Chinas Afrikapolitik wirkt westlichen Demokratisierungsbestrebungen entgegen
Für China ist Afrika nicht nur ein attraktiver neuer Markt und eine Rohstoffquelle. Um seine Interessen in internationalen Foren durchzusetzen, bedient sich China auch gerne der diplomatischen Unterstützung durch Länder des Südens. Deren Gunst erwirbt Peking dadurch, dass es ablehnt, sich in »innere Angelegenheiten« anderer Staaten einzumischen. Afrikanische Alleinherrscher haben dann ein leichteres Spiel, westliche Forderungen nach Demokratie und Menschenrechten zu umgehen.
von Denis M. Tull
Für einige Tage im Sommer 2005 waren Afrikas Entwicklungsperspektiven ein Schwerpunkt der Berichterstattung in den Medien und öffentlichen Debatten. Im Nachhinein betrachtet, droht sich das aber nur als ein Strohfeuer von begrenzter Wirkung zu erweisen. Hat Afrika tatsächlich nur eine so geringe Bedeutung?
Etwa drei Jahrzehnte lang waren die USA, die Sowjetunion und die beiden ehemaligen Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien die einzigen Länder, die in Afrika südlich der Sahara strategische Interessen vertraten. Mit dem Ende des Kalten Krieges verloren sie aber an Bedeutung. Nahezu unbemerkt hat aber die Volksrepublik China im Verlauf der vergangenen 10 bis 15 Jahre ihren Einfluss in der Region ausgebaut. Und Chinas Rückkehr auf den Kontinent dürfte dort auf lange Sicht eine der bedeutsamen Entwicklungen sein. Sichtbares Indiz ist zunächst die an manchen Orten große Zahl chinesischer Bürger, Unternehmer und staatlicher Vertreter, die von Kap Verde bis nach Äthiopien und vom Sudan bis nach Südafrika quer über den Kontinent zu finden sind.
Diese Präsenz Chinas ist Ausdruck einer handfesten Interessenpolitik: Sie unterscheidet sich auffällig von der seit gut zehn Jahren überwiegenden Wahrnehmung des Kontinents als einer weitgehend marginalen Region. Einhergehend mit seinem »friedlichen Aufstieg« zur Weltmacht verfolgt Peking seit einigen Jahren eine aktivere, global orientierte Außenpolitik, mit der zwei Ziele verbunden sind: erstens die Herstellung einer multipolaren Weltordnung, um der amerikanischen Hegemonie entgegenzutreten; zweitens die Mobilisierung diplomatischer Unterstützung vor allem seitens der Länder des Südens , um Chinas Interessen in internationalen Foren zu verteidigen, beispielsweise gegen die Verurteilungen durch die UN-Menschenrechtskommission und zur Unterstützung der Anerkennung Chinas als Marktwirtschaft im Kontext der Welthandelsorganisation (WTO). Zur Erreichung beider Ziele sind die afrikanischen Staaten schon aufgrund ihres numerischen Gewichts von erheblicher Bedeutung.
Noch schwerer fallen indes Chinas Wirtschaftsinteressen ins Gewicht. Das chinesisch-afrikanische Handelsvolumen hat sich im Verlauf der letzten Dekade mehr als verzehnfacht und erreichte 2004 knapp 25 Milliarden US-Dollar. Es rückt damit näher an das Handelsvolumen der USA mit China heran, das im Jahr 2003 rund 32 Milliarden US-Dollar betrug. Diese außerordentlich hohen Wachstumsraten sind zum einen darauf zurückzuführen, dass China Afrika als attraktiven Markt für seine billigen Fertigwaren entdeckt hat. Zum anderen können die afrikanischen Staaten einen erheblichen Teil des weiterhin wachsenden Rohstoffbedarfs der Volksrepublik decken. Bereits heute steuern die Staaten am Golf von Guinea rund ein Viertel der chinesischen Ölimporte bei. Damit ist Afrika ein strategisch wichtiger Pfeiler für Chinas Energiesicherheitspolitik.
Grundsätzlich kann eine Zunahme des Süd-Süd-Handels begrüßt werden. Ob dieser Handel jedoch zu einer tragfähigen wirtschaftlichen Entwicklung in Afrika beiträgt, steht auf einem anderen Blatt. Das vorrangige Interesse der Volksrepublik an afrikanischen Rohstoffen führt lediglich dazu, dass die bekannten Asymmetrien reproduziert werden, die seit dem 19. Jahrhundert die Handelsbeziehungen zwischen den westlichen Industriestaaten und dem »nützlichen« Afrika prägen. Beim Afrikanischen Wirtschaftsgipfel 2004 in Maputo, Mosambik, kommentierte ein Teilnehmer, dass Afrika zur »neuen Kolonialisierung durch eine größere Macht« einlade, wenn man China um Hilfe bei der Ausbeutung von Rohstoffen und beim Aufbau von Infrastruktur bitte.
Als weitaus folgenschwerer als die ökonomischen könnten sich jedoch die politischen Auswirkungen erweisen, die von Pekings Afrikapolitik für die Länder der Region zu erwarten sind. Chinas Festhalten am Fetisch der staatlichen Souveränität erklärt, dass China von vielen afrikanischen Regierungen mit offenen Armen empfangen wird. In Anbetracht ihrer Abhängigkeit von westlicher Entwicklungshilfe, welche die Geber nutzen, um Demokratisierung zu fordern, verschafft die Zusammenarbeit mit der Volksrepublik afrikanischen Alleinherrschern neue Handlungsspielräume. Das schmückende Gerede der »Süd-Süd-Solidarität«, die als ideologischer Deckmantel dieses Schulterschlusses zwischen Autokraten herhalten muss, um Menschenrechtsverletzungen wie in Simbabwe und Sudan zu legitimieren, klingt zwar hohl. Es ist aber von Vorteil, um sowohl der westlichen Kritik als auch der innenpolitischen Opposition entgegenzutreten. Letzteres wird auch mit Waffengewalt getan. Zwischen 2000 und 2003 war China hinter Russland der wichtigste Waffenlieferant afrikanischer Staaten. Als besonders vorteilhaft für China haben sich dabei Waffenlieferungen an Regierungen erwiesen, die von westlicher Seite mitunter auch vom UN-Sicherheitsrat mit Sanktionen belegt sind und damit zum Aufbau so genannter Sonderbeziehungen zwischen Peking und den jeweiligen Regierungen geführt haben wie im Falle Simbabwes. Die von Robert Mugabe eingeschlagene Look East-Politik hat Peking veranlasst, finanzielle Hilfe und politische Unterstützung zu gewähren. Das aber verlängert nur die Agonie des größten Teils der Bevölkerung in Simbabwe.
China ist zu einem Zeitpunkt auf die afrikanische Bühne zurückgekehrt, zu dem zahlreiche Staaten der Region schwierige Demokratisierungsprozesse durchlaufen. Dies gilt besonders für die so genannten post conflict states (Angola, Liberia, Sierra Leone, Burundi, Demokratische Republik Kongo). Die Wahrscheinlichkeit, dass China diese Übergangsprozesse konstruktiv unterstützt, ist gering. Im Gegensatz zu den europäischen Gebern sowie den USA und Japan, die in der Region aktiv sind, ist die Förderung von Demokratiebestrebungen, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit kein Ziel chinesischer Außenpolitik. Ihr stehen nicht nur Pekings kulturrelativistische Konzeption individueller Freiheiten entgegen, sondern auch die handfesten Eigeninteressen des chinesischen Regimes, die Maßnahmen der Demokratieförderung im Ausland undenkbar erscheinen lassen. Mit ihnen würde die chinesische Führung ihre eigene Legitimität in Frage stellen, und genau aus diesem Grund hält Peking hartnäckig am Dogma der Nichteinmischung in innerstaatliche Angelegenheiten fest.
Die Auswirkungen auf die afrikanischen Länder liegen auf der Hand. Weil China politische Liberalisierung und Demokratisierung nicht unterstützt, werden fragile Staaten noch anfälliger für Krisen. Damit sind auch die demokratie- und sicherheitspolitischen Zielsetzungen der reformierten afrikanischen Regionalorganisationen (Afrikanische Union, ECOWAS, NEPAD) unmittelbar von Chinas Außenpolitik betroffen. Chinas Rückkehr nach Afrika ist auch für die Bundesrepublik Deutschland und ihre westlichen Partner eine große Herausforderung, da diese die Unterstützung der afrikanischen Reformbemühungen und Organisationen zu ihrem erklärten Ziel ausgerufen haben, um in Afrika Wohlfahrt und Demokratie zu fördern und Konflikten vorzubeugen. Deutschland und seine Partner sind daher gut beraten, sich mit China und seiner Afrikapolitik auseinanderzusetzen, um Interessen-konflikte zu vermeiden, die letztendlich zu Lasten der afrikanischen Länder gehen werden. Aus diesem Grund sollte mit Peking ein Dialog aufgenommen werden, um herauszufinden, welcher Minimalkonsens mit China hinsichtlich der Analyse der politischen und ökonomischen Probleme in Afrika und der daraus folgenden Handlungsstrategien zu erzielen ist. Ob Deutschland und seine europäischen Partner auf China erfolgreich im Sinne der eigenen normativen Zielsetzungen einwirken können, hängt wesentlich davon ab, ob diese ihre Afrikapolitik aufeinander abstimmen und glaubwürdig vertreten. Denn was in diesem Artikel an Chinas Afrikapolitik kritisiert wird, trifft zum Teil wenngleich zu einem geringeren Grad auch auf Deutschland und/oder seine Partner zu.
aus: der überblick 04/2005, Seite 24
AUTOR(EN):
Denis M. Tull
Dr. Denis M. Tull ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und Mitglied der Forschungsgruppe Naher Osten und Afrika.