ERFAHRUNGEN IM KNAST VON KINSHASA
Dieses Gefängnis scheint mir akzeptabler als das vorherige. Ich kehre in den Hof mit den von Stacheldraht gekrönten
Mauern zurück und mache mich mit allen anderen Gefangenen bekannt - fünfzehn, vielleicht zwanzig Personen sind es.
Unter ihnen ist Francois, ein Kongolese aus Brazzaville; er hat dort der Regierung von Pascal Lissouba angehört (Lissouba wurde 1992 zum Premierminister gewählt und 1997 gestürzt; Anm. d. Red.) und auch einmal fünfzehn Jahre in
Frankreich gelebt. Barfuß und in zerfetzten Klamotten erzählt er mir, dass er nicht nach Brazzaville zurückkehren kann,
denn dort würde er erschlagen. Hier hat er keine Papiere und nicht einmal den Status eines politischen Häftlings. Er ist
in einer absoluten Sackgasse.
von Fabrice Michalon
Ich treffe auch den Blinden wieder, den ich aus einem früheren Gefängnis kenne, und lerne einen Jemeniten kennen. Der spricht weder Französisch noch Lingala oder Swahili. Niemand hier versteht ihn. Unter den Gefangenen sind außerdem drei Kids aus Mali und ein Liberianer. Zuletzt mache ich die Bekanntschaft des Kaisers, von dem alle schon gesprochen haben. Er nennt sich Rémi, ist hier eine hoch geschätzte Persönlichkeit und hat sich zum Kaiser des Gebietes, das er "das Reich der Wälder und Seen" nennt, ausgerufen. Jedem Gefangenen hat er dabei ein Ministerium übertragen. Sehr schnell werde ich zum "Spezialberater" des Reiches ernannt, das seinen Namen den zwei Bäumen im Hof verdankt.
Rémi ist 32 Jahre alt, aber sein langer Bart lässt ihn viel älter aussehen. Seit seiner Verhaftung vor sechs Monaten hat er sich nicht rasiert er wartet auf den Tag seiner Entlassung, um das zu tun. Trotz seiner Shorts und der Plastikschlappen wirkt er vornehm. Er verkörpert die Rolle der Person, die er für sich erfunden hat. Als ehemaliger Soldat der "Division von Mobutu" war er zunächst in ein Umerziehungslager bei Kinshasa eingesperrt worden. Dort lief alles gut, bis er wegen eines Todesfalls zu seiner Familie im Südwesten des Landes zurückkehren wollte. Auf dem Weg wurde er zur Feststellung seiner Personalien angehalten und befindet sich seitdem hier. In aller Frühe werden wir geweckt, endlich kann ich duschen. Gleich danach machen wir uns Frühstück und teilen wie jeden Morgen das von den Familien gebrachte Essen.
Freddie, mein Zellennachbar, ist 26. Als Kabila die Macht übernahm, lebte er in Südafrika. Als er die Nachricht von dem Machtwechsel hörte, war er überglücklich und beeilte sich, nach Hause zurückzukommen. Aber man unterstellte ihm andere Absichten mit der Begründung, dass er über weit verzweigte Verwandtschaftsverhältnisse angeblich der Familie des früheren Diktators Mobutu angehöre. Vielleicht hat Rémi ihm deshalb das Amt des Außenministers im Reich der Wälder und Seen übertragen.
Zuerst war Freddie drei Monate im Gefängnis der DEMIAP, des "militärischen Aufklärdienstes für antipatriotische Aktivitäten", eingesperrt; dort wurde er schlimm misshandelt. Da er allzu lange gefesselt war, kann er seine Hände kaum noch benutzen. Um mir zu zeigen, dass er nicht lügt, lässt er seine Knochen krachen. Freddie erzählt mir, dass das Auto, das mich hierher gebracht hat, eigentlich ihm gehört. Die Agenten der DEMIAP haben es ihm geklaut. Er ist ein großer, schlanker und ruhiger Typ. Wir verstehen uns gut.
Der Arbeitstag der Wächter ist nicht besonders stressig. Für einige besteht ihre tägliche Aufgabe darin, in der Stadt spazieren zu gehen und ihre Neugierde in den Cafés zu befriedigen. Sie hören dem und jenem zu und nehmen die mit, deren Gerede ihnen nicht gefällt. Hier hat sicher niemand das Recht, das System und die Machtstrukturen zu kritisieren.
Festgenommen werden auch Kindersoldaten, die Kadogos genannt werden, und Leute aus Cabinda. In dieser angolanischen Enklave im Norden der Mündung des Zaire-Flusses wird portugiesisch gesprochen. Vier von dort, die zu einer Widerstandsbewegung in Cabinda gehören, werden zu uns gebracht.
Dann wird der Direktor im Kabinett des Außenministers inhaftiert. Er hatte sich erlaubt zu erklären, dass die Reformen der Regierung nicht schnell genug vorankämen. Daher wurde er kaltgestellt und wird vor unseren Augen zusammengeschlagen. Er wird der Einzige bleiben, dem dies passiert. Wenigstens ist es hier, ganz im Gegensatz zum Gefängnis der DEMIAP, unüblich, Schläge auszuteilen. Hier gibt es nicht dieses Machtschauspiel, und ich kann gern darauf verzichten.
Der Jemenit spricht immer noch kein Wort. Er versucht, sich verständlich zu machen, aber das ist nicht einfach. Weil ich erst vor wenigen Tagen angekommen bin, will ich nicht die Initiative ergreifen. Ich vermeide im Übrigen bewusst, mit anderen Gefangenen gesehen zu werden. In diesem Klima aus Angst und Verdächtigungen muss jeder verdammt vorsichtig sein. Ich würde diesem Mann gerne helfen, aber mein Kollege von rzte der Welt, Fred, hat schon so viel zu tun.
Nach einigen Tagen aber lässt mir der Jemenit ein Papier mit einer Telefonnummer zukommen. Ich gebe es Fred, als er mich besuchen kommt. Er sagt, er werde versuchen, die ägyptische Botschaft zu kontaktieren. Dank dieses Kontaktes wird der Jemenit einige Tage später frei gelassen. Der arme Mann war an der Grenze festgehalten worden, er ist Geschäftsmann. Weil er unfähig war, sich verständlich zu machen und so zu verteidigen, wurde er zunächst einmal eingesperrt. Die Telefonnummer, die er mir anvertraute, war die seiner Familie im Jemen. Bleich, zitternd, aber vor allem glücklich sagt er mir auf Wiedersehen. Selbst wenn ich seine Worte nicht verstehe, lese ich in seinem Blick, dass er mir von ganzem Herzen dankbar ist.
Sonntagmorgens wird im Hof eine Messe gefeiert. Alle Gefangenen sind fromme Christen. Die Bibel ist ihr Lieblingsbuch. Weil ich keine Lektüre mehr habe, nutze ich die Gelegenheit, einige Seiten zu lesen es musste schon so weit kommen, dass ich im Kongo im Gefängnis sitze, bevor ich dieses Buch öffne. Die Messe wird in Lingala gehalten. Ich verstehe kein Wort, aber wenn sie singen, ist es sehr schön. Außerdem geht so die Zeit vorbei ... im Reich der Wälder und Seen.
aus: der überblick 01/2000, Seite 21
AUTOR(EN):
Fabrice Michalon:
Michalon ist Logistiker von "Ärzte der Welt". Er wurde 1998 in der Demokratischen Republik Kongo für einen serbischen Söldner gehalten und über zehn Wochen inhaftiert. Der Beitrag ist ein Auszug aus einem Kapitel seines Buches über diese Haft (Otage à Kinshasa, Paris 1999).