Mehr Mut, mehr Kompetenz
Die Menschen in Kamerun sollen die Armutsbekämpfung politisch mitgestalten. Dabei werden Organisationen der Zivilgesellschaft aus Deutschland unterstützt. Bevor die internationalen Gläubiger einem Land Schulden erlassen, verlangen sie einen Plan zur Bekämpfung der Armut, an dem die Zivilgesellschaft beteiligt wird. In Kamerun eröffnet das den Kirchen und nichtstaatlichen Gruppen Einflusschancen, darunter auch Partnern des EED und von "Brot für die Welt". Doch viele sind darauf schlecht vorbereitet.
von Thomas Moesch
Mitte Oktober verkündete der nationale Rundfunk Kameruns, dass Deutschland dem Land den größten Teil seiner Schulden bei der Bundesregierung erlassen habe. Das betrifft 350 Millionen Euro aus bundesgedeckten Handelsgeschäften. Darüber hinaus erlässt Deutschland im Rahmen der Kölner Schuldeninitiative von 1999 49 Millionen Euro aus Krediten der Entwicklungszusammenarbeit. Übrig sind nur noch 8 Millionen Euro Handelsschulden. Deutschland war bisher nach Frankreich der größte Gläubiger des zentralafrikanischen Landes.
Die Entschuldung ist Teil der internationalen Entschuldungsinitiative zu Gunsten der armen hochverschuldeten Länder (HIPC), die auf dem Kölner Schuldengipfel der sieben größten Industriestaaten (G7) 1999 erweitert worden war. Insgesamt geht die Weltbank davon aus, dass Kameruns Schuldenberg am Ende um 27 Prozent abgeschmolzen sein wird. Das soll den Schuldendienst auf rund 16 Prozent der Staatseinnahmen (1999: 24 Prozent) senken. Das eingesparte Geld soll in die Armutsbekämpfung fließen. Die Sozialausgaben sollen bis 2005 auf 29 Prozent der Staatseinnahmen steigen (1999: 16 Prozent). Die Regierung muss als Grundlage dieser Entschuldung eine Armutsbekämpfungsstrategie (Poverty Reduction Strategy Paper, PRSP) zusammen mit der Zivilgesellschaft ausarbeiten.
Mit seinem vorläufigen PRSP konnte sich Kamerun im Oktober 2000 für die Aufnahme in die HIPC-Initiative qualifizieren. Damit stehen schon für die rund dreijährige Übergangsphase bis zum Abschluss des Prozesses 320 Millionen Euro zur Verfügung. Diese Entscheidung von IWF und Weltbank stieß nicht überall auf Zustimmung, denn zu den Aufnahmekriterien gehörten auch "gute Regierungsführung", demokratische Reformen, Wirtschaftsreformen sowie Korruptionsbekämpfung. Auf allen diesen Gebieten hatte und hat die Regierung des seit 20 Jahren autokratisch herrschenden Präsidenten Paul Biya nicht viel vorzuweisen.
Die Weltbank, der IWF und die Gläubigerstaaten sahen denn auch die Notwendigkeit, der Zivilgesellschaft in Kamerun zu größerem Einfluss auf den HIPC-Prozess zu verhelfen. So entstand das "beratende Komitee zur Kontrolle und Verwaltung der HIPC-Mittel" (CCS). In diesem Komitee sitzen neben sieben Vertretern der Regierung auch fünf der Gläubiger und sieben der Zivilgesellschaft Kameruns. Die letzteren kommen aus den drei großen Religionsgemeinschaften (Katholiken, Muslime, Protestanten), aus einheimischen nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) sowie aus Wirtschaftsverbänden. Das Komitee wirkt insbesondere an der Auswahl der Projekte mit, die aus Mitteln finanziert werden, die durch die Entschuldung frei werden. Zu den Schwerpunktgebieten gehören Bildung, Gesundheit, Verkehrsinfrastruktur und Landwirtschaft. Derzeit befindet sich das endgültige PRSP in der Endabstimmung zwischen Regierung und Zivilgesellschaft.
Erstmals muss die Regierung Kameruns nun die Zivilgesellschaft an ihrer Ausgabenpolitik beteiligen. Anfangs war kaum eine dieser Gruppen, die Kirchen eingeschlossen, auf diese neue Aufgabe vorbereitet. In Deutschland haben sich die Partner aus dem kirchlichen Spektrum im "Forum Kamerun" zusammengeschlossen, um die Kameruner zu unterstützen. Zu dem Forum gehören unter anderem Brot für die Welt, der EED, Misereor und das Institut Südwind, das die Arbeit des Forums koordiniert. "Anfangs ging es vor allem darum, Informationen auszutauschen", erklärt Rudolf Heinrichs-Drinhaus vom Afrika-Referat des EED die Arbeit der deutschen Partnerorganisationen. "Wir haben Hintergrund-Informationen über das Schuldenproblem und die Entschuldungsinitiative geliefert und im Gegenzug Nachrichten über den Verlauf des HIPC-Prozesses in Kamerun hier in Deutschland weiterverbreitet."
Die Nachrichten aus Kamerun waren am Anfang keineswegs ermutigend. Erwartungsgemäß wusste die Regierung mit dem Gebot zur Beteiligung der Bevölkerung nur wenig anzufangen. "Die Autoren des vorläufigen PRSP sind nicht wirklich überall hingefahren. Sie sind meistens in den Städten geblieben und haben Vertreter von Organisationen und Vereinen in die Präfekturen bestellt", kritisiert Paul Samangassou, der die katholische Bischofskonferenz berät. Entsprechend verhalten fiel auch die Reaktion auf die Inhalte des Papiers aus. Samangassou betont, dass es nicht nur um die Verteilung von Geld gehen könne. Kamerun habe vor allem ein Strukturproblem. Seit Jahren sehe die neue Verfassung eine dezentrale Verwaltung vor. Bis heute ist davon nichts umgesetzt - ein Punkt, den auch die Weltbank als ein wichtiges Hindernis für Reformen in Kamerun ansieht. Noch werden in dem 15-Millionen-Einwohner-Land, das ein Drittel größer ist als Deutschland, alle wichtigen Entscheidungen in der Hauptstadt Jaunde gefällt.
Die katholischen Bischöfe, allen voran der Erzbischof der Wirtschaftsmetropole Douala, Christian Kardinal Tumi, zählen schon lange zu den schärfsten Kritikern der Regierung. Allein aus diesem Grund wollen sie an der Kontrolle des HIPC-Fonds mitwirken. Dagegen ist für die politisch zurückhaltenderen protestantischen Kirchen die Misere ihrer Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen das Hauptmotiv. "Wir hatten bisher einfach keinen Rahmen, um diese Probleme zu lösen", begründet Michel Moukouri das Engagement der evangelischen Kirche.
Der oberste Chef der 239 evangelischen Vor- und Grundschulen ist eine der Stützen des "Club de Yaoundé". Darin haben sich 1998 auf Initiative der evangelischen Kirchen mehrere Organisationen zusammengeschlossen, um an der Reform des Bildungswesens zu arbeiten. Im HIPC-Prozess sieht Moukouri nun die Chance, dem Bildungssektor insgesamt neues Leben einzuhauchen und konkret die Schulden des Staates gegenüber den Konfessionsschulen zu tilgen. Auch er betont, dass das Land sein politisches System grundlegend reformieren müsse, damit die Entschuldungsinitiative Erfolg haben kann.
Die Religionsgemeinschaften haben in Kamerun eine Vorreiterrolle, weil die übrigen Gruppen der Zivilgesellschaft auf nationaler Ebene nach wie vor nur schwach organisiert sind. Das gilt vor allem für die nichtstaatlichen Organisationen (NGOs). Dazu zählen in Kamerun zuallererst die zahlreichen in der Entwicklung tätigen Vereinigungen. Da es keinen allgemein anerkannten Dachverband gibt, war es schwer, die zwei NGO-Vertreter im HIPC-Beratungskomitee auszuwählen. Geholfen hat dabei besonders die deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ), die der Regierung einen Berater für sozialpolitische Fragen stellt und sich bemüht, die Kontakte zu den NGOs als Trägern sozialer Projekte zu verbessern.
22 NGOs wurden ausgewählt, die dann aus ihrem Kreis anhand gemeinsam erarbeiteter Kriterien die zwei Vertreter für das CCS bestimmten. Einer von ihnen ist Jeanot Minla von der Organisation CANADEL, die Bauerngruppen berät. "Die Regierungsvertreter im CCS nehmen uns heute ernst", sagt er. "Noch nie haben wir auf einem so hohen Niveau an staatlichen Entscheidungen mitwirken können." Allerdings klagt auch er, dass das gesamte System sehr kompliziert und schwerfällig ist. Es dauerte Monate, bis das Beratungskomitee erstmals über Projekte entscheiden konnte. Zwei Jahre nach Aufnahme Kameruns in die HIPC-Initiative ist immer noch nicht klar geregelt, nach welchen Kriterien Projekte zur Finanzierung angemeldet werden können. Bisher hat denn auch ausschließlich die Regierung Vorschläge gemacht. Für 2003 haben nun erstmals auch NGOs und Kirchen Anträge gestellt.
Die Partner in Deutschland konzentrieren sich inzwischen darauf, die Zivilgesellschaft zu stärken. Dabei geht es vor allem um den Austausch der Gruppen untereinander. Immer wieder helfen die im deutschen "Forum Kamerun" zusammengeschlossenen Organisationen, Seminare und Konferenzen durchzuführen, und vermitteln Wissen über die Entschuldungsinitiative oder die Antragstellung. Der EED zum Beispiel gibt dafür im Jahr zwischen 10.000 und 20.000 Euro aus. "Wir wollen, dass unsere Partner den HIPC-Prozess selbständig begleiten können", begründet Rudolf Heinrichs-Drinhaus dieses Engagement. Erste Erfolge seien bemerkenswert: "Es hat sich eine Dynamik zwischen den kamerunischen Kirchen und den anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen entwickelt. Heute erheben sie ihre Stimme viel mutiger und kompetenter." Das gelte vor allem für bildungs- und gesundheitspolitisch orientierte Organisationen, aber auch für Bauern- und Frauengruppen.
Trotzdem gebe es noch viel zu tun, schränkt Heinrichs-Drinhaus ein. An der Basis, wo die Armutsbekämpfungsstrategie im Detail umgesetzt werden muss, könnten die Menschen das komplizierte Geflecht der Entschuldungsinitiative noch nicht durchschauen. Außerdem sei das Parlament bisher nicht in den Prozess einbezogen. Kaum ein Abgeordneter der zu drei Vierteln von der Regierungspartei beherrschten Nationalversammlung kennt die Details der HIPC-Initiative. Und die Schuldenprobleme des für die Kirchen so wichtigen privaten Schulwesens harren immer noch einer Lösung. Heinrichs-Drinhaus lobt aber die Offenheit der deutschen Bundesregierung, die sich immer wieder auf einen Dialog mit den hiesigen NGOs einlasse und im kamerunischen Kontrollkomitee eine sehr konstruktive Rolle spiele.
Allen guten Ansätzen zum Trotz gibt es in Kamerun aber auch Stimmen, die der Entschuldungsinitiative skeptisch gegenüber stehen. Alice Tchepannou von einer Kleinkreditbank für Frauen fürchtet, dass wieder einmal die Bürokraten alles unter sich ausmachen: "Um die Armut zu bekämpfen, müsste man an die Basis, wovon diese Leute aber keine Ahnung haben." Tchepannou setzt auf Eigeninitiative: "Wenn wir uns selbst organisieren, dann brauchen wir keinen HIPC-Fonds, damit man auf uns aufmerksam wird." Das zeige der Erfolg ihres eigenen Projekts. Auch ihr Projekt-Partner Justin Bomda von der Organisation ADAF, die Kleinkreditprojekte unterstützt, fragt sich, ob die Armen wirklich Einfluss auf das endgültige PRSP haben werden. Er begrüßt aber, dass die NRO im Kontrollkomitee vertreten sind und so wenigstens die Chance besteht, dass von den HIPC-Geldern auch etwas bei den Ärmsten ankommt.
aus: der überblick 04/2002, Seite 128
AUTOR(EN):
Thomas Moesch:
Thomas Mösch ist freier Journalist und lebt in Hamburg.