Über Afghanistan wird vor allem aus der Perspektive der Bundeswehr berichtet
Die Bilder wiederholen sich wie in einer Endlosschleife. Winkende Kinder, bärtige Dorfälteste, die mit Bundeswehr-Soldaten Tee trinken und Frauen in blauen Burkas, die an deutschen Panzern vorbeihuschen.
von Friederike Böge
Unser Blick auf Afghanistan ist der Blick aus dem Fenster einer Militär-Patrouille. Das liegt daran, dass die meisten deutschen Journalisten, die über Afghanistan berichten, sich von der Pressestelle der Bundeswehr "betreuen" lassen. Sie reisen auf Kosten der Bundeswehr mit einer Transall ein und haben meist nicht einmal ein Visum für Afghanistan. Oft genug beschränkt sich ihr Radius auf das ISAF-Camp – sei es in Kabul, Kundus, Masar-i-Scharif oder Faisabad – und ein paar Fahrten mit gepanzerten Fahrzeugen.
Das hat vor allem finanzielle Gründe. Viele Redaktionen wollen schlicht die Flug- und Übernachtungskosten sparen. Zudem fällt es vielen schwer, die Sicherheitslage einzuschätzen, so dass sie sich lieber auf den Schutz der Bundeswehr verlassen. Bis vor wenigen Monaten war die Sicherheitslage im Norden Afghanistans aber keineswegs so schlecht, dass Recherchereisen mithilfe afghanischer Mitarbeiter nicht möglich gewesen wären.
Als allerdings vor einem Jahr zwei deutsche Journalisten im nordafghanischen Baghlan ermordet wurden, teilte die Bundeswehr mit, die Journalisten seien "auf eigene Faust" unterwegs gewesen. Natürlich war es hochgradig leichtsinnig, ohne afghanischen Begleiter zu reisen und noch dazu auf freiem Feld zu zelten. Doch die Rede von der "eigenen Faust" vermittelte den Eindruck, Journalisten könnten sich jenseits des militärischen Schutzes nicht mehr bewegen. Angesichts dessen, dass zur gleichen Zeit hunderte deutsche Zivilisten im Land lebten, die keineswegs durch bewaffnete Fahrzeuge geschützt waren, mutete dies recht merkwürdig an. In den vergangenen Monaten hat sich allerdings auch die Sicherheitslage für ausländische Zivilisten deutlich verschärft.
Die finanzielle und logistische Abhängigkeit vom Militär spiegelt sich von Anfang an in der deutschen Berichterstattung wieder. Kritische Berichte, etwa über die hohen Kosten des Militäreinsatzes, findet man kaum. Wie effizient ist ein Einsatz, bei dem mehr als zwei Drittel der Soldaten für Backup-Aufgaben eingesetzt werden und niemals das Camp verlassen? Was geschieht eigentlich mit dem Müll, der für viel Geld von einer deutschen Firma nach deutschen Standards im ISAF-Camp getrennt wird, um dann irgendwo in der afghanischen Walachei entsorgt zu werden?
Jahrelang hält sich der Mythos von den "Sozialarbeitern in Uniform", die angeblich Brunnen bohren und Schulen bauen, wie es erst kürzlich wieder in einem ARD-Bericht hieß. Bei näherem Hinsehen wird aus dem Schulbau oft ein kleiner Anbau. Die weitaus meisten Schulen und Brunnen werden von Hilfsorganisationen gebaut. Das wird von den Pressesprechern der Bundeswehr auch keineswegs bestritten, und doch setzt sich in den ersten Jahren des ISAF-Einsatzes in den Medien der Eindruck fest, der Wiederaufbau werde eigentlich von deutschen Soldaten geleistet.
Vor allem deutsche Lokaljournalisten tragen zu diesem Bild bei. Sie werden eingeflogen, um Berichte über "unsere Jungs" zu schreiben. So berichtete das "Hamburger Abendblatt" über einen zupackenden Hamburger Offizier, der sich über die deutschen Hilfsorganisationen ärgert, weil sie nicht seine Projektvorschläge umsetzen. "Die zivilen Organisationen kommen nicht selten mit den falschen Vorstellungen und haben Rosinen im Kopf", sagt der Mann. Er schimpft über den Bürokratismus der Helfer und berichtet, dass die Bundeswehr in sechs Wochen zwei Schulen saniert und eine Klinik gebaut habe. Der Journalist hält es nicht für nötig, bei den Hilfsorganisationen nachzufragen. Einfachste journalistische Standards werden am Hindukusch außer Kraft gesetzt.
Im Jahr 2004 reist eine Gruppe Lokaljournalisten ein, um über die Arbeit norddeutscher Soldaten zu schreiben. Besonders fasziniert sind die Reporter davon, dass die Soldaten Straßenschilder aus ihrer Heimat mitgebracht haben, um sie im Camp aufzustellen. Für die Gruppe wird eine Begegnung mit hochkarätigen Vertretern der afghanischen Zivilgesellschaft organisiert. Die Wahlen stehen vor der Tür. Es gäbe viel zu fragen. Doch die Journalisten interessieren sich mehr für das Buffet als für das Land, in dem sie sich befinden. Die Hilfsorganisationen versäumen es ihrerseits, die eingeflogenen Journalisten für ihre Arbeit zu interessieren. Als das öffentliche Interesse für Afghanistan mit der Diskussion über die Verlängerung des Bundeswehrmandats steigt, verordnen viele Organisationen ihren Mitarbeitern einen Maulkorb. Dabei wären die häufig seit Jahren in Afghanistan lebenden Helfer am besten in der Lage, das krude Afghanistanbild in den Medien zu berichtigen.
Ein Großteil der deutschen Afghanistan-Berichterstattung ist eher eine Berichterstattung über die Deutschen in Afghanistan. Afghanen kommen oft nur als Statisten vor. Das ist einerseits verständlich. Die meisten deutschen Journalisten sind nur für einige Tage im Land und deshalb auf Vermittlung angewiesen. Es gibt keine festen deutschen Korrespondenten im Land. Andererseits werden die Menschen vor Ort so zu Zitatgebern reduziert. Die ständige Rede vom Leben im Mittelalter vermittelt den Eindruck, mit den Afghanen könne man sich im Hier und Jetzt nicht unterhalten.
Interviews auf Augenhöhe mit afghanischen Experten sucht man vergebens. Dabei gäbe es durchaus Analysten und Journalisten, die wertvolle Beiträge zu der durch Ratlosigkeit geprägten deutschen Debatte leisten könnten. Was hält eigentlich die lokale Bevölkerung vom heiß diskutierten zivil-militärischen Konzept der deutschen Wiederaufbauteams im Norden? Wir wissen es nicht. Wie wird eigentlich in Afghanistan über mögliche Friedensansätze jenseits militärischer Lösungen diskutiert? Wir wissen es nicht. Ein Vorschlag von SPD-Chef Kurt Beck, mit moderaten Taliban zu verhandeln, wird als absurd abgetan, obwohl afghanische Medien und Parlamentarier seit langem darüber diskutieren.
Bestimmt wird die Berichterstattung über Afghanistan seit Monaten von Meldungen über Bombenanschläge und Entführungen. Die gehören zwar zur Realität, sind aber nur ein kleiner Teil davon. Der Rest kommt immer seltener vor. Damit verengt sich das Bild zu einer Fratze aus Chaos und Gewalt. Doch währenddessen geht das Leben der meisten Afghanen einfach weiter.
aus: der überblick 04/2007, Seite 46
AUTOR(EN):
Friederike Böge
Friederike Böge, einst Hospitantin beim "überblick" und danach Redakteurin bei der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und Reuters, hat drei Jahre in Afghanistan gearbeitet, unter anderem als Medienberaterin für den Deutschen Entwicklungsdienst.