Kuba sucht einheimische Energiequellen und findet Wind, Sonne und Biomasse
Die kleine Solaranlage ist der ganze Stolz von Carlos Rodriguez Reyes, und sie ermöglicht ihm die Arbeit am Ende der Welt. Reyes ist Hausarzt in El Yarey, einem kleinen verschlafenen Örtchen mitten in der Sierra Maestra - rund einhundert Kilometer entfernt von der Ciudad Heroíca, der Heldenstadt Santiago de Cuba, wo 1953 mit dem Sturm auf die Moncada-Kaserne die Revolution begann.
von Knut Henkel
Nach El Yarey geht niemand freiwillig. Es sei denn, er oder sie ist hier aufgewachsen. Denn Strom gibt es in den Bergen der Sierra nicht. Eine Überlandleitung scheint der kubanischen Regierung zu teuer zu sein. Und so musste Dr. Reyes früher schon mal im Schein einer Petroleumlampe eine Wunde versorgen. Seit einigen Jahren sorgt jedoch die Solaranlage für Licht und liefert Energie, um den Kühlschrank, die Funkanlage und ein Radio zu speisen. El Yarey hat Anschluss gefunden an den Rest der Insel.
Zu verdanken hat Reyes das kleine Wunder, das ihn im Dorf zu einem gern besuchten Mann macht, einem Solidaritätsprojekt mit dem Berliner Verein zur Förderung alternativer Energien in der Karibik (KarEn). Eine ganze Reihe von Ärztehäusern in abgelegenen Landstrichen wurden auf diesem Wege elektrifiziert - nicht nur von KarEn, sondern auch vom österreichischen Verein "Sonne für Cuba". Der internationale Verein Eurosolar mit Hauptsitz in Bonn hingegen rüstet eine Reihe von Schulen mit Solaranlagen aus. Ansprechpartner auf kubanischer Seite sind Institute wie das in Santiago de Cuba ansässige Solar-Forschungsinstitut CIES (Centro de Investigaciones de Energía Solar), die nichtstaatliche Organisation Cubasolar oder die verantwortlichen Ministerien. Dort hat sich mittlerweile herumgesprochen, wie gut Kubas Voraussetzungen sind, mit Hilfe von alternativen Energieträgern aus der latenten Energiekrise herauszukommen. Wind, Sonne und Biomasse gibt es auf der Insel in Hülle und Fülle, nur mit der Nutzung im größeren Stil hapert es noch.
Das soll sich nun langsam ändern. Die Abteilung Kernenergie im zuständigen Ministerium für Grundstoffe wurde Ende letzten Jahres aufgelöst und die Abteilung für regenerative Energien personell erheblich aufgestockt. Dem war Mitte Dezember 2000 die Entscheidung vorangegangen, das gemeinsam mit der Sowjetunion geplante Kernkraftwerk von Juraguá bei Cienfuegos nicht fertigzustellen. Bekannt gegeben wurde das Ende für die rund eine Milliarde US-Dollar teure Investitionsruine anlässlich des Besuchs von Russlands Präsident Wladimir Putin. Allerdings hatte sich die Regierung Castro nicht ganz freiwillig von dem 1976 geplanten Prestigeprojekt getrennt. Es war schlicht nicht mehr finanzierbar.
Die kleine Fraktion der Spezialisten in Sachen regenerativer Energie hat das Aus für den Doppelreaktor beklatscht. Sie hofft bereits seit einigen Jahren auf die nötigen Mittel, um alternative Energiekonzepte zu erproben und in größeren Maßstab in die Praxis umzusetzen. Zwar wurde bereits Ende der achtziger Jahre ein nationales Programm zur Förderung der nationalen Energiequellen aufgelegt und 1993 konkretisiert und erweitert, aber Geld floss nur in sehr bescheidenem Rahmen in dieses Programm. Vor allem Studien, die von verschiedenen Instituten erarbeitet wurden, haben durchaus günstige Ergebnisse erbracht, erklärt Dr. Oscar Jiménez Cabaza, ein Spezialist für regenerative Energien der staatlichen Agentur für Technik-Wissenschaften (ACYT) in Havanna.
Größere Projekte sind jedoch Mangelware. Selbst der 1993 fertig geplante Windpark von Santa Cruz del Norte musste wegen der chronisch leeren Regierungskasse gestrichen werden. "Zwei kleinere Anlagen, eine zu Versuchszwecken und eine größere mit zwei Turbinen à 225 Kilowatt in Ciego de Avila, sind alles, was in Kuba bisher steht", sagt Dr. Jiménez bedauernd. Dabei weht auf der Insel immer ein laues Lüftchen, das viele Kleinbauern nutzen, um kleine Pumpen zur Wasserversorgung anzutreiben. 7000 derartiger Kleinturbinen gibt es mindestens auf der Insel, von denen die meisten vor Ort gebaut wurden.
Für größere Projekte fehlt es nicht nur am Geld, sondern auch am Know-how. Über Kooperationen hoffen die Kubaner weiterzukommen. Mehrere Unternehmen, darunter zwei aus Deutschland und eines aus Österreich, haben Interesse bekundet, in Kuba zu investieren. Derzeit laufen die Verhandlungen über die Gründung von Gemeinschaftsunternehmen, so Jiménez, der als Fachmann von kubanischer Seite daran beteiligt ist.
Auch bei der Sonnenenergie kam der Anstoß weitgehend von außen, erklärt Reinhard Pietsch von Eurosolar. Seit 1993 fährt der Solarexperte mehrmals im Jahr nach Kuba, um Internatsschulen auf dem Land auf die Nutzung von regenerativen Energien umzustellen. Dort war die Situation zu Beginn der neunziger Jahre verheerend. "Die Energieversorgung war weitgehend zusammengebrochen, und in vielen Schulen behalf man sich mit dem Abholzen nahegelegener Wälder, um Essen zu kochen", erinnert sich Pietsch. Gemeinsam mit dem Bildungsministerium wurde eine Pilotschule, die Ernesto-Guevara-Schule in der Provinz Havanna, als Modell ausgewählt. Sonnenkollektoren garantieren warmes Wasser, die Wasserversorgung funktioniert über Windmühlen, Solarzellen sorgen für die Außenbeleuchtung, und ein Windgenerator dient als Notstromaggregat. Gekocht wird hingegen auf selbstgebauten hocheffizienten Herden.
Das Modell hat auf der Karibikinsel Schule gemacht - unter anderem weil das Projekt auf dem Ansatz "Hilfe zur Selbsthilfe" basiert. Schüler und Lehrer, unterstützt von Spezialisten, entwickeln das Konzept für ihre Schule, setzen es selbst um und sorgen für den Erhalt des Entstandenen.
Die Erfolge haben eine Eigendynamik in Gang gesetzt. Landesweit sollen, so ein Programm des Erziehungsministeriums im Verbund mit anderen Ministerien, nun 2000 Schulen mit Fotovoltaik-Anlagen ausgestattet werden. Parallel dazu wurde ein Programm zur Erneuerung bestehender Anlagen in Kindergärten aufgelegt. Dadurch dürfte die Fabrik für Fotovoltaikmodule in Pinar del Río mit vollen Auftragsbüchern rechnen können. Der Betrieb, der zum Teil mit deutschen Mitteln errichtet wurde, exportiert seine Module seit kurzem auch in die Bundesrepublik. Auf der Europäischen Fotovoltaik-Konferenz, die kürzlich in München stattfand, ernteten die Module aufgrund ihrer guten Qualität Beifall von der Fachwelt.
Dennoch genießt die nationale Erdölproduktion in Kuba Priorität. So macht sich das neue Engagement für alternative Energien in der Energiebilanz noch nicht bemerkbar. Allerdings hat sich das Verhältnis zwischen dem Import und der Eigenförderung von Erdöl in den letzten Jahren merklich verändert. Die beträchtliche Steigerung von 670.000 Tonnen, die 1990 gefördert wurden, auf 2,65 Millionen Tonnen Erdöl der kubanischen Produktion im letzten Jahr kam durch die Kooperation mit internationalen Konzernen auf Basis von Risikoverträgen zustande. Die internationalen Unternehmen tragen dabei das Investitionsrisiko. Sind die Bohrungen erfolgreich, werden die Investitionen rückerstattet und der Gewinn aus der Förderung geteilt.
Mit diesem Modell, das 1993 aufgelegt wurde und auf zwei Konferenzen in Kanada und London potentiellen Investoren vorgestellt wurde, sind die Kubaner recht gut gefahren. Die Insel wurde in 33 Explorationsblöcke eingeteilt, die ausgeschrieben wurden. Zwar haben sich einige Investoren zurückgezogen, nachdem sie nicht fündig geworden waren, aber nach wie vor sind rund ein Dutzend Firmen, darunter der brasilianische Energiekonzern Petrobras, in Kuba tätig. Große Vorkommen wurden bisher zwar nicht entdeckt, aber eine ganze Reihe kleinere, so dass der Minister der Grundstoffindustrie, Marcos Portal, davon ausgeht, im laufenden Jahr rund 3 Millionen Tonnen Erdöl nebst größerer Mengen an Erdgas fördern und damit etwa 70 Prozent des Strombedarfs decken zu können.
Allerdings ist das heimische Erdöl größtenteils ausgesprochen schwer und schwefelhaltig. Ein Grund, weshalb sämtliche Kraftwerke des Landes in den letzten acht Jahren modernisiert und einige neue gebaut wurden. Zusätzliche Mittel flossen in die Modernisierung des teilweise recht maroden Leitungssystems. Insgesamt wurde, so der Minister, in den letzten acht Jahren eine Milliarde US-Dollar in das Elektrizitätssystem investiert. Stromabschaltungen, unter denen die Bevölkerung besonders 1993 und 1994 zu leiden hatte, sind heute die Ausnahme.
Dazu beigetragen haben auch die Energiesparkampagnen der Regierung. Im letzten Jahr wurden zwei Energiesparlampen pro Haushalt für einen symbolischen Preis ausgegeben, um den nationalen Stromverbrauch weiter zu drosseln. Kampagnen an den Schulen sollen der neuen Generation ein Problembewusstsein für Energienutzung und -verbrauch vermitteln, und immer wieder finden sich in der wichtigsten Tageszeitung des Landes, dem Parteiblatt Granma, Artikel, wie sich der eigene Stromverbrauch senken lässt.
Das ist für die Bevölkerung seit einigen Jahren durchaus von Interesse. 1994 wurde der bis dahin gültige fixe Obolus durch einen Staffeltarif nach Verbrauch ersetzt. Seitdem wird nicht mehr durchgehend das Licht angelassen, und auch Fernseher und Radio laufen nicht mehr überall parallel. Langsam stellt sich in Kuba so etwas wie ein Energiebewusstsein ein, nachdem sich das Land lange Jahre auf die pünktlichen und subventionierten Lieferungen aus der Sowjetunion verlassen konnte und wollte. 13 Millionen Tonnen Erdöl lieferte die UdSSR bis Ende der achtziger Jahre, dann wurde die Lieferquote gedrosselt, und der Export kam schließlich ganz zum Erliegen. Kuba erlebte seine erste ernsthafte Energiekrise, die wesentlich zur Wirtschaftskrise beitrug.
Die Entwicklung und Förderung der eigenen Energieressourcen hatte man bis dahin sträflich vernachlässigt. Alternativen zur einseitigen Importabhängigkeit wurden zwar immer mal wieder von Fachleuten diskutiert, doch erst 1987 wurde ein Programm zur Förderung der nationalen Energieressourcen nebst einer Energiesparkampagne verabschiedet, um sich langfristig unabhängiger von den Lieferungen der UdSSR zu machen. Ein wesentliches Augenmerk lag dabei auf der Nutzung der in großem Maßstab anfallenden Biomasse.
Die wogenden Zuckerrohrfelder sind ein Charakteristikum Kubas und zugleich die wichtigste nationale Energiequelle. Die ausgepressten Zuckerrohrstangen, das Stroh, aber auch ein Teil des anfallenden Zuckerrohrsafts sind wertvolle Abfallprodukte der Zuckerproduktion, aus denen sich immense Mengen an Energie gewinnen lassen. Bei einer durchschnittlichen Ernte fallen wenigstens 25 Millionen Tonnen Biomasse an, erklärt Ramon Pichs Madruga, Wissenschaftler der nationalen Energiekommission (CNE). Dieses beträchtliche Potenzial an Biomasse wird in Kuba allerdings nur bedingt genutzt. Zwar werden ausgepresste Stengel in vielen Zuckermühlen zerkleinert, zu Briketts gepresst und verfeuert, aber nur ein Teil des Materials (rund 30 Prozent) landet auch in den Öfen der 156 kubanischen Zuckerfabriken.
Zudem sind die meisten Verbrennungsöfen technisch vollkommen veraltet. Sie stammen teilweise noch aus der Zeit vor der kubanischen Revolution und liefern demzufolge nur relativ wenig Energie, mit der die Zuckermühlen angetrieben werden. Der magere Überschuss fließt ins nationale Elektrizitätssystem. Derzeit werden sieben Prozent des Stromverbrauchs über die Verbrennung von bagazo erzeugt - so wird dieser Brennstoff in Kuba genannt -, erläutert der Diplomingenieur Antonio Valdés Delgado von AYCT. Pro Tonne bagazo werden zwischen 15 und 25 Kilowattstunden Strom gewonnen. "Ein äußerst niedriger Wert im internationalen Vergleich", so Valdés. So sind auf den Zuckerinseln Guadaloupe und Réunion Hochdruckverbrennungsanlagen in Betrieb, die 120 Kilowatt pro Tonne erzeugen - immerhin das Fünffache der kubanischen Ausbeute. Mit modernster Technik lassen sich jedoch bis zu achthundert Kilowatt pro Tonne Bagasse erzeugen. "Dann wären wir in der Lage, Energie zu exportieren, statt sie zu importieren", sagt der Zuckerrohrspezialist lächelnd.
Das ist nicht mehr als ein schöner Traum für den Wissenschaftler, denn Kuba fehlt es am Kapital, um derartige Anlagen zu installieren. Zwischen sechzig und hundert Millionen US-Dollar kostet eine derartige Hochdruckanlage mit 60 Megawatt Leistung, erläutert Valdés. Zuviel Geld für das bettelarme und hochverschuldete Kuba. Auf fünf Milliarden US-Dollar schätzt der Ingenieur das Investitionsvolumen, falls man alle der in Frage kommenden Zuckermühlen damit ausstatten würde. Zwischen fünfzig und sechzig Mühlen wären das, denn bei den kleinen Anlagen, die zum Teil aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts stammen, lohne sich die Investition nicht mehr.
Immerhin ist auch in diesem Bereich ein Anfang gemacht. Zwei Zuckermühlen sollen mit derartigen Anlagen ausgerüstet werden, so der Minister für Grundstoffindustrie, Marcos Portal, auf einer Konferenz im Mai des Jahres. Auf die Finanzierungsmodalitäten ging er allerdings nicht ein.
Dreizehn Jahre nachdem das erste Förderprogramm für alternative Energien verabschiedet wurde, sprießen die ersten größeren Früchte. Kleinere werden hingegen schon lange geerntet. Nicht nur im Solarbereich, sondern auch beim Biogas haben nichtstaatliche Organisationen wie "Brot für die Welt" den Stein ins Rollen gebracht. Mehrere Biogasanlagen wurden unter der Regie des Entwicklungsbüros des ökumenischen Rates Kubas (DECAP) errichtet. Die Provinz Matanzas gilt mittlerweile als Hochburg der Biogaserzeugung, dank des Engagements der Kirche und weiterer nichtstaatlicher Organisationen. Und die Zusammenarbeit mit den staatlichen Stellen läuft wie geschmiert, so der Direktor des DECAP, José García Varela.
Die Erfolge sprechen für sich; mit ihnen ist die Akzeptanz in den Ministerien gewachsen. Der Umdenkprozess in Kuba ist in vollem Gange, und nicht nur Landärzte wie Carlos Rodriguez Reyes singen ein Loblied auf die alternative Energie. Die hat ihm nicht nur Licht gebracht, um auch nachts zu operieren, sondern auch den Kühlschrank, in dem er neben Medikamenten sein Bier kühlt.
aus: der überblick 04/2001, Seite 30
AUTOR(EN):
Knut Henkel:
Knut Henkel ist freier Journalist mit Schwerpunkt Lateinamerika und schreibt für die »Neue Zürcher Zeitung«, »die tageszeitung« und andere Medien.