Protestanten an die Macht!
Wo liegen die Ursachen für Korruption? Ist es der moralische Niedergang einer Gesellschaft, der Verfall von Sitte und Moral was wörtlich Korruption heißt? Oder liegt es am Fehlverhalten einzelner, der Gier nach Geld? Sind es vielleicht nur die schwachen Gesetze und unzureichenden Strafen? Das Fehlen von Rechtsstaat und Rechtsbewusstsein? Seit langem wird diskutiert und geforscht, was eigentlich das Vorkommen von Korruption beeinflusst. Dabei rückt auch die Religion oder genauer gesagt die Konfession ins Blickfeld.
von Ulrich von Alemann
Früher begnügte man sich bei Mutmaßungen über die Anfälligkeit von bestimmten Ländern für Korruption mit recht kruder Völkerpsychologie: In Ländern der südlichen Hemisphäre würden laxere Umgangsformen mit Recht, Geld und geldwertem Vorteil gelten. Die Versorgung der Familie sei eben ein höherer Wert als die Gleichheit aller Staatsbürger und die Unbestechlichkeit der Beamten.
Seit die nichtstaatliche Organisation (NGO) Transparency International jährlich den Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perception Index CPI) publiziert, weiß man Genaueres. 159 Staaten werden nach der Häufigkeit von Korruption in einer Rangfolge aufgelistet. Jedes Jahr findet die Veröffentlichung des Index ein hohes Medienecho.
Im CPI von 2005 stehen die folgenden 12 Staaten an der Spitze der Liste, gelten also als am wenigsten korrupt: Island, Finnland, Neuseeland, Dänemark, Singapur, Schweden, Schweiz, Norwegen, Australien, Österreich, Großbritannien und die Niederlande. Das Schlusslicht bilden Bangladesch und der Tschad. Der größte Teil der Spitzengruppe ist evangelisch geprägt. Das kann kein Zufall sein.
Allerdings sind die Staaten der Erde doch höchst heterogen. Die Staaten der Europäischen Union (EU) lassen sich eher vergleichen. In der EU sind die führenden drei Länder Finnland, Dänemark und Schweden also mehrheitlich protestantisch. Katholische Länder bilden die Schlussgruppe. Es ist nur allzu auffällig, dass die Staaten, die den Index der Korruptionsresistenten anführen, fast durchweg protestantisch sind mit Ausnahme des katholischen Österreich und des Sonderfalls Singapur.
Es gibt also einen eindeutigen wenn auch nicht zwingenden Zusammenhang zwischen Konfession und Korruption. Man kann sagen: Je protestantischer ein Land, desto weniger anfällig ist es für Korruption. Das ist ein hartes Faktum. Aber wie lässt es sich erklären? Da wird es schwierig. Schon der berühmte Soziologe Max Weber hat die protestantische Ethik für den Geist und damit den Erfolg der kapitalistischen Produktionsweise verantwortlich gemacht, da der Protestantismus jedenfalls tendenziell auf Askese, auf Wertegerechtigkeit im Diesseits, auf Pflichtwerte und Arbeitsethos und auf einer Aufgabe basierenden Motivation gegründet sei. Katholizismus sei dagegen stärker hedonistisch, hierarchisch und auf Motivation, die durch äußere Zwänge bedingt ist, orientiert. Aber gilt das, was Max Weber vor gut 100 Jahren formulierte, auch heute noch? Denn die Zahlen sind ja ganz aktuell.
In der Forschung ist argumentiert worden, dass generell hierarchische Religionen wie die katholische, die orthodoxe und die muslimische zum Beispiel anfälliger sind für Korruption als andere. Obwohl einige Gegenbeispiele existieren, kann man doch festhalten, dass reformistische christliche Konfessionen, wie protestantische und anglikanische, resistenter gegen Korruption sind. Ganz allgemein hat die Forschung nachgewiesen, dass hierarchische Gesellschaften Korruption stärkere Möglichkeiten eröffnen. Dies verbindet sich gerade mit traditionellen Kulturen gegenüber säkularen und rationalen Autoritätsverhältnissen. Traditionelle Gesellschaften, die klientelorientiert sind und auf Familienwerten basieren, sind in der Regel anfälliger für Korruption als moderne Gesellschaften. Das gilt auch für traditionelle sozialistische Gesellschaften, die Korruption eher erleichtern.
Die endgültige Klärung der Frage, ob und insbesondere warum Religion oder im engeren Sinne Konfession Korruption beeinflussen, harrt noch weiterer Forschung. So gibt es andere Faktoren, die die Resistenz gegen Korruption positiv beeinflussen, wie Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit, Wohlstand, Demokratie, politische Vernetzung des Staates und vor allem Vertrauen in eine faire Politik. Wo diese Faktoren mit dem Konfessionsfaktor zusammen zu finden sind, da liegt ein günstiger Nährboden für die Bekämpfung von Korruption. So empfiehlt Transparency International in seinen praktischen Ratschlägen für eine "Anti-Korruptions- Erziehung" ethisches Training in Organisationen, bei der die Einbeziehung religiöser Erziehung eine beträchtliche Rolle spielt.
aus: der überblick 02/2006, Seite 13
AUTOR(EN):
Ulrich von Alemann
Ulrich von Alemann ist Professor für Politikwissenschaft an der Heinrich-
Heine-Universität Düsseldorf.