Tansania hat von Gebern aller politischen Couleur große Mengen Hilfe erhalten und ist doch arm geblieben
Tansania hat unter der Regierung Nyerere stärker auf Eigenständigkeit gesetzt als die meisten anderen Staaten Afrikas. Dennoch hat es überdurchschnittlich viel Entwicklungshilfe erhalten - und das aus verschiedenen politischen Lagern: Schweden, die USA und China gehörten gleichzeitig zu seinen Gebern. Auch nach der Wende zu einer marktorientierten Politik in Tansania fließt die Hilfe weiter. Ihre Wirkung auf das Wirtschaftswachstum war jedoch trotz vieler guter Einzelprojekte stets gering.
von Gøran Hyden
Die internationale Entwicklungshilfe für Tansania ist von einem Paradox gekennzeichnet: Das Land war ein Meister darin, ausländische Hilfe anzuziehen, versagte aber bei ihrer Nutzung. Wenige andere Staaten haben über die Jahre so viel Entwicklungshilfe erhalten, und doch hat Tansania sehr wenig dafür vorzuweisen. Daraus ergibt sich eine wichtige Erkenntnis über Entwicklungshilfe: Sie wird nicht unbedingt für Erfolge vergeben. Genauso entscheidend sind politische Umstände - und damit normative Fragen -, die mit der Hilfe verbunden sind.
Die Geschichte der Hilfe für Tansania ist nicht einzigartig. Aber gerade weil die Hilfe ungewöhnlich umfangreich war, lehrt sie uns mehr als beispielsweise die für Kenia oder Uganda, wo viele andere Faktoren das Schicksal des Landes mit geprägt haben. Tansania hat weder eine militärische Machtübernahme erlebt noch einen Bürgerkrieg. Lange Zeit vermied das Land, einen kapitalistischen Entwicklungsweg einzuschlagen. Es führte 1978-79 einen Krieg gegen Uganda, doch die Gebergemeinschaft ließ das durchgehen, weil es um die Absetzung des verhassten Diktators Idi Amin ging. Insoweit ist die Geschichte der ausländischen Entwicklungshilfe am Fall Tansanias "reiner" zu beobachten als anderswo.
Als Tansania 1961 unabhängig wurde, machte der erste Präsident des Landes Julius Nyerere ganz klar, dass die Verteidigung der Souveränität des neuen Staates ein wichtiges Ziel war. Wie der Staatschef von Guinea, Sekou Touré, der den französischen Bestrebungen widerstanden hatte, das Land in eine Staatengemeinschaft unter Einfluss der ehemaligen Kolonialmacht zu führen, so war auch Nyerere in diesem Punkt nicht zu Kompromissen bereit. Er akzeptierte zum Beispiel nicht die westdeutsche Hallstein-Doktrin, nach der diplomatische Anerkennung der DDR unvereinbar war mit dem Empfang westdeutscher Entwicklungshilfe. Einige Zeit blieb deshalb die deutsche Hilfe für Tansania eingefroren. Großbritannien und die Vereinigten Staaten beschlossen aufgrund von politischen Differenzen mit Tansania ebenfalls, ihre Entwicklungshilfe zu kürzen.
Interessanterweise scheint sich Nyereres sturer, aber prinzipientreuer Ansatz auf lange Sicht ausgezahlt zu haben. Das lag nicht zuletzt daran, dass er die Gebergemeinschaft davon überzeugen konnte, dass er eine Strategie besaß, um nationale Eigenständigkeit (national self-reliance) zu sichern: die Arusha-Deklaration. Es war ein radikales Konzept und bekannte sich zum Sozialismus, doch zu einer Zeit, als diese Ideen in vielen Kreisen akzeptabel waren. Die Geber sahen weitgehend darüber hinweg, dass es sich gegen Kapitalinteressen richtete, da der Privatsektor in Tansania sehr klein war und es sehr wenig zu verstaatlichen gab. Stattdessen interessierte sie die Strategie der ländlichen Entwicklung, die auf nationale Eigenständigkeit zielte. Das Konzept, den Entwicklungsweg durch die Idee von ujamaa an die spezielle Situation Tansanias anzupassen, traf bei den Gebern weithin auf Zustimmung. Selbst diejenigen, die ihre Hilfe eingefroren hatten, entschieden sich schließlich für die Unterstützung von ujamaa.
Dank dem großen Respekt für Nyereres Integrität und dessen außerordentlicher Fähigkeit, zu formulieren, was für die Überwindung der Armut der Entwicklungsländer getan werden sollte, wurde Tansania zu einem Modell für andere Länder. Die neue Strategie bot jedem etwas. Sie festigte Nyereres Stellung im eigenen Land, weil die Bevölkerung begeistert die Idee unterstützte, dass sie an vorderster Front der nationalen Entwicklung stehen sollte. Sie gefiel den Radikalen und den Revolutionären, weil sie als Kampfansage an den Weltkapitalismus betrachtet werden konnte. Mehr noch, sie gewann die Aufmerksamkeit großer Hilfsorganisationen im Westen, die eine bewusste Anstrengung zur Modernisierung der ländlichen Gebiete hineinlasen. So gehörten nicht nur Maos China und die skandinavische Sozialdemokratie zu Tansanias eifrigsten Unterstützern, sondern auch die staatliche Entwicklungsagentur der USA (USAID) und die Weltbank, die unter Robert McNamaras Führung von 1968 an in großem Stil in die ländliche Entwicklung Tansanias investierte.
Bis in die späten siebziger Jahre wurde die Rolle des Staates als Hauptmotor von Entwicklung nicht wirklich hinterfragt. Probleme und Schwächen im öffentlichen Sektor versuchte man mit Reformen wie etwa mit der weitgehenden Dezentralisierung von 1972 zu beheben. Diese Vorherrschaft des Staates zusammen mit der verbreiteten Euphorie innerhalb und außerhalb des Landes verhinderten eine genauere wirtschaftliche Untersuchung des Entwicklungsunternehmens Tansania. In den späten siebziger Jahren kam es dann zu einem abrupten Erwachen, als der Krieg gegen Uganda und die Rückkehr zu neoliberalen Wirtschaftsprinzipien auf globaler Ebene die Schwächen in der tansanischen Ökonomie aufzeigten.
Ein Grund für diese Schwächen war eine überbewertete Währung, die den Import statt des Exports einheimischer Waren begünstigte und damit den Bauern keinen Anreiz zur Produktion gab. Die fragwürdige Industrialisierungsstrategie, die Mitte der siebziger Jahre eingeführt wurde, trug ebenfalls dazu bei. Die Wirtschaftspolitik Tansanias wirkte in den Siebzigern der Eigenständigkeit entgegen, statt sie zu fördern. Das autoritäre Verhalten von Partei und Regierungsbeamten - vor allem während der fehlgeschlagenen Kampagne von 1973-76, mit der einzeln siedelnde Bauern in Dörfern zusammengezwungen wurden - war nicht aufrechtzuerhalten, da sich die Lebensbedingungen nicht sichtbar verbesserten. Ende der 1980er Jahre hatten sich die meisten Kleinbauern Tansanias aus Protest gegen die Oberen auf die Produktion für den Eigenbedarf zurückgezogen.
Zu Beginn waren Nyerere und seine Regierung nicht gewillt, Verantwortung für die Fehlschläge zu übernehmen. Reformvorschläge des IWF wurden brüsk zurückgewiesen. Schließlich entwickelte die Regierung ein eigenes Reformpaket, das von IWF und Weltbank als ungenügend abgelehnt wurde. Einige tansanische Ökonomen im Finanzministerium versuchten ernsthaft, Reformen durchzusetzten, wurden aber von der politischen Führung ausgebremst. Nyerere schob seinen Rückzug vom Amt des Staatsoberhauptes bis 1985 hinaus und nahm damit in Kauf, dass die tansanische Wirtschaft so weit verfiel, dass aus dem Land selbst angeregte Reformen nicht mehr ausreichten. Die frühen achtziger Jahre waren die schwersten für die Bevölkerung: Es wurde fast unmöglich, auch nur Lebensmittel und einfache Gebrauchsgüter in den Läden zu kaufen. Schlangestehen - und häufig Bestechung - wurde unausweichlich. Statt an der Entwicklung des Landes mitzuarbeiten, verbrachten die Leute ihre Zeit damit, Schlange zu stehen und auf Nahrungsmittel zu warten.
Die Geber reagierten unterschiedlich auf diese Entwicklung. Die meisten westlichen Regierungen schlossen sich der Forderung des IWF nach sofortigen Reformen an. Die Chinesen hielten sich mit solchen Äußerungen zurück, überarbeiteten aber während der Achtziger ihre Entwicklungspolitik in Anlehnung an die ökonomischen Reformen im eigenen Land. Von da an legte China, selbst ja ein Entwicklungsland, wesentlich größeren Wert auf die Wirtschaftlichkeit seines Engagements in Tansania und strebte auch nach größerer Kontrolle über ihre Investitionen mittels joint ventures. Tansania äußerte zu Beginn Vorbehalte gegenüber dieser neuen Politik; gegen Mitte des Jahrzehnts hatte die Regierung jedoch akzeptiert, dass China nicht mehr der sozialistische Staat war, den sie in den Sechzigern und Siebzigern gekannt hatte.
Die US-Regierung reagierte in den frühen achtziger Jahren zunehmend verstimmt auf Nyereres Unnachgiebigkeit und beschloss, ihre entwicklungspolitische Vertretung zu schließen. Nicht abgeschlossene Projekte wurden noch einige Jahre weiter betreut, und als Tansania 1986 ein Abkommen mit dem IWF unterzeichnete, wurde die Vertretung wieder in ihren alten Status zurückversetzt. Die skandinavischen Staaten, vor allem Schweden, hielten dagegen lange die Hoffnungen Tansanias auf eine Reform ohne Einmischung von außen am Leben. Schließlich wechselten aber auch sie die Seiten und empfahlen Tansania 1984 mit Nachdruck, sich mit dem IWF zu arrangieren. Als Nyereres Nachfolger Ali Hassan Mwinyi erfolgreich Verhandlungen mit den internationalen Finanzinstitutionen führte, schlug das Pendel von einem Extrem zum anderen aus: von Sozialismus und Eigenständigkeit zu Kapitalismus und Abhängigkeit vom Ausland.
Während der sechziger und siebziger Jahre sträubten sich die Geberländer, offen zu sagen, dass Entwicklungshilfe Teil ihrer eigenen politischen Strategie war und politische Auswirkungen hatte. Noch in den achtziger Jahren gab es Bemühungen, Wirtschaftsreformen und Politik voneinander zu trennen: Man führte "technische" Gründe für Reformen an. Ohne diese würde die Wirtschaft einfach nicht funktionieren, hieß es. In den neunziger Jahren änderte sich die Botschaft: Die Geber waren zu dem Schluss gekommen, dass die politischen Verhältnisse Teil des Problems waren und direkt mit einbezogen werden mussten. Unter dem Schlagwort "gute Regierungsführung" (good governance) rückten politische Reformen an die Spitze der Wunschliste der Geberländer.
Tansania hat sich langsam den neuen globalen Verhältnissen angepasst, in denen wirtschaftliche Öffnung und Demokratisierung die höchsten Werte sind. Besonders sichtbar ist dieser Anpassungsprozess, seit Benjamin Mkapa 1995 zum Nachfolger Mwinyis im Präsidentenamt gewählt wurde. Ein wichtiger Grund der Anpassung ist, dass Tansania angesichts des Zustands seiner Volkswirtschaft Kapitalzuflüsse von außen braucht, und zwar nicht nur für Investitionen, sondern auch um laufende Kosten im Haushalt zu decken. Diese Abhängigkeit von ausländischen Mitteln hat eindeutig entscheidend zu dem Entschluss beigetragen, sich den internationalen Finanzinstitutionen zu beugen. Ein weiterer, weniger ins Gewicht fallender Grund war Mkapas Wunsch, Stärke und Glaubwürdigkeit der Regierung wiederherzustellen. Obwohl die meisten der vielen staatlichen Unternehmen des Landes privatisiert oder für bankrott erklärt worden sind, ist Mkapa gegen Korruption und andere Merkmale eines schwachen Staates vorgegangen. Hierfür und bei der Aufgabe, die Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen, hat er die volle Unterstützung seiner Regierung.
Bei den Staatsfinanzen hat er wohl mehr Erfolg gehabt als beim Kampf gegen die Korruption. Zu Beginn des neuen Jahrhunderts gilt Tansania als ein Musterschüler der Weltbank, weil die Eckdaten der Wirtschaft stimmen. Deshalb hat das Land auch wieder das Wohlwollen der Geber - diesmal allerdings aus genau den entgegengesetzten Gründen wie zur Zeit der siebziger Jahre. Weniger Einigkeit herrscht unter den Gebern darüber, ob Demokratisierung das Richtige für Tansania ist und wie viel Erfolg das Land auf diesem Weg zu verzeichnen hat. Vor allem China argumentiert, dass die kleinbäuerliche Produktionsweise, die in Tansania immer noch vorherrsche, keine günstigen Bedingungen für ein Mehrparteiensystem erzeuge. Die OECD-Geberländer bestehen dagegen auf einem Mehrparteiensystem als Voraussetzung für gute Regierungsführung. Die meisten von ihnen sind zufrieden mit Tansania, aber besorgt wegen der Gewaltausbrüche anlässlich der Wahlen auf der Insel Sansibar im Jahr 2000.
Was ist von all der ausländischen Hilfe geblieben? Die Antwort ist für jeden Tansanier offensichtlich: nicht sehr viel. Entwicklungshilfe war der Berg, der kreißte und eine Maus gebar. Drei Anmerkungen sind nötig, um das zu verstehen.
Erstens ist ein großer Teil der Entwicklungshilfe verwendet worden, um eine ineffiziente Staatsbürokratie zu unterhalten. Solange die Gehälter in Tansania zum Leben ausreichten - das war bis zu den Wirtschaftsreformen Mitte der achtziger Jahre der Fall -, war die Hilfe zwar wichtig für den Regierungshaushalt, machte aber keinen entscheidenden Teil von dessen laufenden Kosten aus, sondern floss stärker in Investitionen. Außerdem landete noch nicht so viel davon in den Taschen korrupter Staatsbeamter. In den vergangenen 15 Jahren hat sich die Lage jedoch zum Schlechteren verändert. Ausländische Hilfe ist immer wichtiger geworden, um die laufenden Staatsausgaben (wie Gehälter von Beamten) zu bestreiten, und Korruption hat sich verbreitet. Die Lage ist nicht so dramatisch wie in vielen anderen Ländern, aber es gibt Belege dafür, dass Staatsbedienstete sich privat an Entwicklungshilfe bereichert haben. Der derzeitige Staatspräsident hat zwar Maßnahmen eingeleitet, um die Korruption zu bekämpfen, und wird dafür von den Gebern gelobt; aber die Erfolge sind bisher nicht überwältigend. Oft werden kleine Fische als Sündenböcke für die Taten der großen Fische angeprangert.
Die Geschichte der Entwicklungshilfe an Tansania lehrt eines - und dies gilt auch für die Hilfe an andere Länder: Hilfszahlungen von Regierung zu Regierung geben den Empfängerländern einen Anreiz, die Verwendung des Geldes unverantwortlich und intransparent zu gestalten. Denn sie haben einfach zu viel zu verbergen.
Zweitens hat die Hilfe in Tansania durchaus auch Erfolge erzielt. Die Bilanz der deutschen Unterstützung für den Tanga Region Development Plan während der siebziger Jahre war sehr ermutigend, ebenso das schwedische Engagement für das Health, Sanitation and Water Projekt am Viktoriasee in den Achtzigern. Allerdings hat sich als ständiges Problem erwiesen, dass die Projekte und Programme nach dem Ende der ausländischen Unterstützung an Schwung und Qualität verloren haben. Deshalb kommen ermutigende Nachrichten über Entwicklungsanstrengungen in Tansania am ehesten von Freiwilligen-Organisationen - seien sie religiös oder weltlich orientiert. Ihre Projekte sind meist kleiner und werden häufiger von Leuten geleitet, die sich dem Entwicklungsziel verpflichtet fühlen. Der Großteil dessen, was die Tansanier selbst als hilfreich empfunden haben, kam von solchen Organisationen. Viele kirchliche gehören zu dieser Kategorie.
Drittens bestehen die Geber zunehmend darauf, von ihnen unterstützte Projekte auch selbst zu kontrollieren. Das ist nicht überraschend angesichts langjähriger Erfahrungen mit Partnern, die nicht gewillt waren, sich an vereinbarte Vertragsbedingungen zu halten. Dennoch untergräbt diese Haltung das Interesse der Empfänger an den Projekten. Wenn die Geber bestimmen, haben Vertreter des Empfängerlandes wenig Anreiz, sich ernsthaft zu engagieren - ausgenommen die, die ein Entwicklungsprojekt als Sprungbrett für eine berufliche Karriere nutzen. Davon gibt es aber selten so viele, dass sie die kritische Masse bilden, die ein Projekt oder Programm erfolgreich macht. Die Geber sind demnach ein Teil des Problems. Die meisten Entwicklungsagenturen gestehen das allerdings nicht ein.
Was kann getan werden? Beide Seiten müssen auf Verbesserungen hinwirken. Die Empfänger müssen verantwortlicher arbeiten und sich mehr bemühen, Projekte nach dem Ende der Geberfinanzierung weiterzuführen. Da dies für sie nicht einfach ist, müssen auch die Geber ihren Teil dazu beitragen. Hier ist nicht in erster Linie mehr Geld nötig, sondern eine hilfreichere Art der Interaktion mit den Partnern.
aus: der überblick 02/2002, Seite 39
AUTOR(EN):
Gøran Hyden :
Gøran Hyden ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Florida (USA). Er ist Autor des Klassikers "Beyond Ujamaa In Tanzania: Underdevelopment and an Uncaptured Peasantry" (1980) und zusammen mit Rwekaza Sympho Mukandala Herausgeber von "Agencies in Foreign Aid: Comparing China, Sweden, and the United States in Tanzania" (1999).