Unvollständige Beobachtungen, Fragen und aktuelle Anmerkungen zu einer alten Kontroverse
Ein paar seefeste Fahrensleute wurden noch einmal angeheuert auf ihrem noch gar nicht so alten Kahn – kurz bevor er abgewrackt werden soll. Ehe die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) zum kommenden Jahresende 2007 die durch 43 Jahre von ihr geförderte und von einem ihrer Werke getragene Zeitschrift für ökumenische Begegnung und internationale Zusammenarbeit "der überblick" in die Bibliotheken und Archive verabschieden kann, sollen noch einmal Weggefährten und Mitverantwortliche aus über vier Jahrzehnten zu Wort kommen. Wir danken der Redaktion für die Einladung.
von Eberhard le Coutre
Von Heft 1/1969 bis Heft 2/1990 war ich Leiter der "überblick"-Redaktion, danach bis heute Berater und Ständiger Mitarbeiter. Angeregt zur Mitwirkung an einem Rückblick auf "der überblick" sehe ich mich dazu motiviert, an eine bemerkenswerte redaktionelle Fehlentscheidung aus dem Jahre 1970 zu erinnern. Nicht nur, weil ich mich bis heute darüber ärgern könnte, sondern vor allem, weil es dabei um die aktuell und dringlich gebliebene Frage geht, wie die Kirchen an das Geld für ihre Entwicklungsdienste kommen, und wie darüber diskutiert und informiert wird.
Die Kontroverse, ob Geld aus der Kirchensteuer für die Entwicklungshilfe verwendet werden soll, gab es bereits, als die Position des renommierten Sozialwissenschaftlers Professor Dr. Oswald von Nell-Breuning SJ (1890-1991) aus seinem Aufsatz "Die Kirchensteuer im Interventionsstaat" im "überblick" Heft 3/1970 ausführlich zitiert wurde und im folgenden Heft eine Replik dazu von D. Dr. Rudolf Weeber (1906-1988) erschien, dem damaligen Vorsitzenden des Ausschusses für die Verwendung von Kirchensteuermitteln im Entwicklungsdienst der EKD, der als Vizepräsident leitender Jurist des Kirchenamtes der Evangelischen Landeskirche in Württemberg war (siehe Auszüge in den anschließenden Kästen).
Jedoch wurde versäumt, die Kontroverse in "der überblick" zu vertiefen und die Probleme des Zusammenwirkens der verschiedenen Geldquellen – also Spenden, Kirchensteuern und staatliche Zuwendungen – für den Kirchlichen Entwicklungsdienst beharrlich immer wieder zur Diskussion zu bringen. Das ist mir seit geraumer Zeit als Fehler erkennbar geworden. Mindestens hätte ich versuchen können, Nell-Breuning in Offenbach und Weeber in Stuttgart zu interviewen. Oder "der überblick" hätte eine Akademietagung zu dem Thema anregen können. Das Problembewusstsein war ja da. Aber es fehlte der Elan zur weiteren Entfaltung.
Bei seinen Betrachtungen geht v. Nell-Breuning von der Beobachtung aus, dass das finanzwissenschaftliche Schrifttum "kaum Notiz nimmt" von der Kirchensteuer und fährt fort: "Solange die Steuern ausschließlich als Mittel zur Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs verstanden wurden, machte es keinen großen Unterschied, ob diese Mittel für staatliche und gemeindliche oder für kirchliche Aufgaben und Zwecke beschafft wurden... Völlig anders ist die Lage, seitdem die Erkenntnis sich durchgesetzt hat, dass die Steuern nicht nur dazu dienen, die öffentlichen Kassen zu füllen, sondern – gleichviel, ob man es will oder nicht – auch noch andere Wirkungen auslösen; erst recht, seitdem man gelernt hat, das Steuersystem unter Bedachtnahme auf diese anderen Wirkungen zu gestalten... und vollends, seitdem die Herbeiführung zusätzlicher, insbesondere gesellschafts- und wirtschaftsgestaltender Wirkungen zu einem selbständigen zweiten Zweck der Besteuerung erhoben wurde (Interventionismus, "Ordnungsfinanz"). Seither kann man die Kirchensteuer nicht mehr so einfach stillschweigend mitlaufen lassen; vielmehr stellen sich ganz neue Fragen..." (a. a. 0. S. 171)
Interessant ist auf diesem Hintergrunde, wie Nell-Breuning dabei auf "die sich geradezu aufdrängende Frage..., nämlich auf die Entwicklungshilfe und ihre Finanzierung" (a. a. 0. S. 177) zu sprechen kommt. Er betont dabei zunächst das große Ansehen der kirchlichen Hilfswerke: "Durch die unter den Namen ,Misereor‘ und ,Brot für die Welt‘ bekannten Werke haben die beiden großen Kirchen der BRD sich der Entwicklungshilfe angenommen, und zwar zunächst auf dem Wege über freiwillige Spendenaktionen ihrer Gläubigen. Bald nahm der Staat Interesse daran und entschloss sich, einen gewissen Teilbetrag seiner für die Entwicklungshilfe bestimmten Haushaltsmittel den entsprechenden kirchlichen Institutionen zuzuführen, die es übernahmen, sie in geeigneter Weise zugunsten der Entwicklungsländer zu verwenden. Über das darin sich ausdrückende Vertrauen staatlicher Stellen, dass diese kirchlichen Institutionen Gewähr für gewissenhafte und wirklich nutzbringende Verwendung bieten, darf man sich gewiss freuen. Wenn aber weitergegangen und – wie beispielsweise durch Bundesminister Werner Dollinger auf dem Stuttgarter Evangelischen Kirchentag 1969 – die Forderung aufgestellt wird, die Kirche solle einen namhaften Teil ihres Aufkommens an Kirchensteuer für die Entwicklungshilfe abzweigen, so ist das nicht unbedenklich..." Es folgt das im anschließenden Kasten abgedruckte ausführliche Zitat aus "der überblick" 3/1970.
Nell-Breuning forderte also aus Gründen der deutlicheren Erkennbarkeit politischer Absichten im Unterschied zu kirchlichen Motivationen eine strikte Unterscheidung zwischen einerseits den globalen sozialen Verpflichtungen von Regierungen und wirtschaftlichen Entscheidungsgremien in den reichen Ländern und andererseits der Weltverantwortung der Kirchen in reichen Ländern im Rahmen ihrer sozialethischen, pädagogischen und karitativ/diakonischen Erfahrungen. Um seine distanzierte Position besser zu verstehen, muss man berücksichtigen, was er im vorangegangenen Teil seines Aufsatzes erläutert hatte. Es kann nämlich dem Staat und für das von ihm zu beachtende Gemeinwohl keineswegs so gleichgültig sein, wie es naiverweise erscheinen mag, was die Kirchen mit ihren Kirchensteuern tun. Unter anderem aus einem einleuchtenden, aber wenig diskutierten Grunde: Der Staat räumt Steuerbefreiung ein für den von Kirchenmitgliedern als Kirchensteuer gezahlten Teil des Einkommens. Das heißt konkret, wer Kirchensteuern zahlt, wird weniger beteiligt an den aus dem Gesamtaufkommen der Einkommensteuer zu finanzierenden Aufgaben.
Der ernst zu nehmende Widerspruch von Dr. Weeber wird weniger theoretisch, sondern aus der praktischen Erfahrung begründet. Völlig falsch wäre es jedoch, hier eine evangelisch-katholische Kontroverse hinein zu lesen. Im Gegenteil. Im Grunde genommen hat nämlich Nell-Breuning auf klassisch lutherische Weise argumentiert, im Sinne der so genannten Zwei-Reiche-Lehre; es ist schwer vorstellbar, dass ihm und Weeber das nicht bewusst gewesen sein könnte. In seinem Widerspruch hat Rudolf Weeber allerdings weniger aus bestimmten Vorstellungen von Staat und Kirche sondern aus konkreten Erfahrungen in Diakonie und Mission abgeleitete Gründe dafür geltend gemacht, auch in der ökumenischen Diakonie Kirchensteuermittel zu verwenden.
Pragmatisch war die Frage "Kirchensteuern für Entwicklungsförderung – ja oder nein?" in beiden Kirchen mit Ja beantwortet, ehe es zur Gegenüberstellung von Argumenten der beiden damals sehr bekannten Kirchenmänner 1970 in "der überblick" gekommen war. Aber das weiter reichende Thema "Geld für kirchliche Entwicklungsaufgaben" und insbesondere die Frage "Welches Geld für welche Zwecke?", war damit natürlich nicht vom Tisch. Im Folgenden soll etwas genauer darüber nachgedacht werden.
I. Der Staat und die Impulse der Kirchen
Wichtig ist zunächst die Feststellung, dass die Kontroverse 1970 stattfand in einer Zeit des Entstehens eines neuen politischen Aufgabenbereiches. Inzwischen gehört Entwicklungspolitik unbestritten zum Kanon der etablierten Politikfelder. Wenn man also die Kontroverse aus dem Jahre 1970 auf ihre Bedeutung für das Zusammenwirken von Staat und Kirche unter den besonderen deutschen Bedingungen in der Gegenwart befragen will, findet man sich in einer ähnlichen Lage vor, wie es sie in anderen Politikfeldern, etwa Bildung oder Gesundheit seit langem gibt: Die Kirchen hatten – wie man heute sagt – Pilotprojekte gestartet, also Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, Pflegedienste und viele andere soziale und pädagogische Arbeitsfelder begründet, die dann in die Aufgabenkataloge der öffentlichen Hände übernommen worden sind.
Die Fragen, die sich stellen, sind also zu bedenken unter der Voraussetzung, dass die Kirchen einerseits zu den Impulsgebern gehörten bei der Entdeckung der Dringlichkeit für das, was inzwischen Entwicklungspolitik hieß und dass andererseits die so genannte Zivilgesellschaft erfreulicherweise auch ihrerseits Entwicklungsförderung als vorrangig erkannt hat und auf vielfältige Weisen betreibt.
Diese Situation nötigt die Kirchen zu besonderer Zurückhaltung und Sensibilität. So ist es arrogant und intolerant gegenüber Andersgläubigen und Atheisten, wenn gelegentlich – sei es direkt, sei es indirekt – immer noch der Eindruck erweckt wird, dass Kirchen über die besseren und tieferen Einsichten zur Lage der Armen in der Welt und der Armutsbekämpfung verfügten. Es wäre noch schlechter um die Situation der Menschheit bestellt, wenn die Armen in der Welt auf die Einsicht und Hilfe lediglich religiös motivierter Mitmenschen warten müssten. Weltweite Solidarität ist ein Gebot der Vernunft und geht alle Menschen an, nicht nur Glaubende. Es wird also notwendig, zu fragen, ob es nicht sowohl für die Effizienz als auch für die Kommunikation kirchlicher Hoffnungen und Ziele sinnvoller wäre, dafür zu sorgen, dass es möglichst viele fachlich gut qualifizierte Christinnen und Christen in den so genannten säkularen entwicklungsorientierten Institutionen und Organisationen gibt, als dass irgendwann einmal in kirchlicher Trägerschaft beispielgebend notwendig gewesene Initiativen und Programme um jeden Preis beliebig lange fortgesetzt werden
Allerdings gibt es einen bedeutsamen Unterschied zwischen den kirchlichen Pionierfunktionen in der eigenen Gesellschaft und den kirchlichen Weltdiensten. Dieser Unterschied hat seine Ursache in unter den Bewohnern des Globus bestehenden Ungleichzeitigkeiten. Solange es um die eigenen Aufgaben geht, können die Kirchen sich bei uns heute darauf einstellen, dass die eigene Zivilgesellschaft das Mögliche leisten kann und dass sie, also die Kirchen, ausreichende Gelegenheiten dafür bekommen, ihre eigenen Vorstellungen mit einzubringen. Was jedoch von den Kirchen und Regierungen der reichen Länder für die Menschen in den Armutszonen der Welt erwartet werden muss, das bleibt nach allem, was wir heute abschätzen können, eine Herausforderung auf unabsehbare Zeit, deshalb ist festzuhalten an konkreten Aufgaben für die personellen, politischen und finanziellen Mitwirkungen auch der Kirchen. Vor allem auch darum, weil sowohl in den armen Ländern als auch in Schwellenländern wie Indien oder China Kirchen sich intensiv an der gesellschaftlichen und sozialen Entwicklung sowie am Bildungswesen ihrer Länder beteiligen, was die Kirchen dieser Länder aber nur können, wenn sie Hilfen von ihnen in aller Welt ökumenisch verbundenen Kirchen bekommen.
Wenn das aber so ist, dann müssen unsere Kirchen sich wieder intensiver als in den letzten Jahren darum bemühen, ihre besonderen Motive für Weltverantwortung theologisch zu begründen, sie verständlich zu formulieren, gezielt öffentlich zu vertreten und zu publizieren. Nur mitzumachen, was andere auch tun, das kann auf die Dauer nicht genügen.
II. Aufbruch und schnelle Beschlüsse
Ein kurzer Blick auf die weltoffene Gemütslage in unseren Kirchen Anfang der sechziger und siebziger Jahre zeigt: Es herrschte große Aufbruchsstimmung. Empfehlungen der vierten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Uppsala 1968 hatten zu folgenreichen Beschlüssen der EKD geführt. Als ein Durchbruch von besonderer Bedeutung wurde dabei vor allem der in überraschendem Umfange erstaunlich schnell von den Entscheidungsgremien der Mitgliedskirchen der EKD aufgegriffene Beschluss der EKD-Synode in Spandau 1968 betrachtet, zwei Prozent der Einnahmen aus Kirchensteuern – mit der Perspektive Steigerung bis fünf Prozent – für Entwicklungsaufgaben in Übersee zur Verfügung zu stellen. Damit schien ein entscheidender Schritt über das Spenden (Brot für die Welt) hinaus zum Teilen erreicht worden zu sein.
Um eine neue Aufgabe geht es inzwischen nicht mehr, wohl aber um eine neue Art, sie zu verstehen und zu beschreiben, oder – akademisch ausgedrückt – um eine neue politische und theologische Hermeneutik. Zum Beispiel: Kann, muss Weltverantwortung der Kirchen und Christen immer noch vorrangig als Partnerschaft mit staatlichem Handeln beschrieben und betrieben werden? Konkreter: Wie sinnvoll bleibt es, immer weiter den aus der Biologie entlehnten, für politisches Handeln aber eher ungeeigneten Begriff Entwicklung zu gebrauchen? Muss immer noch die Rede sein von Entwicklungsförderung und Entwicklungsdienst, wenn kirchlicher Weltdienst beschrieben und benannt wird?
III. Kompromiss und Mitentscheidung
Das inzwischen bewährte Zusammenwirken von Staat und Kirche ist natürlich nicht entstanden ohne innerkirchliche Kontroversen und Kompromisse. Von einem ausführlich erarbeiteten und abgestimmten theologischen und politischen Grundkonsens kann dabei jedoch nicht die Rede sein. Es musste pragmatisch und schnell gehandelt werden. In der EKD-Denkschrift aus dem Jahre 1973 "Der Entwicklungsdienst der Kirche – ein Beitrag für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt" wird hierzu knapp festgestellt (Ziff. 36): "Als Kompromiss zwischen den Befürwortern und Gegnern der staatlich-kirchlichen Kooperation auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe hat sich die organisatorische Trennung der staatlichen Zuwendungen von den Spenden ergeben. Bei der Gründung von KED (Kirchlicher Entwicklungsdienst, d. h. seit 1968 Bereitstellung von Kirchensteuermitteln für Entwicklungsaufgaben – Anm. d. Verf.) gibt die Forderung nach Mitentscheidung der Mitgliedskirchen über die von ihnen zur Verfügung gestellten Beträge den Ausschlag."
Damit war konkret gemeint, dass die Synoden und Kirchenleitungen der Mitgliedskirchen regelmäßig daran beteiligt und miteinander im Dialog darüber bleiben sollen, wie Kirchensteuern besonders effizient in Übereinstimmung mit diakonischen und ökumenischen Zielen in Übersee verwendet werden.
Die seit geraumer Zeit unverändert niedrigen bzw. rückläufigen Einnahmen aus Kirchensteuern ebenso wie die Beobachtung, dass einige Mitgliedskirchen der EKD ihre Leistungen für den kirchlichen Entwicklungsdienst (KED) seit einigen Jahren stärker reduzieren als der prozentuale Rückgang ihrer Kirchensteuern ausmacht, hat zu einer Diskussion darüber geführt, eine kirchengesetzlich festgelegte Umlageregelung anzustreben, die nicht jedes Jahr neu verhandelt werden muss, sondern die von einem zwischen allen Gliedkirchen der EKD zu vereinbarenden Prozentanteil ausgeht. Ganz abgesehen von dem langwierigen Entscheidungsprozess, der dafür nötig wäre (faktisch könnte jede Gliedkirche der EKD das Vorhaben verhindern), würde eine solche Regelung den Vorstellungen der Entwicklungsdenkschrift von 1973 deutlich widersprechen. Im Sinne der Denkschrift sollte und muss auch nach heutiger Sicht das Thema Armut in der Welt regelmäßig auf den Tagesordnungen von Kirchenleitungen und Synoden erscheinen und immer wieder Gegenstand neuer Beratungen und Entscheidungen werden.
Insbesondere zur permanenten Mitwirkung der Gliedkirchen an der Gemeinschaftsaufgabe Kirchlicher Entwicklungsdienst war im Kirchenamt der EKD eine eigene Stabsabteilung gebildet worden, die den Kontakt zu den Mitgliedskirchen pflegte sowie den regelmäßigen Dialog über kirchliche Entwicklungsverantwortung – beispielsweise im Rat der EKD und bei den jährlichen Synoden der EKD – in ständigem Austausch mit den Partnern in Übersee und den bestehenden ökumenischen Zusammenschlüssen plante und vorbereitete. Auch für den fortgesetzten Dialog über die Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche wurden von dieser Abteilung im Kirchenamt regelmäßig wichtige Beiträge geleistet und Anregungen ins Gespräch gebracht.
IV. Die AG KED – ein verschenktes Optimum
Für das Zusammenwirken der verschiedenen Dienste und Werke innerhalb der EKD, jeweils mit besonders geregelten Beteiligungsformen auch der Freikirchen und der Altkatholischen Kirche, entstand bereits Anfang der siebziger Jahre die "Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst" (AGKED).
Zu ihr gehörten: Evangelisches Missionswerk (EMW), Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe (EZE/Staatliche Mittel für kirchliche Entwicklungsaufgaben), Brot für die Welt (BfdW), Dienste in Übersee (DÜ) und Kirchlicher Entwicklungsdienst (KED/Kirchensteuern für Entwicklungsförderung). Außerdem gab es noch die Kammer der EKD für Kirchlichen Entwicklungsdienst, deren Geschäftsführung im Kirchenamt der EKD angesiedelt wurde.
Die AGKED war also eine Gemeinschaft von Arbeitsstäben, Diensten und Werken, die es mit den Außenbeziehungen der EKD zu tun hatten, bei der es kein ausgefeiltes Regelwerk für alle Situationen und Eventualitäten gab. Immer wieder ging es vielmehr darum, auszubalancieren, wie welche neue Aufgabe am besten wahrgenommen werden konnte. Aus der Rückschau auf die Erfahrungen dieser offen Form der Zusammenarbeit boten die praktizierten Formen der Gemeinsamkeit angesichts unserer nach wie vor komplizierten binnenkirchlichen Verhältnisse vermutlich die besten überhaupt denkbaren Möglichkeiten, ein Optimum an Effizienz für die kirchlichen Weltdienste und ihr Zusammenwirken zu erreichen. Als im Laufe der neunziger Jahre die Sparzwänge in den Kirchen zunahmen, wuchs jedoch die Überzeugung, es müsse nun endlich Ernst gemacht werden mit einer in der EKD-Denkschrift 1973 formulierten Anregung (Ziff. 37), nämlich: "...ein einheitliches Gesamtwerk der EKD zu schaffen... Die AGKED sollte die Reform mit dem Ziel einer Integration aller Dienste vorantreiben".
Das führte schließlich 1999 zur Gründung des "Evangelischen Entwicklungsdienstes" (EED). Die daran Interessierten motivierte vor allem die Bemühung, die Wirksamkeit der fünf Arbeitsbereiche und ihrer Zusammenarbeit zu steigern und insgesamt Kosten zu sparen. Wie immer bei solchen Bemühungen spielte das Gummiwort "Synergieeffekte" eine Rolle. Ob und wie weit die beiden Ziele erreicht wurden und dem Zusammenwirken zu verdankende besondere Effekte eingetreten sind, ist bisher nicht untersucht worden.
Es können jedoch nach jetzt etwa sieben Jahren einige Anmerkungen und Beobachtungen zur neu entstandenen Lage skizziert und kommentiert werden.
Erstens: Die von der Denkschrift angeregte Integration aller Dienste ist nicht gelungen. "Brot für die Welt blieb Teil der Hauptgeschäftsstelle des Diakonischen Werkes. Logisch und ekklesiologisch vernünftiger wäre es gewesen, wenn die für die staatlichen Zuschüsse zuständige "Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe (EZE) erkennbar in Distanz geblieben wäre, nicht aber Brot für die Welt, der mit Abstand am besten bekannte und populärste kirchliche Weltdienst, den es bei uns überhaupt gibt und bisher je gegeben hat.
Zweitens: Praktisch zusammengeführt wurden im EED lediglich die beiden Werke, die es mit Steuergeldern zu tun haben, die ehemalige EZE (staatliche Steuern) und der KED (Kirchensteuern) sowie der in seiner Kernaufgabe wesentlich veränderte ökumenische Personaldienst Dienste in Übersee (DÜ). Das neue zentrale Werk der EKD konnte also nicht in eine direkte Beziehung gebracht werden zu den Absichten und Hoffnungen, welche die einzelnen Gemeindeglieder mit ihren persönlichen Beiträgen zur Linderung von Hunger und Verelendung in der Welt verbinden. Für Diakonie und Mission war das ein deutlicher Traditionsbruch.
Image und Wirkung der neu entstandenen Serviceagentur – die einzige kirchliche Institution, die "evangelisch" und "Entwicklung" im Titel führt – werden auch nicht attraktiver und überzeugender als gesamtkirchliche Gemeinschaftsbemühung, solange man jedes Jahr im Jahresbericht des EED nachlesen kann, dass zwei Drittel der gesamten Mittel staatliche Zuschüsse sind. Wenn denn schon unbedingt etwas zusammengeführt werden sollte, wäre es im Sinne der bis in die neunziger Jahre gewonnenen KED-Erfahrungen vernünftiger gewesen, auf der Grundlage von DÜ und BfdW ein gemeinsames Werk zu bilden, den beiden entwicklungsorientierten Aktivitäten der EKD also, die sich an die einzelnen Kirchenmitglieder wenden, nämlich an diejenigen, die Geld spenden und diejenigen, die persönliche Dienstbereitschaft einzubringen bereit sind.
Drittens: Die für den Kirchlichen Entwicklungsdienst (KED) im Kirchenamt der EKD zuständige Stabsstelle, hatte bis zur Gründung des EED zwei, zuweilen drei Oberkirchenräte und ihnen zuarbeitende Assistenzreferenten/innen und Sachbearbeiter/innen. Mit der Gründung des EED wurde diese Abteilung auf eine halbe Oberkirchenratsstelle eingeschränkt. Eine entsprechende Grundsatzabteilung beim EED wurde nicht geschaffen. Das hatte u. a. zur Folge: Verlagerung der Verlautbarungskompetenz der EKD für Äußerungen zu globalen politischen, wirtschaftlichen und entwicklungsbezogenen Fragen weg von Synode, Rat und Kirchenamt der EKD hin an den Vorstand des EED; erhebliche Einschränkungen für die Geschäftsführung und Wirksamkeit der inzwischen in "Kammer für nachhaltige Entwicklung" umbenannten früheren "Kammer der EKD für Kirchlichen Entwicklungsdienst"; Reduzierung der ökumenischen Kompetenz der EKD.
Viertens: Als "Entwicklung eine kirchliche Aufgabe wurde, konnte davon ausgegangen werden, dass in den beteiligten Kirchen die Überzeugung nicht strittig war, dass der wichtigste bisherige Beitrag der Kirchen zur Menschheitsentwicklung darin bestand, dass auf dem ganzen Globus Gemeinden und Kirchen entstanden sind. In der AGKED war das Evangelische Missionswerk (EMW) daher selbstverständlicher Partner in einer Gemeinschaft von fünf verschiedenen Aufgabenbereichen kirchlichen Weltdienstes. Durch die Gründung des EED aber war der entwicklungsorientiert tätige Teil des EMW nicht mehr sozusagen Mitinhaber einer gemeinsamen Arbeitsgemeinschaft, sondern kann nur noch beim EED für ökumenische Projekte werben. Zwar sehen sich das EMW und die regionalen Missionswerke weiterhin als mitverantwortlich für ökumenische Diakonie und andere Weltdienste, dass jedoch Mission als eine Dimension von Entwicklung (wenn man denn als Kirche überhaupt immer weiter von "Entwicklung reden will) verstanden werden kann, hat der EED bisher nicht deutlich als von ihm mit vertretene Position erkennen lassen.
V. Immer noch "...bereit, uns selbst eine Aufgabe aufzuerlegen"? (Botschaft von Uppsala 1968)
Anfang der neunziger Jahre bekamen es die Kirchen mit zwei unerwartet neuen Herausforderungen zu tun. Erstens machte der Zusammenbruch des Sowjetimperiums es möglich, zwischenkirchliche Hilfsprogramme für Kirchen in Mittel- und Osteuropa und darüber hinaus bis in die zu Asien gehörenden Regionen Russlands erheblich zu steigern und neu zu begründen. Die geografische Blickrichtung der Kirchen wurde weiter. Generell war das natürlich eine erfreuliche Chance zur Neuorientierung, die relativ schnell und erfolgreich ergriffen werden konnte.
Die zweite neue Voraussetzung bildet die Tatsache, dass die Einnahmen aus Kirchensteuern rückläufig wurden oder stagnieren. Es ist jedoch nicht korrekt, dabei nur von Kirchenaustritten zu reden. Der Rückgang von Einnahmen aus Kirchensteuern hängt auch mit der Entwicklung der Steuergesetzgebung zusammen. Was in der innenpolitischen Diskussion inzwischen der demografische Faktor genannt wird, ist auch zu einer erheblichen Herausforderung für die Kirchen geworden.
Man kann Finanzierungsmodalitäten und ihre Folgen nicht verstehen, ohne einige Informationen zur Kenntnis zu nehmen. Mindestens folgende Zahlen sind wichtig: Es gibt zurzeit etwa 26,5 Millionen Mitglieder in den Kirchen der EKD. Von denen sind 50,2 Prozent einkommenssteuerpflichtig, aber nur 34,2 Prozent – ein gutes Drittel – müssen tatsächlich Einkommensteuern, und demnach auch Kirchensteuern zahlen. Das Finanzierungssystem Kirchensteuer ist dennoch nach wie vor recht wirksam, aber auch verbunden mit einer weitgehend ebenso ungerechten wie unvernünftigen Verteilung der von den Kirchen zu bewältigenden Lasten auf ihre Mitglieder.
Hinsichtlich der für kirchliche Entwicklungsaufgaben insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel – also Spenden für BfdW, Kirchensteueranteile und staatliche Zuschüsse – ist folgendes zu beobachten: Aus Angaben der EKD-Denkschrift von 1973 sowie den Jahresberichten 2006/07 von BfdW und EED ist zu erkennen, dass die kirchlichen Mittel 1972 deutlich höher waren als die staatlichen Zuschüsse. Inzwischen ist es umgekehrt: Der Anteil der staatlichen Beiträge an den Gesamtmitteln für kirchliche Weltdienste ist von rund 32 Prozent im Jahr 1972 bis auf rd. 50,6 Prozent im Jahr 2006 angestiegen.
Inwiefern damit Abhängigkeiten für die Kirchen von staatlichen Rahmenbedingungen zusammenhängen, das ist ein Problem, welches sehr subtile und weitreichende Zusammenhänge berührt, die hier in Kürze nicht sachgerecht erörtert werden können. Mindestens auf zwei Punkte aber muss hingewiesen werden: Für jedes Programm/Projekt, das aus staatlichen Mitteln gefördert wird, müssen Eigenmittel in Höhe von mindestens 25 Prozent aufgebracht werden. Diese Eigenmittel legen einen erheblichen Anteil der KED-Mittel fest. Und zweitens, das ist sehr viel problematischer: Auch Spendenmittel von Brot für die Welt müssen mit dafür verwendet werden, Eigenanteile für staatlich geförderte Projekte zu erbringen. Aber die Spenderinnen und Spender erfahren darüber so gut wie gar nichts. Darüber hinaus wird man befürchten müssen, dass auch viele Damen und Herren in den Synoden und Kirchenleitungen sowie Pastorinnen und Pastoren über diese und andere Details der Finanzierung kirchlicher Weltdienstaufgaben nicht ausreichend informiert sind.
Damit bin ich nun wieder bei dem alten Ärger. Seit Jahren hätte "der überblick" hier besser informieren müssen und hätte auch die Möglichkeiten dafür gehabt. Dass Brot für die Welt und/oder EED ein Interesse daran entwickeln könnten, die Probleme ihrer eigenen Finanzierung künftig ohne hauseigenes Periodikum kritisch zu thematisieren, ist nicht zu erkennen. Bleibt also die Hoffnung, andere – kirchliche oder sonstige – Medien werden nachholen, was "der überblick demnächst nicht mehr kann. Unabhängig von versäumten oder zu korrigierenden Informationsbemühungen muss jedoch noch auf ein gravierendes theologisches Defizit hingewiesen werden.
"Wir sind bereit, uns selbst eine Abgabe aufzuerlegen, um damit ein weltweites Steuersystem vorzubereiten" heißt es in der Botschaft an die Kirchen der IV. Vollversammlung des ÖRK in Uppsala, 1968 (vergl. die Meditation in diesem Heft). Für die Pioniere aus der EKD der sechziger und siebziger Jahre, erst recht für die Delegierten der Vierten ÖRK-Vollversammlung in Uppsala 1968, die das Entwicklungsengagement der Kirchen auf den Weg gebracht hatten, wäre es eher ein Alptraum als ein anzustrebendes Ziel gewesen, dass zum Beispiel die Hälfte der kirchlichen Beiträge für Entwicklungsaufgaben aus dem Staatshaushalt kommen. Um mehr theologische Klarheit in die inzwischen in Deutschland entstandene Situation zu bekommen, sollten daher Antworten auf mindestens zwei Fragen von der EKD erarbeitet (aber bitte nicht auch wieder mit Hilfe einer Beratungsfirma) und publiziert werden:
Zunächst, was meint "evangelisch" in dem Titel "Evangelischer Entwicklungsdienst"? Evangelische Beteiligung an Entwicklungsbemühungen verschiedener Träger und Organisationen, die auch vom Staat gefördert werden, also eine vom Staat als willkommen angesehene Entlastung eigener Aufgaben? Das war es ja, was Nell-Breuning befürchtet hatte. Oder, wenn ein solches Verständnis ausgeschlossen sein soll, muss zweitens die folgende, bei Gründung des KED noch nicht aktuelle, Frage geklärt werden: Wie groß sollte oder muss der Vorsprung der Gesamtsumme kirchlicher Aufwendungen gegenüber den Staatsmitteln mindestens sein, wenn an kirchlicher Eigenständigkeit und an deren Erkennbarkeit festgehalten werden soll? Insbesondere: Welcher Umfang der Beteiligung von Christen und Kirchen in unserem Lande kann es rechtfertigen, kirchliche Leistungen – wie 1968 von der EKD ökumenisch mit beschlossen – als vorbildlich für das staatliche Engagement zu empfehlen?
Man kann es auch emotionaler und moralisch formulieren: Was sind wir als Kirchen unserer Selbstachtung schuldig, wenn wir weiterhin ehrlich davon reden wollen, dass wir uns nicht nur als Bürger unserer Länder, sondern auch als Kirchen am Kampf gegen Armut und Elend und für mehr Menschenrechte in der Welt beteiligen? In Uppsala 1968 hieß es noch: "Jede Kirche sollte in Ergänzung der Beträge, die sie für die Mission und andere Programme ausgibt, einen solchen Anteil ihres regulären Einkommens für Entwicklung zur Verfügung stellen, dass er ein wirkliches Opfer darstellt" (Bericht der Sektion III "Wirtschaftliche und soziale Weltentwicklung").
VI. Ein – schon zu lange – verdunkelter Lichtblick
Ein Hoffnungszeichen allerdings gibt es noch. Der Lichtblick ist den EKD-Veteranen und ihrer realistischen Skepsis zu verdanken. Es sieht nämlich heute so aus, als hätten sie 1968 in Spandau geahnt, was auf sie zukommen müsste: Allein mit Kirchensteueranteilen wird man keinen nennenswerten eigenen Entwicklungsbeitrag finanzieren können. Wenn wir in unseren Kirchen Ernst machen wollten mit den ökumenischen Empfehlungen von Uppsala, dann muss die Selbstverpflichtung zum Teilen auch von jedem einzelnen Kirchenmitglied erbeten werden.
"Das letzte Glied in unseren Gemeinden sollte ...davon überzeugt werden, dass der soziale Ausgleich, den wir im Westen erreicht haben, trotz all seiner Mängel, in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren wenigstens im bisher erreichten Umfang auf die südliche Welt ausgedehnt werden muss und auch kann. Es muss jedem Schweizer Bürger eingeschärft werden, dass er sich der armen Hälfte der Welt gegenüber in der gleich privilegierten Stellung befindet wie die Patrizier der Schweizer Städte gegenüber der Landbevölkerung im 18. Jahrhundert, vor dem Ausbruch der Französischen Revolution. Wenn dies einmal begriffen ist, wird es nicht unmöglich sein, einen großen Teil unserer Bevölkerung für eine freiwillige regelmäßige Abgabe zugunsten der Entwicklung der benachteiligten Hälfte der Welt zu gewinnen, die dann bald einmal auch in eine Steuer umgewandelt werden könnte."
Das schrieb der damalige Präsident der Basler Mission, Dr. Jacques Rossel, in einem "Aufruf zur kritischen Solidarität" nach der ÖRK-Vollversammlung in Uppsala 1968. Das Ziel also war so etwas wie ein freiwilliger Solidaritätszuschlag für die Benachteiligten in der Menschheitsfamilie.
Im gleichen Sinne formulierte die EKD-Synode 1968 die folgende Empfehlung:
"Die Synode bittet alle Glieder der Gemeinde, zum Richtsatz ihrer persönlichen Beiträge für ,Brot für die Welt‘ und für andere Sammlungen zur Bekämpfung des Hungers in der Welt Mittel in Höhe von mindestens 1 Prozent ihres Einkommens zu machen. Die Synode bittet Pfarrer, Älteste und kirchliche Mitarbeiter, auf diesem Wege selbst voranzugehen und sich in ihren Gemeinden für dieses Ziel so energisch einzusetzen, dass die Erträge der Sammlungen nachhaltig gesteigert werden."
1973 in Bremen hat die EKD-Synode diesen Appell an die einzelnen Gemeindeglieder unserer Kirchen mit folgenden Worten bekräftigt: "Wir wiederholen diese Bitte in dem Bewusstsein, dass wir ohne ein solches Zeichen christlicher Mitverantwortung unserem Zeugnisauftrag in der Welt von heute nicht gerecht werden können."
Bereits in Heft 1/1969 hat "der überblick" auf die damit zusammenhängenden Probleme hingewiesen und dann im Laufe der Jahre immer wieder daran erinnert. Wenn eine Mehrheit der Gemeindemitglieder diesem Aufruf folgen würde, so ist abzuschätzen, könnte sich der Gesamtbetrag in der Größenordnung von etwa der Hälfte der gesamten Kirchensteuern bewegen, heute also irgendwo zwischen ein und zwei Milliarden Euro. So utopisch hat allerdings damals niemand gedacht, auch heute denkt niemand so. Aber auch wenn schließlich deutlich weniger dabei herauskäme, – ein Aufruf mit dem Anspruch, den die EKD damit verbunden hatte, kann nicht einfach so in der Luft stehen bleiben. Man muss schon Vorstellungen darüber haben und bekannt machen, wie eine erhebliche Steigerung der Spenden beispielsweise für BfdW verarbeitet werden könnte und wie man die Wirkung und Erkennbarkeit eines derart groß angelegten Aufrufs seriös realisieren wollen würde.
Wenigstens in Beziehung auf den Ein-Prozent-Beschluss also hat "der überblick" sich nichts vorzuwerfen. Vermutlich hat keine andere kirchliche Publikation so hartnäckig immer wieder diesen Beschluss zur Sprache gebracht. Leider bisher ohne Erfolg. Der Lichtblick blieb verdunkelt.
Der einstweilen konsequenteste Versuch einer Konkretion ging aus von sechs ehemaligen leitenden Mitarbeitern aus den Stäben der AGKED, – alle zugleich überblick-Autoren. Von November 1999 bis April 2002 wurde mit den leitenden Persönlichkeiten von BfdW und EED darüber korrespondiert und diskutiert, ob und wie auf der Basis der überblick-Bezieher ein Pilotprojekt für einen Ein-Prozent-Förderkreis gebildet werden könnte. Die Details sind ziemlich einfach zu formulieren: Wer zum Mitmachen bereit ist, verpflichtet sich jeweils zu einer regelmäßigen Summe ab DM 100 jährlich. Darin enthalten ist der Bezugspreis für "der überblick"; für alles, was darüber liegt, gibt es eine Spendenquittung.
In jedem Jahr bekommt jedes Mitglied des Förderkreises e. V. eine Liste zugeschickt mit Projektkategorien – ähnlich wie BfdW und EED sie in ihren Jahresberichten verwenden –, ergänzt um Programme und Projekte, die Veränderungen in unserem eigenen Verhalten und von Einstellungen in der eigenen Bevölkerung zum Ziel haben. Jede/jeder kann also, – muss aber nicht – bestimmte Schwerpunktbereiche für seine Spendenanteile festlegen. Da die Initiatoren darauf hofften, dass ihre Anregung Schule macht und dass es vielleicht möglich werden könnte, auch einige der etwa zehn- bis fünfzehntausend Dauerspender bei BfdW für die Idee zu gewinnen, erschien das Element Mitbestimmung als außerordentlich wichtig.
Wie gesagt, fast zweieinhalb Jahre lang wurde immer wieder darüber geredet und geschrieben. Zunächst schienen die Spitzenleute interessiert und ermutigten die Initiatoren zum Weitermachen. Aber dann kamen plötzlich keine Antworten mehr. Über die Gründe kann man nur Vermutungen anstellen. Fürchtete man das bisschen Demokratie und das Minimum an damit verbundener Kontaktpflege zu den engagierten Gemeindemitgliedern? Ist unser theologisches und politisches Denken schon zu weit abgerückt von Erwartungen an die eigenen Kräfte? Wird Änderung nur noch von den etablierten – oder zu etablierenden – Institutionen erwartet? Gibt es in unseren Arbeitsstäben noch genug mitreißenden Einfallsreichtum um überhaupt auch nur zu erkennen, dass wirkliche Erneuerung eher aus den Einzelnen, als aus den Kollektiven kommen kann? Haben sich die Systemzwänge großer Institutionen, einschließlich der Kirchen, inzwischen in Richtungen entwickelt, die an Kommunikation orientierte Wechselwirkungen zwischen Zentrale und identifizierbaren Individuen gar nicht mehr für erstrebenswert halten, – sondern nur noch in den Kategorien von Anbieten, Event und Medienecho denken und agieren?
Ein paar Jahre lang wurde auch für Seminare und Arbeitsgruppen hierzulande "Theologie der Armut" zu einem Spitzenthema (Lieblingsthema, Modethema) der ökumenischen Diskussion. Dazu blieb "der überblick nicht gänzlich stumm, aber doch deutlich zurückhaltend. Für uns war es wichtiger, über uns näher Liegendes, über "Theologie im Wohlstand" nachzudenken. Die Ein-Prozent-Empfehlung von Spandau 1968 kann uns ganz gewiss keine Armutserfahrungen vermitteln. Aber sie könnte eine Richtungsanzeige werden für "Theologie im Wohlstand". Auch dazu wird "der überblick" aus seinen demnächst stark verstaubten Regalen nichts Neues mehr beitragen können. Auch hier muss somit künftig auf andere Publikationen gehofft werden.
VII. Es geht nicht nur um Geld
Das Wichtigste, was die Kirchen und Christen der Welt anzubieten hatten, ist nie ihr Geld gewesen. Das Beste, was die Kirchen in die Weltgeschichte gebracht haben, das waren und das bleiben Menschen und was sie mit ihrem Tun, Reden und Beten bewegen.
Zurück also zu Nell-Breuning. Er hatte sich ja nicht nur zur Verwendung von Kirchensteuern geäußert, sondern in konsequentem Zusammenhang damit die Kirche an die von ihr zu erwartende moralische Kompetenz erinnert: Sie "kann und soll... die Gewissen der Staatsmänner und der Wirtschafter aufrütteln". Jeder weiß, das Gewissen ist die zentrale ethische Instanz für das Handeln des einzelnen Menschen. Dazu aufzurütteln, sich an der Instanz Gewissen zu orientieren, das gehört zu den Kernaufgaben der Kirchen. Das kann keine Kirche den Öffentlichkeitsreferaten ihrer Dienste und Werke und deren NGO-Connections überlassen. Da müssen sich die Bischöfe, die Kirchenleitungen und Synoden schon selbst in Bewegung setzen und immer wieder mit den Mächtigen in Politik und Wirtschaft reden. Es ist zu hoffen, dass im Verborgenen da mehr geschieht, als darüber bekannt wird.
Die zweite Anregung von Nell-Breuning erinnert an den aus der ökumenischen Diskussion und auch darüber hinaus vertrauten Gedanken, eine Art Steuer bei den Reichen für die Armen zu schaffen: Die Kirche "kann und soll in den Staatsbürgern die Bereitwilligkeit wecken, in Gestalt ihrer Steuern ihren angemessenen Beitrag zur Entwicklungshilfe zu leisten. Wenn man allerdings etwas genauer hinschaut, dann liegt das doch ziemlich weit neben allem, was wir bisher an entwicklungsbezogener Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit gewohnt sind. Wir kennen die Appelle so genannter engagierter Gruppen, auch kirchlicher Dienste und Werke und vieler NGOs zur Genüge. Immer wieder die gleiche Melodie: Die Regierungen müssen... Die Wirtschaft muss... Die Multis müssen... Es ist skandalös, dass... Und immer wieder die gleichen Bilder: Demonstrationen, Sitzblockaden, Plakate, Kirchentage, Protestlercamps, Greenpeaceboote, Polizeiabsperrungen... usw. Das meiste an den Forderungen ist sicherlich richtig und kann vielleicht weitgehend auch nur genau so wie es immer wieder zu beobachten ist, artikuliert werden. Aber was Nell-Breuning wirklich meinte, das zielte denn doch noch in eine andere Richtung.
Um seiner Anregung zu folgen, müssten die Kirchen mit den Regierenden das Gespräch darüber suchen, was den Steuerzahlern in dem genannten Sinne als "angemessener Beitrag" zuzumuten und zu erläutern wäre und wie dem regierten Volk solche Angemessenheit vermittelt werden kann. Es ginge hier also gleichsam um die politische Komponente einer "Theologie im Wohlstand" –, um an weiter oben Geschriebenes anzuknüpfen. Das hieße im einzelnen zum Beispiel auch, den Protestierern und Engagierten mit ihren berechtigten Anliegen zu erklären, was es sie, die Steuerzahler, kosten müsste, wenn die Regierenden all das Gute täten, was sie von der Regierung fordern. Fakt aber ist: Die Regierer haben nicht einmal den Mut und/oder die Voraussetzungen dafür, etwa nur darüber zu informieren, was beispielsweise die Gesundheit, die Pflegefürsorge oder die Bildung ihre Wähler wirklich kosten würden, wenn sie erfüllen wollten, was sie versprechen.
"Entwicklung als internationale soziale Frage" haben die katholische und die evangelische Kirche in den siebziger Jahren einmal gemeinsam proklamiert (Kongress "Entwicklung – Gerechtigkeit – Frieden" Bad Godesberg Januar 1979, vergl. "texte zum Kirchlichen Entwicklungsdienst", Bd. 24, Frankfurt/Main 1980). Inzwischen kann bei uns aber nicht einmal über die Kosten der nationalen sozialen Fragen offen geredet und effizient entsprechend gehandelt werden.
Es gibt somit allen Grund, die Kirchen immer wieder an die deutlich formulierten schlichten Erwartungen von Nell-Breuning zu erinnern. Oder an Weeber, der sich verbal noch radikaler äußerte. Er sprach von "der Eigensucht des Menschen, die sich in sozialer Ungerechtigkeit, ideologisch begründeter Unterdrückung und Ausbeutung wirtschaftlicher Vormacht niederschlägt" und fügte – gut schwäbisch und gut pietistisch – hinzu: "Nur Befangenheit kann uns hindern, das Sünde zu nennen. Die Klarstellung solchen Sachverhalts gehört zum kirchlichen Auftrag..." Die Befangenheit wirkt noch immer. Aufforderungen an die unmittelbar eigene Adresse in vergleichbarer Deutlichkeit hört man von kirchlichen Arbeitsstäben und deren Öffentlichkeitsarbeitern zur Zeit eher selten bis gar nicht.
Zum Schluss und zum Weiterdenken – wie am Anfang – einen Vergleich: Den guten Seemann erkennt man beim schlechten Wetter. (Aus der Sammlung "Seemannssprüche" von Wiard Lüpkes, Pastor zu Marienhafe in Ostfriesland, erschienen in der inzwischen ebenfalls abgewrackten "Marine-Rundschau" 1899 und 1900).
aus: der überblick 04/2007, Seite 82
AUTOR(EN):
Eberhard le Coutre
Eberhard le Coutre ist Pastor em. der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche. Von September 1968 bis zur Emeritierung 1990 war er Mitarbeiter bei "Dienste in Übersee e.V.", von Heft 1/1969 bis Heft 2/1990 Leiter der Redaktion von "der überblick".