"Mein Platz ist in Afrika"
Juliet Omolo hat in Flensburg Angepasste Technologie und Management studiert und eine Doktorarbeit begonnen. Doch seit Anfang 2002 arbeitet die Kenianerin in ihrer Heimat als landwirtschaftliche Beraterin.
von Renate Giesler
Der erste Eindruck: Eine zurückhaltende, nachdenkliche Frau mit wachen Augen hinter der Goldrandbrille. Um so überraschender ist ihr Lachen. Ein Lachen, das wie ein Wärmestrahl wirkt in der kühlen Morgenluft im 1.660 Meter hoch gelegenen Nairobi. Kraftvoll genug, um von dem Jacaranda-Baum die zarten lila Blüten abzuschütteln. Juliet Omolo ist eine Afrikanerin, die imponiert. Die 38-jährige Beraterin für ländliche Entwicklung verkörpert eine Mischung aus Dozentin und Diplomatin. Sie hört genau zu, um mit Bedacht zu antworten.
Kein Wunder, dass sie staunt über die forsche und unbefangene Art der deutschen Journalisten, die in Kenia zum Thema Aids und Sexualverhalten recherchieren. Auf Nachfrage äußert sie sich zu dem Verhalten der Reporter, Aids-Kranken das Mikrofon unter die Nase zu halten und auf den Auslöser der Fotokamera zu drücken: "Ohne in Notizen zu schauen legt ihr los. Ihr fragt sehr direkt - und ihr bohrt solange nach, bis ihr zufrieden stellende Antworten bekommt." Während sie spricht, rollt sie ihre Augen. Schon der folgende Satz verrät die Diplomatin: "Ich kann von Euch lernen. Vielleicht wende ich diese Fragetechnik bei meinen nächsten Interviews im Projekt in Kisumu an."
In dieser Stadt unweit des Viktoriasees arbeitet Juliet Omolo seit Januar 2002 als Field Officer für die von Brot für die Welt unterstützte Organisation CISS (Community Initiatives Support Services, Unterstützungsdienst für Gemeinde-Initiativen). Dienste in Übersee - heute Teil des EED - hat sie im Rahmen des Reintegrationsprogramms für in Deutschland Fortgebildete dorthin vermittelt. "Sie ist qualifiziert, sozial engagiert, ihr entwicklungspolitisches Bewusstsein ist ausgeprägt", begründet Marlies Roth diese Entscheidung. Die EED-Referentin für Personalfragen von Partnern aus Afrika weiter: "Sie überzeugt mit ihrer zurückhaltenden, ruhigen und reflektierten Art." Alles Eigenschaften, die in der Projektarbeit, aber auch bei Seminaren und bei interkulturellen Begegnungen gefragt sind.
So lag es auf der Hand, dass Christoph Wilkens vom EED sie als einheimische Begleitung für die erste EED-Journalistenreise nach Kenia engagierte. Er kannte sie als eine Frau, die im Vergleich zu anderen Kenianern klar Position bezieht zur Situation in dem ostafrikanischen Land, und sah in ihr die ideale Mittlerin zwischen den Kulturen. Die Beraterin sagte sofort zu, ohne genau zu wissen, auf welches Abenteuer sie sich einließ. "Juliet blieb im Hintergrund, beobachtete, stellte ihre Fragen und war sofort zur Stelle, wenn wir sie brauchten", beschreibt Wilkens ihre Qualitäten.
Für Omolo selbst waren die vier Tage der Journalistenreise spannend. Sie lernte neue Projekte kennen, konnte Kontakte knüpfen, erfuhr mehr über Aids-Therapieansätze und häusliche Pflege. Täglich sterben in Kenia 700 Menschen an der Infektionskrankheit, die durch das Immunschwächevirus HIV hervorgerufen und durch sexuelle Kontakte, Blutübertragung sowie von der Mutter auf das Kind übertragen wird. Schätzungsweise 2,2 Millionen Kenianer sind mit dem HI-Virus infizierten, täglich infizieren sich 800 Menschen neu.
"Aufklärung ist so wichtig. Wir müssen aber die Aktivitäten besser vernetzen, besser koordinieren", sagt die 38-Jährige Omolo und kommt auf das Beratungsgespräch nach dem Aids-Test zu sprechen. "Wir brauchen Counselling, um die Betroffenen über die Konsequenzen - auch für die Familie - aufzuklären und sie in punkto Sexualverhalten zu beraten." Im Moment allerdings scheint es, dass viele Organisationen, darunter auch dubiose Vereine, das große Geld mit Counselling-Kursen machen. Omolo wird konkret, ihre Stimme verrät Empörung: "10.000 kenianische Shilling für einen dreiwöchigen Kurs - und das ohne Übernachtung und Verpflegung - , das ist zu viel." Der Betrag entspricht rund 126 Euro, und der Durchschnittsverdienst in Kenia liegt bei 360 Euro im Jahr.
"Wir müssen nicht verzweifeln, wir können einiges tun", betont sie. HIV-Infizierte bekommen nicht die nötigen Mineralien und Vitamine, um ihre körpereigenen Abwehrkräfte zu stärken. Aus der Handtasche fischt die CISS-Mitarbeiterin ein Tütchen mit weißem Pulver. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. "Power X Uji Flour" steht auf dem Etikett. Es ist eine ausgefeilte Mischung aus fein gemahlenem Sorghum, Mais und Sojabohnen. Ein Produkt von Juliet Omolo. Einmal in der Woche steht sie in Kisumu auf den Markt, preist die Tütchen mit Zusatznahrung an und diskutiert mit potenziellen Kunden. "An manchen Tagen kostet es mich Überwindung", gibt sie ehrlich zu. Tage später surft sie im Internet, sucht Anregungen für neue Rezepte und Antworten auf die Fragen der Marktbesucher. In Chogoria nutzte sie die Pausen, um mit Krankenschwestern ins Gespräch zu kommen. "Austausch ist wichtig, wir werden in Kontakt bleiben." Ihre Stimme klingt zuversichtlich und sie reicht noch schnell Schwester Elizabeth ein Musterpäckchen von "Power X Uji Flour".
Juliet Omolo kam 1964 in Nairobi als Tochter einer Lehrerin und eines Managers der Ostafrikanischen Eisenbahn zur Welt. Ihr Vater war auch in Uganda und Tansania tätig. Sie ging in Daressalam, der Hauptstadt Tansanias, in den Kindergarten und lernte Englisch. Eingeschult wurde sie in Kenia, dort verbrachte sie die gesamte Schulzeit in Internaten. In Egerton nahe Nakuru in Westkenia studierte sie Landwirtschaft und Hauswirtschaft und lernte Kühe melken. Anschließend arbeitete Juliet Omolo im Landwirtschaftsministerium.
Zwei Jahre später suchte sie eine neue Herausforderung: "Ich war jung und wollte mehr 'Action'. Ich wechselte zu einer nichtstaatlichen Organisation (NGO), zu CARE." Sie lernte, wie ein Projekt umgesetzt, wie es ge-managt werden muss und wie die Beteiligung der Gemeinde sichergestellt wird. Dann wechselte Juliet Omolo noch einmal, diesmal zu einer kenianischen NGO, die sich schwerpunktmäßig um mangel- und fehlernährte Kinder unter fünf Jahren kümmerte. Die dort gemachten Erfahrungen möchte sie nicht missen. Drei Jahre war sie dort tätig, bevor sie zur weiteren Qualifikation ins Ausland ging.
Dass sie nach Deutschland kam, war Zufall. Eine Freundin erzählte ihr vom Deutschen Akademischen Auslands Dienst (DAAD). Sie bewarb sich, bekam ein Stipendium und studierte von 1999 bis 2001 in Flensburg Angepasste Technologie und Management. "Wenn du zurückkommst, bist du ein anderer Mensch", hatte ihr Professor in Egerton prophezeit. Juliet Omolo hat ihre Lektion in Marketing gelernt, kommunikative Kompetenz erworben und sich mit Teamarbeit beschäftigt. Die Bodenhaftung hat sie nie verloren und in ihrem Herzen ist sie Kenianerin geblieben.
"Ich brauchte Monate, bis ich verstanden hatte, dass nur wenige Deutsche offen sind für eine Begegnung mit Ausländern. Viele verknüpfen mit Afrika nur negative Assoziationen: Hunger, Armut, Korruption. Ein Klischee, das von den Medien gepflegt wird", erzählt sie. Um Differenzierung bemüht erwähnt Juliet Omolo jedoch die Begegnung mit den jüngeren Studenten. Sie waren sehr freundlich zu ihr. Imponiert hat der Beraterin die praktische, zupackende Art, die Do-it-yourself-Mentalität in Deutschland. Sie erzählt, wie sie eines Morgens auf dem Weg zur Universität plötzlich stehen blieb und glaubte, ein Wunder zu sehen: Der Inhaber eines Uhrengeschäftes putzte eigenhändig das Schaufenster.
Das Studium hat sich für sie gelohnt. Begeistert erzählt sie von Solarenergie- und Biogas-Anlagen. Ein Quäntchen Skepsis bleibt aber: "In Deutschland wird auf High-Tech gesetzt, wir aber brauchen ganz simple angepasste Technik." Denn Kenia ist - trotz der Plantagenwirtschaft - ein Land der Kleinbauern.
Als Juliet Omolo im Januar in Kenia ankam, waren Rezeptbücher, Mixer und eine Portion Angst im Gepäck: "Trag nicht die besten Schuhe, gehe ohne Ohrringe aus, lass die Uhr zuhause." Inzwischen amüsiert sie sich über ihr Verhalten in den ersten Wochen. "Ich war beeinflusst von den Presseberichten", sagt sie. Sicher, Gewalt sein ein Thema - andererseits, ihr sei nie etwas passiert. Sie beachtet einige Regeln, geht zum Beispiel abends in Nairobi nicht mehr aus.
Einige ihrer kenianischen Freunde wunderten sich, dass sie ohne Probleme dem reichen Norden Adieu sagen konnte. "Es war Heimweh und die Sorge um die erkrankte Mutter", sagt sie, und ihre Stimme ist leise, klingt gedämpft. "Wir sind sieben Kinder, aber ich bin die einzige Tochter." Juliet Omolo hält einen Moment inne, schüttelt den Kopf und lacht. "In meiner WG in Flensburg haben die Männer gekocht und abgewaschen. In Kenia herrscht eine andere Kultur. Ich habe versucht, meinen jüngsten Bruder für Hausarbeit zu begeistern - leider ohne Erfolg." In Kisumu teilt sich die allein lebende Juliet die Wohnung mit dem jüngeren Bruder. Auf die Frage nach eigenen Kindern verblüfft sie mit der Antwort: "Die Menschen bei uns geben die Hoffnung nicht auf, dass ich doch noch einmal heirate und Kinder bekomme."
Ihr Traum ist, als Dozentin einen Teil ihrer entwicklungspolitischen Kenntnisse und Erfahrungen an jüngere Menschen weiterzugeben. Ihre Stelle in Kisumu ist zeitlicht befristet, sie sucht jetzt nach einem ländlichen Projekt, das basisorientiert angelegt ist. Die Rückkehrerin möchte Akzente setzen und als Teil einer NGO auch politisch Einfluss ausüben. "Jede Familie sollte in der Lage sein, wenigstens einmal am Tag allen Kindern eine ausgewogene und ausreichende Mahlzeit zu bieten. Der Schulbesuch muss für alle Kinder kostenfrei sein", beschreibt Juliet Omolo ihre Vision. Was die Politik betrifft, so ist sie froh, dass die Zeichen auf Aufbruch stehen: 13 Oppositionsparteien haben im Herbst 2002 den seit 24 Jahren regierenden Präsidenten Moi in der "Regenbogenallianz" herausgefordert.
aus: der überblick 04/2002, Seite 136
AUTOR(EN):
Renate Giesler:
Renate Giesler ist Sozialwissenschaftlerin und arbeitet alsfreie Journalistin in Hamburg.