Der wirtschaftliche und politische Wandel führt zu Unfrieden
Das sozialistische Experiment unter dem damaligen Präsidenten Julius Nyerere brachte Tansania zwar Armut - aber Frieden und Stabilität. Einheit und Harmonie wurden als höchste zivilisatorische Güter betrachtet. Doch die politischen und wirtschaftlichen Reformen seit den achtziger Jahren lösen vermehrt gewaltsame Konflikte aus, da die soziale Ungleichheit zunimmt, aber Verfahren, wie mit Uneinigkeit umgegangen werden kann, kaum entwickelt sind. Wie jedoch die Überwindung des Streits nach den Wahlen im Jahre 2000 in Sansibar zeigt, ist eine friedliche Konfliktlösung möglich.
von Kurt Hirschler
Mehr als 400 Menschen flohen im Dezember 2000 aus ihren Häusern nahe der Stadt Kilosa in Zentral-Tansania, nachdem Zusammenstöße zwischen Farmern und Viehzüchtern 31 Menschen das Leben gekostet hatten. Im Januar 2001, wenige Wochen nachdem Tansania seine zweiten Mehrparteienwahlen durchgeführt hatte, wurden zwischen 30 bis 40 Demonstranten von Sicherheitskräften in Sansibar getötet. Im Juli 2001 wurden bei Auseinandersetzungen zwischen zwei Clans im Tarime Distrikt in Nord-Tansania 18 Menschen getötet,
129 verletzt und weitere 4000 flohen aus ihren Häusern. Konflikte zwischen Oppositionsparteien und der Regierung führten zu Demonstrationen, Kämpfen und Plünderungen in den Straßen von Dar es Salaam. Dort endeten zu Beginn des Jahres 2003 Bemühungen der Polizei, einen inoffiziellen Straßenhändler-Markt zu räumen, mit Straßenkämpfen zwischen Kleinhändlern und der Polizei. Konflikte zwischen rivalisierenden muslimischen Gruppen forderten seit 1998 mehrere Tote.
Tansania galt bisher als Insel des Friedens auf dem krisengeschüttelten afrikanischen Kontinent. Keine Bürgerkriege, keine Militärputsche, kein Staatszerfall, keine Warlords (Kriegsfürsten), weder ethnische noch religiöse, weder politische noch soziale Zusammenstöße. Ein friedliches und stabiles Land. 40 Jahre Frieden und Stabilität sind ohne Frage der größte Erfolg des Landes, das immer noch zu den ärmsten Ländern der Erde zählt. Aber die Zunahme blutiger Konflikte in den letzten Jahren scheint diesen Erfolg zu gefährden. Es hat den Anschein, als hätten die unvermeidlichen Reformen dem Land zwar aus seinem wirtschaftlichen und politischen Elend geholfen, doch um den Preis zunehmender gewaltsamer Auseinandersetzungen.
Verschiedene Faktoren haben dazu beigetragen, dass blutige interne Zusammenstöße bisher weitgehend ausgeblieben waren. Die integrierende Politik des früheren Präsidenten Julius Nyerere, der von Beginn der Unabhängigkeit bis 1985 regierte, hatte allen Gruppen der Gesellschaft einen Platz in der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Ordnung des neuen Staates angeboten. Auch wenn nicht alle in gleicher Weise von den Früchten der Unabhängigkeit profitierten, so wurde doch darauf verzichtet, bestimmte Gruppen zu bevorzugen und andere von der Teilhabe auszuschließen. Eine solche “exklusive” Politik hatte in zahlreichen anderen afrikanischen Staaten zu Spannungen und Unfrieden geführt. Zudem verringerte die Wirtschaftsordnung jener Zeit die - durchaus vorhandenen - Unterschiede zwischen Arm und Reich, so dass entlang sozialer Unterschiede kaum Konflikte entstehen konnten.
Die einende Politik des nation-building, also des Bestrebens, einen neuen Staat mit einer geeinten Nation aufzubauen, trug zur Entwicklung einer politischen Kultur bei, die Gewalt als Mittel der Konfliktaustragung ablehnte. Neben Maßnahmen, die Vorurteile zwischen unterschiedlichen ethnischen Gruppen zu reduzieren halfen, war Erziehung - wenn nicht Indoktrination - zu der Idee der “Einheit” von zentraler Bedeutung für diesen Ansatz. Geleitet vom Rousseau’schen Konzept einer unter einem Gemeinwillen geeinten Gesellschaft, verstand Nyerere die Verfolgung unterschiedlicher Ideen und Interessen als den Versuch, das “Ganze” zugunsten Einzelner zu zerstören. Konflikte wurden als eine Bedrohung empfunden, welche die friedliche Harmonie gefährdeten.
Die von Gewalt geprägten Entwicklungen in den meisten Nachbarländern Tansanias förderten auch bei der Bevölkerung die Wahrnehmung, dass Streit und Uneinigkeit zu Bürgerkrieg führen würden. Bis heute haben die meisten Tansanier eine stark ablehnende Haltung gegenüber Konflikten, die lediglich als Quelle von Zerstörung gesehen werden, nicht jedoch als potenzieller Motor für den Fortschritt, der zu weiterer Entwicklung führen kann. Zudem diente die negative Einstellung zu Meinungsvielfalt und Dissens auch der Rechtfertigung des ausschließlichen Herrschaftsanspruchs der regierenden Partei TANU/ CCM (Tanganyika African National Union, ab 1977 Zusammenschluss mit der sansibarischen Partei Afro Shirazi Party, ASP, und umbenannt in Chama cha Mapinduzi - Partei der Revolution).
Die schwere Wirtschaftkrise seit den späten siebziger Jahren machte Reformen unvermeidlich. 1986 wurden Vereinbarungen mit dem Internationalen Währungsfond (IWF) und der Weltbank getroffen. Die staatlich kontrollierte Ökonomie wurde nach und nach in eine liberale Marktwirtschaft umgewandelt. 1992 wurde das Herrschaftsmonopol der Regierungspartei CCM aufgegeben. Ein Mehrparteiensystem wurde eingeführt und der politische Raum für eine weitere Demokratisierung geöffnet. Diese beiden grundlegenden Veränderungen, die von zahlreichen weiteren Reformen begleitet wurden, bedeuteten nichts weniger als einen vollständigen Wandel, wie innerhalb der Gesellschaft sowie zwischen Staat und Gesellschaft miteinander umgegangen wurde: Die Prinzipien des individuellen Erfolges, des Wettbewerbs und der privaten Verantwortung wurden in das politische und wirtschaftliche System Tansanias eingeführt und ersetzten die der Gleichheit, Einheit und zentralen Kontrolle.
Die Reformen sollten Tansanias wirtschaftliche und politische Situation verbessern, und tatsächlich haben die Liberalisierung der Wirtschaft und die Einführung eines marktorientierten Systems viel zur Verbesserung der Lebensbedingungen beigetragen. Güter sind wieder verfügbar, wenn auch teuer, und neue Geschäftsfelder entwickeln sich. Diejenigen, die das neue System zu nutzen wissen, können ihre Situation verbessern und beträchtlichen Wohlstand erreichen. Aber die Mehrheit der Bevölkerung bleibt arm. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter und die private Anhäufung von Reichtum wird unübersehbar. Die relative Gleichheit der Bevölkerung, auf welche die Tansanier so stolz gewesen sind, scheint verloren. Der neue Wettbewerb spaltet die Gesellschaft in Gewinner und Verlierer. Nicht dass es zuvor nicht auch Bevorzugte und Benachteiligte gegeben hatte, doch ist der Abstand zwischen ihnen weder so groß noch so sichtbar und unwidersprochen wie jetzt gewesen.
Gerade diese Ungleichheit der Chancen, verbunden mit dem zur Schau gestellten Reichtum und unrechtmäßiger Bereicherung, führt zu Spannungen. Eine schnell wachsende Zahl junger Migranten aus den ländlichen Gebieten hat sich als potenzielle Bedrohung des Friedens in den Städten erwiesen, besonders in Dar es Salaam. Ohne Arbeit und Ausbildung kommen sie in die Städte und versuchen, dort ihren Lebensunterhalt zu verdienen, aber finden sich ohne jede Möglichkeit. Die öffentliche Wahrnehmung, welche die “Netzwerke der Einflussreichen” verdächtigt, die Ressourcen des Landes unter sich aufzuteilen, fällt dort auf fruchtbaren Boden, wo sich Menschen um ihren Anteil am nationalen Kuchen betrogen fühlen.
Ein Nebeneffekt einer anderen Reform verschärft diese Spannungen: die Privatisierung des Erziehungswesens. Aufgrund ihrer begrenzten finanziellen Ressourcen legt die Regierung die Verbesserung dieses extrem unterfinanzierten Sektors zunehmend in private Hände. Besonders die christlichen Kirchen sind aktiv geworden und bieten eine gute Ausbildung an. Obwohl ihre Schulen auch Nichtchristen offenstehen, ist die muslimische Gemeinschaft im Wesentlichen auf staatliche Schulen mit ihren meist niedrigen Standards angewiesen. Der ohnehin bestehende Bildungsabstand zwischen Muslimen und Christen wird dadurch weiter vergrößert. Die Ungleichheit im Bildungsbereich setzt sich auf dem Arbeitsmarkt fort. Muslime haben bei der Suche nach guten Jobs Wettbewerbsnachteile, insbesondere im attraktiven staatlichen Sektor. Und dies fördert die Wahrnehmung, die Regierung bevorzuge Christen.
Nachdem im Sommer 2001 ein Gericht einen muslimischen Geistlichen wegen des Vorwurfs der Beleidigung des Christentums verurteilt hatte, demonstrierten Tausende Muslime gegen die Regierung. Zahlreiche Personen wurden in den darauf folgenden Zusammenstößen mit der Polizei verletzt und mehr als 170 Menschen festgenommen. In der Folge explodierten mehrere Bomben in Dar es Salaam, und wochenlang war die Situation so angespannt, dass eine weitere Eskalation befürchtet wurde. Die meisten Beobachter stimmten überein, dass der Gewaltausbruch weniger die Folge eines als ungerecht empfundenen Urteils gegen einen muslimischen Glaubensbruder war. Vielmehr war er ein Ausdruck für die hohe Frustration einer jungen Generation, die keine andere Zukunft jenseits von Armut hat und sich ausgeschlossen und betrogen fühlt. Die Ursachen einer sozio-ökonomischen Benachteiligung wurden als christlich-kulturelle Vorherrschaft gedeutet, und führten zur Politisierung eines kulturellen Unterschieds. Ein Interessenkonflikt, der prinzipiell durch Verhandlungen lösbar ist, wurde so zu einem Konflikt um Identität - der weitaus schwieriger zu bearbeiten ist.
Die Wirtschaftsreformen haben Prinzipien wie Privateigentum und Wettbewerb eingeführt, wodurch die in der Konkurrenz Unterlegenen verdrängt werden. Ab den neunziger Jahren ist es für ausländische Investoren einfacher geworden, sich auf dem tansanischen Markt zu betätigen. Dabei gilt deren Hauptinteresse den lukrativsten Geschäftszweigen wie Abbau von Gold und Edelsteinen, Nilbarsch-Fischerei im Viktoriasee, Sisalplantagen in der Tanga- und der Kilimandscharo-Region sowie Supermärkte in Dar es Salaam. Doch auf all diesen Gebieten sind zuvor bereits einheimische Geschäftsleute und kleine Handwerker tätig gewesen, wenn auch weniger produktiv, weniger professionell und zumeist informell. Die meisten dieser Kleinunternehmer sind nicht registriert und zahlen gewöhnlich keine Steuern. Die tansanische Regierung bevorzugt größere, Steuern zahlende Gesellschaften und gewährt ihnen Zugang zu Ressourcen, die bis dahin von Einheimischen genutzt worden sind. Insbesondere wenn die neuen Mitbewerber mit ihrem großen Kapital und ihrer überlegenen Expertise, Technologien und Ansätzen Ausländer sind, fühlen sich die Einheimischen ihrer vermeintlichen Rechte beraubt, ihren Lebensunterhalt mit dem zu verdienen, was sie aus “ihrem eigenen” Land herausholen.
Ein Beispiel dafür ist Mererani in Nord-Tansania. Es ist der einzige Ort auf der Welt, an dem der Edelstein Tansanit abgebaut wird. In dem Bergbaugebiet arbeiten Tausende Kleinschürfer und kleine Unternehmen. Im Jahre 2000 hat die Regierung etwa ein Viertel des Gebietes der südafrikanischen Bergbaugesellschaft Afgem überlassen. Auf deren Gelände wird das größte Vorkommen und die beste Qualität des Tansanit vermutet. Während die Kleinschürfer wie bisher die Grenzen ignorierten und unter der Erde in Afgems Gelände eindrangen, eskalierte der Konflikt, weil Afgem auf ihrem Recht auf alleinigen Zugang zu ihrem Gebiet bestand. Ein zweifellos unrechtmäßiges Vorgehen seitens der Kleinschürfer, das jedoch weit verbreitet und etabliert ist, und zuvor nie zu größeren Problemen geführt hatte. Doch seit Beginn dieser Auseinandersetzungen hat es zahlreiche Tote und Verletzte gegeben.
In ihrem Bemühen, die Professionalität im Bergbau zu erhöhen und die Kontrolle über den Sektor zurückzugewinnen, hat die Regierung im Juli 2002 die zeitweilige Schließung einiger kleinen Minen angeordnet, nachdem fast 40 Bergleute durch einen Bergwerksunfall zu Tode gekommen waren. Die Bergleute verweigerten sich der Anordnung. Berichten zufolge verwüsteten 4000 Bergleute die Stadt, um so die Regierung unter Druck zu setzen, ihnen die Wiederaufnahme der Bergbautätigkeit zu erlauben.
Sowohl die Privatisierung des Schulwesens, als auch die Öffnung des Marktzugangs für ausländische Unternehmen haben eines gemeinsam: Reformen, die darauf abzielen, die wirtschaftliche und soziale Situation zu verbessern, haben die bestehenden Interaktionsmuster verändert und zu einer Zunahme an Konflikten geführt. Durch die Reformen sind zwar neue Chancen eröffnet worden, doch gleichzeitig hatten nur wenige die Voraussetzungen, die neuen Möglichkeiten auch zu nutzen. Eine gute Startposition ist unter den neuen Bedingungen ebenso nötig wie einträglich, und der Kampf darum hat die Konfliktanfälligkeit deutlich erhöht.
Ein ähnlicher Prozess lässt sich im Zusammenhang mit dem Demokratisierungsprozess beobachten. Wo mit der “Zunahme an Wahlmöglichkeiten” eine “Zunahme an Frieden” zu erwarten gewesen wäre, haben sich mehr Konflikte und gewalttätige Zusammenstöße als vor den Reformen ereignet. Die Freigabe des politischen Spielfeldes für neue Wettbewerber eröffnete Chancen - und erhöhte zugleich die Risiken. Ein ehrgeiziger Kandidat, der im Einparteisystem eine Wahl verloren hatte, konnte darauf hoffen, dennoch mit ins Boot genommen zu werden und vom Präsidenten einen Parlamentssitz zu bekommen oder für einen anderen Posten ernannt zu werden.
Im neuen Mehrparteiensystem, in dem der Gewinner alles bekommt (the-winner-takes-it-all-System), bedeutet eine verlorene Wahl den vollständigen Ausschluss aus dem lukrativen Verteilungssystem. Darüber hinaus ist der Gewinn eines Mandates und der damit verbundene Zugang zu den Netzwerken noch attraktiver, seit die Regierung den Parlamentsmitgliedern erlaubt, eigene private Unternehmen zu führen. Das frühere Verbot privaten Unternehmertums für Inhaber öffentlicher Ämter war unter Nyerere eingeführt worden. Obwohl Politiker diese Regelung durchaus zu umgehen wussten, hat sie doch zumindest eine offen ersichtliche Bereicherung der Parlamentsmitglieder und damit die Notwendigkeit vermindert, mit allen Mitteln für einen Wahlsieg zu kämpfen.
Folglich wurde der Wettbewerb innerhalb und zwischen den Parteien seit der Einführung des Mehrparteiensystems immer härter und unfairer. Korruption, Stimmenkauf und Wahlfälschung sind allgegenwärtige Erscheinungen geworden - insbesondere bei parteiinternen Wahlen. Auch die Beziehungen zwischen den Parteien sind eher durch Kleinkrieg gekennzeichnet als durch Koexistenz und Kooperation. In Tansania ist Politik nun auch zum Geschäft geworden und Politiker wurden zu politischen Unternehmern. Offensichtlich hat sich die Idee einer konstruktiven Rolle der Opposition noch nicht durchgesetzt - weder bei der Regierungspartei noch bei den Oppositionsparteien selbst. Der politische Wettbewerb ist mehr zu einem Wettrennen um persönliche und Gruppeninteressen geworden als zu einem Wettbewerb der Ideen und politischen Konzepte.
Nach den allgemeinen Wahlen im Oktober 2000 weigerte sich die größte Oppositionspartei, die CUF (Civic United Front), die Wahlergebnisse von Sansibar anzuerkennen. Nach Ansicht nicht nur der CUF waren die Wahlen in Sansibar gefälscht worden. Die CUF verlangte eine Wiederholung der Wahl, während die Regierung dies entschieden zurückwies. Der Konflikt eskalierte im Januar 2001, als CUF-Demonstrationen mit bis dahin nicht gekannter Gewalt unterdrückt wurden. Zwischen 30 und 40 Personen wurden von Sicherheitskräften getötet. Zum ersten Mal in der Geschichte Tansanias hatte eine politische Auseinandersetzung derart viele Menschenleben gefordert.
Doch nach einer kurzen Periode der Intensivierung des Konfliktes begann ein Versöhnungsprozess zwischen den beiden Parteien, der im August 2001 mit der Verabschiedung einer Vereinbarung endete. Während der sechs Monate dauernden Verhandlungen, die von kleinen Teams unter absoluter Geheimhaltung geführt wurden, kam ein Prozess der Vertrauensbildung zwischen den beiden Parteien in Gang. Dadurch wurde es möglich, eine Übereinkunft zu unterzeichnen. Diese stimmte nicht nur einem “Waffenstillstand” zu, sondern enthielt auch einen gemeinsam erarbeiteten Plan zur Beseitigung der Konfliktursachen.
Trotz einiger kleinerer Probleme wird die Vereinbarung seither Schritt für Schritt umgesetzt. Im Mai 2003 sind in Pemba Nachwahlen abgehalten worden - dort wo 2001 die tödlichen Zusammenstöße stattgefunden hatten. Diesmal sind die Wahlen gut organisiert worden und in friedlicher Atmosphäre verlaufen - und beide Parteien haben die Ergebnisse akzeptiert. Diese Vereinbarung enthält zwei interessante Aspekte. Erstens Maßnahmen, die den Demokratisierungsprozess in Sansibar erleichtern: die Schaffung einer unabhängigen Wahlkommission sowie ein permanentes Wählerverzeichnis. Zweitens ist eine Abkehr von der bisherigen Politik vereinbart worden, nach der die Gewinner alles und die Verlierer nichts bekamen. Gemäß der Vereinbarung müssen nun Mitglieder der Opposition sowohl in die Wahlkommission von Sansibar aufgenommen werden als auch in die Verwaltung der Inseln. Unionspräsident Benjamin Mkapa hat umgehend ein CUF-Mitglied ins Nationalparlament berufen und die Möglichkeit einer CCM-CUF Koalitionsregierung für Sansibar gilt nicht länger als ausgeschlossen.
Vor Einführung des Mehrparteiensystems im Jahre 1992 hatten Politikwissenschaftler an der Universität von Dar es Salaam die Vor- und Nachteile einer solchen Politikreform diskutiert. Die Skeptiker haben vor einer Zunahme gewaltsamer Auseinandersetzungen gewarnt, während die Optimisten auf die Instrumente verwiesen, welche eine Demokratie für ein friedliches Konfliktmanagement bereitstellt. Offensichtlich haben die Skeptiker Recht behalten: die Uneinigkeit hat zugenommen und auch Gewalt als Antwort darauf. Doch das Beispiel der Sansibar-Friedensübereinkunft zeigt, dass auch die Optimisten nicht ohne Grund argumentierten. Demokratisierung birgt Risiken, aber sie bietet auch Möglichkeiten, mit entstandenen und entstehenden Konflikten umzugehen.
Viele Tansanierinnen und Tansanier sind schockiert über die jüngste Zunahme von Unfriede und Gewalt in ihrem Land. Und viele sehen Tansania auf dem Weg in den Bürgerkrieg. Doch verglichen mit anderen Staaten ist Tansania nach wie vor ein friedliches Land. Die Fundamente, die in der Nyerere-Zeit gelegt worden sind, wirken fort und werden so leicht nicht zu zerstören sein. In Tansania wurde Konflikt stets als eine Bedrohung von Friede, Harmonie und Stabilität angesehen. Der jüngste Konflikt in Sansibar hat dazu beigetragen, Erfahrungen mit einem Modell der friedlichen Konfliktbearbeitung zu machen - ein Erfolg, der ohne die Konfrontation nicht erreicht worden wäre.
aus: der überblick 01/2004, Seite 111
AUTOR(EN):
Kurt Hirschler:
Kurt Hirschler ist Politikwissenschaftler und arbeitete bis Mitte 2003 im Sonderforschungsbereich (SFB) "Umbrüche in afrikanischen Gesellschaften und ihre Bewältigung" der Universität Hamburg. Der vorliegende Text basiert auf einem Vortrag des Autors auf dem Abschlusssymposium des SFB im Juni 2003.