Mit ihren Geldüberweisungen födern ausgewanderte Somalier die Entwicklung daheim
In den letzten 15 Jahren sind viele Somalier ins Ausland geflüchtet - die wohlhabenderen unter ihnen bis nach Europa. Diese Diaspora ist inzwischen zum Antrieb für die Entwicklung ihrer Heimat geworden. Mit Überweisungen, die die Summe der Exporteinnahmen und der nach Somalia fließenden Entwicklungsgelder übersteigen, halten die Ausgewanderten die Verbindung zu ihrem Klan. Und die Aussicht auf eine Rückkehr von inzwischen gut ausgebildeten Exilanten weckt Hoffnung auf wirtschaftlichen Fortschritt.
von Joakim Gundel
Vor zehn Jahren sind Szenen aus Somalia über unsere Fernsehschirme geflimmert. Erst gab es Bilder von der Hungersnot, dann filmte CNN im Dezember 1992 die Landung der US-Interventionskräfte. Der UN-Sicherheitsrat hatte mit einer unter dem Namen UNOSOM bekannt gewordenen Intervention dem Krieg und Hunger ein Ende machen wollen. Doch spätestens als die Bilder der toten US-Soldaten um die Welt gingen, war das Schicksal der Mission besiegelt. Sie wurde 1995 beendet.
Viele Somalier sind damals ins Ausland geflohen, auch nach Nordamerika und nach Nordwesteuropa. Die Aufnahmeländer wurden vor die Frage gestellt, ob die Flüchtlinge in absehbarer Zeit in ihre Heimat zurückkehren könnten oder dauerhaft bleiben würden. In Dänemark wurde die Somaliafrage zu einem Hauptthema im Wahlkampf für die Parlamentswahlen von 1997. Das führte zu der heutigen neuen Regierungspolitik, die darauf abzielt, Entwicklungshilfe in "Nachbargebiete" von Konfliktregionen zu lenken. Dies sollte verhindern, dass die Flüchtlinge nach Europa auswandern.
Solche Diskussionen sind oft mit Mythen behaftet und führen leicht zu einer Politik, die mit den zur Debatte stehenden Prozessen wenig tun haben. Mit der folgenden Fallstudie soll ein wenig Licht auf unsere gegenwärtigen Migrationsprozesse und die mögliche Verbindung zwischen neueren Diasporas und Entwicklung im Ursprungsland der Auswanderer geworfen werden. Dabei geht es um die größte Wanderbewegung in der modernen Geschichte der Somalier und darum, wie die aufstrebende Somali-Diaspora mit Hilfe von ausgefeilten Überweisungssystemen ihre Verbindungen zu ihren Klan-Angehörigen aufrechterhalten und welche Auswirkungen diese Überweisungen auf die lokale Entwicklung in Somalia haben.
Migration ist der Kern der nomadischen Kultur der Somalier, die gekennzeichnet ist durch Subsistenzwirtschaft, Handel zur Beschaffung von lebensnotwendigen Gütern, die nicht zu Hause hergestellt werden, sowie durch Wanderschäferei, mit der sich die Hirten den Klimazyklen bei der Suche nach gutem Weideland anpassen. Somalia ist zwar überwiegend von einer ethnisch homogenen Gruppe bewohnt - den nomadischen Somaliern, insbesondere in Somaliland und Puntland im Norden. Aber für Südsomalia gilt das nicht. Dort wohnen viele Ackerbau betreibende Minderheiten von Bantuvölkern sowie die große Gruppe der Rahanwein, eine heterogene Gemeinschaft, die Ackerbau und Viehwirtschaft betreibt, deren Geschichte und Sprache sich doch erheblich von den nomadischen Klans der Somali unterscheiden. Diese Bevölkerungsgruppen sind allerdings nicht ins Ausland ausgewandert. Und wenn sie fliehen mussten, dann blieben sie zumeist in den Nachbarstaaten.
Die nomadischen Somali wurden durch die Kolonialisierung auf fünf Gebiete aufgespalten: Sie lebten in Britisch-, Italienisch-und Französisch-Somaliland sowie in dem nördlichen Grenzdistrikt der britisch-kenianischen Kronkolonie und in der Ogaden-Region des äthiopischen Reiches. Im Jahre 1960 wurde die unabhängige Somali-Republik gegründet. In ihr schlossen sich Britisch-und Italienisch-Somaliland zusammen - als eine Vorstufe zur Vereinigung aller somalischen Völker. Der nördliche Grenzdistrikt blieb jedoch Teil des nun unabhängigen Kenia, die Ogaden-Region blieb Teil von Äthiopien während Französisch-Somaliland im Jahre 1977 als Republik von Dschibuti unabhängig wurde.
Schon zu Zeiten des britischen Kolonialismus ist eine Diaspora entstanden, als sich Seeleute aus Britisch-Somaliland, die in der Handelsmarine tätig waren, in den Häfen von Cardiff und London ansiedelten. Heute wird die Somali-Diaspora (einschließlich der britische Staatsbürger gewordenen Einwanderer) in Großbritannien auf etwa 70.000 geschätzt, während offiziell nur 20.000 angegeben werden (wobei allerdings die Somalier, die vor dem Bürgerkrieg Ende der achtziger Jahre nach Großbritannien gekommen sind, nicht eingerechnet werden).
Nach der Unabhängigkeit in den sechziger Jahren waren viele frustrierte Anhänger der herrschenden Somali Youth League, insbesondere vom nordwestlichen Issaq-Klan, aus Ärger über nicht eingehaltene Versprechen ins Ausland abgewandert. Sie hatten ihren Besitz verloren und der Zugang zu neuen Einkommensquellen war ihnen versperrt worden. Später, von 1973 an, wurde Somalia zu einem Hauptexporteur von Arbeitskräften in die Erdöl produzierenden Länder Arabiens. Schätzungsweise 200.000 Somalier sind dorthin ausgewandert; etwa die Hälfte von ihnen stammte von den Issaq-Klans aus dem Norden. Gegen Ende der achtziger Jahre hatte die Zahl der Wanderarbeiter in die Golfstaaten nahezu 375.000 erreicht. Diese Migranten waren überwiegend relativ gut ausgebildete Leute, die nach besserer Arbeit suchten als sie in Somalia finden konnten.
Der Ausbruch des Bürgerkrieges im Jahre 1988 führte zum ersten größeren Flüchtlingsstrom von Somalia in die Ogaden-Region von Äthiopein. Über 600.000 Menschen flohen damals dorthin. Diese Fluchtwelle wurde in erster Linie durch die Zuspitzung des Konfliktes zwischen einer Fraktion des Issaq-Klans, der Somali National Movement (SNM), und dem Regime von Siad Barre ausgelöst. Anlass für die Eskalation war die Bombardierung der Stadt Hargeysa im Jahre 1988. 1991 breitete sich der Konflikt in den Süden aus, als die Hawiye-Klan-Fraktion, der United Somali Congress (USC), mit materieller Unterstützung durch die SNM Siad Barre stürzte. Der darauf folgende erneute Bürgerkrieg löste den bisher größten Massenexodus des Landes aus; schätzungsweise über eine Million Somalier flohen damals vor den Kämpfen im Süden Somalias. Die meisten gingen in Länder der Region. Wer aber über entsprechende Beziehungen verfügte und es sich leisten konnte, zog weiter in westliche Länder wie Kanada, USA, Großbritannien, Italien, Holland, Schweden, Dänemark, Norwegen, Finnland und Österreich.
Die meisten Menschen, besonders die ärmsten, sind nach Kenia und Äthiopien oder als Binnenflüchtlinge (internally displaced persons, IDP) an einen anderen Ort innerhalb Somalias geflohen. Bis zu zwei Millionen Somalier waren damals auf der Flucht. Vor 1992 waren die Kämpfe und Dürre, danach hauptsächlich Nahrungsmittelknappheit, die Hauptursachen für eine Flucht. Nach 1992 hat es nur noch kleinere, durch Kämpfe verursachte interne Flüchtlingsbewegungen gegeben. Ende 1997 und Anfang 1998 haben großflächige Überschwemmungen die Menschen aus ihren Heimatgebieten im Zentrum und Süden Somalias getrieben. Heutzutage fliehen Menschen vor Kämpfen in der Gedo-Region zeitweilig ins benachbarte Kenia.
Während die Flüchtlingsströme eng mit den Auswirkungen bewaffneter Konflikte zusammenhängen, sind für die Migration in die Golfstaaten die Verdienstmöglichkeiten ausschlaggebend, die sich durch die rasche Entwicklung in den Öl produzierenden Ländern bieten. Insofern ist sie nicht durch Armut, sondern durch das Fehlen von Arbeitsmöglichkeiten in Somalia verursacht. In beiden Fällen aber wanderten Menschen aus, die dazu finanziell in der Lage waren. Flüchtlinge, die im Westen um Asyl nachsuchten, haben daher einen ähnlichen sozialen Status wie diejenigen, die auf der Suche nach Arbeit in die Golfstaaten auswanderten. Die schon bestehenden Netzwerke einer begrenzten Anzahl von Somaliern, die vor dem Konflikt nach Italien, Großbritannien und in andere westeuropäische Länder sowie in die USA ausgewandert waren, konnten entscheidenden Einfluss darauf nehmen, wer von den später viel zahlreicheren Flüchtlingen wohin ging und unter welchen Umständen.
Weit von der Heimat entfernt hat die neue Somali-Diaspora ihre Verbindungen zu ihrem Heimatland und ihren Klans nicht abbrechen lassen. Mehr als das Land oder Territorium hält der Klan die Somalier zusammen. Das ist für ihre Identität, Geschichte und ebenso für ihre Politik entscheidend, denn der Klan ist ihr eigentliches Netz sozialer Sicherheit. Sie haben viel Einfallsreichtum dabei gezeigt, ein System zu schaffen, das ihre Familien zusammenhalten kann, selbst wenn deren Mitglieder weit voneinander entfernt leben. So haben die Somalier bereits zu Zeiten der Wanderarbeit in den Mittleren Osten ausgefeilte informelle Systeme für Geldtransfers und Kommunikation geschaffen. Geldüberweisungen von Somaliern, die außerhalb des Landes leben, sind ein hervorstechendes Merkmal der Somali-Ökonomie, denn Überweisungen waren für lange Zeit ein entscheidender Bestandteil der Wirtschaft. Heutzutage spielt die neue Diaspora im Westen eine sehr wichtige Rolle als Quelle für Überweisungen an Familienmitglieder in Somalia oder in Flüchtlingslager in Kenia und Äthiopien.
Die ersten Wanderarbeiter, die während der siebziger Jahre in die Golfstaaten gingen, begannen damit, über das so genannte franco-valuta-System Geld nach Hause zurückzuschicken. Vor allem Angehörige des Issaq-Klans benutzten dieses System, bei dem ausländische Devisen an einen Händler transferiert wurden, der Waren für die Somali-Märkte einführte. Dieser übergab das Bargeld dann der Familie des Auswanderers. Dieses System funktionierte nur, weil die Händler enge Verbindungen zu ihren Familienklans in Somalia unterhielten. Zusammen mit der Praxis der Auswanderer, sich in der Nähe ihrer Klan-Verwandtschaft niederzulassen, hat das zur Stärkung der Klan-Identität beigetragen. Das System war entscheidend für die Beschaffung ausländischer Devisen und ermöglichte es den Familien in Somalia, Konsumgüter zu importieren. Nach groben Schätzungen flossen seit den späten siebziger Jahren und während der achtziger Jahre so jährlich um die 300 Millionen US-Dollar zurück, das entspricht etwa 40 Prozent des Bruttosozialproduktes.
Offiziell wurde das franco-valuta-System zwar 1982 verboten, weil es der Unterschlagung dringend benötigter ausländischer Devisen Vorschub leistete, aber auch, weil es die Wirksamkeit der eigenen Klientel-Mechanismen des Regimes untergrub. Das Verbot zeigte jedoch wenig Wirkung, da es lediglich zu einem neuen System führte. So entstand das Hawilad-System. Dieses beteiligt keine Händler, liefert aber immer noch harte Währung. Wer mit diesem System Geld an Verwandte schicken will, muss an einen somalischen Finanzmakler in seiner Nähe die entsprechende Summe zahlen und dem Makler ein Passwort hinterlassen sowie den Empfänger in Somalia genau beschreiben. Dem Empfänger wird dann per Telefon, Fax oder Boten das Passwort mitgeteilt und er kann sich dann von einem Finanzmakler in Somalia, der in dem System mitarbeitet, das Geld abholen. Die Bedeutung der Rücküberweisungen als Teil der entstehenden Parallelwirtschaft wuchs in den achtziger Jahren. Sie hatten damals einen Wert von schätzungsweise jährlich 370 Millionen US-Dollar, wovon 75 Prozent von Arbeitern in den Golfstaaten kamen.
Das Hawilad-System entwickelte sich während der achtziger Jahre bis in die neunziger Jahre hinein, als Überweisungen auch dazu benutzt wurden, Geld an die bewaffnete Guerilla zu transferieren, die schließlich das Regime von Siyad Barre stürzte. Über Sprechfunkanlagen, wie sie von der SNM benutzt wurden, und später über Satellitentelefone konnte schneller der Kontakt zu den Empfängern hergestellt und so die Wirksamkeit des Hawilad-Systems gesteigert werden. Diese Erfindung führte später, nach dem Zusammenbruch in Somalia, zur Verbreitung leistungsfähiger Fernmeldeunternehmen.
Heute gibt es etliche Hawilad-Firmen mit Zweigstellen, wo immer in der Welt Somalier leben, und über ganz Somalia verstreut. Über dieses Netzwerk kann ein Somalier binnen 24 Stunden Geld an ein Familienmitglied innerhalb Somalias überweisen. Dies ist die effizienteste und sicherste Form der Geldüberweisung in Somalia, und selbst die internationalen nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) nutzen das Hawilad-Netz ausgiebig. Die Firmen arbeiten klan-übergreifend, bewahren allerdings auch eine gewisse Klan-Nähe.
Das Hawilad-System wurde zu einer strategischen Stütze in der Bürgerkriegs-Ökonomie. Noch heute ist es für viele Somalier das wichtigste Instrument für ihre soziale Absicherung. Das belegen auch die Auswirkungen der von den USA im Zusammenhang mit dem "Krieg gegen den Terrorismus" verordneten Schließung der Barakaat-Firma, über die ein Großteil der Hawilad-Gelder floss. Plötzlich fehlte den Somaliern das Extra-Bargeld, das sie nach der Dürre im vergangenen Jahr gebraucht hätten, um neues Saatgut zu kaufen.
Wie haben sich seit dem Bürgerkrieg die Überweisungsmuster gewandelt? In den achtziger Jahren waren es in erster Linie Wanderarbeiter in den Golfstaaten und Saudi-Arabien, die mit 60 Prozent der Gesamtsumme den Löwenanteil an den Rücküberweisungen stellten. Außerhalb der arabischen Staaten konnte man nur in Großbritannien und Italien eine Somali-Diaspora finden, die für die Überweisungen von Bedeutung war. Nach dem Ausbruch des Krieges jedoch flüchteten viele Somalier nach Westeuropa und Nordamerika und vergrößerten dort die Diaspora. Eine Folge des Bürgerkrieges war also die damit einhergehende Zunahme des Überweisungsvolumens.
Zwischen der früheren Arbeitsmigration und den vom Bürgerkrieg verursachten Wanderungsbewegungen bestehen wesentliche Unterschiede. Bei den Wanderarbeitern handelte es sich fast ausschließlich um Männer, die lediglich Arbeit suchten und danach für gewöhnlich nach Hause zurückkehrten. Während des Krieges hingegen wanderten ganze Familien aus und siedelten sich in den Gastländern an.
Exilanten aus Somalia können selten mehr als 100 US-Dollar im Monat pro Haushalt sparen. Und viele müssen von Sozialhilfe leben, mit der sie lediglich ihre grundlegendsten Bedürfnisse befriedigen können. Ein weiterer Unterschied ist, dass die Elite mit dem Bürgerkrieg das Land verlassen und den heimischen Markt anderen sozialen Schichten überlassen hat. Während noch in den achtziger Jahren zwei Drittel der Geldmittel der somalischen Gemeinden im Ausland für den Handel aufgewandt wurden und das restliche Drittel zur Unterstützung der Familien diente, so dürfte sich dieses Verhältnis heute umgekehrt haben.
Wie viel Geld fließt heute nach Somalia zurück? Nach Erhebungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) von 1985 verdienten die etwa 200.000 Somalier, die damals im Mittleren Osten lebten, zusammen 700 Millionen US-Dollar im Jahr. Davon wurden 280 bis 370 Millionen nach Somalia zurückgeschickt. Für 1987 wurden die jährlichen Überweisungen nach Somalia auf eine Summe zwischen 478 und 540 Millionen US-Dollar geschätzt.
Schätzungen über die Größe der heutigen Geldtransfers nach Somaliland und Somalia schwanken von Studie zu Studie und hängen davon ab, wie die Schätzungen vorgenommen wurden. So variieren sie zwischen 140 und 800 Millionen US-Dollar. In jedem Fall übersteigen die Summen sowohl den Wert der Exporte Somalias als auch die Entwicklungshilfe für Somalia, die im Jahr 2000 rund 115 Millionen US-Dollar betrug, und erreichen vermutlich mehr Menschen als diese.
1990 wurden die Überweisungen nach Somaliland im Nordwesten Somalias auf 200 bis 250 Millionen US-Dollar geschätzt. Der dortige Planungsminister ging 1997 davon aus, dass 93 Millionen US-Dollar über Überweisungsagenturen abgewickelt wurden. Nach einer Erhebung, die von Ismail Ahmed durchgeführt wurde, belief sich der mittlere Wert der Überweisungseingänge für einen Haushalt in Somaliland auf jährlich 4.170 US-Dollar, ihr Anteil am Haushaltseinkommen betrug 64 Prozent. Vorausgesetzt, diese Schätzungen stimmen und es gibt etwa 120.000 Empfängerhaushalte in ganz Somaliland, dann liegt der Gesamtwert der jährlichen Überweisungen bei ungefähr 500 Millionen US-Dollar. Das wäre etwa viermal so viel wie der Wert der Viehexporte von Somaliland in einem normalen Jahr.
Überweisungen nach Südsomalia sind nur wenig dokumentiert. Eine Studie in der Stadt Belet Weine mit etwa 50.000 Einwohnern schätzt, dass monatlich 200.000 US-Dollar an Überweisungen eingingen, was pro Stadtbewohner vier Dollar ausmacht. Früher wurden die Gelder aus den Überweisungen für den Konsum ausgegeben. Doch jüngste Beobachtungen zeigen einen neuen Trend, wonach die Zuwendungen in kleine Geschäfte oder Immobilien investiert werden. Damit wird klar, dass die Geldüberweisungen nicht nur für den Lebensunterhalt der Haushalte entscheidend, sondern zu einer wesentlichen Triebkraft für die somalische Wirtschaft geworden sind. Der genaue Wert dieses Wirtschaftsfaktors ist aus verschiedenen Gründen nur schwer zu bemessen: Erstens gibt es keine verlässlichen Daten über die Größe der Somali-Diaspora. Zweitens geben die Überweisungsagenturen nur ungern Informationen über die Höhe der Geldtransfers heraus. Und schließlich werden die Überweisungen in verschiedener Form und über verschiedene Kanäle transferiert, als Bargeld oder in Sachwerten, über Überweisungsagenturen, über Einzelhändler oder über Verwandte.
Die strukturellen Auswirkungen der Überweisungen auf die Entwicklung sind begrenzt, da sie in erster Linie für den Verbrauch, für Immobilien und Wohnungen, für Heirat, Handel und Waffen für die Klan-Milizen benutzt werden. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) in Somalia schätzt, dass die meisten Überweisungen an die Haushalte in einem Bereich von monatlich 50 bis 200 US-Dollar liegen. Die UNDP stellte fest, dass die Zuwendungen in Zeiten wirtschaftlichen Stresses, während Dürreperioden oder als Antwort auf Fehden zwischen den Klans zunahmen. In den achtziger Jahren konnte ein erheblicher Teil des Konsums der Somalier mit Hilfe der Überweisungen finanziert werden. Das trug dazu bei, dass sich die reale Zahlungsbilanz verbesserte und Importe von Maschinen und Rohmaterial für die industrielle Produktion erlaubte.
Das hohe Niveau des Verbrauchs von eingeführten Waren ließ aber nur wenig Überschuss für Investitionen übrig, während die Nachfrage nach Konsumgütern die Inflation und in der Folge die Löhne in die Höhe trieb. Dass mit den Überweisungen zunächst die Auswirkung steigender Ölpreise gemildert wurden und der Lebensstandard gleichwohl anstieg, hatte auf längere Sicht aber eher Nachteile zur Folge: Es gab zu wenig Anreize, im Lande selbst zu produzieren, und weil das Geld nicht in produktive Investitionen gesteckt wurde, wuchs die Abhängigkeit von Importen. Der zunehmende Handel belebte die Wirtschaft zwar auch, brachte aber nicht einen langfristigen Nutzen wie bei Investitionen in den produktiven Sektor.
In den letzten Jahren jedoch wurden die Geldüberweisungen in Somaliland weniger für den Verbrauch ausgegeben, sondern haben stattdessen entscheidend zum Wachstum eines pulsierenden Privatsektors beigetragen. Diesem Vorteil steht aber die vorangegangene Abwanderung von ausgebildeten und qualifizierten Arbeitskräften sowie die wachsenden Einkommensunterschiede zwischen Somaliern im Inland und in der Diaspora gegenüber. Das Wachstum des Privatsektors wird außerdem durch den Mangel an Kreditprogrammen und Sparmöglichkeiten begrenzt.
Überdies dürfte die Entwicklung recht ungleich verlaufen, weil die bedeutendsten Nomadenklans in der Diaspora vorherrschen und ihren Verwandten das Geld schicken, während die Rahanwein, Bantu und andere Minoritäten wie die Swahili sprechenden Barawani und Bajuni an der Küste nicht in gleichem Ausmaß von Überweisungen profitieren, weil sie kaum Angehörige in den Industriestaaten oder Ölländern haben.
Gleichwohl spielen die Überweisungen die Rolle eines gesamtgesellschaftlichen Sicherheitsnetzes. Sie verhindern den wirtschaftlichen Zusammenbruch bei Rückschlägen wie Dürre oder wenn - wie schon mehrmals - Saudi-Arabien verbietet, Vieh aus Somalia zu importieren. Überweisungen in Städte wie Hargeysa, Burco und Bossasso tragen zu fast 40 Prozent der städtischen Haushaltseinkommen bei. Die Summe der Überweisungen jedoch, die die Haushalte erhalten, hängt stark von der Qualität der Telekommunikation, der Qualität der internationalen Organisation, dem Wohlstand der Diaspora-Gemeinde sowie der Entfernung zwischen der nächsten Hawilad-Kommunikationseinrichtung und den Nutznießern der Transaktion ab.
Es gibt eine Bevorzugung der Städte bei den Überweisungen. Während in Hargeysa zum Beispiel die Mehrheit der Haushalte Zuwendungen erhielt, waren es nur 5 Prozent der ländlichen Haushalte in der Umgebung. Hirtenfamilien erhalten noch weniger. Für die Ackerbau und Viehzucht treibenden Haushalte sind die Überweisungen von Wanderarbeitern in städtischen Gebieten wichtiger als internationale Geldtransfers, was einen indirekten Fluss internationaler Überweisungen an ländliche Haushalte vermuten lässt. Auf diese Weise gibt es also einen Trend, nach dem die Geldüberweisungen die ökonomische Differenzierung in der somalischen Gesellschaft nicht nur widerspiegeln, sondern auch wachsen lassen.
Aus historischen, gesellschaftlichen und politischen Gründen sind die Überweisungen in den Städten üblicher als auf dem Lande, und die hauptsächlichen Nutznießer von Überweisungen sind in der Regel die städtischen Haushalte mit ausgebildeten und qualifizierten Mitgliedern in der Diaspora. Dank eines historisch besseren Zugangs zu Ausbildung und politischen Privilegien oder aufgrund eines geografischen Zufalls haben einige soziale Gruppen und Klans einen höheren Mitgliederanteil in der Diaspora als andere. Wanderarbeiter und Flüchtlinge kommen gewöhnlich aus besser gestellten Familien, die es sich leisten können, Familienmitglieder ins Ausland zu schicken. Die Armen auf dem Lande und die Binnenflüchtlinge aus Gruppen, die nicht so viele Verwandte im Ausland haben, erhalten weniger Überweisungen und werden von den Telekommunikationsdiensten weniger gut bedient. In Hargeysa und Bossasso zum Beispiel gibt es eindeutige Hinweise für einen beträchtlichen Unterschied beim Zugang zu Überweisungen zwischen Stadtbewohnern und intern vertriebener Bevölkerung sowie Wirtschaftsauswanderern aus Südsomalia.
Heute stehen Somalia gewaltige soziale und entwicklungspolitische Aufgaben bevor. Sowohl zurückkehrende Flüchtlinge als auch die Diaspora könnten beim zukünftigen Wiederaufbau und der Entwicklung Somalias eine entscheidende Rolle spielen. Die Diaspora, die möglicherweise über eine Million Mitglieder umfasst, stellt ein gewaltiges Potenzial dar. Sie ist bereits eine äußerst wichtige Kraft in der Wirtschaft und Politik der Somalier, so wie sie eine bedeutende Rolle im Bürgerkrieg gespielt hat. Insofern könnte die Diaspora einen entscheidenden Einfluss darauf ausüben, ob das Land zu politischer Stabilität und Sicherheit findet. Die Voraussetzung dafür ist, ein wirtschaftliches Umfeld zu schaffen, das die lokale Produktion fördert - so wie es im aufstrebenden politischen System von Somaliland geschehen ist. Politische Sicherheit, Stabilität und Legitimität sind ebenso entscheidende Faktoren für Entwicklung wie die Aussichten auf eine Rückkehr der Diaspora und die Verwendung der Überweisungen.
Die große Diaspora bedeutet, dass die "Somali-Nation" nicht mehr auf territoriale Grenzen beschränkt ist, sondern sich dadurch globalisiert hat, dass die Somalier in weltweite Wirtschaftnetzwerke eingebunden sind. Geldüberweisungen sind der Schlüssel für die Wirtschaft und entscheidend für den Lebensunterhalt der Menschen.
Das Hawilad-Überweisungssystem bietet eine vitale Struktur, über die die Diapora sich mit den Familien in Somalia verbindet. Heimkehrende Somalier bringen neue Geschäfte, Ideen und Technologien mit. Viele ausgewanderte Somalier drücken zwar den Wunsch aus, in ihre alte Heimat zurückzukehren, doch die dortige Unsicherheit sowie die kärglichen sozialen Dienste und begrenzten Arbeitsmöglichkeiten bremsen solche Absichten. Die große Zahl von Somaliern, die Urlaub in ihrer Heimat macht, um die Lage dort zu erkunden, ist Beleg für das Rückkehrinteresse. Sie halten enge Verbindungen zu ihrem Herkunftsland in der Hoffnung, einmal eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau Somalias spielen zu können.
Es bleibt freilich abzuwarten, ob die zweite Generation von Somali-Migranten im Ausland weiterhin Geld an dann fast unbekannte Verwandte in einem Land überweisen werden, dass sie vielleicht niemals besucht haben - zumal die überwiesenen Summen zurzeit etwa 20 bis 30 Prozent der Haushaltseinkommen der Diasporamitglieder ausmachen dürften. Ältere Familienmitglieder in der Diaspora werden gewiss weiterhin starken Druck auf ihre Gemeinden ausüben, Gelder nach Hause zu schicken. Aber ihnen wird jetzt schon vorgeworfen, die auf Klans beruhende Spaltung der Gesellschaft zu zementieren. Auf der anderen Seite gibt es auch bei somalischen Familien im Westen einen Trend zur Kleinfamilie, was das Klansystem auf längere Sicht aushöhlen konnte.
Mindestens ebenso wichtig wie die Geldtransfers dürfte für Somalia der Zufluss von Know-how aus dem Ausland werden. Die günstige Gelegenheit für die Diaspora, eine gute Ausbildung zu erhalten, ist ein potenzielles Vermögen bei der Rückkehr. Dagegen spricht allerdings die Struktur der Lohnniveaus und Arbeitsmöglichkeiten. Vielleicht ist das ein Bereich, den die Entwicklungshilfe fördern könnte: für eine Übergangsperiode angemessene Gehälter für gut ausgebildete rückkehrwillige Somalier anzubieten.
Ein weiteres Gebiet, auf dem die internationale Gemeinschaft einen beträchtlichen Beitrag leisten könnte, wäre, den Somalia-Handel durch die Aufhebung von Handelsbarrieren wie etwa der Qualitätsstandards global zu fördern. Der Viehhandel der Somalier ist ein Beispiel. Hier könnte veterinärmedizinische Hilfe zusammen mit Bemühungen, die somalischen Händler an das globale Handelsnetz zu binden, dazu beitragen, die Anfälligkeit Somalias gegenüber saudischen Viehimportverboten zu verringern, indem der Zugang zum Weltmarkt eröffnet wird.
Wichtig ist auch, dass Entwicklungshilfe nicht zu eng und zu rigide verknüpft wird mit der Rückkehr der Somali-Diaspora nach Somalia. Wenn Entwicklungshilfe dazu verwendet wird, eine Repatriierung zu forcieren, bevor die Diaspora dazu bereit ist, dann könnte diese sich leicht dagegen entscheiden und die sozial sicherste Option wählen: im Ausland zu bleiben. Wenn die Auslandssomalier auf der anderen Seite als potenzieller Katalysatoren für die Entwicklung in Somalia gesehen und ihnen eine Tür offen gehalten wird, in ihren Gastländern zu bleiben und dort Ausbildung und Qualifikationen zu erhalten sowie Arbeitserfahrungen zu sammeln - möglicherweise in langfristigen Programmen, die darauf abzielen, Geschäfte oder Ausbildungsprogramme in Somalia zu starten -, dann könnte es eine Aussicht geben für eine konstruktive Beziehung zwischen Entwicklungshilfe, Entwicklung und Diaspora.
Literatur
Ismail I. Ahmed: Remittances and their Economic Impact in Post-war Somaliland. Disasters 24 (2000) 4: 380-389
Human Development Report: Somalia. UNDP 2002
UNHCR: State of the World's Refugees. Oxford, 2000
aus: der überblick 03/2002, Seite 21
AUTOR(EN):
Joakim Gundel:
Joakim Gundel ist als Politologe am Zentrum für Entwicklungsforschung in Kopenhagen tätig und lehrt Afrikanische Politik am Zentrum für Afrika-Studien der Universität von Kopenhagen.