Die Gewalt nährt den Krieg
Der Bürgerkrieg in Sri Lanka ist ein Phänomen der modernen Staatsbildung und für die Konfliktparteien ein einträgliches Geschäft. Er kann nicht einfach auf Konflikte zwischen Tamilen und Singhalesen zurückgeführt werden.
von Darini Rajasingham-Senanayake
Im Gegenteil sind viele Konflikte und das verbreitete Misstrauen zwischen den Volksgruppen erst ein Ergebnis des Terrors und der Vertreibung von Minderheiten. Zugleich machen das Militär, die tamilische Guerilla und zahlreiche Paramilitärs Geschäfte mit dem schmutzigen Krieg. So hat die Gewalt eine eigene, verhängnisvolle Dynamik entwickelt.
Als Sri Lanka (ehemals Ceylon) 1948 in die Unabhängigkeit entlassen wurde, waren die Vorzeichen für eine erfolgreiche Demokratie nicht schlecht. Das Land steuerte im Kalten Krieg einen Kurs der Blockfreiheit und wies unter den Entwicklungsländern mit die besten Sozialindikatoren auf. Doch seit 1983 ist Sri Lanka im Griff eines verheerenden Bürgerkrieges. Auf den ersten Blick scheint der Konflikt, der die Insel in die zwei größten Bevölkerungsgruppen spaltet, ethnisch-religiöse Wurzeln zu haben. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings ein wesentlich differenzierteres Bild. Wie schon in Bosnien, Somalia und Afghanistan ist aus dem Krieg in Sri Lanka eine sich selbst erhaltende Kriegsökonomie hervorgegangen. Der Krieg dient der illegalen Bereicherung, der Durchsetzung von Machtinteressen und der Schaffung von Sicherheitssystemen.
In den 1970er Jahren waren die Spannungen zwischen dem Staat, der nach der Unabhängigkeit zunehmend von Angehörigen der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit (etwa 74 Prozent der Gesamtbevölkerung) beherrscht wurde, und der politischen Elite der tamilischen Minderheit (rund 18 Prozent) gewachsen. Doch der Wendepunkt in der Geschichte des Landes war das Pogrom gegen die tamilische Bevölkerung in der Hauptstadt Colombo 1983. Die Unruhen weiteten sich auch auf andere Städte aus und festigten unter allen Tamilen ein Gefühl der Zurücksetzung und der gemeinsamen Identität. Sie förderten die Unterstützung der Befreiungstiger von Tamil Eelam (Liberation Tigers of Tamil Eelam, LTTE), die für den bewaffneten Kampf eintraten und einen eigenen Staat verlangten, in dem Tamilen sich sicher fühlen könnten. Seitdem ist der Konflikt eskaliert, und die LTTE hat begonnen, die Halbinsel Jaffna im Norden Sri Lankas "ethnisch zu säubern".
Das Pogrom war kein spontaner Aufruhr von Zivilisten, sondern von Teilen des Staates organisiert. Polizeikräfte sahen nicht nur tatenlos zu, als Geschäfte und Häuser niedergebrannt wurden, sondern handelten anscheinend auch als Komplizen anti-tamilischer Gruppen innerhalb des Staates. Der Mob benutzte staatliche Wählerverzeichnisse, um festzulegen, welche Häuser angegriffen wurden. Die Regierungspartei United National Party war in die Übergriffe verwickelt; das erklärt, dass es nie zu einer Untersuchung der gewalttätigen Ereignisse kam.
Seit 1983 werden immer brutalere Gewalttaten unter dem Banner der ethnischen Zugehörigkeit begangen. Sie haben längst eine Eigendynamik angenommen. Düstere Formen der schmutzigen Kriegsführung von seiten der Armee, der LTTE und paramilitärischer Gruppen - Terror, Massenhinrichtungen, Folter, Vergewaltigungen und Massaker - sind an die Stelle ethnischer Unruhen getreten. Spontane Straßenkämpfe sind seit 1983 öfter das Ergebnis lokaler Fehden zwischen den beiden großen Parteien der Singhalesen gewesen als das ethnischer Spannungen.
Ein wesentlicher Konfliktfaktor war die Transformation des Militärs. Nach der Unabhängigkeit 1948 sah die Regierung die Notwendigkeit, die Armee zu modernisieren und zu vergrößern. Die Briten hatten die Offiziere unter westlich orientierten Eliten der Städte rekrutiert; der Übergang zur Schulbildung in einheimischen Sprachen bot nun auch Schülern aus Familien, die in der Provinz einen kleinen Landbesitz hatten, die Chance, auf die Universität zu gehen und dann Offizier zu werden. Infolge der verstärkten Rekrutierung buddhistischer, häufig nationalistisch gesinnter Singhalesen ging die Neutralität des Militärs verloren. Hinzu kam, dass die rasche Vergrößerung der Streitkräfte mit abnehmender Disziplin und zunehmender Verwahrlosung einher ging und Politikern erlaubte, Beförderungen und militärische Operationen zu beeinflussen. So verwandelte sich die Armee von einer nationalen in eine, die den Singhalesen und ihrem Buddhismus verpflichtet war.
Diese Armee wurde gegen die militanten Tamilen im Norden eingesetzt, die aus der Unterschicht stammten und sich sowohl dem singhalesisch dominierten Staat als auch der tamilischen Elite entfremdet hatten. Doch für die Armee war das kein Krieg zwischen Aufständischen und der Regierung, sondern sie betrachtete ihn schlichtweg als Konflikt zwischen Singhalesen und Tamilen. Die Transformation der Armee und der Polizei kulminierte im Pogrom von 1983, nachdem die Regierung in den Jahren zuvor wegen der wachsenden Opposition unter gebildeten und arbeitslosen Jugendlichen - Singhalesen wie Tamilen - einen repressiven Staat errichtet hatte. Die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz und der Verwaltung waren dabei beschädigt worden. Der Boden für das Abgleiten des Militärs in einen schmutzigen Krieg war bereitet.
Als der Krieg im Norden im Juli 1983 eskaliert, beginnen tamilische paramilitärische Gruppen sich zu verbreiten. Einige werden von der Regierung finanziert und arbeiten im Kampf gegen die LTTE mit der Armee zusammen; damit sind die ethnischen Grenzen in diesem Konflikt verwischt. Zu den anti-LTTE Paramilitärs gehören unter anderem die People's Liberation Organization of Tamil Eelam (PLOTE), die Tamil Eelam Liberation Organization (TELO), die Eelam People's Democratic Party (EPDP) und die Rafik Gruppe. Zudem hat die LTTE seit den späten 1980er Jahren versucht, andere tamilische Gruppen auszuschalten, die bis dahin mit ihr zusammengearbeitet hatten. Führer dieser Gruppen schlossen sich der singhalesischen politischen Elite an und wurden Parlamentsmitglieder, was die ethnische Spaltung noch weiter relativiert.
Auch Paramilitärs, die von der Regierung finanziert werden, unterstehen nicht unmittelbar deren Autorität. Dadurch sind ihr Handlungsspielraum und das Ausmaß an willkürlicher Gewalt höher als beim regulären Militär. Informelle Absprachen zwischen dem Militär und anti-tamilischen Paramilitärs führen dazu, dass Letztere bei der Terrorisierung der Zivilbevölkerung freie Hand haben. Die Funktion einzelner Gruppen als Ordnungsmacht schlägt in nackte Gewalt um.
Ein Großteil der Paramilitärs und Splittergruppen setzt sich aus Jugendlichen zusammen. Manchmal sind sie noch Kinder, wenn sie in den Krieg geschickt werden. Mangelnde Mobilität, zerrüttete Lebensverhältnisse, fehlende Zukunfts- oder Berufsperspektiven - es gibt viele Gründe für Jugendliche, sich bewaffneten Gruppen anzuschließen. Militante Gruppen, die Flüchtlingslager infiltrieren, haben es daher nicht schwer, neue Kader unter sozial entwurzelten und frustrierten Jugendlichen zu rekrutieren. Viele Kämpfer wurden aber auch gewaltsam ihrer sozialen Umgebung entrissen und unfreiwillig in den Kampf hineingezogen.
Alle diese Gruppen haben Wege gefunden, sich mittels Einschüchterung und Aneignungen zu finanzieren. Zum Teil kontrollieren sie ganze Bereiche des örtlichen Fisch- oder Kopra-Gewerbes (Kopra ist getrocknetes Kokosfleisch) dank der Kontrolle über den Transport. Die LTTE hat als erste ein System des Terrors und der Besteuerung der Personen- und Güterbewegungen geschaffen. Die Armee, die nur wenig besser trainiert und kaum mehr mit Menschenrechten und Kriegsrecht vertraut ist, hat ebenfalls den Transport von Gütern und Personen eingeschränkt. Bei offiziellen Passkontrollen des Militärs herrscht ein hohes Maß an Korruption.
So hat sich eine "versteckte Ökonomie" herausgebildet, die eine starke Eigendynamik entfaltet hat. Der langjährige Konflikt wird von den Konfliktparteien sowie weiteren, kleineren Gruppen für eine Vielzahl illegaler Kriegsgeschäfte benutzt. Ein beliebtes Instrument ist die illegale Besteuerung von Händlern und Zivilisten an wichtigen Knotenpunkten der Transportrouten (checkpoints).
Eine Folge der Kriegsökonomie ist die Herausbildung einer neuen Elite, die sich aus Mitgliedern der bewaffneten Streitkräfte und ihren Familien zusammensetzt. Während Tausende den Krieg mit dem Leben bezahlen mussten, benutzten Militärangehörige - vor allem solche mit höherem Dienstgrad - den Krieg und seine Schattenwirtschaft zur persönlichen Bereicherung. Dasselbe trifft auf die LTTE zu. Vor allem wurde eine Art Schutzzoll eingeführt, der die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung maßgeblich einschränkt. Während die srilankische Armee tamilische Flüchtlinge daran hindert, in den südlichen Teil der Insel zu gehen, erlaubt die LTTE Singhalesen nur gegen die Errichtung einer "Schutzsteuer", die Gebiete nördlich der "Konfliktlinie" zu betreten oder sich dort niederzulassen. Häufig haben die Konfliktparteien während militärischer Kämpfe sogar Flüchtlinge als Schutzschilde benutzt.
Einen Musterfall dafür, dass paramilitärische Gruppen Operationen der schmutzigen Kriegsführung in Abstimmung mit der Armee durchführen, schufen der Einsatz der indischen Friedenstruppe und indischer Nachrichtendienste in Sri Lanka. Nach einem Abkommen zwischen Indien und der Regierung Sri Lankas kontrollierte die indische Truppe von 1987 bis 1990 große Teile der umkämpften Gebiete (sie sollte die Tamilen schützen, aber die LTTE akzeptierte die Vereinbarung nicht; Anm. d. Red). Doch nachdem Ramasighe Premadasa 1988 Staatspräsident geworden war, stellte die neue Regierung Sri Lankas, die gegen die Anwesenheit indischer Truppen im Land war, insgeheim der LTTE Geld und Waffen für den Kampf gegen die Inder zur Verfügung. Währenddessen sind sowohl die Armee als auch indirekt einige Paramilitärs von ausländischen Experten - darunter solchen von der indischen Friedenstruppe sowie aus Israel und den USA - in Techniken der Gewaltanwendung geschult worden. Das verweist auf die globale Dimension des Bürgerkrieges.
Mit den Paramilitärs und der zunehmenden Militarisierung der Zivilbevölkerung verwischt auch die Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Kräften, zwischen Unbewaffneten und Kombattanten. In dem Ausmaß, in dem Gewalt und Willkür zunehmen, verliert das Militär an Legitimität und Vertrauen unter der Bevölkerung, und das staatliche Gewaltmonopol geht verloren. Die meisten Zivilisten fürchten daher Polizei und Militärkräfte ebenso wie paramilitärische Gruppen.
Der Krieg hat nicht nur eine Kriegsökonomie geschaffen, sondern auch die Gruppenidentitäten verändert. Dies trifft besonders auf die "Grenzregionen" zu, wie sie in den Medien und der Öffentlichkeit genannt werden. Damit sind die Konfliktgebiete in den nördlichen, östlichen und zentralöstlichen Provinzen gemeint, wo der Krieg die brutalsten Formen angenommen hat und die Vertreibung von Menschen de facto ethnische Enklaven geschaffen und zur Politisierung ethnischer Identitäten beigetragen hat.
Der andauernde Krieg hat nicht nur eine Demarkationslinie zwischen den beiden Lagern erzeugt, sondern auch innerhalb der Lager zu einer Verminderung der Toleranz gegenüber abweichenden Positionen beigetragen. Während sich auf der einen Seite gewaltsame Zusammenstöße zwischen den singhalesischen politischen Parteien häuften, kam es auf der anderen Seite vermehrt zu Fehden zwischen tamilischen politischen Gruppen, die von zahlreichen Attentaten begleitet wurden. Seither haben Gewalt, Vertreibung und die Zerstörung traditioneller Formen des Zusammenlebens neue Muster sozio-politischer Organisation hervorgebracht, die langfristig Auswirkungen auf die Wahlen sowie auf die Wiederherstellung von Frieden in Sri Lanka haben werden.
Fast zwei Jahrzehnte Krieg und Alltagsterror haben den auf Sri Lanka tief verwurzelten Multikulturalismus unterhöhlt. Auf der Insel lebten über Jahrhunderte Buddhisten, Hinduisten, Muslime und Christen unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit relativ friedlich miteinander. Als der Krieg eskalierte, wurden die alten Formen des Zusammenlebens zwischen Singhalesen, Tamilen und Muslimen in vielen Teilen der Insel zerstört; ein Prozess setzte ein, der zur Polarisierung von Gruppenidentitäten in der Gesellschaft führte. Zugleich ist festzustellen, dass es seit dem Pogrom von 1983 keine klar zurechenbare, ethnisch motivierte Gewalt mehr gegeben hat, und das trotz schwerer Provokationen seitens der LTTE - wie beispielsweise mit dem Angriff auf den heiligen Buddhatempel Dalada Maligawa im Januar 1998.
Von einem ethnischen Konflikt zu sprechen, erklärt daher wenig. Damit wird einer nationalistischen Rhetorik Vorschub geleistet und der moderne Charakter des Krieges übersehen. Der Konflikt hat eine sich selbst erhaltende politische Ökonomie aus Geschäften verschiedener Art geschaffen: Vom Waffenerwerb und -handel in höchsten Militärkreisen bis hinunter zum korrupten Polizisten oder zu den Mitgliedern paramilitärischer Gruppen, die sich mit illegalen Grenzsteuern einige Rupien extra verdienen.
Der Konflikt zeigt auch, dass die Globalisierung zur Auflösung konventioneller Formen des Guerillakriegs führt. Beispielsweise hat die Frage, ob breite Schichten der Tamilen die LTTE unterstützen, an Bedeutung verloren: Die LTTE findet wenig Rückhalt unter der tamilischen Bevölkerung und konnte trotzdem zu einer der stärksten nichtstaatlichen Kräfte weltweit heranwachsen, weil sie sich im Wesentlichen mit Überweisungen aus dem Ausland finanziert (vgl. "der überblick" 2/01). Die Zivilbevölkerung empfindet den Krieg als weitgehend verselbstständigt und im Widerspruch zu den eigenen Interessen; sie erkennt kaum Möglichkeiten, auf seinen Ausgang einzuwirken. Dass sich Jugendliche dennoch bewaffneten Gruppen anschließen, lässt auf ihre Verzweiflung und mangelnde Perspektive schließen.
Die Flüchtlingsproblematik führt zu weiteren Konflikten und Spannungen. Seit 1983 schwankt die Zahl der vom Krieg Vertriebenen zwischen einer halben und einer Million. Zu Beginn begegnete die Bevölkerung der Zufluchtgebiete in Sri Lanka den Neuankömmlingen, die vor der Gewalt flohen, mit Sympathie. Aber nach einigen Jahren ist die Toleranzgrenze erreicht. Zum Beispiel hat in Puttalam der Zuzug von Muslimen die ethnische Zusammensetzung verändert und Spannungen zwischen den Einheimischen sowie Gruppen von Singhalesen, Tamilen und Muslimen verstärkt. Vielerorts lässt das Überangebot an Arbeitskräften die Löhne sinken; darunter leidet der arme Teil der Einheimischen. Zugleich beginnen Flüchtlinge aus wohlhabenderen Familien die Sammellager zu verlassen, Häuser zu mieten, Land zu kaufen und sich in das soziale Leben zu integrieren, während Flüchtlinge aus ärmeren sozialen Schichten weiterhin von Hilfe abhängig bleiben. Aber humanitäre Hilfe erzeugt oftmals Neid und trägt zur Konfliktverschärfung bei. Dass die - zumeist internationale - Hilfe vertriebenen, heimatlosen Menschen zugute kommt, empfindet die ebenso hilfsbedürftige eingesessene Bevölkerung als ungerecht, vor allem dann, wenn sich zugleich ihre Lebensbedingungen gravierend verschlechtert haben.
Das Flüchtlingsproblem muss Bestandteil der Gestaltung des Friedensprozesses sein. Auf der einen Seite bilden sich durch die Fluchtbewegungen auf der ehemals ethnisch sehr heterogenen Insel ethnische Enklaven, die Vorurteile und Antipathien nähren. Auf der anderen Seite kann angesichts des lange andauernden Konflikts und der dadurch veränderten Wohnverhältnisse die Rückführung der Flüchtlinge zu einer erneuten Kettenreaktion von Vertreibungen führen. Angesichts der verbreiteten Angst denken viele noch nicht an die Rückkehr und bleiben damit weiter abhängig von der Verteilung von Hilfsgütern. Humanitäre Hilfe ist wichtig; sie darf aber nicht die vor Jahren Vertriebenen in einem Schwebezustand festhalten.
Die Gewalt in Sri Lanka hat zunächst in den Grenzgebieten zwischen den Konfliktparteien zu einem Wandel der Identitäten geführt. Doch dieses Problem hat sich auf andere Regionen des Inselstaates ausgeweitet. Das Misstrauen zwischen Nachbarn, die eine unterschiedliche Sprache sprechen oder sich anders kleiden, ist größer geworden. Damit zerstören Formen der Gewalt eine Kultur der Koexistenz von Volksgruppen und der Kulturvermischung. Migrationsbewegungen werden nun von der lokalen Bevölkerung sowie vom Militärs und der srilankischen Regierung als Bedrohung der Sicherheit verstanden. Eine Enklavenmentalität ist die Folge, die bedeutet, dass Menschen unterschiedlicher Kulturen nicht in unmittelbarer Nachbarschaft leben und nicht an einem Ort ihre unterschiedliche Religion ausüben können. Wenngleich der südliche Teil der Insel von ethnischer Säuberung verschont wurde, hat sich auch hier eine Kultur des Misstrauens und der Verdächtigungen zwischen Nachbarn, Freunden und sogar Verwandten ausgebreitet, die einen Friedensprozess äußerst schwierig macht.
Staatspräsidentin Kumaratunga will mit Hilfe einer Dezentralisierung den seit 18 Jahren andauernden Konflikt beenden. Vor allem soll die Tamilen-Minderheit mehr Befugnisse im Norden und Osten der Insel erhalten. Ob das zu einem dauerhaften Frieden beitragen kann, wird auch davon abhängen, inwiefern ethnische Minderheiten geschützt, integriert und nicht sich selbst überlassen werden. Die herrschende politische Meinung, dass Singhalesen landesweit die dominante Gruppe bildeten und Muslime, Tamilen sowie alle anderen kleineren Gruppen die absoluten Minderheiten seien, muss überwunden werden. Denn das trifft nur auf den Süden und die Zentralregionen zu. Im tamilisch sprechenden Norden sind Singhalesen, Muslime und andere kleinere Gruppen in der Minderheit; an der von Muslimen dominierten Südostküste bilden Singhalesen und Tamilen die Minorität. Gerade örtliche Minderheiten haben während des Krieges unverhältnismäßig gelitten. Nur wenn sie geschützt und ihr politisches Gewicht gestärkt werden, wird der Dezentralisierungsprozess zum Erfolg führen können.
Das kann nicht durch die Schaffung von ethnischen Enklaven, ob singhalesisch, tamilisch oder muslimisch, erreicht werden. Der Erfolg des Friedensprozesses und der Dezentralisierung wird letztendlich auch daran gemessen werden können, in welchem Maße gemischte Gemeinden erhalten beziehungsweise wiederhergestellt und Flüchtlinge zurückgeführt werden können. Dezentralisierung muss auch heißen, dass sich Menschen frei bewegen können, lokale Gemeinden ein hohes Maß an Autonomie bekommen und gleichzeitig an der multikulturellen und ethnischen Koexistenz festgehalten wird. Sonst besteht die Gefahr, dass die regionale Selbstbestimmung einer ethnischen Enklavenmentalität Vorschub leistet. Während des Krieges geschürte Vorurteile und Hass würden dann nicht abgebaut, sondern noch verstärkt.
Große Teile der Bevölkerung haben erkannt, dass der Konflikt nicht militärisch gelöst werden kann, und den Wunsch nach Frieden geäußert. Aber der Wettbewerb der politischen Parteien sorgt weiter dafür, dass keine Regierung einen Friedensplan vorlegen kann, ohne dass die Oppositionspartei versucht, ihn zum Scheitern zu bringen. Die multikulturelle Bevölkerung ist zum Gefangenen der Konkurrenz in der politischen Elite und der Prozeduren geworden, die das Funktionieren der Demokratie verhindern. Internationale Vermittlung ist deshalb für Friedensverhandlungen entscheidend.
Und schließlich muss man, wenn man eine gerechte Lösung für Sri Lanka finden will, auch zur Kenntnis nehmen, dass solche Gewalt nicht ein Überbleibsel vorgegebener ethnischer Identitäten ist, sondern ein unlösbarer Bestandteil von modernen Staatsbildungsprozessen. Während der Bildung eines modernen Staates bringen komplexe politisch-wirtschaftliche Mechanismen in Gesellschaften, in denen traditionell verschiedene Religionen, Sprachen und Kulturen zusammengelebt und sich vermischt haben, bewaffnete Gewalt hervor und halten sie am Leben.
RegierungskriseDie Präsidentin lässt wählenFür Sri Lanka ist kein Frieden in Sicht. Erst im Juli dieses Jahres hat die tamilische Guerilla "Befreiungstiger von Tamil Eelam" (LTTE) einen Bombenanschlag auf den Flughafen in der Hauptstadt Colombo verübt und damit den landesweiten Flugverkehr lahmgelegt. Die LTTE verfügt über rund 15.000 bewaffnete Kämpfer und ist damit neben der UNITA in Angola eine der stärksten Rebellengruppe weltweit. Angesichts der internationalen Terrorismusbekämpfung gerät die LTTE allerdings zunehmend unter Druck. Zugleich steckt das Land in einer schweren Regierungskrise. Das Referendum für eine Verfassungsänderung, mit der die Regierung eine politische Dezentralisierung des Landes und damit mehr Autonomie für die Gebiete der tamilischen Minderheit möglich machen sollte, musste verschoben werden. Zunächst verlor die regierende Koalition mit dem Ausstieg einer muslimischen Partei ihre Mehrheit im Parlament. Präsidentin Chandrika Kumaratunga suspendierte daraufhin am 11. Juli das Parlament für zwei Monate. Damit kam sie einem Misstrauensvotum zuvor, dessen Erfolg sicher schien. Um weiter regieren zu können, ging sie einen Pakt mit der linksextremen und ehemals militanten marxistischen Partei JVP ein. Doch viele prominente Mitglieder von Kumaratungas eigener Partei wehrten sich gegen diese Zusammenarbeit und nahmen am 10. Oktober auf der Oppositionsbank Platz. Überraschend löste Chandrika Kumaratunga daraufhin das Parlament auf und beraumte Neuwahlen für den 5. Dezember an (die letzten Parlamentswahlen haben am 10. Oktober 2000 stattgefunden). Sie selbst bleibt im Amt, da sie in einer separaten Präsidentschaftswahl Ende 1999 direkt gewählt wurde. Jens Rabbe |
aus: der überblick 04/2001, Seite 69
AUTOR(EN):
Darini Rajasingham-Senanayake :
Darini Rajasingham-Senanayake ist Ethnologin am International Centre for Advanced Studies in New York und am International Centre for Ethnic Studies in Colombo, Sri Lanka. Sie arbeitet unter anderem zu Themen wie politische Ökonomie von Kriegen, Frauen im Krieg sowie Entwicklungspolitik und ist Ko-Autorin des Buches "Ethnic Futures: State Building and Identity Politics in Asia" (New Delhi 1999).