Seit Anfang Oktober sind die USA wieder Mitglied der UNESCO, der Wissenschafts- und Kulturorganisation der Vereinten Nationen. Zu der feierlichen Zeremonie schickte US-Präsident Bush seine Frau Laura nach Paris. Amerika werde sich jetzt wieder uneingeschränkt und aktiv an der wichtigen Mission der UNESCO für die Förderung von Frieden und Freiheit beteiligen, versicherte sie vor der 32. Generalkonferenz. Auch ihren Beitrag zum Budget der UNESCO immerhin 22 Prozent wollen die USA wieder zahlen. Großbritannien, das ein Jahr danach (1985) ausgetreten war, war bereits mit Amtsantritt der Regierung Blair vor sechs Jahren in die UNESCO zurückgekehrt. Nur der Dritte im (Austritts-)Bunde, Singapur, steht jetzt noch abseits.
Die Aufkündigung der Mitgliedschaft hatten die USA 1984 unter anderem mit dem Streit um die Neue Weltinformationsordnung begründet: "Negativ bewerten wir ... die Tatsache, dass die UNESCO die Grundsätze der freien Marktwirtschaft und des freien Informationsflusses angegriffen und sich der Misswirtschaft schuldig gemacht hat... Zudem drängt die UNESCO weiterhin auf die so genannte Neue Weltinformations- und Kommunikationsordnung, die die Grundsätze des freien Informationsaustausches und einer freien Presse unmittelbar gefährdet." Mit ähnlicher Begründung hatten auch das Großbritannien Margaret Thatchers und der autoritär regierte Stadtstaat Singapur des Lee Kuan Yew die Weltkulturorganisation verlassen. Mit dieser Kritik standen die drei keineswegs allein. So erklärte die deutsche Bundesregierung, dass sie die Besorgnisse der amerikanischen Regierung "in erheblichem Maße" teile.
Wer den Streit nicht miterlebt hat, wird sich ein Vierteljahrhundert später den heftigen und teilweise feindseligen Schlagabtausch nur schwer vorstellen können. Doch so absurd, wie es heute scheint, war die Debatte nicht. Wie es dazu kam, ist leicht nachvollziehbar, wenn man sich den Ost-West-Gegensatz in Erinnerung ruft und vor Augen führt, dass immer mehr unabhängig gewordene Entwicklungsländer in den siebziger und achtziger Jahren ihren Anteil an der Weltentwicklung geltend machten. Die Forderung nach einer neuen Weltinformations- und Kommunikationsordnung war eng verbunden mit der nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung.
Die UNESCO hatte 1946 ihre Tätigkeit mit einem Bekenntnis zur Informationsfreiheit aufgenommen, das heißt international gesehen auch zum freien Informationsfluss. Durch den Beitritt der Sowjetunion und ihrer Verbündeten gelangten Länder in die UNESCO, nach deren Verständnis der Staat die Medien kontrolliert und darüber wacht, was zu lesen und zu hören ist. Auch die später dazugekommenen Länder der Dritten Welt befürworteten meist das Prinzip der uneingeschränkten Staatssouveränität, allerdings teilweise aus anderen Motiven. Sie wollten ihre nationale Identität gegen importierte Botschaften schützen und das Ungleichgewicht im Kommunikationsfluss zwischen Nord und Süd abbauen. Insbesondere die Dominanz der großen Nachrichtenagenturen war ihnen ein Dorn im Auge; außerdem beklagten sie, dass über die Entwicklungsländer vorrangig negative oder einseitige Berichte verbreitet würden.
Die Forderung nach einer Neuen Weltinformationsordnung wurde zunächst im Rahmen der Blockfreienbewegung formuliert. Im März 1976 fand in Tunis ein viel beachtetes Symposium blockfreier Länder über Kommunikationspolitik statt. Die konzeptionellen Vorstöße der Dritte-Welt-Länder fanden schnell den Weg in die UNESCO und dort die Unterstützung der Ostblockstaaten, die damals ohnehin meist mit den Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas stimmten, wenn es um die Dominanz der westlich-kapitalistischen Welt ging.
Nach sehr kontroverser Debatte verabschiedete die Generalkonferenz der UNESCO im November 1978 eine Mediendeklaration. Ihr Titel "Deklaration über die Grundprinzipien für den Beitrag der Massenmedien zur Stärkung des Friedens und der internationalen Verständigung, zur Förderung der Menschenrechte, zur Bekämpfung von Rassismus, Apartheid und Kriegshetze" macht schon deutlich, dass es sich um einen schwierigen Kompromiss zwischen den Staatengruppen des Nordens, des Ostens und des Südens handelte. Zwar wurde das westliche Konzept des freien Informationsflusses nicht aufgegeben, aber es wurde mit dem südlichen eines umfassenderen und besser ausgewogenen Austausches verbunden. Doch die Addition löste den Widerspruch zwischen den beiden diametral entgegengesetzten Vorstellungen nicht auf. Die westlichen Kritiker vermuteten nicht ganz zu Unrecht, dass sich hinter dem Slogan vom Schutz der nationalen Kultur häufig genug der Schutz der bestehenden Regierung oder bestimmter Interessengruppen verbarg. Außerdem argwöhnten sie, dass die angestrebte und nun in der Präambel der Deklaration und in einer Resolution der Generalkonferenz offiziell angenommene Forderung nach einer neuen Weltinformations- und Kommunikationsordnung zu einer Lizensierung des Journalistenberufes und staatlicher Kontrolle der Medien führen werde.
Am Begriff der Neuen Weltinformations- und Kommunikationsordnung hat die UNESCO bis 1987 festgehalten, erst auf der 25. Generalkonferenz 1989 war davon nicht mehr die Rede. Der damalige Generaldirektor Frederico Mayor wurde in einer Resolution aufgefordert, den freien Fluss von Ideen durch Wort und Bild ohne Vorbehalt zu unterstützen. Die weitere und gleichmäßigere Verbreitung von Informationen soll weiterhin gefördert werden aber nun unter der Voraussetzung, dass die "Meinungsfreiheit in keiner Weise behindert wird". Damit war eindeutig formuliert, dass in die Meinungs- und Pressefreiheit nicht eingegriffen werden darf. Die USA haben aber noch mehr als ein Jahrzehnt gebraucht, um sich zur Rückkehr in die UNESCO zu entschließen. Und das wohl weniger aus Liebe zu Erziehung, Wissenschaft und Kultur als im Rahmen ihrer strategischen Überlegungen.
Mit dem Aufbruch der politischen Strukturen in Osteuropa und in deren Gefolge auch in manchen Ländern Afrikas wurden auch die Medien von ihren Fesseln befreit. Im Mai 1991 verabschiedeten regierungsunabhängige afrikanische Journalisten und Verleger eine Erklärung, in der sie festhalten, dass "die Errichtung, Beibehaltung und Förderung einer unabhängigen, pluralistischen und freien Presse für die Schaffung und Pflege von Demokratie in einer Nation und für deren wirtschaftliche Entwicklung von zentraler Bedeutung ist." Die Erklärung von Windhuk eröffnete den Reigen weiterer regionaler Verpflichtungserklärungen zur Wahrung der freien Meinungsäußerung und des Zugangs zu vielfältigen, unabhängigen Informationsquellen.
Dass eine freie Presse für die wirtschaftliche Entwicklung von zentraler Bedeutung ist, hatten Jean DrPze und Amartya Sen in ihrer 1989 erschienenen Studie Hunger and Public Action herausgearbeitet: In Ländern, die demokratisch regiert würden und eine relativ freie Presse hätten, habe es niemals größere Hungersnöte gegeben. In einem eigenen Essay zur Rolle der Medien hat der 1998 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften geehrte Sen vier Gründe genannt, warum Pressefreiheit für Entwicklung so wichtig ist. Erstens, weil Meinungs- und Kommunikationsfreiheit elementare Bestandteile von Entwicklung sind, zweitens hat sie die Funktion, Informationen zu verbreiten und kritische Überprüfung zu fördern, drittens hat sie eine schützende Rolle, indem sie Menschen eine Stimme verleiht und Missstände benennt, und viertens trägt sie zur öffentlichen Debatte über Werte und gemeinsame Standards bei (Speaking of Freedom, in: the little magazine 3/2002).
Seit 1991 sind die Medien in vielen Ländern zwar unabhängiger und pluralistischer geworden, doch längst nicht überall herrscht Pressefreiheit: Journalisten werden überwacht, bedroht, verfolgt oder umgebracht. "Reporter ohne Grenzen" hat am 3. Mai, dem Tag der Pressefreiheit, ihren Jahresbericht für 2002 vorgelegt, "einem schlechten Jahr für die Pressefreiheit". Die Organisation registrierte insgesamt 1420 gewaltsame Übergriffe gegen Berichterstatter. Ihr Press Freedom Barometer verzeichnet in weiten Teilen Asiens und in vielen afrikanischen Ländern eine sehr schwierige Situation, und in Kuba wurden in diesem Jahr 26 Journalistinnen und Journalisten inhaftiert und in Schnellverfahren zu hohen Haftstrafen verurteilt. Das macht das Land zum "derzeit größten Gefängnis für Journalisten". 127 Journalisten sind insgesamt in der Welt in Haft.
Doch es sind nicht nur die Regierungen, die Journalisten verfolgen, auch wer mächtigen Wirtschaftsinteressen und der organisierten Kriminalität auf der Spur ist, lebt in manchen Ländern gefährlich. Das New Yorker Committee to Protect Journalists hat in seinem Jahresbericht für 2002 darauf hingewiesen, dass die meisten der in diesem Jahr ermordeten Journalisten auf Grund ihrer Recherchen umgebracht wurden: von Paramilitärs in Kolumbien, von korrupten Behördenvertretern auf den Philippinen, von einer im Drogengeschäft aktiven Bande in Brasilien.
Während ein pakistanisches Gericht die Mörder des amerikanischen Wall Street Journal-Reporters Daniel Pearl verurteilte, wurden die meisten anderen Täter nicht zur Rechenschaft gezogen. Für dieses Jahr hat der Weltverband der Zeitungen bereits 51 getötete Journalisten gezählt, allein 16 von ihnen im Irak. In der C te d'Ivoire wurde im Oktober der Korrespondent des französischen Rundfunksenders Radio France International, Jean Hélène, von einem Polizisten erschossen. Wie humanitäre Helfer müssen wohl auch Journalisten zunehmend damit rechnen, dass sie nicht als Zivilisten respektiert, sondern ganz gezielt umgebracht werden.
Nach dem langen betretenen Schweigen über Medienpolitik wird im Dezember in Genf erstmals wieder auf einer Weltkonferenz über Kommunikationsfragen verhandelt werden. Dort findet der erste Teil des Weltgipfels über die Informationsgesellschaft statt. Vorbereitet wird er nicht von der UNESCO, sondern von der Internationalen Fernmeldeunion (ITU). Der zweite Teil des Gipfels soll im Jahr 2005 ausgerechnet im kontrollwütigen Tunesien stattfinden.
In Genf wird unter anderem darüber beraten werden, wie die "digitale Trennlinie" zwischen der industrialisierten und der entwicklungsbedürftigen Welt überwunden werden kann. Der digital divide ist die neueste Ausprägung der Kommunikationskluft zwischen Arm und Reich, die die UNESCO in den siebziger und achtziger Jahren thematisiert und zu überwinden gesucht hatte. Die damals aufgeworfenen Fragen sind also weiter aktuell. Dass heute Einschränkungen der Pressefreiheit nicht mehr ernsthaft zur Diskussion stehen, kann vielleicht diesmal zu Ergebnissen führen, etwa zu wieder verstärkter Medienhilfe. Amartya Sen hat zum Schluss seines Essays über die Bedeutung der Medien formuliert, dass es nicht nur um Abwehr von Einschränkungen, sondern auch um die Möglichkeit der Teilhabe geht: "Es ist außerordentlich wichtig, die elementare Bedeutung der Pressefreiheit für den Prozess der Entwicklung zu erkennen, aber es ist auch nötig, nach Wegen und Mitteln zu suchen, um ihre Reichweite zu erhöhen und ihr in der Praxis Geltung zu verschaffen."
Renate Wilke-Launer ist Chrefredakteurin des überblick.