Die innerkirchliche Demokratie ist in manchen Teilen der Welt noch sehr wenig entwickelt.
Viele Partner hatten erhebliche institutionelle Mängel. Das traf sogar in besonderem Maße auf die Kirchen selbst und auf kirchliche Dachorganisationen wie nationale und kontinentale Kirchenräte zu.
von Warner Conring
"Das wichtigste Kapital der kirchlichen Entwicklungsarbeit sind unsere Partner!" In diesem Satz fasste Günter Linnenbrink auf der EKD-Synode in Bad Salzuflen 1986 den konzeptionellen Ansatz kirchlicher Entwicklungsorganisationen zusammen. "Die Partner" sind in erster Linie die einheimischen Kirchen in der Dritten Welt, daneben die vielen christlichen und anderen nichtstaatlichen Organisationen, die dem Entwicklungskonzept verpflichtet sind. Alle Entwicklungsvorhaben, die mit kirchlichen Geldern aus Deutschland gefördert werden, werden in der Verantwortung einheimischer Partnerorganisationen umgesetzt.
Aber das Partnerkonzept hat auch Schwächen. Viele Partner hatten erhebliche institutionelle Mängel. Das traf sogar in besonderem Maße auf die Kirchen selbst und auf kirchliche Dachorganisationen wie nationale und kontinentale Kirchenräte zu. Die innerkirchliche Demokratie ist in manchen Teilen der Welt noch sehr wenig entwickelt. Es fehlt eine wirksame Kontrolle der leitenden Personen durch unabhängige synodale Organe. Auch die Medien sind nicht ausreichend in der Lage, ein kritisches Gegenüber in der Öffentlichkeit aufzubauen. Schließlich und am gravierendsten: Kirchliche Rechnungsprüfungsämter, die Haushaltsrechnungen mit der nötigen Unabhängigkeit kritisch prüfen könnten, gibt es außerhalb Deutschlands nur selten. Professionelle Haushaltskontrolle stößt daher oftmals auf unüberwindliche Hindernisse. Korruption und Fehlentscheidungen über große Beträge von Entwicklungsgeldern sind die unausbleibliche Folge.
Man kann das angesichts der historischen Brüche und der interkulturellen Spannungen verstehen, man kann diese Schwächen auch angesichts wirklich erstaunlicher Leistungen dieser selben Partner relativieren. Aber dürfen sie toleriert werden? Sicher nicht, denn dadurch würden innere Reform- und Reinigungsprozesse, die aus den Kirchen im Süden selbst kommen, eher behindert als gefördert und Eigenverantwortung erschwert. Dies war den verantwortlichen Personen des ökumenischen Entwicklungsdienstes in Deutschland nicht ausreichend bewusst. Ein handfester Krach mit den Partnern wäre von Zeit zu Zeit besser gewesen als ökumenische Diplomatie. An dieser komplizierten und sensiblen Front haben die kirchlichen Entwicklungsorganisationen in Deutschland viel Zeit und Kraft aufgewandt, aber nicht immer richtig entschieden und gehandelt.
Eine andere Fehlentwicklung, die im Partnerkonzept angelegt ist, konnte ebenfalls nicht überall vermieden werden: Viele unserer Partner haben sich von breiterer gesellschaftlicher Partizipation abgeschottet. Sie konnten ihre Probleme leichter (und komfortabler) mit ihren Partnern in Deutschland diskutieren und lösen als in ihrem eigenen Land. Das ist nicht immer gut. Hat es vielleicht auch zu einer unguten Distanz zu Politik, Wirtschaft, Bildungswesen und Publizistik beigetragen, zu mangelndem personellem Austausch zwischen den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft?
Oft haben die Beteiligten im Süden wie im Norden einfach beklagt, wenn Absolventen kirchlicher Berufsbildungszentren in der Wirtschaft Karriere machen konnten, wenn kirchliche Stipendiaten im staatlichen Bildungswesen Stellen fanden oder Ärzte im privaten Sektor arbeiteten. Sicher hat diese Abwanderung mit dem Gehaltsgefälle zwischen Kirchen und anderen Arbeitgebern im Süden zu tun. Aber ist die Klage darüber nicht auch Ausdruck einer fehlenden gesellschaftlichen Mitverantwortung der Kirchen, ihrer mangelnden öffentlichen Relevanz? In den Kirchen wird nicht mehr mit den Verantwortlichen über Politik und Wirtschaft diskutiert, und umgekehrt brauchen sich Wirtschaft und Politik nicht um kirchliche Institutionen und Werte zu kümmern.
Wir, der Entwicklungsdienst, haben dabei mitgespielt und zum Beispiel einen besseren fachlichen Austausch unter den gesellschaftlichen Gruppen in diesen Ländern nicht für vordringlich gehalten. Wir meinten, die Probleme ließen sich exklusiv unter den Partnern lösen, das heißt direkt zwischen den Gebern und den Projektträgern im Süden. Damit haben wir diese in eine falsche Richtung gedrängt: immer zuerst in Stuttgart oder Bonn nachfragen und nicht versuchen, die Probleme im eigenen Land zu lösen. Die kirchlichen Entwicklungsorganisationen haben den gleichen Fehler wiederholt, den schon die Missionsgesellschaften gemacht hatten, nämlich die Partnerbeziehungen möglichst exklusiv zu gestalten. Das führt in die Enge statt in die Freiheit. Wachsende Irrelevanz ist die Folge.
Das gleiche Prinzip kann auch anhand guter Erfahrungen verdeutlicht werden. Wenn Kirchen und gesellschaftliche Kräfte in einen ernsthaften und ehrlichen Erfahrungsaustausch eintreten, werden größere Probleme lösbar. Das hat sich im Dialogprogramm der Kirchen in Deutschland mit großen Industriekonzernen wie Nestle, Höchst und der Aluminiumindustrie gezeigt. Wichtig war dabei die Kooperation mit Aktionsgruppen, welche Fehlentwicklungen der "Multis" oft scharf pointiert öffentlich anprangerten ("Nestle tötet Babies") und über bestimmte Kampftechniken verfügten. Gleichzeitig hatten die Kirchen belastbare Kontakte zu Personen in den Führungsetagen der Konzerne. Das führte zu Diskussionen, die die Abstellung bestimmter Missbräuche in Entwicklungsländern und die Ankurbelung von günstigen Entwicklungen zur Folge hatten. Dies hatte oftmals ungleich bedeutsamere Auswirkungen als unsere eigenen Projekte.
Kirchen tun gut daran, intensiven Kontakt zu allen gesellschaftlichen Gruppen in ihrem jeweiligen Land zu pflegen, mit ihnen gründlich und sachorientiert zu debattieren und dabei gegenseitig die Unabhängigkeit zu wahren. Dabei sind zwei Dinge unverzichtbar: Klare, begrenzte Zielsetzungen sowie detailgenaue Sachkenntnis. Dann braucht man keine Angst vor streitigen Auseinandersetzungen zu haben. Letztlich profitieren alle Partner davon, wenn dadurch Probleme gelöst werden können.
Tagung in MeißenKritische RückschauZu einer Tagung über "Tradition und Zukunft des ökumenischen Entwicklungsdienstes" haben fünf Mitgründer des kirchlichen Entwicklungsdienstes im Mai in die Evangelische Akademie Meißen eingeladen. Alle fünf - Warner Conring, Manfred Drewes, Manfred Kulessa, Klaus Poser und Klaus Wilkens - sind Jahrgang 1932 und feiern in diesem Jahr ihren 70. Geburtstag. Sie haben einen vierzigköpfigen Freundeskreis des kirchlichen Entwicklungsdienstes in Meißen versammelt und dort kritisch Rückschau auf dessen Arbeit gehalten, an der sie selbst führend beteiligt waren. Nicht nur die Verdienste und Lernerfolge der ökumenischen Entwicklungsarbeit kamen zur Sprache, sondern auch ihre Mängel und Fehler. Einer der fünf, Warner Conring, warnt vor allem, dass Kirchen sich nicht auf ihre ausländischen Partner konzentrieren und aus Debatten mit anderen Teilen der Gesellschaft zurückziehen sollten. |
aus: der überblick 03/2002, Seite 133
AUTOR(EN):
Warner Conring:
Warner Conring ist Oberkirchenrat im Ruhestand und gehört zu den Mitbegründern des Kirchlichen Entwicklungsdienstes.