Interreligiöse Konferenz in Kigali
Frieden ist in Afrika nur mit den verschiedenen Religionen gemeinsam zu erreichen. Ishmael Noko, der Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes, hat deshalb ein neues Netzwerk gegründet, das beharrlich daran arbeitet, konfessionelle und politische Grenzen zu überwinden. Vertreter von sechs Glaubensrichtungen kamen im Juni im Hotel Mille Collines in Kigali zusammen. Eine kluge Konferenzregie machte einen gemeinsamen Ratschlag und viele kleine Dialoge möglich.
von Klaus Rieth
Das durch den Film "Hotel Rwanda" berühmt gewordene Hotel war gut gewählt, um Lösungen für den geschundenen Kontinent zu suchen. Sechs Religionen, das bedeutete Muslime und Christen neben Hindus, Bahaiis, Buddhisten und Naturreligionen, kamen zum ersten Treffen der Konferenz für interreligiösen Dialog ins Land der Tausend Hügel. Während vier Tagen berieten 25 Delegierte der Inter-Faith Action for Peace in Africa (IFAPA), noch einmal so viele Beobachter und eine handvoll Journalisten darüber, wie Frieden in Afrika ermöglicht werden kann.
Der deutsche Professor für Systematische Theologie in Tübingen, Christoph Schwöbel, hat für den Interreligiösen Dialog folgende Regeln erarbeitet: "Der interreligiöse Dialog kann in seinen Formen und Zielen jeweils nur aus der Perspektive einer Religion beschrieben werden (unhintergehbare Perspektivität des Glaubens und Verstehens). Im Dialog definieren die Partner ihre eigene Position selbst (Interdependenz der Dialogpositionen). Dabei werden strittige religiöse Wahrheitsüberzeugungen gerade nicht ausgeklammert, sondern bestimmen die jeweilige Identität der Dialogpartner auch dort, wo sie nicht explizit thematisiert werden."
Was hier in Theorie und Sprache einer deutschen Universität festgehalten wurde, gewann in Ruanda praktische Gestalt. Etwa dann, wenn die Vertreterinnen und Vertreter der sechs Religionen sich zum gemeinsamen Friedensgebet vor der Völkermord-Gedenkstätte aufstellten. Wenn jeder dieser sechs in seiner eigenen Sprache zu seinem Gott betete. Wenn die Vertreterin der Naturreligionen die Erde küsst und ihren Schmerz über das Leid der Getöteten wie ein kleines Kind in ihren Händen wiegt. Wenn der eine kurz beten darf und mit knappen Worten seinen Gott anruft und der andere mit einem langen Gesang um Frieden bittet. Wenn sich Hindu, Christ, Bahaii und Moslem nicht in ihrer Kleidung unterscheiden, Buddhist und Voodoo-Priesterin sich in ihren farbenfrohen Gewändern aber deutlich von ihnen abheben, dann scheint etwas von der professoral geforderten "Identität" auf.
Es ging nicht darum, irgendwelche religiösen Unterschiede zu überwinden. Es ging auch nicht darum, den anderen von der Vorherrschaft der eigenen Religion zu überzeugen, es ging auch nicht um Mission oder Proselytenmacherei, sondern es ging darum, zu zeigen, wie mehr Frieden in Afrika möglich gemacht werden kann.
Die Initiative für IFAPA ging zwar vom Lutherischen Weltbund (LWB) aus, aber nach mittlerweile drei Treffen läuft die Bewegung wirklich interreligiös weiter. Das liegt auch am Geschick des Generalsekretärs des LWB. Mit der Einsetzung eines muslimischen Koordinators gelang ihm ein kluger Schachzug. So waren die beiden großen Akteure personalpolitisch bereits auf gleicher Ebene vertreten. Dass die anderen Religionen teilweise durch weibliche Delegierte präsent waren, sicherte die breite Verankerung. Und die Einbeziehung einflussreicher Persönlichkeiten aus Staat und Kirche verlieh dem Treffen zusätzlich Spannung und Gewicht. Zu nennen sind der frühere norwegische Ministerpräsident Kjell Magnus Bondevik, der anglikanische Erzbischof Njongonkulu Ndungane aus Kapstadt, der finnische Politiker Pär Stenbäck und der Staatspräsident von Ruanda, Paul Kagame.
Es war während der gesamten Konferenz nie richtig auszumachen, wo genau die Fortschritte im gemeinsamen Gespräch erzielt wurden. Die Ebenen waren Äußerst vielschichtig. Etwa wenn die IFAPA-Vertreter aus der Demokratischen Republik Kongo im Plenum mit den Nachbarn aus dem Sudan oder aus Uganda redeten und Grenzprobleme ansprachen. Wenn man stehen lassen konnte, dass Milizen aus dem Nachbarland weit ins Innere des eigenen Landes vorgedrungen waren. Wenn man zugeben konnte, dass dem so ist, dann war es möglich, dennoch weiter an einem Tisch zu sitzen und einander zuzuhören.
Der muslimische Koordinator von IFAPA ist ein Senegalese, ein Hüne von 1,90 Metern. Er hat die Konferenz fest im Griff. Er vermittelt, er organisiert, er bringt Menschen zusammen. Im Hauptberuf ist Sheik Saliou Universitätslehrer. Später einmal wird der 43-Jährige, der derzeit die Zentrale von IFAPA in Nairobi, Kenia, leitet, wieder in den Senegal zurückgehen, um in die Fußstapfen seines Großvaters zu treten und sich als Führer um das Wohl von gleich mehreren Dorfgemeinschaften kümmern. Bislang aber kümmert er sich um die 25 Delegierten. Und das mit Erfolg. Sein Rezept besteht darin, dass sehr unterschiedliche Menschen eine gemeinsame Geschichte erhalten.
Bislang hat die IFAPA dreimal getagt. Zweimal in Johannesburg, jetzt zum ersten Mal in Ruanda, dem "Herzen Afrikas". "Wenn die Delegierten über mehrere Jahre zusammenkommen, wenn sie tagelang zusammen sitzen und reden, dann haben sie eine gemeinsame Geschichte, dann können sie nicht so einfach davonlaufen, wenn dem eigenen Land himmelschreiendes Unrecht vom Nachbarn angetan wird. Dann redet man miteinander, dann hört man einander zu."
Eine andere Besonderheit der Konferenz ist die Einbeziehung der so genannten Naturreligionen. Die Anwesenheit mehrerer Vertreter bei der Konferenz erinnert daran, dass in manchen Ländern der Anteil der Naturreligionen weit über 50 Prozent beträgt, etwa in Togo 70 Prozent. Wer dauerhaft Frieden anstrebt, darf diese wichtige spirituelle Kraft nicht vernachlässigen oder gar ausschließen.
IFAPA ist eine panafrikanische Idee. Eine Kommission von 25 Personen setzt sich aus je fünf Vertretern der afrikanischen Sub-Regionen zusammen. Dass dabei auf gleiche Teilhabe von Frauen und Männern, von Jugendlichen und Älteren geachtet werden soll, entspricht ökumenischem Standard, lässt sich in der Praxis aber nur schwer umsetzen. Denn auch in Kigali hat sich gezeigt, dass die Big Noses, die Einflussreichen, noch immer mehrheitlich männlich und dass jugendliche Delegierte kaum vertreten sind.
Fortschritte werden bei der Konferenz nicht nur im Konferenzsaal erzielt, sondern wie auch sonst in der Welt in den Nebenzimmern. Wenn die Generalsekretäre und die Staatsoberhäupter sowie die potentiellen Geldgeber zusammensitzen. Oder wenn plötzlich zwei oder drei nicht am gemeinsamen Abendessen teilnehmen, sondern separat in einem anderen Stadtteil speisen. Konferenzen müssen so ablaufen. Und wenn es dem Erfolg dient, dann sind auch Separees gerechtfertigt. Doch auch die Teilnehmer an den offiziellen Sitzungen lassen sich nicht entmutigen, ihre Positionen und Lösungsmöglichkeiten zu erläutern. So etwa der muslimische Psychologieprofessor Larbi Djeradi aus Algerien, der immer wieder erklärt, wie man durch Gespräche zwischen verfeindeten Gruppen Frieden schaffen kann. Oder sein Kollege Al Tayib Al Abidin aus dem Sudan, der in seinen Beiträgen immer wieder deutlich macht, wie wichtig es ist, welche Religion in einem Land vorherrscht. Oder die Vertreterin aus Somalia, die außerdem Mitglied des Parlaments ist, und sich vehement wehrt, wenn man ihr Land als unregierbar und ihre Regierung als Räuberhaufen bezeichnet, wie es in der Presse vieler westlicher Länder derzeit Usus ist. "Wir haben eine Regierung und wir haben Strukturen. Lasst uns unseren Weg alleine finden! Gebt uns Zeit!" so ihr Credo. Und sie fügt an: "Wir sind ein muslimisches Land. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir von al-Quaida unterstützt werden. Das ist eine Lüge. Wir gehören zur arabischen Liga und wir brauchen keine ausländischen Friedenstruppen. Wir regeln unsere Zukunft selbst!" Dass es dann doch nicht ganz alleine geht, wird spätestens am Abend deutlich, als sie die anderen somalischen Delegierten und Vertreter aus dem Sudan, Äthiopien und Kenia an ihrem Tisch versammelt.
Spannend wird es plötzlich, als der Vertreter von Mauretanien, ein Heißsporn, zu seiner Rede ansetzt. Er hat besonders den norwegischen Ex-Ministerpräsidenten im Blick. Der hatte viel von Versöhnung gesprochen und von Dialog. Das war dem jungen Abgeordneten aber doch zuviel: "Wenn wir Euch brauchen, macht Ihr die Tore zu und Tausende sterben an den Grenzen, wenn sie emigrieren wollen", prangerte er die derzeitige Problematik afrikanischer Flüchtlinge an den Grenzen zu Europa an. Auch ein Bischof aus Togo macht seinem Ärger Luft: "Ihr predigt uns immer wieder den Gebrauch von Kondomen gegen Aids. Aber das ist nur ein lukratives Geschäft für die westliche Industrie, bei uns untergräbt das die Moral." Und er setzt noch eins drauf: "Wir exportieren billig unsere größten und besten Bodenschätze und dann müssen wir bei Euch teuer einkaufen, was wir nicht selbst herstellen können. Da bleiben wir doch lieber isoliert." Das hält die Vertreterin der Bahaiis nicht auf ihrem Platz. Sie weist den westafrikanischen Bischof zurecht und erklärt ihm, dass man in der Kondom-Frage auch schon mal weiter gewesen sei und sie die Alternative von Moral und zehntausend Aids-Waisen mittlerweile nur noch als zynisch empfinde. Der Bischof hört es und nimmt die Zurechtweisung hin. Anschließend in der Kaffeepause sieht man beide im lebhaften Gespräch in der Ecke stehen.
Auch der bescheiden wirkende Vertreter aus Burundi berichtet über sein Land. Er klagt über die Folgen der Kolonialzeit, die bis heute nicht überwunden seien. Aber man sei selbst schuld daran, dass man nicht weiter sei, meint er selbstkritisch. "Wir sprechen alle die gleiche Sprache, obwohl wir drei Volksstämme sind. Wir wollen ein besseres Afrika schaffen, aber wir haben immer noch zu viel Kleinwaffen, die uns dabei im Weg stehen. Wir als Christen brauchen aber keine Waffen und sollten darauf verzichten. Doch immer noch kaufen auch unsere Mitglieder solche Waffen aus dem internationalen illegalen Handel." Ähnlich Äußert sich sein Kollege aus Ruanda. Er berichtet vom neu entstandenen Nationalismus, der die ethnischen Spannungen überwinden soll. So wolle niemand in Ruanda mehr die Frage hören, ob er Hutu oder Tutsi sei, sondern jeder sei in erster Linie zuerst Einwohner von Ruanda. Gezielte Programme der Regierung, in denen beide Volksgruppen zusammen angesiedelt werden, sollen diese Tendenz weiter fördern.
Richtig Stimmung kommt auf, als die Präsidentin des panafrikanischen Parlaments, Gertrude Mongella, ans Mikrofon tritt. Vor zwölf Jahren sei sie nach Ruanda gekommen, gleich nach dem Genozid und habe den Tod in den Straßen Kigalis gerochen. "Jetzt rieche ich den Frieden", so Mongella. Sie gebraucht das Bild vom Kanu, in dem alle säßen. Wer nicht mitmache und sich nicht benehmen könne, bringe die ganze Sache zum Kentern. "Wir brauchen ein joint venture von Frieden, Sicherheit und Stabilität", ruft sie den Delegierten zu. "Wir sind der reichste Kontinent dieser Erde mit natürlichen und menschlichen Ressourcen. Wir haben ein riesiges kulturelles Erbe. Wir sind nicht ein verlorener oder armer Kontinent. Wir müssen nur aufwachen und gemeinsam die Sache in die Hand nehmen!" Und dann fügt sie noch an: "Warum gibt es tausende Pläne für Afrika auf den Tagesordnungen der Weltgemeinschaft und der Länder des Nordens. Lasst uns hier in Afrika einmal eine Tagesordnung für Europa und die USA machen. Ich wüsste, was wir denen zu sagen hätten."
Solche selbstbewussten Töne kommen an und sprechen den Delegierten aus dem Herzen. Denn oft genug haben sie sich in der Vergangenheit als Objekte der Beratungen über ihre Zukunft erleben müssen und nicht als aktive Mitgestalter ihres Kontinents.
Der ruandische Präsident Paul Kagame und LWB-Generalsekretär Ishmael Noko nehmen diesen Faden auf und betonen, Afrika sei der Kontinent der Hoffnung. Ein Kontinent, der frei von Krankheiten und Konflikten werden müsse, in dem alle Kinder und Jugendlichen die gleichen Chancen haben müssten und nicht missbraucht oder unterdrückt werden dürften. In dem Frauen und Männer gleichberechtigt leben könnten und Frauen nicht der Gewalt von Kriegen ausgesetzt seien. Paul Kagame sagte zu, in Zukunft die Rolle der Kirchen im Friedensprozess noch ernster nehmen zu wollen: "Aus der Mitte von Afrika geht ein deutliches Signal aus, denn die religiösen Gemeinschaften gehören zu den aktivsten Friedensstiftern und Entwicklungsförderern." Natürlich hofft Kagame auch ein bisschen darauf, dass der Sitz von IFAPA vielleicht zukünftig in seinem Land sein wird. Die steuerlichen und anderen Bedingungen scheinen nicht schlecht zu stehen, und Ruanda bemüht sich derzeit sehr, ein bisschen so etwas wie die Stadt Genf mit ihren internationalen Organisationen in Afrika zu werden.
Die guten Absichten sollen auch in die Tat umgesetzt werden. Deshalb beschließen die IFAPA-Delegierten, sich an anderen Initiativen zu beteiligen. So etwa dem in Kapstadt entstehenden African Monitor. Der soll sicherstellen, dass zugesagte Gelder von Regierungen und Entwicklungshilfeorganisationen auch ihre Empfänger erreichen und gerecht verteilt werden. Oder an der Aktion A mother's cry for a healthy Africa, in der Frauen gezielt für Frieden eintreten und sich weltweit vernetzen wollen. Ebenso wird im Programm von IFAPA ein Abschnitt für gesundes Wasser und Zugang zu Wasser für alle aufgenommen. Der Vertreter aus Tansania ist es dann aber, der die Begeisterung wieder auf ein Normalmaß zurückbringt: "Wir können machen, was wir wollen, und wir können planen, was wir wollen", meint Bischof Valentine Mokiwa, "aber zuerst müssen wir das größte Problem unseres Kontinents in den Griff bekommen und das ist die Korruption."
aus: der überblick 03/2006, Seite 78
AUTOR(EN):
Klaus Rieth
Klaus Rieth ist Pressesprecher und Leiter des Amtes für Information der Evangelischen Landeskirche in Württemberg in Stuttgart.