Die Dezentralisierung wird mit viel Geld unterstützt
Namibia steht, wenn man die Entwicklungshilfe pro Kopf betrachtet, an der Spitze der von Deutschland geförderten Länder. In den vergangenen Jahren ist viel Geld in die Förderung von Verwaltung und Dezentralisierung geflossen. Hat sich diese Konzentration der Mittel als sinnvoll erwiesen?
von Heribert Weiland
Die üblichen Merkmale von Großorganisationen lassen sich auch in entwicklungspolitischen Institutionen wiederfinden. Typische Kennzeichen sind die sich regelmäßig wiederholenden Reorganisationen der Verwaltung, der Paradigmenwechsel im konzeptuellen Bereich und vor allem die unablässige Suche nach Legitimation bei der Umsetzung von Programmen und Projekten. Demokratie verlangt schließlich Rechenschaft und Kontrolle. Mehr noch: Der Steuerzahler hat das Recht die Regierungspolitik zu kritisieren - auch wenn es sich vermeintlich um “heilige Kühe” handelt.
Entwicklungspolitik ist solch eine “heilige Kuh”. Wer wird angesichts der eklatanten Einkommensunterschiede zwischen Nord und Süd, der zunehmenden Armutsmigration und der wachsenden Zahl gewaltsamer Konflikte in Entwicklungsländern ihre Berechtigung in Zweifel ziehen? Doch auch der schlagendste Nachweis für ihre Notwendigkeit bewahrt die Entwicklungspolitik nicht davor, immer wieder kritisch befragt zu werden.
Unstrittig ist, dass angesichts der knappen Mittel eine sorgsame Auswahl der Förderländer und der Fördermaßnahmen vorgenommen werden muss. Entsprechend sind die Regelungen zu einer Verringerung der Zahl der Partnerländer und die Konzentration auf Schwerpunktbereiche grundsätzlich zu befürworten, auch wenn im Einzelfall über Sinn und Rechtfertigung einer entwicklungspolitisch relevanten Auswahl diskutiert werden kann. Mehr Hilfe in weniger Ländern kann jedoch zu einem neuen Problem führen: der “Überförderung”. Anders ausgedrückt: Ein Zuviel an Förderung für bestimmte Länder und für bestimmte Maßnahmen kann kontraproduktiv wirken und die grundlegende Förderidee “Hilfe zur Selbsthilfe” durch ein Übermaß externer Transfers ersticken. Doch ab wann beginnt die Überförderung? Wer vermag die kritische Fördermasse einzuschätzen, die notwendig ist, um die erhoffte Nachhaltigkeit von entwicklungspolitischen Einsätzen zu erreichen?
Einige Überlegungen dazu sollen am Beispiel Dezentralisierungsförderung in Namibia erläutert werden. Namibia gehörte im letzten Jahrzehnt zweifellos zu den am stärksten geförderten Empfängerstaaten in Afrika. Deutschland ist für Namibia der größte und wichtigste entwicklungspolitische Partner. Namibia führt mit Zuwendungen von mehr als einer halben Milliarde Euro seit seiner Unabhängigkeit 1990, umgerechnet pro Kopf der Bevölkerung, die Liste der Empfängerländer der deutschen Entwicklungsleistungen an. Allerdings ist diese Spitzenreiterposition in absoluten Zahlen relativ zu betrachten, weil Namibia mit weniger als zwei Millionen Einwohnern außerordentlich dünn besiedelt ist.
Die großzügige Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland kommt nicht von ungefähr. Als ehemalige Kolonialmacht hat die Bundesrepublik zu Namibia, wo es auch heute noch rund 20.000 deutschsprachige Bürger gibt, eine besondere Beziehung aufgebaut. Schon unmittelbar nach dem friedlichen Machtwechsel 1989/1990 und der Unabhängigkeitsfeier wurde der ehemalige Apartheidstaat zu einem Schwerpunktland der deutschen Entwicklungszusammenarbeit erhoben.
Dem schlossen sich andere westliche Geber an. Man glaubte, dass der bevölkerungsarme Staat mit massiver externer Hilfe relativ schnell einen für Afrika vorbildhaften wirtschaftlichen und politischen Entwicklungsprozess durchlaufen könnte. Schließlich sei noch auf die vergleichsweise günstigen natürlichen Umfeldbedingungen hingewiesen, die das Land mit seinem hohen Freizeitwert für Entwicklungsexperten aus aller Welt bis heute sehr attraktiv erscheinen lässt.
Im genannten Zeitraum erlebte der entwicklungspolitische Sektor “Verwaltungsförderung und Dezentralisierung” einen gewaltigen Boom. Angestoßen durch die so genannte dritte Demokratisierungswelle nach dem Zusammenbruch des Ostblocks entwickelte sich die Förderung von Dezentralisierungsmaßnahmen ab Mitte der neunziger Jahre zu einer Kernaufgabe der Entwicklungspolitik. Die Forderungen nach Demokratie und Dezentralisierung wurden zu wesentlichen Bestandteilen der Debatte um good governance, um gute Regierungsführung. Mit viel Überzeugung, ja fast missionarischem Eifer, wurden entsprechende Fördermaßnahmen im Rahmen des politischen Dialogs angeregt. Dies gilt nicht nur für die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit, sondern auch in der Angebotspalette der multilateralen Kooperation erhielten sie einen hohen Stellenwert. Das zeigte sich zum Beispiel beim politischen Dialog im Vorfeld des Cotonou-Abkommens mit den AKP-Staaten vom Juni 2000, in dem die Europäische Union den Mitgliedsländern aus Afrika, der Karibik und dem Pazifik gewisse Vorzugsbehandlung einräumt. Der Druck der Geber, Dezentralisierungsmaßnahmen durchzusetzen, war dabei deutlich größer als das Interesse der Regierungsverantwortlichen auf der Nehmerseite, derartige Reformen baldmöglichst anzugehen.
Im Falle Namibias konnten die Geber bei ihren Bemühungen um Dezentralisierung auf die Verfassung von 1990 verweisen. Dort war der Auftrag zur Schaffung regionaler und lokaler Regierungskörperschaften aufgrund eines politischen Kompromisses der großen Parteien verankert worden. Obwohl eine derart gegliederte Staatsstruktur angesichts der geringen Bevölkerungszahl politisch entbehrlich erschien und ein solches Konzept von der zentralistisch orientierten Regierungspartei South West African People’s Organization (SWAPO) eher zögernd unterstützt wurde, wurden die Verfassungsvorschriften ordnungsgemäß Schritt für Schritt umgesetzt. So wurden 1991 von einer Regierungskommission neue Regionalgrenzen gezogen, die bewusst von den alten Bantustan-Grenzen abwichen, und 1992 fanden die ersten Regional- und Kommunalwahlen statt.
Dennoch ist die Bereitschaft in Regierung und Partei, die in der Folgezeit geschaffenen Gemeinde- und Regionalparlamente und ihre nachgelagerten Verwaltungen funktionsfähig zu machen, auch heute noch nicht hoch einzuschätzen. Die neuen dezentralisierten Regierungsinstitutionen existieren zwar, aber sie sind mit nur geringfügigen Kompetenzen ausgestattet und bisher nicht adäquat in die weiterhin zentralistisch organisierte Verwaltungsstruktur des Landes eingebettet. Trotz verbaler Akzeptanz und wiederholter Willenserklärungen hat die Regierung in Windhoek die angekündigte Verwaltungsreform nur halbherzig auf den Weg gebracht. Die neuen Körperschaften erhielten bislang nur unzureichende politische, rechtliche und finanzielle Möglichkeiten, um vor Ort die notwendigen Verwaltungsaufgaben und Infrastrukturprojekte eigenständig übernehmen zu können.
Gerade wegen dieser schleppenden Umsetzung lag es nahe, dass die internationale Entwicklungszusammenarbeit die Dezentralisierung in Namibia zu einem Schwerpunkt ihrer Förderung gemacht hat. Mit ausländischer Hilfe sollte zumindest ausreichend Personal für die neuen Aufgaben geschult werden. Von deutscher Seite waren daran die politischen Stiftungen und die Entwicklungsorganisation “Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung” (DSE) und ihre Nachfolgeinstitution “Internationale Weiterbildung und Entwicklung” (InWent) beteiligt. Die Stiftungen konzentrierten sich auf die Gemeinderäte und die gewählten Politiker der Regionalversammlungen, um sie mit ihren Aufgaben, Rechten und Pflichten vertraut zu machen. DSE/InWent richtete sich mit Kursen vor allem an Verwaltungsbeamte in den zum Teil neu geschaffenen Ämtern. Technische Hilfe in größerem Umfang erfolgte durch die “Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit” (GTZ). Diese berät Stadtverwaltungen, vor allem bei der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung. Das auf drei Städte im Norden ausgerichtete Pilotprojekt wurde mit Modifikationen auf zwölf Städte erweitert - im Detail gesehen durchaus mit großem Erfolg.
Doch die deutschen Träger sind nicht allein vor Ort, ihre Anstrengungen werden von anderen Gebern zum Teil weit übertroffen. Vor allem die finnische Entwicklungszusammenarbeit hat ein sektorweites Förderprogramm aufgelegt, das von kurzen Schulungskursen über Langzeitberatungen in sieben Städten bis zu universitären Ausbildungsgängen reicht. Inzwischen sind mehr als ein Dutzend internationaler Entwicklungsorganisationen in fast 30 verschiedenen Projekten tätig, die alle in irgendeiner Form den Bereich Schulung und Beratung für Dezentralisierungsaufgaben abdecken. Dass es bei den Adressaten immer wieder zu Überschneidungen kommt, ist nicht zu vermeiden, auch wenn bei so genannten Gebertreffen immer wieder klare Abgrenzungen beschworen werden. Zweifellos hätte man mit verbesserter Geberkoordination effektiver arbeiten können.
Da liegt die Schlussfolgerung “Überförderung” nahe. Doch das Nebeneinander verschiedener Geber und die Doppelung oder Überschneidung von Fortbildungsmaßnahmen vermag den Vorwurf der Überförderung noch nicht ausreichend zu untermauern. Eine wiederholte Teilnahme an Trainingsveranstaltungen ist eher positiv als negativ zu beurteilen, wenn die Mittel dazu ausreichen. Ob allerdings weitere Fortbildungskurse angemessen sind, wenn sich die Strukturen in absehbarer Zeit kaum verändern werden, ist eine andere Frage. Denn was bringen Schulungen, wenn das Gelernte nur eingeschränkt angewendet werden kann? Die Teilnehmer selbst haben den Einsatz der internationalen Experten und die Qualität der Kurse durchweg positiv beurteilt, sich aber zugleich frustriert über die mangelnden Möglichkeiten beklagt, das Gelernte auch umzusetzen. Einerseits ist das zentralistisch gelenkte System noch immer zu rigide, um Neuerungen aufzunehmen, andererseits sind die Chancen und Möglichkeiten einer Kompetenzerweiterung der dezentralen Strukturen noch nicht konkret absehbar.
Entwicklungspolitische Maßnahmen als Investition in ein dezentralisiertes System, das vielleicht irgendwann Gestalt annehmen wird, sind schwer zu beurteilen, zumal nicht erkennbar ist, inwieweit Dezentralisierung von den namibischen Regierungsverantwortlichen tatsächlich gewollt ist. Innerhalb der Regierung sind die Meinungsverschiedenheiten deutlich erkennbar. Es gibt eine Fraktion in Regierung und Partei, die den Prozess vorantreiben will und entsprechend engen Kontakt mit den Repräsentanten der internationalen Geber halten. Daneben gibt es jedoch eine möglicherweise einflussreichere Gruppe, die die Dezentralisierungsbemühungen mit dem Hinweis auf die Gefahren für den verfassungsmäßig verankerten unitarischen Staat immer wieder aufzuhalten versuchen. So hat das Präsidialamt bisher nur wenige Kompetenzen und Entscheidungsbefugnisse an dezentralisierte Ebenen abgegeben. Zudem ist das Fachressort im Vergleich zu anderen Ministerien politisch nicht sehr stark und nur unzureichend ausgestattet. Ohne die Unterstützung der internationalen Organisationen würde es den selbst gestellten Aufgaben kaum nachkommen können.
Ernüchternd für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit wirkte schließlich die Tatsache, dass der jahrelang bestehende “Förderschwerpunkt Dezentralisierung” auf Wunsch der namibischen Seite bei den Regierungsverhandlungen 2002 aufgekündigt wurde. War damit das intensive Engagement für Dezentralisierung und good governance zu einem vorzeitigen Ende gekommen und die vermeintliche Überförderung zur Fehlinvestition geworden?
Offenbar nicht. Denn die langjährigen Beratungsmaßnahmen an der Basis - verbunden mit der rechtlichen und politischen Verselbständigung der dezentralen Strukturen - haben inzwischen zu einem massiven “Druck von unten” geführt. Vor allem die autonomen Städte fordern ihre Rechte auf mehr Mittel und Befugnisse ein, das heißt, sie drängen mit allen ihnen politisch zur Verfügung stehenden Mitteln auf eine zügige Umsetzung der von der Regierung nur halbherzig getragenen Dezentralisierungspolitik. Das extern geförderte capacity building - die Entwicklung von Kenntnissen und Kompetenz - hat damit doch Wirkung gezeigt und eine Dynamik erzeugt, die über Umwege doch zum Ziel geführt hat. Entwicklungspolitik braucht einen langen Atem. Vielleicht hat die “Überförderung” Namibias doch ihren Sinn gehabt.
aus: der überblick 01/2004, Seite 91
AUTOR(EN):
Heribert Weiland:
Prof. Dr. Heribert Weiland ist Geschäftsführer und wissenschaftlicher Mitarbeiter am "Arnold-Bergstraesser-Institut für kulturwissenschaftliche Forschung" in Freiburg sowie Lehrbeauftragter an der Universität Freiburg.