Geschäftstüchtiger Regierungschef
Die Hoffnungen, die die thailändische Bevölkerung auf ihren Premierminister Thaksin Shinawatra als Bewältiger der Wirtschaftskrise gesetzt hat, scheint er innovationsfreudig zu erfüllen - zumindest auf den ersten Blick. Knapp zwei Jahre nach seiner Wahl zum Regierungschef wächst die Volkswirtschaft und sogar der Kredit vom Internationalen Währungsfonds wird bald vollständig zurückgezahlt sein. Doch ob sich Thaksin an der Macht halten wird, ist fraglich. Denn seine populistische Wirtschaftspolitik kommt den Staat teuer zu stehen. Und sein autoritär-klientelistischer Führungsstil hat schon großen Unmut hervorgerufen.
von Andreas Ufen
Die Journalisten vom "Far Eastern Economic Review" hatten noch nicht zu ihrer Interviewfrage angesetzt, da kam schon die Antwort: Ich bin kein Diktator , erklärte Thaksin Shinawatra, der Premierminister Thailands. Dieser Satz ist symptomatisch für die Einschätzung seiner bisherigen Amtszeit.
Als der Medienzar mit seiner Partei Thai Rak Thai (Thais lieben Thais, TRT) im Januar 2001 bei den Unterhauswahlen 248 der 500 Mandate gewann, galt Thaksin vielen Thailändern als der Retter. Ihm trauten sie zu, die Asienkrise, die Thailand 1997 ergriffen hatte, zu bewältigen. Die TRT, die er erst zweieinhalb Jahre zuvor gegründet hatte, bildete eine Koalitionsregierung mit der Chart Thai (Nationalpartei) und der Pak Khwam Wang Mai/New Aspiration Party und kam so auf insgesamt 325 Sitze.
Thaksin Shinawatra wurde 1949 in Chiang Mai als Sohn eines chinesischen Seidenhändlers geboren. Er besuchte die Polizeiakademie und studierte Kriminologie in den USA, wo er 1978 promovierte. In der thailändischen Polizei stieg er bis zum Oberstleutnant auf, betätigte sich jedoch bereits frühzeitig nebenberuflich als Unternehmer. Er handelte zunächst mit Computersoftware und weitete dann seinen Geschäftsbereich auf den Telekommunikationssektor aus. Heute betreibt seine Firma, die Shin Corporation, ein Mobilfunknetz, mehrere TV-Sender und einen Satelliten. Thaksin ist mittlerweile Dollar-Milliardär.
Seine sehr guten geschäftlichen Kontakte, die Unterstützung durch die von ihm kontrollierten Medien und die in Thailand besonders bedeutsame Möglichkeit, mit umfangreichen Finanzmitteln Gefolgschaften aufzubauen, verhalfen ihm zu einer beispiellosen politischen Karriere. 1994 wurde Thaksin Außenminister in der Regierung Chuan Leekpai. Unter Banharn Silpa-archa und anschließend unter Chavalit Yongchaiyudh arbeitete er als stellvertretender Ministerpräsident. Nachdem sich seine frühere Partei Palang Dharma (Moralische Kraft) aufgelöst hatte, gründete er 1998 die TRT.
Große Teile der Bevölkerung sehen in Thaksin einen pragmatischen Macher und Krisenbewältiger - er selbst bezeichnet sich als Chief Executive Officer, als Hauptgeschäftsführer Thailands. Viele vergöttern ihn geradezu und verehren ihn als Ritter auf einem weißen Pferd . Er gilt als das genaue Gegenbild seines Vorgängers und schärfsten Widersachers, des Demokraten und Berufspolitikers Chuan Leekpai. Der steht für Verlässlichkeit, Redlichkeit und Bescheidenheit sowie für Kontinuität. Thaksin hingegen verkörpert für viele Thailänder Effizienz und Innovation - gemäß dem Motto neu denken, neu handeln .
Thaksin kam wohl vor allem deshalb ins Amt, weil er einige populäre Reformen in Aussicht gestellt hatte. Zu den Maßnahmen, mit denen er kurz nach der Amtsübernahme begann, gehört ein dreijähriger Schuldenaufschub für die Landbevölkerung, ein Umlauffonds-Programm, in dem Kleinkredite an jeweils weitere Darlehensnehmer weitergereicht werden und kleine Geschäfte finanzieren. Knapp 75.000 ländliche und städtische Gemeinden des Landes profitieren von einem Dorf-Investitionsfonds; und ein Volksbank-Programm im Umfang von 3,7 Milliarden Baht (etwa 86,7 Millionen Euro), hilft besonders verarmten Bevölkerungsgruppen. Darüber hinaus ermöglicht die im April 2001 eingeführte Krankenversorgung allen Bürgern eine Behandlung in staatlichen Kliniken für lediglich 70 Cent. Maßnahmen wie diese erklären, warum Thaksin gerade bei Angehörigen der Unterschicht so beliebt ist.
Am 1. April 2001 ist das Programm zur Schuldentilgung offiziell angelaufen. Für drei Jahre werden Kredite bis etwa 2500 Euro bei der staatlichen Bank for Agriculture and Agricultural Co-operatives gestundet. Diese Maßnahme, die sich an mehr als 2 Millionen Haushalte wendet, soll einen Ausweg aus der Schuldenfalle zeigen und den Bauern ermöglichen, ihre Betriebe wieder auf eine solidere Basis zu stellen. Zu den Anreizen zählen unter anderem niedrige Zinsraten und die Möglichkeit, an Ausbildungsprogrammen teilzunehmen.
Eine Million Baht (etwa 23,4 Millionen Euro) stellt der Village Funds zur Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen zur Verfügung. Die Mittel sind als Anschubfinanzierung vor allem für kleine Existenzgründer gedacht. Fast alle 75.000 Gemeinden haben nach kurzer Zeit Konten eingerichtet. Im Juli 2001 begann die Regierung mit den Überweisungen, und Anfang Dezember waren fast 70 Prozent der Gesamtsumme transferiert. Schnell wurden die Kredite an die Bauern weitergereicht, sodass Beamte schon frühzeitig von einem großen Erfolg sprachen. Bis Ende Februar waren knapp 1, 2 Milliarden Euro ausgezahlt.
Kritiker monieren allerdings die Verschwendung öffentlicher Gelder durch die Vergabe von Krediten an Einzelpersonen. Bei der Grameen-Bank in Bangladesch etwa werden die Klein(st)kredite nur an kleine Gruppen vergeben. Offensichtlich erhalten in Thailand auch Personen Gelder, die nicht wirklich hilfsbedürftig sind. Außerdem wird die Verwendung der finanziellen Mittel nicht immer genau nachgeprüft. Dorfkommissionen bestimmen über die Vergabe und den Rückzahlungsmodus. Wie aber säumige Schuldner bestraft werden, ist ungeklärt. Häufig werden mit dem Geld alte Schulden bei lokalen Verleihern beglichen. In vielen Fällen werden Zweiräder oder Handys gekauft. Immerhin dient das gesamte Projekt auch als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für junge Hochschulabsolventen.
Viele Projekte leiden an der zentralen Steuerung, an der mangelnden Ausbildung der beauftragten Beamten und Kontrolleure sowie an den nahezu unvermeidlichen Verlusten durch Missmanagement und Korruption. Von vornherein wurde deshalb die Finanzierung all dieser Maßnahmen, die zudem während der Wirtschaftskrise ergriffen wurden, von Kritikern in Frage gestellt. Über 1,64 Milliarden Euro wird voraussichtlich allein die Kleinkreditmaßnahme verschlingen. Die Krankenversorgung schlägt mit umgerechnet 2,3 Milliarden Euro jährlich zu Buche.
Trotzdem scheint Thaksin mit seiner Wirtschaftspolitik Erfolg zu haben. Zum wiederholten Male nämlich korrigierten verschiedene Wirtschaftsforschungsinstitute die Wachstumsprognosen nach oben. Der Absatz von Autos und Handys beispielsweise erreicht monatlich neue Rekordwerte. Und trotz der Haushaltsbelastungen wird Thailand vor Jahresende die letzte Tilgungsrate eines Kredits des Internationalen Währungsfonds zurückgezahlt haben. Der Premierminister scheint mit seiner keynesianischen Politik, die Nachfrage durch Verschuldung zu stimulieren und damit Arbeitsplätze zu schaffen, sogar für Staatschef Mahathir Mohamad in Malaysia sowie für die philippinische Präsidentin Arroyo zu einem Vorbild geworden zu sein. Angesichts vergleichbarer machtpolitischer Ansätze ist das nicht verwunderlich.
Thaksins Partei ist in vielfacher Hinsicht typisch für Thailand. Sie wird von einem reichen Mann geführt, der mit seinem Geld Provinzbosse und Wählerstimmen kauft. Bei Thaksin kommt hinzu, dass er als Medienzar sogar noch einen Teil der Massenmedien beherrscht. Neuartig sind die große Zustimmung, die er erfährt, und sein sehr innovatives und - für thailändische Verhältnisse - recht ausgefeiltes Wahlprogramm.
Allmählich jedoch verfliegt die anfängliche Euphorie. Selbst der sonst diplomatisch zurückhaltende König Bhumipol kritisierte am Nationalfeiertag in einer Rede den anwesenden Premierminister ungewöhnlich offen und hart. Er attackierte das engstirnige Wachstumsdenken, die öffentlichkeitswirksamen, aber nicht immer sachdienlichen Auftritte der neuen Regierung sowie den Mangel an Bereitschaft, Kritik zu akzeptieren.
Tatsächlich spricht einiges dafür, dass Thaksin nicht der strahlende Retter ist, als den ihn sein Medienapparat gerne darstellt. Da er 1997 als stellvertretender Ministerpräsident im Kabinett Chavalit einen Teil seines Vermögens nicht ordnungsgemäß, das heißt nach Artikel 291 der Reformverfassung von 1997, deklariert hatte, eröffnete das Verfassungsgericht im April 2001 ein Verfahren wegen der Verschleierung seiner Vermögensverhältnisse. Das Gericht reagierte damit auf einen Schuldspruch der Nationalen Kommission gegen Korruption (NCCC) vom Dezember 2000, die festgestellt hatte, dass Thaksin ein Privatvermögen von umgerechnet gut 100 Millionen Euro nicht angegeben hatte. Er soll Teile seines Aktienbesitzes auf Mitglieder seiner Familie sowie Angestellte seines Haushalts übertragen haben. Am 3. August 2001 wurde Thaksin allerdings mit acht zu sieben Stimmen freigesprochen, weil vier der acht Verfassungsrichter meinten, eine Verschleierung der Vermögenswerte sei nicht zweifelsfrei nachzuweisen. Damit wurde die von nicht wenigen Beobachtern erwartete Amtsenthebung abgewendet und eine monatelange Diskussion über die Geschäfte des Premiers vorerst beendet.
Das Parlament ist kaum in der Lage, die Praktiken Thaksins angemessen zur Sprache zu bringen. Dort endete eine Abstimmung über einen Misstrauensantrag damit, dass 15 Minister, darunter der Finanzminister Somkid Jatusripitak und der Verteidigungsminister Chavalit Yongchaiyudh, vom Vorwurf der Korruption beziehungsweise des Missmanagements entlastet wurden. Da die regierende Koalition unter Führung der Thai Rak Thai Partei über mittlerweile 368 der 500 Sitze im Repräsentantenhaus verfügt, war das Ergebnis nicht überraschend. Die Demokratische Partei unter Chuan Leekpai hatte mit ihrem Antrag in erster Linie eine Diskussion über Korruption auslösen wollen, um so das Image des Premierminister zu beschädigen. In dem Antrag wird der Premierminister zwar nicht direkt der Korruption und des Amtsmissbrauchs des Kabinetts angeklagt, ihm wird aber vorgeworfen, sie geduldet zu haben.
Thaksin scheint sich von solchen Vorwürfen nicht beeindrucken zu lassen. Im Gegenteil, er setzt alles daran, seine Machtbasis stetig auszubauen. Ein Beleg für den zunehmenden Autoritarismus der Regierung ist Thaksins Personalpolitik. Er hat den Armeechef Surayud Chulanont zum Obersten Kommandeur befördert - letztendlich um ihn kaltzustellen. Dessen Posten erhielt Anfang August Somdhat Attanand, der Armee-Stabchef, dem gute Beziehungen zur TRT nachgesagt werden. Somdhat ist nicht nur der Schwager des stellvertretenden Verteidigungsministers, General Yuthasak, sondern auch ein Vertrauter des Verteidigungsministers Chavalit Yongchaiyudh. Diese Beförderung wird im Zusammenhang mit den jüngsten Grenzkonflikten mit Burma gesehen. Bei den Kämpfen zwischen den Kampftruppen ethnischer Minderheiten und Militärs der beiden Länder sind seit dem Mai diesen Jahres mehrere Hundert Menschen umgekommen.
Als Kandidat für den Posten des Generalsekretärs des Nationalen Sicherheitsrates wird ein Freund Thaksins aus gemeinsamen Tagen an der Polizeiakademie genannt. Und Thaksins Cousin, General Chaiyasit Shinawatra, könnte Stellvertreter des Armeechefs werden. Im März war bereits der Schwager Thaksins, Generalleutnant Priewphan Damapong, zum stellvertretenden Polizeichef ernannt worden. Priewphang wurde 14 anderen Bewerbern vorgezogen und könnte in zwei Jahren zum Chef der thailändischen Polizei avancieren.
Der Premierminister hat also seine Machtbasis im Militär und in der Polizei ausgebaut. Seine eigene Partei kann er mit umfangreichen Geldmitteln auf seinen Kurs zwingen, und auch in Geschäftskreisen verfügt er über allerbeste Kontakte. So können in der TRT noch weitere sehr reiche Unternehmer ihren Einfluss geltend machen: Das sind unter anderen Handelsminister Adisai Bodharamik, Transportminister Suriya und Hauptgeschäftsführer Dhanin Chearavanont der Unternehmensgruppe Charoen Pokphand für Petrochemie.
Eine noch relativ junge Institution des thailändischen Regierungssystems, der Senat, den die Vätern der Reformverfassung von 1997 als Gegengewicht zu dem von Klüngelparteien dominierten Repräsentantenhaus schufen, wurde ebenfalls vom Premierminister in Beschlag genommen: Sahad Phinthusenee wurde zum zweiten stellvertretenden Senatssprecher ernannt. Der Senat, dessen Mitglieder gemäß der Verfassung parteiunabhängig sein sollen, wird Ende diesen Jahres eine wichtige Funktion im Amtsenthebungsverfahren gegen neun Kabinettsmitglieder übernehmen. Sahad soll offenbar den noch amtierenden Senatssprecher Manoonkrit, der zur Opposition gerechnet wird, kontrollieren. Nach Ansicht von Senator Chirmsak Pinthong, beherrscht die Regierung nunmehr die Hälfte des Senats.
Sahad soll zu Snoh Thientong in enger Verbindung stehen, der wiederum einer der wichtigsten Stimmenbeschaffer Thaksins ist. Zu Snohs Fraktion im Repräsentantenhaus sollen etwa 60 Abgeordnete zählen. Die Vorgänger Thaksins, Banharn Silpa-archa und Chavalit Yongchaiyudh wurden unter anderen von Snoh und seinen Leuten in ihre Ämter gewählt und später zum Rückzug gezwungen. Auch Thaksin muss auf diese Splittergruppe beständig Rücksicht nehmen. Anfang Oktober ernannte er deshalb die Ehefrau Snohs, die politisch unerfahrene Uraiwan Thientong, zur Kultusministerin.
Die TRT verfügt durch die Einverleibung des Koalitionspartners Pak Khwam Wang Mai von Chavalit Yongchaiyudh und der oppositionellen Partei Chart Patthana unter Korn Dabbaransi über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Thaksin rechnet bei den nächsten Wahlen sogar mit über 400 Mandaten, wohl auch deshalb, weil die Pak Prachatipat (Demokratische Partei, PP) durch den bereits angekündigten Rücktritt ihres Führers Chuan Leekpai im April 2003 wesentlich geschwächt werden dürfte. Ein anderes prominentes Mitglied der PP, Supachai Panitchpakdi, ist vor kurzem Generalsekretär der Welthandelsorganisation geworden, und der designierte Nachfolger Abhisit Vejjajiva gilt als zu jung und unerfahren, um einen ähnlich starken Einfluss wie Chuan ausüben zu können.
Thaksin versucht sich auch die Medien gefügig zu machen. Als das Wochenmagazin Far Eastern Economic Review über die äußerst kritische Thronrede des Königs berichtete, wurde zwei Korrespondenten die Ausweisung wegen Majestätsbeleidigung angedroht. Somchai Homla-or, der Generalsekretär des Forum Asia, macht darüber hinaus Angestellte von Sicherheitsbehörden für anonyme Drohanrufe verantwortlich. Außerdem sind seit dem letzten Jahr sechs Personen, die sich gegen Regierungsprojekte zur Wehr setzten, umgebracht worden. Dr. Poosana Premanoch, Leiter des Institute of Social and Economic Policy, meint deshalb, Thailand entwickle sich zu einem totalitären System. Dagegen regt sich allerdings langsam Widerstand. Der allzu sorglose Einsatz der Anti-Geldwäsche-Kommission gegen 35 regierungskritische Journalisten im März diesen Jahres führte nicht nur zu Solidaritätsaktionen der Berufskollegen, sondern auch dazu, dass ein Gericht das gesamte Vorgehen für rechtswidrig erklärte. Und Oppositionsführer Chuan Leekpai startete im August eine eigene Sendung über das Internet - aus Protest gegen die einseitige Berichterstattung in den von Thaksin kontrollierten Medien.
Der 52-Jährige Thaksin hat kürzlich geäußert, er rechne damit, noch mit 60 zu amtieren. Ob er sich aber wirklich im Sattel halten kann, ist fraglich. In Thailand sind die Parteien in der Regel von wohlhabenden Männern geführte Klüngel, die aus zahlreichen Faktionen bestehen. Solche losen, in erster Linie durch Geld und klientelistische Beziehungen zusammengehaltene Gruppierungen können sehr schnell aus der Taufe gehoben werden - Thaksin hat das vor wenigen Jahren demonstriert -, sie können aber auch ebenso schnell in der Versenkung verschwinden. Der Rückhalt des Premierministers in der Bevölkerung kann bröckeln, wenn die teure populistische Wirtschaftspolitik den Staatshaushalt zu sehr belastet, und auch wenn Thaksin Sparmaßnahmen einleiten muss. Außerdem ist das Militär noch zu sehr gefestigt, um sich die Personalpolitik aufzwingen und sich beispielsweise die Politik gegenüber Burma vorschreiben zu lassen. Es ist also denkbar, dass sich der Premierminister schon bald wieder ganz auf seine Geschäfte konzentrieren wird.
Thailands RegierungenDemokratie in WellenThailands Weg in die Demokratie verlief bisher holprig und hindernisreich. Im Oktober 1973 kam es zu einer erstaunlichen, allerdings nur vorübergehenden Demokratisierung. Ähnlich wie im Mai 1998 in Indonesien waren es demonstrierende Studenten, die das Militärregime stürzten. Das demokratische Intermezzo endete allerdings schon drei Jahre später mit einem neuerlichen Militärputsch. Erst einige Jahre danach setzte ein vorsichtiger Prozess der Öffnung und Liberalisierung ein. Diese Reformen wurden vor allem von Premierminister Prem Tinsulanond (1980-88) durchgeführt und anschließend von Chatichai Choonhavan (1988-91), dem Vorsitzenden der Chart Thai Party (Nationalpartei), fortgesetzt. Es entstand eine ansatzweise demokratische Regierungsform. Wiederum war es ein Putsch des Militärs, der diese Phase beendete. Die Streitkräfte verfügten zunächst über einen beträchtlichen Rückhalt in der Bevölkerung. Als sich aber andeutete, dass sich die Militärs verfassungsrechtliche Privilegien sichern wollten, gewannen oppositionelle Kräfte an Boden. Seit dem Juli/August 1991 entstand so eine neue Demokratiebewegung, die sich in Seminaren, öffentlichen Kundgebungen und Fernsehdiskussionen artikulierte. Trotzdem konnten sich bei den Wahlen vom März 1992 die dem Militär nahe stehenden Parteien durchsetzen. Die im April bekannt gegebene Entscheidung, General Suchinda, den Oberkommandierenden der Streitkräfte, trotz vorheriger Dementis zum Regierungschef zu ernennen, führte dann aber wieder zu einem Anschwellen der Proteste. Diesmal waren es nicht nur Studenten, sondern in starkem Maße auch Berufstätige, Geschäftsleute und Aktivisten nichtstaatlicher Organisationen sowie insgesamt sieben politische Parteien, die die Bewegung trugen. Das durch diese Massenproteste verunsicherte Militär metzelte im Mai 1992 bei einer der Demonstrationen mehr als 100 Menschen nieder. Damit büßten die Streitkräfte ihre Legitimität vollends ein. Mit einem Machtwort beendete der König die politische Krise, und es kam zu demokratischen Neuwahlen. In den folgenden Jahren wechselten in relativ kurzen Abständen eine Reihe von Koalitionsregierungen. Sie wurden meist durch Misstrauensvoten gestürzt. Erst während der Asienkrise gelang es gegen zum Teil erheblichen Widerstand der Machteliten, die sehr fortschrittliche Reformverfassung von 1997 durchzusetzen. Durch die Einführung der neuen Verfassung, der insgesamt 16. in der Geschichte des Landes, sind Grund-und Menschenrechte ausgeweitet worden. Der Senat wird seitdem vom Volk gewählt; die ersten Wahlen fanden Anfang 2000 statt. Darüber hinaus wurden neue Institutionen wie der Zivil-und der Verfassungsgerichtshof, die Nationale Wahlkommission und die Nationale Kommission gegen Korruption geschaffen. Andererseits gehört Thailand neben Indonesien, Südkorea und Malaysia zu den am stärksten von der Asienkrise betroffenen Ländern. Tausende Firmen wurden in die Pleite und Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit getrieben. Damit setzte ein schmerzhafter Anpassungsprozess ein. Das Vertrauen in die politischen und wirtschaftlichen Eliten wurde dadurch auf ein Minimum reduziert. Andreas Ufen |
aus: der überblick 04/2002, Seite 103
AUTOR(EN):
Andreas Ufen:
Dr. Andreas Ufen ist wissenschaftlicher Referent am Institut für Asienkunde. Als Politologe und Sinologe forscht er schwerpunktmäßig zu Herrschaftsstrukturen und Demokratisierungsprozessen in Südostasien.