Eine Kampagne will in Indien naturnahen Reisanbau fördern und gen-veränderte Sorten verhindern
Die Vereinten Nationen haben 2004 als internationales Reis-Jahr ausgerufen. Das war nicht das erste Mal: Schon 1966 war mit einem ähnlichen Jahr die Grüne Revolution vorangetrieben worden. Deren Auswirkungen waren überwiegend schädlich, meinen viele indische Reisbauern.
von Christina Kamp
Die Grüne Revolution hat zur Mechanisierung der Landwirtschaft, zur Abhängigkeit der Bauern von Kunstdünger und Pestiziden, zu Monokulturen und zu einem drastischen Rückgang der biologischen Vielfalt in der Landwirtschaft geführt. Diese negative Bilanz zogen im Dezember 2004 einhellig Reisbauern und nichtstaatliche Organisationen (NGOs) darunter Partner des EED auf einer Reiskonferenz in Kumbalangi im südindischen Bundesstaat Kerala.
Nun droht mit der Gen-Revolution neue Gefahr. Eine Task Force zum Einsatz von Biotechnologie in der Landwirtschaft unter Leitung von M.S. Swaminathan, dem Vater der Grünen Revolution, hat der indischen Regierung Mitte vergangenen Jahres Regulierungsmechanismen für den Einsatz von Gentechnik in der indischen Landwirtschaft empfohlen und damit quasi den künftigen Einsatz von Biotechnologie festgeschrieben. Ausgenommen werden soll die Forschung an wichtigen Exportprodukten wie Basmati-Reis, Sojabohnen und Darjeeling-Tee. Bislang wird in Indien vor allem genetisch veränderte Baumwolle angebaut. Mit genveränderten Nahrungsmitteln werde, so befürchten verschiedene indische NGOs, bereits experimentiert, ohne dass darüber öffentlich etwas bekannt werde. Der Bericht der Task Force greife die kritische Gentechnik- Debatte nicht auf und folge dem Ansatz Erst umsetzen, analysieren können wir später, betont die NGO Thanal aus Kerala in ihrer umfassenden Kritik am Swaminathan- Bericht. Es bestehe in Indien keine Notwendigkeit, Gentechnik einzusetzen, nur weil sie verfügbar sei, und dabei unberücksichtigt zu lassen, dass diese Technologie riskant sei und auf bäuerliche Gemeinschaften gefährliche Auswirkungen haben könne.
Die mit genetisch verändertem Reis verbundenen Risiken sind noch lange nicht erforscht. Anders als zum Beispiel bei Mais in Mexiko ist die Gefahr der Auskreuzung von genveränderten Reissorten mit traditionellen Sorten zwar geringer. Denn Reispflanzen seien zu 95 Prozent selbstbestäubend, erklärte V.R. Harikrishnan von Thanal. Aber es komme auch Fremdbestäubung vor, so dass die Gefahr nicht gebannt sei.
Auch ohne genetisch veränderte Nahrungsmittel stehen die indischen Reisbauern vor großen Problemen. Vor allem um einen nachhaltigeren Anbau und um die Wiederherstellung der Sortenvielfalt ging es auf der indischen Reiskonferenz im Dezember 2004, die Thanal zusammen mit SEWA (Self Employed Women's Association, Kerala) und dem Pestizid-Aktionsnetzwerk Asien-Pazifik (PAN-AP, Malaysia) organisiert hat.
Reis ist in Indien wie in vielen anderen asiatischen Ländern nicht nur ein landwirtschaftliches Produkt und ein wichtiges Nahrungsmittel. Reis ist ein integraler Bestandteil unseres Lebens, unserer Kultur, unserer Wertesysteme, sagt Usha Jayakumar, die Kampagnenkoordinatorin von Thanal. In Kerala ist Reis die erste feste Nahrung, die ein Baby zu sich nimmt. Auch in vielen religiösen Zeremonien spielt Reis eine Rolle. Zur Hindu-Hochzeit gehört ein mit Reis gefülltes traditionelles Gefäß als Zeichen für Wohlstand, und das Brautpaar wird bei der Ankunft im Haus des Bräutigams mit Reiskörnern beworfen.
Auch der Reisanbau ist eng mit dem religiösen Glauben der Menschen verbunden. So werden, berichtete Louis Figaredo aus Wayanad, in dieser Bergregion im Norden von Kerala die Götter konsultiert, wenn es darum geht, den richtigen Zeitpunkt für die Aussaat zu bestimmen. Im Flachland, in Kuttanad, beginnt man mit der Aussaat, indem man zuerst ein hinduistisches Om (oder bei Christen ein Kreuz) in einer Ecke des Reisfeldes aussät.
Obwohl der Reis eine so zentrale Rolle spielt, haben viele Bauern heute die Verfügungsgewalt darüber weitgehend verloren. Reisfelder machen dem Anbau von cash crops Platz Agrarprodukten, mit denen sich kurzfristig mehr Geld verdienen lässt. Im schlimmsten Fall geben die Bauern im Rahmen des Vertragsanbaus die Kontrolle über die Bewirtschaftung der Felder vollständig ab. Damit sinken deutlich die Anreize, nachhaltige Anbaumethoden zu bevorzugen. Saatgut für Hochertragssorten wird heute in der Regel vom Landwirtschaftsministerium zur Verfügung gestellt. Traditionelle Sorten und das Wissen um ihre unterschiedlichen Eigenschaften sind in vielen Gegenden verschwunden. Die Böden und das Wasser sind mit Agro-Chemikalien verseucht, die in anderen Ländern zum Teil längst verboten sind.
Vor der Grünen Revolution seien jeweils fünf bis zehn Prozent der Reisernte Schädlingen zum Opfer gefallen, schätzt Zakir Hussain vom Centre for Sustainable Agriculture in Andhra Pradesh. Rechnet man heute die Einkommensverluste infolge des Kaufs von immer mehr und immer teureren Pestiziden dagegen und zusätzlich die gesundheitlichen Folgen und die Umweltschäden, die überhaupt nicht erfasst werden, so sei die Bilanz niederschmetternd.
Gleichzeitig sei das Ziel, eine wachsende Bevölkerung zu ernähren, nicht erreicht worden. Noch immer hält sich der Mythos "Grüne Revolution". Diesen Mythos müssen wir zerstören, so der Aufruf von Jacob Nellithanam von der Richaria Campaign in Chhattisgarh. Der Zugang der Bevölkerung zu Nahrungsmitteln habe sich verschlechtert, ebenso die Qualität des Nahrungsmittelangebots. Armut und Abhängigkeit der Bauern haben zugenommen, berichteten Teilnehmende aus verschiedenen wichtigen Reisanbau-Regionen, darunter Tamil Nadu, Kerala, Chhattisgarh, Orissa und West-Bengalen. In Gegenden in Andhra Pradesh und Karnataka, die für den Reisanbau wenig geeignet seien, werde Reis dennoch propagiert. Eine Fehlentwicklung, wenn man den Reisanbau nachhaltig gestalten will, meinen die Kritiker.
In wichtigen Reisanbaugebieten, wie zum Beispiel in der wasserreichen Gegend von Kuttanad in Zentral-Kerala, wurde der Reisanbau auf Hochertragssorten umgestellt. Statt einer Ernte pro Jahr (bzw. einer Ernte alle zwei Jahre zu Anfang des 20. Jahrhunderts) werden nun zwei Ernten jährlich erzielt. Um den Reisanbau auch auf Flächen möglich zu machen, die unter dem Meeresspiegel liegen, wurden gravierende Einschnitte in die Landschaft vorgenommen. Die Felder wurden eingedeicht. Im Rahmen eines so genannten integrierten Intensivierungsprogramms wurden Dämme und Schleusen gebaut, um das Eindringen von Salzwasser zu verhindern. Das Wasser der großen Flüsse aus den Bergen der Western Ghats wird durch Staudämme zurückgehalten. Die Folge: Hatte es früher in den Fluss- und Kanalsystemen einen periodischen Austausch von Salz- und Süßwasser gegeben, so wird dies heute verhindert.
Durch diese Eingriffe hat sich das gesamte Ökosystem der Region gravierend verändert. Die Wasserverschmutzung in den Seen, Flüssen und Kanälen habe dramatisch zugenommen, berichtete P. Ajay aus Neelamperoor bei Kottayam. Auf den Feldern werde Kunstdünger eingesetzt, außerdem Herbizide und Insektizide. Die chemischen Rückstände lagern sich im Schlamm der kaum noch bewegten Gewässer ab. Viele Fisch- und Vogelarten kommen kaum noch vor. Früher war der Fischfang in den Reisfeldern von Kuttanad eine wichtige Nahrungs- und Einkommensquelle der Reisbauern. Seit den 1980er Jahren ist es damit vorbei, berichtete Dr. Padmakumar, Professor für regionale Landwirtschaft in Kumarakom. Viele Menschen leiden an Krebs und an Krankheiten, die durch verseuchtes Wasser übertragen werden. Denn Trinkwasser ist äußerst knapp, und viele Familien holen mangels Alternative ihr Wasser zum Kochen und Waschen weiterhin aus dem Fluss oder Kanal vor dem Haus.
Um den Fischfang auf den Feldern wieder möglich zu machen, müsste der Chemikalien-Eintrag wesentlich verringert werden. Dass dies in absehbarer Zeit geschieht, ist unwahrscheinlich. Nach wie vor subventioniert die Regierung den Einsatz von Kunstdünger und Pestiziden. Und die Bevölkerung in dieser Region ist sehr viel stärker am schnellen Geld interessiert entweder zum täglichen Überleben oder zur raschen Anhebung ihres Lebensstandards als an nachhaltiger Entwicklung. Für Kuttanad habe ich ehrlich gesagt nicht viel Hoffnung, sagt Usha Jayakumar von Thanal. Es ist ein großes Gebiet und durch das Wasser eng verflochten. Einzelne Bauern, die organischen Anbau betreiben möchten, können hier nicht viel ausrichten. Da muss schon die Regierung etwas tun, oder die Menschen müssten sich organisieren.
Die Berge von Wayanad im Nordosten von Kerala sind eine der wenigen Regionen, wo der traditionelle Reisanbau noch eine Rolle spielt. Hier baut zum Beispiel Ramachandran auf einer Fläche von rund 2,5 Hektar fünf verschiedene Reissorten an, davon vier traditionelle einheimische Sorten und eine Hochertragssorte. Vielfalt hat hier Tradition. Schon in früheren Generationen konnte durch den Anbau verschiedener Reissorten die Ernährung der Familie gesichert werden. Denn gibt es bei einer Sorte Ernteausfälle, so ist die Chance, dass die anderen bessere Erträge bringen, durchaus hoch. Da die Reisfelder in Wayanad kaum bewässert werden und die Bauern sich auf den Regen verlassen müssen, wird nur einmal im Jahr Reis geerntet. Dazwischen werden zum Beispiel Bohnen oder Erbsen angebaut, um den Boden mit Stickstoff anzureichern.
Doch der Reisanbau lohne sich kaum noch, klagen die Bauern. Immer häufiger stellen sie deshalb auf Bananen um, aus denen vor allem Bananenchips für den einheimischen Markt hergestellt werden. Kurzfristig lässt sich damit mehr Geld verdienen. Doch die Krise der Landwirtschaft wird dadurch weiter verschärft. Denn der Bananenanbau erfordert nicht nur sehr viel mehr Wasser, sondern bringt auch einen erheblich höheren Chemikalien- Einsatz mit sich. Auch die Erwerbsmöglichkeiten für Adivasis (Angehörige von indigenen Völkern) in Wayanad sind dramatisch zurückgegangen. Landlose Adivasis wie die Paniyar, die unter dem früheren feudalen System als Sklaven arbeiten mussten, verdienen heute ihren Lebensunterhalt vor allem auf den Reisfeldern. Durch den starken Rückgang des Reisanbaus haben sie kaum noch Einkommensmöglichkeiten.
Chancen für die Bauern in Wayanad bietet der organische Anbau. Der bringt höhere Erträge, sagt Danesh Kumar von RASTA (Rural Agency for Social & Technological Advancement) in Kalpetta. Einige Bauern haben sich darauf eingelassen, quasi als letzten Ausweg. Und sie haben gesehen, dass es funktioniert. Ähnliche Erfahrungen haben auch Reisbauern in anderen Teilen Indiens gemacht, etwa Nammalvar von der Tamizhina Vazhviyal Multiversity in Tamil Nadu oder die Green Foundation in Karnataka. Beide setzen beim integrierten Anbau vor allem auf traditionelle Reissorten. Die Green Foundation hat dafür eine Saatgut-Bank eingerichtet. Auf der Reiskonferenz in Kumbalangi begannen einige der Teilnehmer bereits, untereinander Saatgut auszutauschen.
Die Richaria Campaign (benannt nach dem bekannten Wissenschaftler und früheren Direktor des Zentralen Reis-Forschungsinstituts in Cuttack, R.H. Richaria) kämpft für den Schutz der so genannten Raipur Collection, einer von Richaria zusammengestellten Sammlung von rund 22.500 Reissorten. Ihr genetisches Material wird derzeit in der Indira Gandhi Agricultural University (IGAU) in der Nähe von Raipur aufbewahrt. Darunter sind ertragreiche Sorten, die weitaus besser an die jeweiligen ökologischen Bedingungen angepasst sind als der heute dominierende Hybrid-Reis. Die Universität wollte die Sammlung an den Syngenta-Konzern verkaufen, was zu massiven Protesten geführt hat. Die Richaria Campaign fordert, dieses Saatgut öffentlich zur Verfügung zu stellen.
Unterstützt wird sie dabei von der auf der Konferenz von Kumbalangi angestoßenen indischen Save our Rice-Kampagne. Ihr geht es nicht nur um die Rettung von Reis, sondern um die Lebensgrundlage der Menschen, betont der Agrarwissenschaftler Devinder Sharma. Ein Partner von Brot für die Welt, das Raipur Churches Relief and Development Committee, arbeitet mit der Reiskampagne zusammen. Diese wird vom EED mit finanziert und ist eingebettet in die asiatische Save our Rice-Kampagne, die seit Anfang 2003 in mehreren Ländern tätig ist und von PAN-AP koordiniert wird.
Die Erklärung von Kumbalangi umreißt die Ziele der geplanten Kampagne in Indien: der ökologische Reisanbau der Dorfgemeinschaften soll, aufbauend auf dem traditionellen Wissen, mit angepassten Methoden gefördert werden; chemische Düngemittel und Pestizide sollen verboten werden; der Anbau genveränderter Organismen und von in Labors hergestellten Hybrid-Reissorten soll nicht zugelassen werden; das genetische Material der Reissorten Indiens, die in den Reisforschungsinstituten aufbewahrt werden, soll an die Gemeinschaft zurückgegeben und das Wissen darüber veröffentlicht werden; die Patentierung von Leben, traditionellem Wissen und traditionellen Methoden soll nicht erlaubt werden; und die Landwirtschaft soll aus allen bestehenden und zukünftigen Handelsabkommen herausgelöst werden.
Um diese Ziele zu erreichen, wollen die an der Konferenz beteiligten 57 Bauernorganisationen und NGOs in Zukunft zusammenarbeiten und weitere Akteure in ihren jeweiligen Bundesstaaten einbeziehen. Der Prozess der Bewusstseinsbildung und Problemlösung wird in einigen Regionen sicher mehr, in anderen vielleicht weniger Zeit brauchen. Aus Sicht der Organisatoren von Thanal ist die Erklärung von Kumbalangi in gewisser Weise romantisch, die dort gesteckten Ziele seien aber nicht unmöglich zu erreichen. Die Kampagne müsse nun auch andere Bauern überzeugen, dass Agro-Chemikalien für den Reisanbau nicht nötig seien. Bauern, die bereits gute Erfahrungen mit dem organischen Anbau gemacht haben, wollen diese lokal weitergeben. In Kerala haben vor allem Lokalverwaltungen (Panchayats) großes Interesse an der Kampagne bekundet. Die Kontroversen beginnen jetzt erst, sagt R. Sridhar von Thanal.
aus: der überblick 02/2005, Seite 95