Ein Gespräch über Besonderheiten und Probleme der Entwicklungszusammenarbeit im Kaukasus und Zentralasien
Gesprächspartner:
Dr. Wolfgang Armbruster
hat im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) von November 2002 bis Ende 2005 das Referat für die früher sowjetischen Länder im Kaukasus und Zentralasien geleitet. Seit Anfang 2006 ist er im Ruhestand.
Dr. Frank Bliss
lehrt Entwicklungsethnologie an der Universität Hamburg und vertritt zur Zeit den Lehrstuhl für internationale und vergleichende Politik an der Universität Duisburg-Essen. Er ist Mitinhaber des Gutachterbüros Bliss & Gaesing und beschäftigt sich seit 1995 mit Zentralasien, insbesondere Tadschikistan und Kirgisistan.
Caroline Kruckow
ist im Ressort Internationale Programme des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) Teamleiterin und Regionalreferentin für Osteuropa. Seit 1998 ist sie zuständig für die Arbeit des kirchlichen Hilfswerks mit Partnerorganisationen in den Ländern Südosteuropas sowie des Kaukasus.
der überblick: Gemessen am Pro-Kopf-Einkommen liegen die Länder im Kaukasus heute etwa auf dem Stand von Bolivien, die drei ärmeren der zentralasiatischen Staaten deutlich darunter unter dem Niveau von Bangladesch oder Ghana. Wie groß ist die Not und der Bedarf an Hilfe?
Armbruster: Der Bedarf an Hilfe ist groß. Die Einbrüche nach dem Ende der Sowjetunion waren in Zentralasien unterschiedlich stark am stärksten in Tadschikistan wegen des Bürgerkriegs zwischen 1992 und 1997, sehr hoch auch in Kirgisistan. Sie waren geringer in Usbekistan, weil das Land am alten Wirtschaftssystem festgehalten hat. Dafür wächst das Sozialprodukt jetzt in den Ländern, die das alte System abgeschafft haben. Kein Land hat aber das Niveau aus der Zeit der UdSSR wieder erreicht, außer Kasachstan wegen des Ölreichtums. Tadschikistan war allerdings auch zu Sowjetzeiten die ärmste Republik der UdSSR. Es hatte ebenso wie Kirgisistan einen enormen Hilfebedarf und bekam hohe Subsidien aus Moskau. Insofern hat die westliche Entwicklungshilfe gewissermaßen das Moskauer Zentrum bei der Alimentierung dieser Region abgelöst.
Bliss: Es ist natürlich richtig, dass Tadschikistan und Kirgisistan die ärmsten Teile der UdSSR waren. Aber um das zu verstehen, muss man ins späte 19. Jahrhundert zurückblicken. Da herrschte dort eine Sklavenhaltergesellschaft mit extremer Ausbeutung. Schon das russische Kaiserreich wurde von der Bevölkerung als Verbesserung empfunden. Die ersten Jahre unter der Sowjetunion waren schlecht, aber seit etwa Stalins Tod fand in Kirgisistan und Tadschikistan eine revolutionäre Veränderung statt. Die Straßen dort mögen kaputt sein, aber man kann in das abgelegenste Dorf fahren. Noch der letzte Ort ist in den 1950er Jahren mit einer Asphaltstraße oder wenigstens einer in den Felsen gesprengten Piste erschlossen worden. In den 1970er Jahren wurden Kino und Theater eingeführt, es gab eine Stromversorgung. In den 1970er oder 1980er Jahren konnten Lehrer aus Zentralasien alle ein oder zwei Jahre mit ihrer Familie ans Schwarze Meer oder nach Kamtschatka, auf die ostasiatische Halbinsel Russlands fahren. Mehrere Leute haben mir erzählt, sie sind Wandern gefahren, sie hatten Hobbys. Dort, wo heute das Ende der Welt ist, weil die Kommunikation zusammengebrochen ist, kannten früher alle Moskau. Natürlich fehlten wegen der Planwirtschaft immer Waren, aber der Lebensstandard war gesichert und ein Viertel der Leute hatte ein Auto auch wenn das Schrottkisten waren. Die angrenzenden Gebiete außerhalb der Sowjetunion wie Afghanistan waren verglichen damit weit zurück und lebten in großem Elend. Deswegen sind die Leute in Kirgisistan und Tadschikistan auch die Intellektuellen heute alle Nostalgiker der alten Sowjetunion.
der überblick: Was ist von den Errungenschaften in Infrastruktur oder Bildung übrig geblieben?
Armbruster: Natürlich ist etwas übrig. Aber viele Schulen zum Beispiel verfallen. Und es hat einen enormen Exodus von Fachkräften gegeben. Nicht nur Russen sind zurückgegangen; auch viele der qualifizierten Einheimischen sind in Russland, allein aus Kirgisistan und Tadschikistan schätzt man die Zahl auf jeweils eine halbe bis eine Million Menschen, aus Usbekistan bis zu 1,8 Millionen.
der überblick: Aus Ländern mit nur 5 bis 7 Millionen Einwohnern?
Armbruster: Ja, eben. Auch aus Armenien ist vermutlich ein Drittel der Bevölkerung in Russland. Das will die armenische Regierung aber nicht wahrhaben. Die einzigen, die das zugeben und Migration ausdrücklich wollen, sind die tadschikischen Behörden. Allerdings wird die Situation für Migranten schwieriger. Bisher konnte man einfach über die Grenze; jetzt führt Russland nach und nach die Visum-Pflicht und Arbeitsgenehmigungen ein. Das wird voraussichtlich die Zahl der Migranten und ihre Überweisungen senken, und das kann die wirtschaftlichen Probleme in Zentralasien und im Kaukasus verschärfen.
Kruckow: Die Migration ist für Armenien ein großes Problem. Der Niedergang der wirtschaftlichen Möglichkeiten und der Infrastruktur spielt dabei eine erhebliche Rolle. In Armenien wurde zum Beispiel ein großer Teil des Bodens zu Sowjetzeiten erst mit Hilfe von Wasserversorgung landwirtschaftlich nutzbar gemacht. Deshalb war der Lebensstandard auf dem Land relativ besser als zuvor. Nach dem Ende der UdSSR sind sowohl die Pumpen als auch die Überlandleitungen verfallen. Das System liegt jetzt danieder und früher bewirtschaftete Flächen sind nicht mehr nutzbar. Das ist einer der Gründe für die Landflucht und letztendlich für die Auswanderung. Der Zusammenbruch des Bildungswesens ist auch ein weiterer wichtiger Faktor. Die Bildungssituation ist schlechter geworden, weil ländliche Schulen geschlossen wurden, Lehrkräfte nicht mehr bezahlt wurden und weggegangen sind. Familien auf dem Land haben uns immer wieder gesagt: Unsere Kinder sind jetzt Analphabeten. Das ist für die Armenier, die sich als Bildungsnation empfinden, besonders schlimm.
Bliss: Man muss aber sagen, dass nicht nur das Ende der Ressourcentransfers das Problem ist. Es kommt auch darauf an, was man mit den Ressourcen macht, die man hat. Schlechte Regierungsführung ist in Zentralasien ein Hauptproblem vergleichbar mit dem Tschad oder Niger.
der überblick: Im Index der menschlichen Entwicklung werden der Kaukasus und Zentralasien besser eingestuft als nach dem Pro-Kopf-Einkommen. Liegt das am Bildungsstand?
Armbruster: Ja, und an der Lebenserwartung. Beides ist deutlich höher, als nach dem Sozialprodukt pro Kopf zu erwarten wäre.
Bliss: Wie der Bildungsstand heute bei Heranwachsenden und vor allem Mädchen ist, hat man allerdings nicht mehr nachgeprüft.
der überblick: Stimmt der Eindruck, dass der Kaukasus und Zentralasien am Rande des Blickfelds von deutschen Entwicklungsorganisationen liegen und lange Zeit niemand bei uns die Region richtig beachtet hat?
Kruckow: Der Kaukasus liegt am Rande der Wahrnehmung, Zentralasien nicht mehr. Die meisten kirchlichen Hilfswerke Europas, die in Osteuropa arbeiten, gehen aus dem Balkan raus, berücksichtigen den Kaukasus kaum und beziehen zunehmend Zentralasien in die Programmarbeit ein. Der Kaukasus gilt als problematisch, da zahlreiche Konflikte dort stattfinden und er wird zumeist nicht als klassische Entwicklungsregion betrachtet.
Armbruster: Als die Sowjetunion zusammenbrach, gab es unter den Entwicklungspolitikern insgesamt große Zurückhaltung gegen die Arbeit dort. Es erhob sich großes Wehklagen, vorneweg aus dem BMZ, dass man dort nur tätig würde, wenn es zusätzliches Geld gäbe, das nicht den anderen Entwicklungsregionen abgezogen würde. Dann hat es einige Jahre gedauert, bis die Hilfe in der früheren Sowjetunion als öffentliche Entwicklungshilfe anerkannt wurde. Deshalb gab es dafür einen besonderen Topf, der von verschiedenen Ministerien verwaltet wurde. Erst als der leer war, erhielt das BMZ die Federführung über die Hilfe in der ganzen Region. Jetzt wird die Arbeit in Zentralasien und dem Kaukasus aus dem allgemeinen Entwicklungshaushalt bestritten.
der überblick: Was sind die Schwerpunkte der Arbeit des BMZ im kaspischen Raum?
Armbruster: Die staatliche Zusammenarbeit mit dem kaspischen Raum hat zunächst an sehr verschiedenen Punkten angesetzt und sich dann den Schwerpunkt gegeben Wirtschaftsreform und Aufbau der Marktwirtschaft, jetzt heißt das nachhaltige Wirtschaftsentwicklung. Zu der Zeit, als ich das Referat geleitet habe, haben wir die Schwerpunkte zum Teil verlagert in Richtung Gesundheitswesen etwa Tuberkulosebekämpfung und Versorgung von Mutter und Kind. In Tadschikistan haben wir auch im Bildungswesen einen Schwerpunkt gesetzt. In der technischen Zusammenarbeit stehen Reformen des Wirtschafts- und Rechtssystems im Mittelpunkt mit dem Ziel, mittelfristig auch auf bessere Regierungsführung hinzuwirken.
der überblick: Worauf konzentriert sich der EED?
Kruckow: Wir fördern im Kaukasus ländliche Entwicklung und soziale Dienste, hauptsächlich Bildungsprogramme, aber auch Frauen- und Gesundheitsprogramme sowie Frieden und Konfliktbearbeitung. Eines der Oberziele ist, die Entwicklung der Zivilgesellschaft zu unterstützen.
der überblick: Unterscheidet sich die Entwicklungszusammenarbeit in postsowjetischen Ländern von der in klassischen Entwicklungsländern? Weist man dort zum Beispiel Vergleiche mit Afrika empört zurück?
Kruckow: Da die Bevölkerung schon sehr viel bessere materielle Verhältnisse erlebt hat, ist die Art der Zusammenarbeit in allen Ländern des früheren Ostblocks ganz anders als etwa in Afrika. Der wirtschaftliche Einbruch nach der Auflösung der Sowjetunion hat zu einer sehr depressiven Stimmung geführt. Eigeninitiative und auch gegenseitiges Vertrauen sowie Kooperationsbereitschaft sind aufgrund der Erfahrungen aus der sowjetischen Vergangenheit verloren gegangen.
Bliss: In Kirgisistan und Tadschikistan ist es vielen Menschen klar, dass die materielle Lage so ist wie in Afrika. Aber wenn man das laut sagt, sind die meisten pikiert, weil man sich noch als Teil eines modernen Staates und einer Industriegesellschaft fühlt.
Armbruster: Man hat die UdSSR immer als industrielle Großmacht wahrgenommen, aber für diese Gebiete traf das nicht zu, sie hatten kaum Industrie.
Kruckow: Der Kaukasus schon, Zentralasien nicht.
Bliss: Die Selbstwahrnehmung ist trotzdem begründet. Wie in Afrika fehlt Kapital, und man kann den Staat nicht in Anspruch nehmen. Doch wenn man zum Beispiel Komitees gründen will, etwa für Trinkwasserprojekte, dann hat man es mit Professoren zu tun und nicht mit Analphabeten. Man findet dort Buchhalter und Mechaniker, auch wenn sie fünfzehn Jahre hinter dem Stand der Technologie zurück sind. Wenn ich in Afrika ein Wasserkomitee für zehn- bis fünfzehntausend Menschen vorschlage, fange ich von Null an. In Tadschikistan oder Kirgisistan kann ich im Prinzip ein kleines Wasserwerk aufbauen. Das Problem ist dort aber, dass die oberen staatlichen Ebenen sofort intervenieren.
der überblick: Für Projekte an der Basis sind die Voraussetzungen besser als in typischen Entwicklungsländern?
Kruckow: Der Bildungsstand erleichtert sie. Andererseits hat die Planwirtschaft die Erwartung erzeugt, dass immer jemand anders die Verantwortung übernimmt und man nicht selbst die Initiative ergreifen kann. Partizipation ist unter afrikanischen oder indischen Partnern weitaus selbstverständlicher. Dort hat man im Laufe von 30 oder 40 Jahren Entwicklungszusammenarbeit gelernt, sich zu organisieren und eigene Initiativen zu ergreifen. Das fehlt im Kaukasus. Wir haben auch beobachtet, dass viele nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) politische Aufgaben nur sehr zögerlich angehen. Über Anwaltschafts- und Lobbyarbeit sprechen NGOs, die praktische Projekte machen, viel weniger als in anderen Ländern. In Georgien wie auch in Armenien und Aserbaidschan gibt es einige Institute mit fähigen und weitblickenden Intellektuellen, die aber wenig praktisch tätig sind. Die Verbindung zwischen beidem muss sich noch entwickeln.
der überblick: Im Kommunismus wurden unabhängige Organisationen kaum geduldet. Ist die Zivilgesellschaft deshalb in den postsowjetischen Ländern relativ schwach?
Kruckow: Die Ursachen liegen auf beiden Seiten. Auch die Politiker sind nicht gewöhnt, auf die Basis zu hören, und sehen nicht, dass sie ein Interesse daran haben könnten, sich auf diese Weise Rückhalt zu verschaffen. Dagegen ist Korruption ein sehr verbreitetes Phänomen.
Bliss: Auch hier gibt es aber geschichtlich bedingte Unterschiede. Die Tadschiken waren historisch sehr zersplittert; es gab keine festen Klan-Strukturen, die eine politische Gegenmacht darstellen konnten. Noch heute gibt es in Tadschikistan auf dem Land keine alte Elite; lokale Eigenheiten, Selbstbewusstsein und Opposition findet man dort nicht. Das ist in Kirgisistan ganz anders. Das Gebiet war großräumig in 50 bis 60 Klane geteilt. Das hat sich über die Sowjetzeit erhalten und macht sich heute daran bemerkbar, dass viele lokale Kräfte auf der nationalen Bühne mitreden wollen. NGOs sind in diese Strukturen eingebunden und viel wirksamer als in Tadschikistan.
der überblick: Gibt es auch Besonderheiten im Umgang mit Regierungsmitgliedern und der Verwaltung?
Armbruster: Ich habe als Vertreter der Bundesregierung direkte Erfahrungen eher mit der Verwaltung; nichtstaatliche Partner unterstützt das BMZ vor allem indirekt über politische Stiftungen, die Aga Khan-Stiftung (vergl. der überblick 3/2004) oder auch die deutschen Kirchen. Die Zusammenarbeit mit den Regierungen ist sehr unterschiedlich. In Tadschikistan ist sie am einfachsten, weil man sich bewusst ist, dass man auf Hilfe angewiesen ist. Die Fähigkeit, Programme umzusetzen, ist allerdings begrenzt. Das Gegenteil ist Kasachstan. Die kasachische Regierung tritt, um es positiv auszudrücken, mit enormem Selbstbewusstsein auf; deshalb ist die Zusammenarbeit praktisch zum Erliegen gekommen.
der überblick: Welche besondere Aufgabe hat die kirchliche und nichtstaatliche Zusammenarbeit in der Region?
Kruckow: Die kirchliche Entwicklungszusammenarbeit orientiert sich im Kaukasus am Ausbau der Zivilgesellschaft und zwar bewusst über die kirchlichen Träger hinaus und in allen drei Ländern, auch im vorwiegend muslimischen Aserbaidschan. Dort arbeiten wir mit säkularen NGOs aus verschiedenen Sektoren wie Rechtsberatung, Jugendarbeit und Landwirtschaft. Wir wollen nicht den Eindruck entstehen lassen, dass wir nur mit Partnern in den christlichen Ländern kooperieren wollen. Es geht uns auch darum, dass zivilgesellschaftliche Kräften in der ganzen Region mehr miteinander in Kontakt und Dialog treten. Im vergangenen Jahr haben wir eigens zu diesem Zweck ein Dialog-Büro in Georgiens Hauptstadt Tiflis eröffnet. Aber diese Aufgabe ist weiterhin schwierig.
Bliss: Lassen Sie mich dazu eine ketzerische Anmerkung machen. Ich habe den Eindruck, dass es in der nichtstaatlichen Zusammenarbeit immer um die Mobilisierung der Zivilgesellschaft geht. Vergessen wird die Kooperation zwischen staatlichen Institutionen. Man sucht verzweifelt, mit welcher NGO man arbeiten kann. Viel wichtiger wäre, Kommunen und Landkreise für die Kooperation mit der Bevölkerung fit zu machen auch wenn sie nicht so dezentralisiert sind, wie man es gern hätte, und ihre Rolle noch nicht finden.
der überblick: Sollen nichtstaatliche Werke wie der EED mit Kommunen arbeiten? Oder soll die staatliche Zusammenarbeit das tun?
Bliss: Es geht darum, eine vernünftige Synthese zu finden. Es hat keinen Sinn, wenn die Weltbank regionale Entwicklungspläne mit Regierungen macht und in den Kommunen sitzen die Bürgermeister in einer alten Baracke und haben gerade genug Geld, die neu zu weißen.
Armbruster: So pauschal kann man das nicht sagen. Das BMZ arbeitet zum Beispiel im Bildungssektor in Tadschikistan auch mit einer Provinzverwaltung zusammen. Die Stärkung der Kommunalverwaltung ist seit langem ein Ziel des BMZ. Auch in Zentralasien plädiert es dafür, dass die Kommunen eigene Finanzquellen haben und nicht nur nach Lust und Laune Zuweisungen aus der Zentrale bekommen. Das ist ein Problem, da hat Herr Bliss recht.
Kruckow: Der EED hat gerade in Georgien eine Reihe von Partnern aus der Zivilgesellschaft, die in Dorfgemeinden den Kommunalbehörden Qualifizierungsangebote machen. Sie bieten Fortbildung zu technischen Fragen der Entwicklungszusammenarbeit zum Beispiel zu Budgetkontrolle und Planung.
der überblick: Arbeiten die Programme des BMZ und des EED denn dort, wo beide tätig sind, Hand in Hand?
Armbruster: Das weiß ich nicht genau. Ich weiß, dass mit den politischen Stiftungen für den Kaukasus und Zentralasien eine recht enge Abstimmung stattfindet. Was den EED angeht, haben wir immer interessiert zur Kenntnis genommen, was er alles macht, uns aber nicht gegenseitig bestimmte Rollen gegeben und die Aufgaben aufgeteilt.
Kruckow: Es hat 2004 ein Koordinationstreffen in Tiflis gegeben, an dem der EED als einziges deutsches Hilfswerk neben den politischen Stiftungen teilgenommen hat. Dort wurde auch die Arbeitsteilung zwischen BMZ und nichtstaatlichen Werken deutlich. Wir versuchen uns unter anderem mit den politischen Stiftungen und auch mit der Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) abzustimmen, vor allem dort wo es überlappende Arbeitsbereiche gibt. Dies gelingt in einigen Fällen ganz gut, an anderen Stellen ist es sicherlich verbesserungswürdig. Zum Beispiel hilft ein Experte des CIM (Centrum für internationale Migration und Entwicklung - der Personalvermittler der deutschen Entwicklungszusammenarbeit) im Rahmen der Städtepartnerschaft zwischen Saarbrücken und Tiflis, die Stadtverwaltung in Tiflis zu reformieren. Das wird ergänzt durch Kurse einer NGO, die wir fördern, zu Verwaltung und Finanzmanagement.
Bliss: Das ist mal etwas Erfreuliches. In Georgien aber habe ich die internationale Koordination als sehr mangelhaft empfunden. Dass die Konzepte der Geber so entgegengesetzt sind, ist mir anderswo selten aufgefallen. Zum Beispiel wollen die einen die kleinbäuerliche Landwirtschaft unterstützen, was nahe liegt, weil immer noch ein großer Teil der Menschen auf dem Land lebt. Zugleich wollen etwa die Amerikaner eine großflächige Agrarindustrie aufbauen. Darüber gibt es keinen Konsens in der Gebergemeinschaft.
Armbruster: Beim Rechtswesen in Georgien ist es ähnlich: Wir fördern das europäische Recht und die Amerikaner ihr auf Präzedenzfällen beruhendes Recht. Dies ist sinnlos, denn die Georgier wollen mittelfristig in die Europäische Union oder sich zumindest an diese anpassen. Was sollen sie da mit einem ganz anderen Rechtssystem?
Bliss: In Zentralasien finde ich die deutsche Entwicklungszusammenarbeit auch in sich nicht homogen. In Tadschikistan gibt es vier Schwerpunkte, und es nicht klar, was der Fokus ist. Besser wäre, in einem Sektor die Regierungsspitze zu beraten, im Mittelbau Konzepte zu entwickeln und sie unten umzusetzen, so dass man das Ergebnis sieht. Das ist im Forstsektor in Vietnam gelungen, wo wir die Gesetzgebung beeinflussen und die auch umgesetzt wird. In Tadschikistan ist die Zusammenarbeit zu zersplittert.
Armbruster: Da muss ich widersprechen. Wir haben dort 2002 mit der Entwicklungszusammenarbeit erst angefangen. Bis das Ergebnisse bringt, dauert es immer, und ich habe in Tadschikistan schon gut ausgestattete gynäkologische und Kinderabteilungen in Kliniken aus unserer Förderung gesehen. Richtig ist, dass das BMZ in den 1990er Jahren versucht hat, von allem ein bisschen zu machen. Wie in Deutschland nach dem Ende der DDR glaubte man hier, dass es auch in den Gebieten der früheren Sowjetunion nur gewisser Anstöße und eines Systemwechsels bedürfe, um selbsttragendes Wachstum in Gang zu bringen. Von den Industrieprojekten, um die Produktion in Zentralasien noch zu stabilisieren, sind die meisten gescheitert. Deshalb haben wir das beendet. Wir machen auch Fehler, aber Tadschikistan ist dafür kein gutes Beispiel.
Das BMZ unterstützt im übrigen die Versuche in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die Pläne und Verfahren der verschiedenen Geber zu harmonisieren. In Kirgisistan als Pilotland für die Region wird das zum ersten Mal ausprobiert. Dort sind jetzt nach dem Umsturz vom Frühjahr 2005 sehr viele bi- und multilaterale staatliche Geber und NGOs tätig. Theoretisch sollen die Geber sich hinter einem Entwicklungsplan versammeln, den die einheimische Regierung ausarbeitet. Tatsächlich schreiben die Consultants von der Weltbank diesen Plan. Das erkennt man schon an der Schrifttype. Die Fähigkeit, so eine detaillierte Strategie umzusetzen, hat das Land gar nicht. Deshalb nehmen bei allem guten Willen doch die Geber das Heft in die Hand. Im Gesundheitsbereich beteiligt sich das BMZ zusammen mit den Schweizern und der Weltbank jetzt an einer gemeinsamen Strategie für diesen Sektor.
Bliss: Aber nicht dass Sie glauben, in den Dörfern würde da viel ankommen. In Kirgisistan und ganz besonders in Tadschikistan finden Sie Dörfer, wo außer dem UNHCR nach dem Bürgerkrieg noch niemand auch nur einen Sack Weizen abgeladen hat.
der überblick: Obwohl zahlreiche Geber und NGOs im Land tätig sind?
Bliss: Ja, obwohl sich in der Hauptstadt Duschanbe die Geber und NGOs auf den Füßen stehen.
Kruckow: In den drei Ländern des Kaukasus ist nicht der Mangel an Geld, sondern dessen Verteilung das Hauptproblem. Der Kaukasus ist eine eher kleine Region, stand aber zeitweise im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit etwa durch den Konflikt in Karabach und das Erdbeben in Armenien 1988. Er hat relativ viel humanitäre Hilfe erhalten, und die Interessen an den Ölvorkommen haben zu einem verhältnismäßig hohen Geldzufluss aus amerikanischen Quellen geführt. Hinzu kommt die zahlungskräftige armenische Diaspora. Aber das Geld konzentriert sich in den Zentren der drei Länder: Eriwan, Tiflis und Baku. Alles, was ein bisschen weiter außerhalb liegt, wird vernachlässigt.
Armbruster: Dazu tragen natürlich die Konflikte bei. Georgien kontrolliert nicht sein gesamtes Staatsgebiet, und ein Fünftel von Aserbaidschan ist von Armenien besetzt, da findet auch nichts statt.
Bliss: Alle Länder des Kaukasus und Zentralasiens außer Kasachstan haben eins gemeinsam: Egal wie viele Geber dort tätig sind, große Schichten der Bevölkerung sind ausgegrenzt, weil sie nicht erreichbar sind außer über staatliche Sozialprogramme. Das betrifft Rentner, kinderreiche Familien und die unqualifizierten russischen Zuwanderer, die sich noch nicht einmal ein Flugticket nach Moskau leisten und auswandern können. Diesen Gruppen kann man nur durch die Verbesserung der Regierungsführung und durch staatliche Sozialprogramme helfen. Wenn Sie sehen, wie viel Geld zum Beispiel nach Tadschikistan fließt und welcher kleine Teil davon bei den Betroffenen ankommt, wird deutlich, dass so nicht weitergemacht werden kann.
der überblick: Wo bleibt der größte Teil?
Bliss: Bei Funktionären. Es wird im Rahmen der Umsetzung von Programmen abgeschöpft, zum Beispiel im Zuge der Privatisierung der Staatsfarmen und bei Bauvorhaben aller Art, wo vor allem die einheimischen Beteiligten zahlen müssen.
der überblick: Mit anderen Worten, die einheimischen Eliten bereichern sich?
Bliss: Das ist ein großer Posten. Aber auch die Transferkosten verschlingen einen guten Teil der Hilfe. Vielleicht 400 Organisationen sitzen allein in Bischkek, alle mit eigenen Repräsentanten, obwohl manche gerade unter den einheimischen NGOs nur über kleine Budgets verfügen. Dann enden Sie nicht bei drei Prozent Verwaltungskosten, sondern bei 30, 40 oder 50 Prozent. In Tadschikistan oder auch Kirgisistan finden Sie Miniprogramme mit einem Geländewagen, die zum Beispiel in drei oder fünf Dörfern dreißig Familien einen Kleinkredit geben. Das ändert an den Strukturen wenig.
der überblick: Die Debatte ist aus Afrika bekannt: Es würde die Transferkosten stark senken, wenn man den Staatshaushalt bezuschussen und den Behörden die Umsetzung überlassen würde, aber dann stellt sich das Problem der Korruption.
Bliss: Das Geld muss ja nicht über den Staatshaushalt ausgegeben werden.
Armbruster: So ist es aber. Die Geberharmonisierung läuft darauf hinaus, dass die Projekte in den Staatshaushalt integriert werden. Die Geber bezuschussen das, und Organe der Regierung bauen zum Beispiel die Straßen oder unterhalten die Kliniken. Die Geber prüfen dann die Bücher, damit nichts verschwindet. Wieweit sie das können, weiß ich nicht, es gelingt uns jetzt ja auch nicht. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die deutsche Entwicklungskredite vergibt, prüft zum Beispiel die Abwicklung ihrer Projekte im Einzelnen und schließt selbst die Lieferverträge ab. Aber wenn hinterher die Lieferanten aus dem Erlös etwas an Regierungsstellen abführen, kann man das schwer verhindern. Wenn etwas gebaut wird, werden also überhöhte Angebote vorgelegt, und da das alle machen, kann man das auch durch Ausschreibungen nicht ändern. Die realen Kosten sind niedriger, und die Differenz bekommen die Bürokraten.
Bliss: Gehen Sie mal davon aus, dass einheimische Partner auf diese Weise zwischen 10 und 30 Prozent der Projektkosten abschöpfen.
der überblick: Von den Ländern, über die wir hier sprechen, sind sechs mehrheitlich muslimisch. Welche Rolle spielt das in der Entwicklungsarbeit?
Kruckow: Die Religion spielt in den einzelnen Ländern und damit bei jeder Zusammenarbeit eine Rolle. Eine Verständigung auf gemeinsame Werte, die den christlichen Wertvorstellungen folgen, ist dabei immer notwendig. Das ist aber in der kaukasischen Region zumeist kein großes Problem. Aserbaidschan ist absolut kein fundamentalistisch ausgerichtetes islamisches Land. In Georgien und Armenien haben die beiden orthodoxen Nationalkirchen einen sehr großen Einfluss, nutzen dies aber sehr unterschiedlich. In Georgien spielen die orthodoxen Kirchenführer eine nicht sehr konstruktive Rolle für die Konfliktschlichtung.
der überblick: Im Kaukasus haben wir drei Staaten mit einem religiös unterfütterten Nationalismus. In Zentralasien dagegen findet man eher muslimische Oppositionsbewegungen, oder?
Armbruster: In Usbekistan führt die allgemeine Repression dazu, dass Unzufriedene einen Gegenpol im Islam finden. Aber insgesamt wirkt die atheistische Tradition der Sowjetunion in diesen Staaten erheblich nach. Ich habe unmittelbar nach dem 11. September 2001 Usbekistan besucht und die Gläubigen, die sich freitags in der Moschee versammelt hatten, meistens an einer Hand abzählen können. Es scheint, dass islamische Terrorgruppen aus Afghanistan oder Gruppen aus Saudi-Arabien dort Einfluss suchen. Aber bisher ist das kein Massenphänomen.
Kruckow: Es brennen auch in Bischkek keine dänischen Fahnen.
Bliss: Zumindest in Tadschikistan ist es der Regierung auch gelungen, einen Teil der früheren islamischen Opposition zu kooptieren. Viele ehemalige Bärtige mit Kalaschnikows sind heute auch businessmen.
der überblick: Kommen muslimische Wohlfahrtsverbände als Partner in Frage?
Armbruster: Die spielen in Zentralasien kaum eine Rolle in anderen Ländern wohl schon.
aus: der überblick 01/2006, Seite 36
AUTOR(EN):
die Fragen stellte Bernd Ludermann