Von der Weltgemeinschaft zur Anarchie
Israel missachtet zahlreiche Resolutionen der Vereinten Nationen und wird dabei von den USA unterstützt. Das hat nicht nur die Palästinenser enttäuscht und schließlich immer weiter radikalisiert, sondern untergräbt auch das Rechtssystem des 20. Jahrhunderts, das auf vereinbarten rechtlichen Prinzipien beruht.
von Stephen Zunes
Bei ihrem Versuch, die Invasion des Irak zu rechtfertigen, gab die US-Regierung unter Präsident George W. Bush an, die Glaubwürdigkeit des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (UN) und seiner Resolutionen stehe auf dem Spiel, falls der vollstreckende Arm der Weltorganisation die Anwendung von Gewalt gegen Saddam Husseins Regime nicht autorisiere. Kritiker wiesen indes zu Recht darauf hin, dass der Irak nicht der einzige Staat im Nahen und Mittleren Osten sei, der sich solchen Resolutionen widersetze. Israel zum Beispiel verstoße selbst nach der konservativsten Interpretation gegen 35 Resolutionen der Vereinten Nationen, gegen mehr als jedes andere Land. Diese Kritiker merkten an, dass die Regierung Bush nicht nur nicht angedroht hatte, in Israel einzumarschieren, sondern sich im Gegenteil sogar dazu verpflichtet habe, zu verhindern, dass Sanktionen und andere Maßnahmen verhängt werden, die dafür gesorgt hätten, dass Israel diese Resolutionen befolgt. Außerdem unterstütze die Regierung Bush Israel trotz seiner andauernden Verstöße weiterhin im großen Stil militärisch und ökonomisch.
Wie berechtigt ist dieser Vorwurf? Ist Israel tatsächlich das die UN-Beschlüsse am stärksten missachtende Land? Israel verdankt seine Existenz den Vereinten Nationen, die das britische Mandatsgebiet Palästina im Jahr 1947 laut Resolution 194 der Generalversammlung in einen zukünftigen jüdischen und einen arabischen Staat teilten. Dennoch gelten die Vereinten Nationen seit mindestens drei Dekaden als gegenüber Israel feindlich eingestellt.
Die Generalversammlung und der Sicherheitsrat sind die beiden Hauptorgane der Vereinten Nationen. Die Generalversammlung besteht aus allen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen. Als die Vereinten Nationen 1945 gegründet wurden, bestanden sie aus 51 Staaten, heute sind es 191. Jedes Mitglied hat eine Stimme, und die meisten Entscheidungen werden durch eine einfache Mehrheit gefällt. Die Empfehlungen der Generalversammlung sind ein wichtiger Hinweis auf die Weltmeinung und können die moralische Autorität der Staatengemeinschaft repräsentieren. Die Versammlung hat jedoch keinerlei Befugnisse, anderen Staaten seine Resolutionen aufzuzwingen. Aus diesem Grund sind die meisten Resolutionen überwiegend symbolischer Natur.
Der Sicherheitsrat hat 15 Mitglieder. Darunter sind die fünf ständigen Mitglieder, die im Zweiten Weltkrieg die entscheidenden siegreichen Alliierten waren: die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich, die Russische Föderation und China. Jedes dieser Mitglieder kann gegen Resolutionen des Sicherheitsrats ein Veto einlegen. Die zehn nichtständigen Mitglieder repräsentieren regionale Blöcke; sie haben eine zweijährige Amtszeit und kein Vetorecht. Im Gegensatz zur Generalversammlung hat der Sicherheitsrat die Befugnis, seine Resolutionen durch Sanktionen, militärische Gewalt und andere Mittel durchzusetzen, wenn er den internationalen Frieden und die Sicherheit bedroht sieht. Die Resolutionen des Sicherheitsrats werden deshalb weitaus ernster genommen.
Nachdem die Entkolonisierung in den siebziger Jahren in der Generalversammlung zu einer Mehrheit der Dritten Welt geführt hatte, verabschiedeten diese ehemaligen Kolonien - in Übereinstimmung mit der Sowjetunion und ihren kommunistischen Verbündeten - eine Reihe von Resolutionen, die das zum Thema hatten, was die Mehrheit der armen Länder in der Welt am meisten beklagten: vor allem die schlechte Verteilung globalen Reichtums sowie andere Hinterlassenschaften des Kolonialismus. Von Bedeutung war auch das, was die Delegierten als aktuelle Manifestationen des Kolonialismus ansahen, insbesondere das damals noch herrschende Apartheidsystem in Südafrika und die anhaltende israelische Besatzung arabischer Territorien seit dem Krieg von 1967. Eine Serie gegenüber Israel kritischer Resolutionen wurde durch die Generalversammlung gebracht. Einige von ihnen beruhten auf gut dokumentierten israelischen Verstößen gegen die Vierte Genfer Konvention und auf relevanten internationalen Abkommen über Menschenrechte. Andere entsprangen überwiegend einem ideologischen Widerstand gegen Israels bloße Existenz. Die berüchtigtste Resolution wurde im Oktober 1975 als Änderung einer Resolution der Generalversammlung verabschiedet: Sie rief die "Dekade des Kampfes gegen Rassismus und Rassendiskriminierung" ins Leben und stellte fest, Zionismus sei eine Form des Rassismus und der Rassendiskriminierung.
Eine andere Initiative der Generalversammlung war beispielsweise die Entscheidung von 1974, der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO den Beobachterstatus zuzugestehen (einen ähnlichen Status bekam die Southwest Africa People's Organization, SWAPO, die für die Unabhängigkeit des damals von Südafrika besetzten Namibias kämpfte). Die Generalversammlung gründete seinerzeit auch den "Ausschuss für die Ausübung der unveräußerlichen Rechte des palästinensischen Volkes", um die palästinensische Sache voran zu bringen, und lud PLO-Chef Jassir Arafat ein, vor der Generalversammlung zu sprechen.
Viele der Bedenken, welche die Generalversammlung bezüglich der israelischen Verletzungen des internationalen Rechts und der international anerkannten Menschenrechte vorbrachte, waren gerechtfertigt. Dass Israel weitaus mehr Aufmerksamkeit bekam als jedes andere Mitglied der Vereinten Nationen, und dass die Mehrheit von Israels lautstärksten Kritikern selbst zu den weltweit gröbsten Menschenrechtsverletzern zählten, hat die Generalversammlung jedoch in den Ruch des Antisemitismus gebracht. Als Besatzungsmacht war Israel zwar mit Recht einer intensiveren Überprüfung durch die Vereinten Nationen ausgesetzt als die meisten anderen Menschenrechtsverletzer, die durch das Konzept der Staatensouveränität (in Art. 2 der UN-Charta) vor der größten Kritik an innenpolitischer Unterdrückung geschützt sind. Das bedeutet jedoch nicht, dass es nicht ungeheuerliche Doppelstandards gab. Ich erinnere mich an eine leidenschaftliche Rede eines UN-Delegierten über das Thema Palästina, der das grundlegende Recht auf Selbstbestimmung und die beklagenswerte Menschenrechtslage in den besetzten palästinensischen Gebieten betonte. Obwohl seine Rede an sich ganz vernünftig war, vertrat der Delegierte ausgerechnet die Regierung Indonesiens, die den Inselstaat Osttimor unter Verletzung einer Reihe von Resolutionen des UN-Sicherheitsrats Überfallen, annektiert und kolonisiert hatte - 200.000 osttimoresische Zivilisten kamen dabei ums Leben.
In den vergangenen Jahren ist die anti-israelische Rhetorik in der Generalversammlung deutlich zurück gegangen. Die Resolution, die den Zionismus mit Rassismus gleich setzt, wurde 1991 mit überwältigender Mehrheit aufgehoben. Trotzdem müssen die Vereinten Nationen noch immer daran arbeiten, den Ruf zu überwinden, Israel gegenüber feindlich eingestellt zu sein.
Anders als die Generalversammlung hat der Sicherheitsrat - von westlichen Demokratien dominiert und dem internationalen Recht sowie der Charta der Vereinten Nationen ernsthafter verpflichtet - im allgemeinen keine anti-israelischen Vorurteile gezeigt. Die UN-Charta erkennt zum Beispiel eindeutig an, dass es unzulässig ist, sich Territorien durch Krieg anzueignen. Iraks Invasion und Besetzung Kuwaits 1990 war deshalb nicht akzeptabel, und der Sicherheitsrat genehmigte die Anwendung von Gewalt, um seine Resolution durchzusetzen, die den irakischen Rückzug forderte. Als Marokko 1975 in der Westsahara und Indonesien im selben Jahr in Osttimor einmarschierte, forderte die UN den Rückzug der Besatzungsarmeen und unterstrich das Recht auf Selbstbestimmung. Ähnliche Forderungen wurden an die Türkei gerichtet, als sie im Jahr davor das nördliche Drittel von Zypern eroberte. Obwohl keine dieser Resolutionen durchgesetzt wurden - teils wegen der engen strategischen Beziehungen der Vereinigten Staaten zu den Invasoren - wiederholte der Sicherheitsrat die grundlegenden, rechtlichen Prinzipien gegen eine solche territoriale Ausdehnung.
Im Gegensatz dazu enthielt die UN-Sicherheitsratsresolution 242, die nach dem Krieg von 1967 verabschiedet wurde (als Israel die ägyptische Halbinsel Sinai, die syrischen Golanhöhen, die Westbank mit Ost-Jerusalem und den Gaza-Streifen erobert hatte), keine Forderungen, die mit den anderen Resolutionen vergleichbar waren und an die Besatzungsmacht appellierten, sich bedingungslos zurückzuziehen und das Recht auf Selbstbestimmung anzuerkennen. Stattdessen machte man - ohne Gewaltanwendung oder deren Androhung - Israels Rückzug davon abhängig, dass die benachbarten Staaten Israel zugestehen, innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen zu existieren. Dieser Grundsatz, den nach dem Oktober Krieg von 1973 die UN-Sicherheitsratsresolution 338 abermals bekräftigt, hat sich mittlerweile unter der Bezeichnung "Land für Frieden" eingebürgert.
Befürworter der israelischen Besatzung behaupten mitunter, die Resolution bezeichne eher "Territorien" als "die Territorien", womit sie andeuten, es gäbe keinerlei Verpflichtung für einen vollständigen Rückzug. Gemäß dieser Interpretation hätte Israel schon 1981 mit der Rückgabe der Sinai Halbinsel an Ägypten seine Pflicht erfüllt. Der Resolutionstext auf Französisch (der zweiten offiziellen Amtssprache der Vereinten Nationen) benutzt allerdings den bestimmten Artikel. Die Autoren der ursprünglichen Resolution - der amerikanische und der britische Botschafter - erklärten außerdem ausdrücklich, dass sie nur an sehr geringfügige und gegenseitige Veränderungen an der zerklüfteten Grenze gedacht hatten, die im Waffenstillstandsabkommen von 1949 entlang der Linien der Feuerpause festgelegt worden war.
Die arabischen Staaten und die Palästinensische Befreiungsorganisation lehnten diese Resolutionen anfangs ab, wobei es schon ab Mitte der siebziger Jahre Anzeichen dafür gab, dass einige von ihnen ihre ablehnende Haltung mildern würden. In den frühen neunziger Jahren war deutlich geworden, dass die PLO und nahezu jeder arabische Staat bereit waren, das Prinzip Land für Frieden zu akzeptieren. Auf dem Beiruter Gipfel der Arabischen Liga im März 2002 wurde einstimmig eine Resolution angenommen, die einen Friedensplan des saudischen Prinzen Abdullah billigte. Dieser wiederholte im Wesentlichen die Resolutionen 242 und 338.
Doch während die Araber offener dafür geworden waren, die Formel Land für Frieden zu akzeptieren, zeigten sich die Israelis und die USA unnachgiebiger. Die USA etwa hinderten die PLO fast zwanzig Jahre daran, am Friedensprozess unter US-Schirmherrschaft teilzunehmen, zum Teil, weil die PLO sich geweigert hatte, die Resolutionen 242 und 338 des UN-Sicherheitsrats als Grundlage für Verhandlungen zu akzeptieren. Die PLO lehnte diese Resolutionen indessen ursprünglich ab, weil diese die nationalen Rechte der Palästinenser nicht anerkannten. Eine vom UN-Sicherheitsrat vorgeschlagene Resolution, die sich abermals auf 242 und 338 berief, allerdings mit der Bedingung, dass auf der Westbank und im Gaza- Streifen ein palästinensischer Staat entstehe, unterstützten die PLO und verschiedene arabische Staaten stillschweigend - doch die USA legten 1976 ein Veto ein. Als die Palästinenser 1988 die Resolutionen ohne Vorbedingungen als Basis für Friedensgespräche formell akzeptiert hatten und fünf Jahre später endlich am Friedensprozess teilnehmen durften, ließen die USA diese Resolutionen als Grundlage für Friedensgespräche im Prinzip fallen. Formell hatten die USA sie zwar nicht verworfen, aber sie forderten die arabischen Staaten auf - nachdem diese die Resolutionen akzeptiert hatten -, "flexibel" und offen für "neue Ideen" zu sein.
Die in den Resolutionen genannten Sicherheitsgarantien wurden als Versprechen der benachbarten Staaten gedeutet, nicht anzugreifen, und man nahm an, dass eine Art Kombination von Waffenkontrollen, demilitarisierten Zonen, Frühwarnsystemen und internationalen Friedenstruppen diese Garantien durchsetzen sollten.
Die Vereinigten Staaten und Israel haben diese Interpretation jedoch erheblich ausgedehnt und bestehen nun darauf, dass die Resolution vor allem gewisse Garantien für die physische Sicherheit eines jeden israelischen Bürgers verlange. Tatsache ist, dass die Israelis und die US-Regierung argumentieren, Israel sei in keiner Weise verpflichtet, sich aus den besetzen Gebieten zurückzuziehen, solange die Anschläge von Selbstmordattentätern und anderen Terroristen nicht vollständig eingestellt worden sind. Da die meisten Attentäter zu terroristischen Untergrundzellen gehören, die außerhalb der effektiven Kontrolle einer jeden Regierung (und insbesondere der unter israelischer Besatzung stehenden, handlungsunfähigen Palästinensischen Autorität) stehen, und den Friedensprozess ausdrücklich durch Gewalt sabotieren wollen, bedeutet das im Ergebnis, dass die Israelis sich nicht zum Rückzug verpflichtet fühlen müssen. Dabei ist es paradoxer Weise die Besatzung selbst, die für die Kampagne der Selbstmordattentate weitestgehend ursächlich ist. Ebenso haben Israels Versagen, sich an die Resolutionen des Sicherheitsrats zu halten und das Versäumnis der USA auf deren Durchsetzung zu beharren, viele Palästinenser dazu verleitet, friedliche Mittel zur Beilegung des Konflikts aufzugeben.
Tatsächlich gibt es noch andere Resolutionen des Sicherheitsrats, welche die israelische Regierung unbestreitbar verletzt. Darunter sind die Resolutionen 446, 452 und 465: Sie verlangen von Israel, die Kolonisierung der besetzten Gebiete durch den Bau jüdischer Siedlungen zu beenden. Nach der vierten Genfer Konvention sind die Siedlungen illegal und es ist einer Besatzungsmacht verboten, ihre Zivilbevölkerung auf Land anzusiedeln, das sie militärisch an sich gerissen hat.
Trotzdem haben die Regierungen Clinton und Bush erklärt, das Schicksal der Siedlungen müsse durch Verhandlungen zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde bestimmt werden. Präsident Bill Clintons Friedensplan vom Dezember 2000 - ebenso wie der Plan des israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak, den er im Juli desselben Jahres in Camp David vorgelegt hatte - hätten Israel gestattet, riesige Landstreifen der besetzten Westbank zu annektieren und dabei 80 Prozent der Siedler aufzunehmen, obwohl jeder einzelne von ihnen eine Reihe von UN-Sicherheitsratsresolutionen verletzt, indem er in diesen Siedlungen lebt.
In Anbetracht des Ungleichgewichts der Kräfte zwischen den Palästinensern und ihren israelischen Besatzern ist es nicht verwunderlich, dass Israel einen Rückzug aus diesen illegalen Siedlungen nicht nur verweigert, sondern deren Anzahl seit der Unterzeichnung der Osloer Vereinbarungen von 1993 sogar fast verdoppelt hat. Der Versuch, diese illegalen Siedlungen mit Hilfe der Pläne von Clinton und Barak Israel einzuverleiben, hätte die Westbank de facto in eine Reihe von unzusammenhängenden Kantonen aufgeteilt, die den zukünftigen palästinensischen "Staat" nicht überlebensfähig gemacht hätten. Arafat sah sich deshalb gezwungen, abzulehnen. Das Ergebnis ist die grausame Gewalt, die seither wütet.
Bezeichnenderweise untersagt Artikel 7 der UN-Sicherheitsratsresolution 465 allen Mitgliedsstaaten, Israels Kolonisationsvorstoß zu unterstützen. Bedenkt man, dass die Vereinigten Staaten den Bau der sogenannten "Umgehungsstraßen" und auch andere Infrastruktur, welche die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten verstärkt, zu einem großen Teil finanzieren, könnte man auch behaupten, dass die USA diese Resolution ebenfalls verletzen.
Eine weitere Kette von Resolutionen behandelt einen anderen Stolperstein im Friedensprozess: den Status Jerusalems. Israel verstößt zur Zeit gegen die Resolutionen 262, 267, 476 und 478 des UN-Sicherheitsrats. Diese fordern Israel dazu auf, die Annektierung des arabischen Ost-Jerusalem und seiner Umgebung, die am Anfang des Krieges 1967 erobert worden sind, aufzuheben und jegliche Aktivitäten zu unterlassen, die darauf abzielen, den Status der Stadt zu verändern. Artikel 5 der Resolution 478 ruft alle Mitgliedsstaaten der UN dazu auf, diese Entscheidung hinzunehmen. Doch die Vereinigten Staaten haben die israelische Oberhoheit über das gesamte größere Ost-Jerusalem durch eine Reihe exekutiver Anordnungen und Resolutionen des Kongresses während der vergangenen Dekade de facto anerkannt.
Andere Resolutionen, gegen die Israel derzeit verstößt beinhalten die UN-Sicherheitsratsresolution 478, die Israel dazu auffordert, seine nuklearen Einrichtungen unter die Kontrolle der Internationalen Atomenergie Agentur (IAEA) der UN zu stellen; UN-Sicherheitsratsresolution 497, die von Israel verlangt, seine Entscheidung zurückzunehmen, auf den besetzten syrischen Golanhöhen sein eigenes lokales Recht einzuführen; die UN-Sicherheitsratsresolution 573 ruft Israel dazu auf, Entschädigungen für die menschlichen und materiellen Verluste seines Angriffes auf Tunesien im Jahr 1985 zu zahlen; oder die Resolutionen 1402, 1403 und 1405, die von Israel verlangen, sich aus den besetzten palästinensischen Städten in der Westbank zurückzuziehen. Es gibt auch mehr als ein Dutzend gegenwärtig nicht befolgter Resolutionen, die darauf drängen, Israel möge sich bezüglich der besetzten Gebiete an die Vierte Genfer Konvention halten: Ausweisungen und Hinrichtungen von Palästinensern, die Zerstörung palästinensischer Häuser und andere Formen kollektiver Bestrafung zu beenden und die Gewalt von Siedlern gegen die palästinensische Bevölkerung in Schach zu halten.
22 Jahren lang verstieß Israel gegen die UN-Sicherheitsratsresolution 425 und gegen neun Folgeresolutionen, die seinen bedingungslosen Abzug aus Südlibanon forderten. Sogar, als eine nennenswerte Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit einen solchen einseitigen Abzug in den späten neunziger Jahren unterstützte, erklärte der amerikanische Botschafter in Israel, Martin Indyk, gegenüber den israelischen Medien, die USA würden Israels fortgesetzte Besatzung sowieso unterstützen. Als die radikale, libanesische Islamistengruppe Hisbollah schließlich im Mai 2000 die Israelis aus dem Libanon vertrieb - sie mussten sich hastig zurückziehen -, schien das für viele Palästinenser Beweis genug, dass es nutzlos sei, auf die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zu setzen. Dagegen ließ der militärische Sieg der Hisbollah viele Palästinenser glauben, der einzige Weg, sich von der israelischen Kontrolle zu befreien, sei - wie es die Libanesen getan haben -, einen von einer extremistischen islamischen Bewegung angeführten militärischen Widerstand aufrechtzuerhalten. In der Tat gibt es bei der gegenwärtigen Gewalt gegen Israel kaum Palästinenser, die den Libanon nicht als Vorbild zitieren.
Aus zahlreichen Gründen - insbesondere, was den großen Unterschied in der israelischen Sichtweise hinsichtlich der Bedeutung der besetzten palästinensischen Gebiete im Vergleich zum Südlibanon angeht - ist das eine sehr unpassender Vergleich. Dennoch sind vor allem die USA mit ihren Bemühungen, Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zum Thema Israel und Libanon auszuhebeln, für diesen radikalen Umschwung in der palästinensischen Einstellung verantwortlich.
Nachdem die Palästinenser dem bewaffneten Kampf abgeschworen und in den 1993 unterzeichneten Abkommen von Oslo Israels Kontrolle über den Großteil Palästinas einseitig anerkannt hatten, blieben ihnen als einziges wirksames Instrument diese außerordentlichen Resolutionen des UN-Sicherheitsrats, die sich mit den Siedlungen, Jerusalem und anderen Angelegenheiten befassen. Die Palästinenser hatten angenommen, dass die Vereinigten Staaten als Garant der Prinzipienerklärung Israel später zu den nötigen Kompromissen drängen würden - auf der Basis der Resolutionen des UN-Sicherheitsrats, zu deren Aufrechterhaltung die Vereinigten Staaten als Mitglied des Sicherheitsrats verpflichtet gewesen wären. Sowohl die Regierung Clinton als auch die gegenwärtige Regierung Bush stehen jedoch auf dem Standpunkt, die Vereinten Nationen hätten im israelisch-palästinensischen Konflikt keinen Einfluss mehr und begründen das mit den Osloer Vereinbarungen, die an die Stelle der UN-Resolutionen gerückt seien. Clintons damalige Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Madeleine Albright, drückte das so aus: "Resolutionssprache, die sich auf Angelegenheiten des 'Endstatus' bezieht, sollte nicht mehr benutzt werden, weil diese Themen nun von den Parteien selbst verhandelt werden. Dazu gehören die Flüchtlingsfrage, die Siedlungen, die territoriale Souveränität und der Status Jerusalems."
Dieser Versuch, die Autorität der UN einseitig zu negieren, wird von der internationalen Gemeinschaft allerdings nicht getragen. Keine UN-Resolution kann ohne Abstimmung durch das jeweilige Organ annulliert werden, das die Resolution einst beschlossen hat. Weder der UN-Generalsekretär, noch die andere Mitglieder des Sicherheitsrats stimmen mit der Einschätzung der USA überein, dass die Resolutionen irrelevant seien. Darüber hinaus können bilaterale Vereinbarungen zwischen zwei Parteien die Autorität des UN-Sicherheitsrats keinesfalls ersetzen. Das gilt insbesondere, wenn eine der beiden Parteien (in diesem Fall die Palästinenser) deutlich gemacht hat, dass solche Resolutionen durchaus noch immer relevant sind.
Unter anderem, weil sie bisherige Resolutionen des UN-Sicherheitsrats nicht durchsetzen, werden die USA als einseitig ausgerichtet wahrgenommen. Seit den frühen siebziger Jahren haben die Vereinigten Staaten ihr Vetorecht im Sicherheitsrat vierzig Mal genutzt, um Resolutionen, die Israels Politik in den besetzen Gebieten kritisierten, zu blockieren. Alle anderen Staaten zusammen haben bei sämtlichen anderen Angelegenheiten während derselben Periode ihr Vetorecht seltener als die USA eingesetzt. In jüngster Vergangenheit legten die USA zum Beispiel ein Veto gegen eine Resolution aus dem Jahr 2001 ein, die dazu aufrief, unbewaffnete Menschenrechtsbeobachter in den besetzten Gebieten zu stationieren, und im vergangenen Dezember blockierten sie ebenfalls eine Resolution, die kritisierte, dass Israel drei Mitarbeiter der Vereinten Nationen getötet hatte. Es gab zudem unzählige Gelegenheiten, bei denen schon die Androhung eines US-Vetos zur Folge hatte, dass die Formulierungen einer Resolution gemildert oder eine eingereichte Resolution bereits vor der Abstimmung zurückgezogen wurde. Im März 2001 brachten die USA eine Reihe von Resolutionen zu Fall, die die Europäischen Staaten vorgeschlagen hatten: Die USA drohten an, gegen jede Resolution ein Veto einzulegen, die bezüglich der Einkesselung palästinensischer Städte durch die israelische Besatzungsarmee den Begriff Belagerung verwendete oder irgendetwas im Zusammenhang mit Israels illegalen Siedlungen, der Genfer Konvention, dem internationalen Recht oder dem Prinzip Land für Frieden erwähnte.
Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass das Insistieren der Vereinigten Staaten, im Irak einmarschieren zu müssen, um die Integrität der Vereinten Nationen und ihrer Resolutionen zu bewahren, als überaus heuchlerisch empfunden wird.
Befürworter der israelischen und amerikanischen Position weisen darauf hin, dass die Resolutionen, die sich mit Israel befassen, unter das Kapitel VI der UN-Charta fallen, mit der Überschrift "Die friedliche Beilegung von Streitigkeiten". Die meisten der Resolutionen, die den Irak behandeln, gehörten jedoch zu Kapitel VII ("Maßnahmen bei der Bedrohung oder Bruch des Friedens bei Angriffshandlungen"). Das ist formell gesehen zwar richtig. Diese Argumentationslinie ignoriert aber, dass die Bestimmung darüber, welche Resolutionen welcher Kategorie zugeordnet werden müssen, nicht so sehr damit zu tun hat, wie schwer ein bestimmter Staat das internationale Recht verletzt oder welche Auswirkungen auf die Menschen solche Rechtsverletzung hat. Vielmehr hängt die Zuordnung oft davon ab, in welcher Beziehung der Vertragsbrüchige zu den stärksten Mächten im Sicherheitsrat steht. So fanden sich beispielsweise Resolutionen, die sich mit Indonesiens Invasion und den Massakern in Osttimor befassen, unter Kapitel VI wieder. Eine Resolution über den Auslieferungsdisput zwischen den USA und Libyen fiel dagegen unter Kapitel VII.
Diese himmelschreiende Politisierung des UN-Sicherheitsrats durch die USA zu Gunsten Israels - und anderer US-Verbündeter wie Marokko und der Türkei - hat die Legitimität der Vereinten Nationen, des internationalen Rechtssystems und die grundlegenden Prinzipien des Multilateralismus ernsthaft untergraben. Das, zusammen mit der US-Invasion des Irak, stellt die Rechtmäßigkeit der Konzepte des 20. Jahrhunderts - das internationale System, das auf vereinbarten rechtlichen Prinzipien beruht - in Frage und ersetzt sie mit Auffassung von Machtpolitik, die aus dem 19. Jahrhundert stammt. Daraus könnte eine Welt der Anarchie entstehen, die weder für Israel, noch für die Vereinigten Staaten oder sonst irgend jemanden gut sein kann.
aus: der überblick 04/2003, Seite 90
AUTOR(EN):
Stephen Zunes:
Stephen Zunes ist der Vorsitzende des "Peace & Justice Studies Program" an der Universität von San Franzisko. Er ist der Autor des jüngst veröffentlichten Buches "Tinderbox: U.S. Middle East Policy and the Roots of Terrorism", Monroe 2003. Dieser Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung aus der US-amerikanischen Zeitschrift "Tikkun, a Bimonthly Jewish Critique of Politics, Culture & Society", Ausgabe Mai-Juni 2003, übernommen.