag zu geben, die sich durchaus kritisch mit dieser Geschichte auseinandersetzt und aus der auch andere kirchliche Werke viel lernen können.
Kai Funkschmidt liefert eine detaillierte und spannend zu lesende Analyse der KNH-Geschichte, Rolf-Robert Heringer gibt einen knappen Einblick in Struktur und Finanzen. Die Anfänge waren 1959 bescheiden. Man fing mit fünf Patenkindern in Indien an und verwaltete die Arbeit ehrenamtlich vom heimischen Küchentisch aus. Die Not hungernder Kinder war der Anlass für die Gründung der Initiative. Bald stellte sich heraus, dass die Patenschaft als persönliche Form der Unterstützung "von Mensch zu Mensch" auf großes Interesse bei vielen Spenderinnen und Spendern stieß.
Neben der finanziellen Förderung ging es ausdrücklich auch um die Verbindung mit den Kindern in Übersee durch das Gebet. Funkschmidt schreibt über diese erste Phase: "Die KNH entstand also ausdrücklich eher als Missionswerk denn als Entwicklungsorganisation." Das verhinderte nicht, dass KNH und die ebenfalls in dieser Zeit entstandene Aktion Brot für die Welt in Konkurrenz zueinander standen. Der Versuch einer Fusion scheiterte aus verschiedenen Gründen, die in der Studie ausführlich dargestellt werden. Was fast unvermeidlich folgte, waren Kontroversen und Konflikte zwischen KNH und Brot für die Welt. Der gescheiterte Versuch, eine gemeinsame Struktur zu finden, wirkte sich noch Jahrzehnte später negativ aus. Die Schilderung des Weges in die Konkurrenz in der Studie ist geradezu ein Lehrstück dafür, wie aus einem Nebeneinander ein Gegeneinander werden kann, das allen über Jahre geschadet hat. Aus solchen Erfahrungen erwächst eine große Verantwortung für alle, die heute über ein geordnetes Miteinander kirchlicher Werke im Entwicklungsbereich nachdenken und entscheiden.
Zu den Stärken der KNH in dieser Konkurrenz gehörten das für viele Spenderinnen und Spender überzeugende Konzept der Patenschaften und "Flexibilität und Freiheit eines kleinen Vereins" (Funkschmidt). Im Mittelpunkt der Arbeit standen zunächst vor allem Schülerheime und die Förderung einzelner Kinder von der Grundschule bis zur Berufsausbildung beziehungsweise dem Studium. Bald wurde die Programmarbeit ausgeweitet, so um die gezielte Förderung geistig behinderter Kinder und die Förderung von Kindertagesstätten.
Unter der Überschrift "Ein Sturm der Kritik" schreibt Funkschmidt über die nächste Phase: "In den späten siebziger Jahren geriet die KNH in die wohl größte Krise ihrer bisherigen Geschichte. Eine Reihe kleinerer Entwicklungswerke gab damals die Patenschaftsarbeit aus grundsätzlichen Erwägungen auf und gehörte bald darauf zu den Kritikern der KNH... Am öffentlichkeitswirksamsten war aber wohl die Kritik, die von den kirchlichen Werken kam, insbesondere von der AG KED, das heißt vor allem von BfdW, aber auch vom EMW und der EZE."
In der Studie von Funkschmidt nimmt die Auseinandersetzung mit der Kritik einen breiten Raum ein und wird vermutlich die damals Beteiligten und heute Interessierten zur Debatte reizen. Einer der Kernsätze zur Auslandsarbeit lautet: "Es ist im Rückblick erstaunlich, dass ein Großteil der Argumente, die die Kritiker vorbrachten, bei der KNH seit längerem bekannt gewesen sein müssen. Sie waren nämlich längst aus ihren eigenen Reihen oder von ihren Partnern vorgebracht worden." Dabei ging es unter anderem um die Qualität der Schülerwohnheime, die Auswahl der geförderten Kinder und die entwicklungspolitische Kompetenz der KNH. Im Blick auf die Inlandsarbeit war auch intern die Einsicht in die Notwendigkeit der entwicklungsbezogenen Bildungsarbeit gewachsen, "aber das Problem war, dass die KNH eine solche Bildungsarbeit an den Paten praktisch nicht leistete" (Funkschmidt).
Die Kindernothilfe hat sich gegen die heftige Kritik öffentlich zur Wehr gesetzt, es wurde dann aber auch schrittweise das Konzept und die Praxis der Arbeit verändert. Dies wirkte sich vor allem von Ende der achtziger Jahre an aus. Ein wichtiger Schritt war eine stärkere Beachtung entwicklungspolitischen Fachwissens bei Personalberufungen. In der Auslandsarbeit wurden unterschiedliche Formen der Hilfe ausgebaut (der Anteil der Förderung von Heimkindern nahm weiter ab), die Arbeit wurde professionalisiert und die Zusammenarbeit mit anderen kirchlichen Werken intensiviert. Vor allem ist verstärkt versucht worden, durch die Grundbildung einer größeren Zahl von Kindern eine Breitenwirkung zu erzielen. Interessant, wie die Spender auf diese Veränderungen reagiert haben und in entwicklungspolitische Lernprozesse einbezogen wurden. Lesenswert auch, wie die Kindernothilfe versucht hat, das Wort "Partnerschaft" in den Beziehungen mit den Partnerorganisationen im Süden mit Leben zu füllen und dabei Enttäuschungen erlebte. In der Öffentlichkeitsarbeit fanden ökumenische und entwicklungspolitische Fragen eine zunehmende Beachtung. In den letzten Jahren sind die Beteiligung an Kampagnen und die Advocacy-Arbeit hinzugekommen, die auch im neuen Grundsatzpapier der KNH verankert sind. Der Kampf gegen die Verbreitung von Landminen und das Engagement für den fairen Handel gehören heute ganz selbstverständlich zur KNH-Arbeit. All dies kann ein Anlass sein, über das Verhältnis der kirchlichen Werke zum christlichen Verein Kindernothilfe neu nachzudenken.
Die Veröffentlichung "40 Jahre Kindernothilfe - Eine Fallstudie der Entwicklungszusammenarbeit" ist für DM 3,80 erhältlich bei der Kindernothilfe, Postfach 281143, 47241 Duisburg.
aus: der überblick 03/2000, Seite 129
AUTOR(EN):
Frank Kürschner-Pelkmann:
Frank Kürschner-Pelkmann ist Redakteur der FORUM-Seiten im überblick