Das Leben heute wird von der Globalisierung geprägt, ob wir es wollen oder nicht. Was liegt da näher als anzunehmen, dass auch die Stunde der Ökumene geschlagen hat? Schließlich war es noch nie so einfach, mit Kirchen und Gemeinden anderer Kontinente in Kontakt zu treten. Neben allen guten innertheologischen Gründen für eine ökumenische Grundhaltung drängen auch die sozialen und ökonomischen Veränderungen der Lebenswelt aller Erdteile dazu. Wem die Verwirklichung der sichtbaren Einheit der Kirchen am Herzen liegt, dem kann nicht egal sein, wenn ganze Regionen verarmen. Die im Glaubensbekenntnis regelmäßig erinnerte Einheit und Zusammengehörigkeit der gesamten Christenheit wird nicht nur durch Spaltungen im theologischen Bekenntnis, sondern auch durch das Auseinanderfallen in Arm und Reich verletzt.
von Martina Severin-Kaiser
Der Gedanke, dass jetzt der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) eine entscheidende Rolle zu spielen hat, liegt also nahe. Ausgerechnet in dieser Situation steckt der ÖRK jedoch in einer tiefen Krise. Es sind viele Gründe, die zu seiner momentanen Schwäche beitragen. Bei uns werden dafür häufig die Reduktion der finanziellen Mittel und das fehlende Engagement seitens der EKD verantwortlich gemacht. Doch die Situation ist zu kompliziert, als dass sie sich auf diese verführerisch einfache Formel bringen ließe.
Notwendig ist ein genauer Blick auf die Herausforderungen, vor denen die ökumenischen Organisationen stehen. Nicht umsonst stehen Schlagworte wie "Reconfiguration/Neugestaltung" ganz oben auf der Tagesordnung. Auf der Ebene des ÖRK haben sich in den letzten Jahren große Veränderungen ergeben: Die stärkere und selbstbewusstere Präsenz der orthodoxen Kirchen seit dem Fall des Eisernen Vorhangs hat dazu geführt, dass die Konzentration, die bislang den Kirchen des Südens galt, nun auf den früheren Ostblock gerichtet ist. Dann hat der ÖRK an Einfluss eingebüßt, weil mit der Pfingstbewegung ein großer und stark wachsender Teil der Christenheit nicht zu ihm gehört. Außerdem existieren neben dem ÖRK eine Fülle weiterer christlicher Weltbünde und Organisationen. Die ökumenische Bewegung hat viele Kinder hervorgebracht. Nun muss angesichts der globalen Herausforderungen und der schwindenden Finanzkraft der Kirchen überlegt werden, wie ihre Arbeit in Zukunft effektiv und aufeinander abgestimmt zu organisieren ist. Als Beispiel sei nur das Verhältnis des ÖRK zu den konfessionellen Weltbünden wie dem Lutherischen oder dem Reformierten Weltbund genannt.
In dieser Situation wird von Seiten der EKD die Notwendigkeit hervorgehoben, die Rolle des ÖRK neu zu klären. In der Vertretung der Kirchen gegenüber der Vereinten Nationen, in der Menschenrechtsarbeit, der Koordinierung von Hilfswerken und der theologischen Arbeit wird seine Bedeutung anerkannt. An der Finanzierung dieser Arbeit sollten sich in Zukunft allerdings auch andere Kirchen stärker beteiligen.
Auf der europäischen Ebene engagiert sich die EKD im Rahmen der Konferenz europäischer Kirchen (KEK). Anstelle eines protestantischen Alleingangs sieht sie es als sachgemäß an, in einer aus orthodoxen, protestantischen und freien Kirchen bestehenden ökumenischen Organisation wie der KEK beispielsweise ihre Vertretung gegenüber den europäischen Institutionen zu organisieren.
Auf der nationalen Ebene befindet sich die EKD ähnlich dem ÖRK in einem Prozess der Umgestaltung. Auch hier geht es darum Doppelstrukturen abzubauen und das Verhältnis zu den konfessionellen Kirchenstrukturen wie der der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche enger und damit neu zu gestalten. Dass dabei besonders der Bereich der Ökumene einen erheblichen Stellenabbau zu verkraften hat, zeigt den nicht so hohen Stellenwert dieser Arbeit in großen Teilen des Protestantismus. Auch im Bereich der Ökumenearbeit der EKD geht es darum, das Verhältnis zu der entsprechenden Arbeit der Landeskirchen und der Missionswerke neu zu definieren und aufeinander abzustimmen. Ob es hier um übermäßige Zentralisierung geht, muss im Einzelfall geprüft werden. Auch um der ökumenischen Partner willen ist möglichst große Effektivität wichtig und die Absprache bestimmter Standards in der Arbeit unerlässlich.
Auf regionaler Ebene stellen wir in den Ballungsräumen seit einigen Jahren eine deutliche Pluralisierung des Christentums fest. Freie Gemeinden gewinnen an Boden und durch Migration haben sich viele fremdsprachige Gemeinden unterschiedlichster Konfessionen gebildet. Wie verhält sich die EKD zu dieser Entwicklung? Es scheint, als ob die Form der Ökumene, die sich multilateral auf viele unterschiedliche Kirchen bezieht, nicht die notwendige Unterstützung erhält. Abzulesen ist dies deutlich an der Entwicklung der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK), die von beiden Großkirchen nicht die notwendige Unterstützung erhält. Die Etablierung eines nationalen Kirchenrates, in dem Kirchen unterschiedlicher Konfession, Sprache und Hautfarbe ein ihrer jeweiligen Größe entsprechendes Gewicht zukommt, steht nicht auf der Agenda. Vielmehr scheint eine gewisse Rekonfessionalisierung um sich zu greifen.
Es geht also darum, beharrlich auf allen Ebenen eine Ökumene einzuklagen, die sich auf die Fülle der unterschiedlichen Kirchen im nationalen wie internationalen Rahmen bezieht, die sich für Gerechtigkeit einsetzt und das theologische Gespräch mit den anderen schätzt. Nur so kann erlebt werden, was Ökumene ist: eben die andere Globalisierung, die auf das Wohl aller zielt.
aus: der überblick 01/2007, Seite 146
AUTOR(EN):
Martina Severin-Kaiser
Martina Severin-Kaiser ist Pastorin der Nordelbischen Kirche, Ökumenebeauftragte und Geschäftsführerin der
Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Hamburg.