Eine Genderstudie und einen Aktionsplan der indischen Palmyrah Workers Development Society (PWDS)
"Wir finden keine Frauen, die bereit sind, in den Abendstunden Treffen mit den Dorfbewohnerinnen abzuhalten. Ihre Familien sorgen sich um ihre Sicherheit. Sie gefährden ihren Ruf, wenn sie in der Dunkelheit noch unterwegs sind. Es ist nicht Sache der Frauen, viel zu reisen, was die Arbeit als Gemeinwesenarbeiterin aber erfordert."
"Es ist schwer, die Frauen in unseren einkommenschaffenden Projekten für unkonventionelle Maßnahmen zu interessieren, für die sich neue Märkte erschließen ließen. Sie riskieren, mit ihren Ehemännern in Konflikt zu geraten, wenn sie Tätigkeiten ausüben, die sie viel Zeit außerhalb der Familie verbringen lassen. Die beste Resonanz finden Schneidern, Sticken und einfache handwerkliche Tätigkeiten. Alles andere bringt das soziale Gefüge durcheinander."
von Hedwig Schlags
VIELE KOLLEGINNEN UND KOLLEGEN in Entwicklungsorganisationen werden diese und ähnliche Argumente kennen, die immer wieder zu hören sind, wenn sie mit Projektpartnern über die Berücksichtigung von Genderaspekten in Projekten sprechen. Daß der Dialog trotzdem nicht in einer Sackgasse enden muß, beweist eine Studie, die die Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe (EZE) vor gut einem Jahr bei der Palmyrah Workers Development Society (PWDS) in Südindien angeregt hat. Diese Organisation arbeitet seit 25 Jahren für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Palmzapfer und ihrer Familien, davon gut 20 Jahre mit Unterstützung der EZE.
Bei den Palmzapfern handelt es sich um eine stark diskriminierte Untergruppe der ohnehin benachteiligten "Nadar"-Kaste, die in den südlichen Distrikten Tamil Nadus und in einigen Teilen Keralas anzutreffen ist. Traditionell verdiente diese Gruppe ihren Lebensunterhalt durch das Sammeln und Weiterverarbeiten des Nektars aus den Fruchtständen der Palmbäume (Neera), eine Tätigkeit, die mit einem sozialen Stigma behaftet war. Seit Beginn der Arbeit von PWDS ist es gelungen, die Lebensbedingungen dieser Gruppe durch Basisgesundheitsversorgung, die Bildung von Selbsthilfevereinigungen (Mantrams), Hausbau und die Einführung kollektiver Produktions- und Vermarktungsstrategien erheblich zu verbessern. Im Laufe der Jahre wurde die Zielgruppe auf andere ländliche Arme ausgeweitet, und das Einkommensniveau konnte in der Region erheblich angehoben werden.
Ursprünglich als Familienansatz konzipiert, ging PWDS immer mehr dazu über, die Frauen aus der Zielgruppe in eigenen Mantrams zu organisieren, wodurch ihnen Möglichkeiten eröffnet wurden, ihre Probleme und die ihrer Familien kollektiv zu lösen. Diese Aufmerksamkeit für die Frauen entsprang keineswegs einer dezidierten Genderperspektive, sondern die Erfahrung hatte gezeigt, daß es weniger effektiv war, die Frauen mit den Männern gemeinsam in Gruppen zu organisieren, weil sie dann weniger frei miteinander kommunizierten. Deshalb ging man immer mehr dazu über, reine Frauengruppen zu bilden, die wichtige Teile des Projektgeschehens selbst in die Hand nahmen.
Die Ergebnisse waren beeindruckend: Straßen und elektrisches Licht in den Dörfern, Vorschulen, Anstieg des Schulbesuchs, Sicherstellung der gesetzmäßigen Versorgung der Witwen, Häuser für die ärmsten, vor allem für die Witwen, Spar- und Kreditgruppen, Maßnahmen zur Einkommensschaffung für insgesamt 6500 Frauen außerhalb der traditionellen Neera-Verarbeitung. Bis zum heutigen Tag richten sich die Programmmaßnahmen von PWDS zu 90 Prozent an die Frauen. Ein Paradebeispiel für gelungene Frauenförderung also! Oder vielleicht doch nicht?
Ziel der Studie war es herauszufinden, was die Frauen aus dem gewonnenen - vor allem wirtschaftlichen - Spielraum gemacht haben. Wie haben sich die genannten Errungenschaften auf die soziale Lebenssituation der Frauen ausgewirkt, auf ihren Status in Familie und Dorfgemeinschaft, auf das Maß ihrer Selbstbestimmung, auf das Problem der Mitgift und der Gewalt in den Familien, auf den Alkoholismus der Männer und auf das Zusammenleben von Männern und Frauen im privaten und öffentlichen Raum? Wie hatte sich die Rolle der Männer geändert? Die Methode der Studie benutzte eine Kombination von quantitativen und qualitativen Analysen, die sowohl auf den schriftlichen Dokumenten der Organisation als auch auf Interviews, zahlreichen Besuchen und gesondert einberufenen Workshops aufbauten. Die Studie wurde von Uma Ramaswamy und Bhanumathy Vasudevan, Bangalore, durchgeführt.
Ein Ergebnis der Studie: Durch die Projektarbeit von PWDS haben die Frauen bedeutende Errungenschaften erlangt, die ihre Identität, ihre Selbstwahrnehmung und ihren sozialen Status erheblich verändert haben. Sie sind ins öffentliche Leben getreten und werden dafür, wo sie konkrete Erfolge nachweisen können, von den Männern anerkannt. Dennoch sind sie in der Gefahr, das Vertrauen der Männer zu verlieren und Opfer von Rufmord zu werden. Die Frauen berichten: "Jede von uns hatte mit mißtrauischen Verlobten und Nachbarn zu kämpfen. Es kostete uns große Anstrengung und wir waren ständig in Sorge darüber, wie wir das Vertrauen der Männer behalten könnten."
Frauen verzeichnen einen deutlichen Zugewinn an Einkommen und Ersparnissen. Auch dies hat ihren Status in der Familie erhöht und dazu geführt, daß viele Ehemänner das Familienbudget ganz von ihren Frauen verwalten lassen. Die ökonomischen Verbesserungen für die Frauen haben aber nur begrenzte Wirkungen. "Die gesamten Bemühungen, Beschäftigung für die Frauen zu schaffen, folgten dem Leitbild, Frauen bei der Ausübung ihrer traditionellen Fertigkeiten wie Schneidern, Sticken, Palmblatt- und Muschelarbeiten zu unterstützen." Dies bedeutet: Die Maßnahmen folgten weitgehend dem traditionellen Muster, daß Frauenarbeit gering qualifiziert und mit geringer Verantwortung ausgestattet ist. Innovative Geschäftsideen und der Zugang zu größeren Darlehen fehlen weitgehend.
Die als privat verstandenen Probleme häusliche Gewalt, Mitgift und Alkoholismus werden im Projekt nur schwach thematisiert. Die Studie weist aber nach, daß sie keineswegs verschwunden sind, sondern in einigen Teilen sogar zugenommen haben. Es ist ein allgemeines Phänomen in Südindien, daß die Mitgiftpraxis aktueller denn je ist - auch und gerade unter den Bedingungen gestiegenen Wohlstandes. Außerdem hat die Gewaltbereitschaft der Männer zugenommen. In einem Folgetreffen im Anschluß an die Studie wurde die Frage aufgeworfen, ob die Zunahme an Gewalt auch mit der Rollenverunsicherung der Männer im Zuge der gestiegenen Bedeutung der Frauen bei der Gewinnung des Familieneinkommens sowie der Wahrnehmung von Aufgaben im Rahmen des Projekts zu tun habe. Die befragten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollten dies nicht ausschließen.
Die Studie resümiert: "Die Vielzahl der Frauenprobleme kann nicht allein durch die Verbesserung der Einkommen beseitigt werden, im Gegenteil: Diese Probleme werden drängender, weil die Frauen durch die erzielten ökonomischen Fortschritte nicht mehr bereit sind, ihre traditionelle Rolle zu akzeptieren und die Männer gezwungen werden, ihre Perspektive zu ändern." Die Studie sagt nicht, wie das geschehen soll, sondern formuliert vorsichtig: "Ohne eine Genderperspektive, die die Frauenprobleme in ihrer Ganzheit im Blick hat und die Stellung der Frauen in der Gesellschaft thematisiert, werden die finanziellen Verbesserungen für die Frauen nur begrenzten Wert haben."
Die Studie kommt am Schluß zu spannenden Empfehlungen, die PWDS zum Teil schon aufgegriffen hat. In der Organisation wurde eine "Arbeitsgruppe Gender" gebildet, die ein ausdrückliches Mandat erhielt, das Thema voranzubringen. Neben Vertreterinnen und Vertretern der einzelnen Abteilungen gehört dieser Gruppe auch die Leitung von PWDS an. Zwei Mitarbeiter (beide Männer) nahmen an einer Fortbildung teil, die zum Ziel hat, Impulse aus Gendersicht in die Organisation hineinzutragen. Nach Abschluß der ersten Trainingseinheit haben die beiden Mitarbeiter ein Seminar für ihre Kolleginnen und Kollegen ausgerichtet, bei dem Grundkenntnisse eines Genderkonzepts vermittelt wurden. Diesem liegt zugrunde, daß Gender grundsätzlich drei Dimensionen hat, nämlich die des eigenen Selbst, die gesellschaftliche und die in der Organisation begründete Dimension. Diese drei Dimensionen bilden ein gleichseitiges Dreieck, und jeder seiner drei Eckpunkte ist gleich wichtig, wenn das Dreieck seine Form behalten soll.
Im Anschluß an die Einführung in die Thematik beschlossen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Seminars bei PWDS einen Aktionsplan, der die Entwicklung von Genderstrategien für alle Abteilungen, den Aufbau eines Fachteams, weitere Fortbildungen sowie Sensibilisierungsworkshops für Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und deren Familien vorsieht. Speziell im Bereich der wirtschaftlichen Maßnahmen für Frauen soll weiter nach innovativen Konzepten geforscht werden, die den im Zusammenhang mit Gender auftauchenden sozialen, persönlichen und institutionsbedingten Konflikten und Begrenzungen konstruktiv begegnen und zu einer Lösung beitragen können. Die Umsetzungsschritte des Aktionsplans werden Gegenstand weiterer Trainingseinheiten sein, die die beiden Mitarbeiter über einen Zeitraum von insgesamt 18 Monaten durchlaufen werden. Vermittelt über dieses Training erhält PWDS fachkundige Begleitung von zwei Organisationsberaterinnen bei dem voraussichtlich zweijährigen Prozeß, eine Genderpolicy für die gesamte Organisation zu entwickeln.
Niemand weiß, wie dieser Prozeß bei PWDS ausgehen wird: Ob die Treffen mit den Dorfbewohnerinnen in Zukunft vor Einbruch der Dunkelheit stattfinden oder ob die Familien der Mitarbeiterinnen zu Kursen eingeladen werden, in denen sie sich mit genderbezogenen Fragen auseinandersetzen; ob die Frauen weiter traditionellen Tätigkeiten zur Einkommensgewinnung nachgehen oder ob sie Busfahrerinnen, Schreinerinnen und Unternehmerinnen werden und dabei die Unterstützung ihrer Familien erfahren. Doch PWDS ist eine lernende Organisation, und die Zeichen stehen günstig, daß die Dinge nicht so bleiben wie sie sind.
aus: der überblick 01/2000, Seite 127
AUTOR(EN):
Hedwig Schlags:
Die Autorin arbeitet seit sechs Jahren bei der EZE als Projektbearbeiterin für Indien und Pakistan.