Hermann Oelsner: ein Pionier am Kap der Stürme und Sonne
In Südafrika verhelfen ehrgeizige Pioniere der Wind- und Sonnenenergie zum Durchbruch.
von Andreas Mayer
Seinen Ruhestand hatte sich Hermann Oelsner eigentlich anders vorgestellt. Nach über zwanzig Jahren Lärm und Stress in der südafrikanischen Geschäftsmetropole Johannesburg zog es den gelernten Maschinenbauingenieur 1995 weiter in den Süden aufs Land, in die malerische Weinanbaugegend nördlich von Kapstadt. Doch bei einem Spaziergang auf der Slangkop Farm, nur eine knappe Autostunde vom Tafelberg entfernt, entdeckte Oelsner den Moedmaag Berg - prädestiniert, um in Südafrika, das nach wie vor 74 Prozent seiner Energie aus Kohle gewinnt, in Sachen Windkraft zu missionieren.
Vorbei war die Ruhe. "Ich hab noch nie so viel gearbeitet wie in den vergangenen fünf Jahren", lacht Oelsner. Erst gründet er eine neue Firma, die Darling IPP, benannt nach der nächstgelegenen Ortschaft Darling, dann führt er zusammen mit dem Forschungszentrum Centre for Scientific and Industrial Research (CSIR) in Pretoria Windmessungen durch. Die Universität Kapstadt liefert eine erste Umweltverträglichkeitsstudie, alte Kontakte nach Deutschland und zum Mitgesellschafter Reimund Rüthlein aus Würzburg holen die "AN Windenergie GmbH" aus Bremen zunächst als Berater, dann als zukünftigen Ausrüster ins Boot. Das ehrgeizige Ziel der Pioniere: Südafrikas erster Windpark.
"Erst haben die Leute gesagt, ich spinne", erinnert sich Oelsner. Denn nach wie vor besitzt der staatliche Stromversorger Eskom ein komfortables Monopol, und Konzepte für eine Liberalisierung des Strommarktes leiden unter dem gewichtigen Einfluss der Gewerkschaften und anderer Interessengruppen. Eskoms Strom geht für lächerliche 20 südafrikanische Cents (knapp fünf Pfennig) pro Kilowattstunde an den Kunden. Oelsner muss aber mindestens 38 Cents - umgerechnet etwa 9 Pfennig - bekommen, um halbwegs profitabel arbeiten zu können.
Von den für das Projekt insgesamt veranschlagten Kosten in Höhe von 40 Millionen Rand sind 8 Millionen Rand als Vorlaufkosten zu finanzieren. Aber 16 Prozent Kreditzinsen sowie Bankmanager, denen jeglicher Pioniergeist fremd ist, bilden schier unüberwindbare Hürden. Auch die Verhandlungen mit nationalen und internationalen Entwicklungshilfeorganisationen gestalten sich schwierig. Komplizierte Entscheidungsabläufe hatten in Teilbereichen zu jahrelangem Stillstand geführt und die Umsetzung des kühnen Plans immer wieder gefährdet.
Die Rettung kommt von Seiten der dänischen staatlichen Entwicklungsagentur DANCED, von der Entwicklungsbank des Südlichen Afrika (DBSA) sowie von der von der Weltbank verwalteten Umweltförderung Global Environment Facility (GEF) und dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP). Die südafrikanische Regierung erklärt Darling kurzerhand zum nationalen Vorzeigeprojekt. "Vor allem die Sachbearbeiter auf den unteren Ebenen der Ministerien haben unglaublich viel geleistet", lobt Oelsner. Bis Februar muss die Finanzierung stehen, eine letzte Umweltverträglichkeitsprüfung ist noch zu bestehen, dann kann der Bau der ersten Phase beginnen.
Auf jeden der fünf 50 Meter hohen Stahlmasten werden vier Rotorflügel mit einer Länge von je 31 Metern montiert. Die Windgeneratoren mit einer Leistung von insgesamt 5 Megawatt sollen sechs Monate später fertig gestellt sein - sechs Monate und sechs Jahre nach Oelsners folgenschwerem Spaziergang. Denn im September 2002 findet der Weltgipfel "Rio plus 10" in Johannesburg statt.
"Die fantastischen Bedingungen hier oben auf dem Moedmag", so Oelsner, "entschädigen einfach für alles. Die hohen Temperaturunterschiede zwischen dem Atlantischen Ozean und den angrenzenden freien Landflächen sowie die Hügelketten, die zum Teil nur zehn Kilometer vom Wasser entfernt anfangen, machen die Gegend hier perfekt für Windkraft."
Ans Geldverdienen kann Oelsner vorerst dennoch nicht denken. Noch ist es nicht möglich, seinen aus Windkraft erzeugten Strom in das landesweite südafrikanische Stromnetz einzuspeisen. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es nämlich noch kein Einspeisegesetz für erneuerbare Energien. "Ich konzentriere mich jetzt erst einmal darauf, das Demonstrationsprojekt auf die Beine zu stellen", erklärt er. "Und dann soll die Regierung die nötigen Rahmenbedingungen schaffen, um das enorme Potenzial, das Windenergie hier in Südafrika hat, auch wirklich ausnutzen zu können."
In der Zwischenzeit bastelt der 60-Jährige schon wieder an einem neuen Projekt: Mit Hilfe von Wellenenergie will Oelsner die ehemalige Gefängnisinsel Robben Island, auf der auch Nelson Mandela jahrzehntelang inhaftiert war, mit Strom versorgen. "Bojen werden die Generatoren auf der Insel antreiben", erklärt er. "Weil Robben Island heute ein Nationaldenkmal und Museum ist, wollen die Betreiber natürlich keine störenden Masten in der Landschaft."
Ein anderer Pionier, Hannes Opperman, setzt auf die Sonne als Energieträger. Und seine Kunden sind froh, überhaupt Strom zu bekommen. Der Wissenschaftler und Ingenieur ist nach einer langjährigen Karriere bei der Atomenergiebehörde Südafrikas zum Paten für alternative Energien in Südafrika geworden. Nach zehn Jahren als stellvertretender Direktor im Ministerium für Bergbau und Energie in Pretoria hat sich Opperman 1999 selbstständig gemacht und Solcen, das Solar-Zentrum Südafrika, gegründet. Mit Hilfe von Sonnenenergie will er den Teilen der Landbevölkerung aus der Armut helfen, die bisher von Strom, Telefon und beinahe jeglichem technischen Fortschritt abgeschnitten sind.
"In Afrika dient Solarenergie nicht primär dem Umweltschutz", erklärt Opperman, "sondern kann auch Grundbedürfnisse befriedigen." Denn die Kosten für herkömmliche Kraftwerke jenseits der großen Ballungsgebiete sind hoch, vor allem machen die großen Entfernungen in dünn besiedelten Regionen jedes halbwegs flächendeckende Stromnetz ineffizient. Solarsysteme dagegen hätten sich vor allem auf dem Land als günstiger erwiesen, meint Opperman. "Denn schließlich herrschen in Afrika perfekte Bedingungen, um die Sonneneinstrahlung in Energie zu verwandeln."
Oppermans größter Erfolg ist das erste völlig mit Solarstrom betriebene Dorf Südafrikas. In Zusammenarbeit mit Siemens wurde der Ort Folovhodwe, 500 Kilometer nördlich der Hauptstadt Pretoria gelegen, vollständig elektrifiziert. Jede der insgesamt 600 Lehm- und Steinhütten verfügt heute über eine 50 bis 150 Watt liefernde Fotovoltaik-Anlage. Dazu gibt es Inverter, die den Gleichstrom in Wechselstrom verwandeln und so die Solarenergie auch zum Fernsehgucken nutzbar machen. Das Dorf-Krankenhaus - nicht viel mehr als eine etwas größere Lehmhütte - und die Schule haben Solaranlagen bekommen, die 220 Volt Spannung abgeben.
Ein Problem bleibt jedoch, dass Opperman bis heute völlig abhängig von der Finanzierung durch Dritte ist. "Der Erfolg solcher und ähnlicher Projekte hängt fast vollständig vom Kooperationswillen der Regierung und der Industrie ab", erklärt er. Die Anlagen in Folovhodwe kosteten umgerechnet knapp 900.000 Mark; das meiste Geld stammte von der Bayerischen Landesregierung. Den großen Konzernen wirft Opperman vor, selbst bei Entwicklungsprojekten Profit machen zu wollen und oftmals am falschen Ende zu sparen. "Das Wichtigste ist, die Bevölkerung mit einzubinden", erklärt er, "und das heißt, die lokale Kultur und Verwandtschaftsstrukturen zu akzeptieren."
Im Klartext: Erst wenn der Chief, der Dorfvorsteher, überzeugt ist, kann mit Unterstützung seitens der Dorfbewohner gerechnet werden. Zusätzlich müssen die oftmals in Konkurrenz zum traditionellen Chief stehenden Lokalpolitiker eingebunden werden. Außerdem ist für Opperman unerlässlich, dass die Dorfbevölkerung eine zumindest in Ansätzen erfolgversprechende Grundausbildung im Umgang mit der neuen Technologie erhält. "Später kann man schließlich auch nicht ständig da sein, wenn mal ein Problem auftritt. Die Menschen müssen lernen, die Anlage selbst in Schuss zu halten. Und sie müssen beim Aufbau mit anpacken."
Die Bewohner von Folovhodwe haben mitgeholfen und halten die Anlage bis heute in Stand. "Ich hätte einen Kran besorgen und die Geräte von einer Fremdfirma aufstellen lassen können. Aber sie haben alles alleine gemacht. Sie haben unglaublich hart gearbeitet und waren die ganze Zeit über sehr motiviert", erzählt Opperman. "Beleuchtung ist extrem kostbar für sie, und deswegen kümmern sie sich auch bis heute intensiv um jedes Problem, das auftritt."
Solch einen Enthusiasmus teilt Yoram Gur-Arie nicht. "Südafrikaner denken alle extrem kurzsichtig", glaubt der Israeli, der vor knapp zehn Jahren zunächst als Tourist, dann als Student ins Land kam. "Alles Geld wird sofort ausgegeben, und niemand ist bereit, mehr für Grundbedürfnisse wie Haus oder Energie auszugeben, nur der Umwelt zuliebe oder um langfristig Kosten zu sparen." Deswegen hat sich Gur-Arie auf Kunden aus der Wirtschaft spezialisiert. "Die wissen die Vorteile der Solartechnik zu schätzen, und sie sind im Gegensatz zu Privatleuten auch in der Lage, längerfristig zu denken."
Gur-Arie ist ein echter Selfmade-Man. Bei einer Motorrad-Tour durch Afrika kam ihm die Idee, Solarheizsysteme zu importieren. "In Israel ist ein Sonnenkollektor auf dem Dach Pflicht. Aber in Südafrika steckt diese Technologie trotz der hervorragenden Bedingungen hier noch in den Kinderschuhen." Der heute 35-Jährige verwendete 1994 die gesamten Ersparnisse aus seiner Militärzeit, um einen Container mit Solarheizsystemen aus Israel vollzupacken. "Danach war ich erst mal pleite", erinnert sich der Pionier. Heute aber ist er davon überzeugt, dass ihm rosige Zeiten bevorstehen.
Die Importe aus Israel wurden wegen der schwachen südafrikanischen Währung bald zu teuer. Die kontinuierlich steigende Nachfrage ließ eine eigene Produktion schnell attraktiv erscheinen. Heute exportiert Gur-Arie seine in Südafrika gefertigten Anlagen nach Israel und ist dabei, sich sein eigenes kleines Reich aufzubauen: Die kleine Fabrik beschäftigt mittlerweile neun Mitarbeiter. Sogar die Konkurrenz lässt ihre Anlagen zunehmend bei Gur-Arie fertigen.
Die Installationsfirma Suntank hat ganze Uni-Wohnheime, Fabriken, Hotels und Krankenhäuser mit Solarheizungen ausgestattet. Zu Gur-Aries Hauptkunden gehören die Wilderness Game Lodges in Botsuana und die Luxus-Ferienanlagen für betuchte ausländische Touristen am spektakulären und tierreichen Okavango-Delta. Seit 1996 versorgt er regelmäßig die individuellen Chalets der ständig wachsenden Touristenresorts mit Solarwärmeanlagen. Verkaufs-Repräsentanten in Botsuana, Namibia und Kapstadt wurden eingestellt, die potenzielle Interessenten identifizieren und ansprechen. "Unser Ziel ist es, die Produktion in den kommenden Jahren um das Zehnfache zu steigern", erklärt Gur-Arie. "Afrika ist ein toller Kontinent für Solartechnik. Die Sonne scheint das ganze Jahr über, also fließt auch das ganze Jahr über Geld."
Gerade erst hat Suntank begonnen, mit einem kenianischen Unternehmen zusammenzuarbeiten. Die Zukunft aber soll ein drittes Standbein sichern: New Energies. Diese Firma ist einerseits das Marketingunternehmen für Suntank, zum anderen ist sie Komplettdienstleister bis hin zum Heißwasserversorger, der die Kosten der Umrüstung selbst trägt. Die Tochterfirma kauft - natürlich bei Gur-Arie selbst - die Solarkollektoren, installiert die Heißwasser-Geräte und berechnet dem Kunden nur die Energie. "Nach zwei bis drei Jahren ist das Projekt aus der Verlustzone raus," rechnet der Israeli, "und dann fließt das Geld. Denn die Verträge laufen meistens über sieben bis zehn Jahre."
Zur Zeit sucht Gur-Arie nach einem internationalen Partner mit Eigenkapital. Denn noch muss New Energies die Kosten über Kredite in den USA finanzieren - ein Harakiri bei einer jährlichen Abwertung des Südafrikanischen Rand von zuletzt knapp 20 Prozent gegenüber dem US-Dollar. Gur-Arie schimpft auf das konservative südafrikanische Bankensystem. "Sie wissen nichts über Solarenergie, und was sie nicht kennen, interessiert sie nicht. Doch unsere Kosten sind gering, wir sind klein und beweglich, verbessern ständig unsere Produkte und sind in der Lage, Entscheidungen schnell und unkompliziert zu treffen. Wir sind die Guerilla-Kämpfer der Branche", lacht Gur-Arie, "und deswegen bin ich nach wie vor extrem optimistisch, was unsere Zukunft hier in Südafrika angeht."
aus: der überblick 04/2001, Seite 14
AUTOR(EN):
Andreas Mayer:
Andreas Mayer ist Diplom-Volkswirt und Politologe. Seit 1999 arbeitet er als freier Journalist in Südafrika mit dem Schwerpunkt Wirtschafts- und Finanzberichterstattung.