Ein junger Geschäftsmann aus Sierra Leone in Peking
Für Menschen aus aller Welt ist Chinas dynamische Wirtschaft ein Magnet. Auch Afrikaner ergreifen ihre Chance und machen aus Schwierigkeiten im chinesischen Alltag clevere Geschäftsideen. Und in Pekings afrikanischen Discos oder Restaurants finden sie auch ein Stück Heimat.
von Jutta Lietsch
Die Anweisungen sind knapp und präzise: »Halten Sie die nötigen Dokumente bereit, ich warte um acht Uhr vor Ihrer Tür.« Pünktlich auf die Minute rollt ein gepflegter Mercedes älteren Baujahrs auf den Hof im grünen Sanlitun-Viertel von Peking. Ein junger Afrikaner springt heraus, stellt sich höflich vor, überprüft, ob alle Unterlagen, Kopien und Passbilder korrekt beisammen sind. Bob Foday hat den Fall »Führerschein anmelden« übernommen. Nun kann nichts mehr schief gehen. Der Mann aus Sierra Leone gehört zu den Geheimwaffen der Pekinger Ausländergemeinde im Kampf mit der Bürokratie: Global Solution Beijing Office steht auf seiner Visitenkarte, und darunter Beijing Car Solution.
Wer heute in Chinas Hauptstadt ein Auto erwerben oder verkaufen will, wer seine heimatliche Fahrerlaubnis in eine chinesische umschreiben lassen muss und dabei fürchtet, bei tagelangen Irrläufen zwischen TÜV, Polizei, Versicherung und Steuerbehörden den Verstand zu verlieren , der ist bei Bob richtig. »Wir brauchen höchstens vier Stunden, dann sind Sie wieder zuhause «, hat er am Telefon versprochen was unglaublich schien.
Schon am späten Vormittag ist alles erledigt. Man fragt sich verblüfft, wie es möglich war, trotz verstopfter Straßen innerhalb so kurzer Zeit in so unterschiedlichen Stadtteilen so viele Formulare zu unterschreiben und dann tatsächlich das ersehnte Dokument in den Händen zu halten. Lag es nur an der Findigkeit des ungewöhnlichen Lotsen? Oder daran, dass der Afrikaner mit seinen Scherzen und seinem fremd klingenden Chinesisch die gelangweilten Beamten hinter ihren Schaltern aufgemuntert hatte? »Man muss sich auskennen und gute Arbeit leisten, die Kunden zufrieden stellen und Verbindungen pflegen. Das ist das Motto meines Geschäfts«, sagt Bob, der einen seriös-dunklen Anzug und dezent gemusterte Krawatte zur Berufskleidung gewählt hat.
Bob gehört zum neuen China: Ein Vierteljahrhundert, nachdem die chinesischen Wirtschaftsreformen begannen und das Land sich nach langer Isolation öffnete, ist Peking zum Magneten für viele junge Leute geworden. Der 30-Jährige Afrikaner ist einer von ihnen. Vorbei ist die Zeit, als die internationale Gemeinde in Peking nur aus ein paar Diplomaten, Studenten, Journalisten, Lehrern, technischen Experten und Firmenvertretern bestand. Die, die heute ihr Glück in China suchen, haben alle möglichen Berufe und stammen aus allen Teilen der Welt. Wie viele von ihnen ursprünglich aus Afrika kommen, ist unklar. Nur so viel ist sicher: Sie sind eine winzige Minderheit. Ihre Schicksale sind so unterschiedlich wie die Länder, aus denen sie stammen.
Für den Mann aus Sierra Leone begann das Abenteuer Peking vor neun Jahren. In seiner westafrikanischen Heimat herrschte damals noch Bürgerkrieg. Besonders grausam ging es im Hinterland zu. Bob entkam in der Hauptstadt Freetown den schlimmsten Kämpfen. Schon in den achtziger Jahren hatten seine Eltern Reisbauern in einem Dorf acht Autostunden von Freetown entfernt ihren vierten Sohn zu einem Verwandten gegeben. Der Junge schaffte die Aufnahmeprüfung für die Sierra Leone Grammar School, die beste Oberschule des Landes. »Damals habe ich gelernt, mich nicht von Schwierigkeiten beirren zu lassen«. Sein Verwandter hatte einen großen Haushalt. Weil Bob putzen, kochen und die vier Kinder der Familie versorgen musste, konnte er sich oft erst gegen Mitternacht auf den Unterricht vorbereiten. Mit großem Stolz erinnert er sich an jenen Tag 1995, an dem er sein Abschlusszeugnis in der Hand hielt: »Mit Auszeichnung bestanden! Der Onkel war so erstaunt, dass er sich eine Stunde lang nicht von seinem Stuhl erheben konnte!«
Bob erhielt seine große Chance: Als sein Onkel, dessen Partei bei den Wahlen 1996 in Freetown gewann, im Oktober des Jahres als Botschafter Sierra Leones nach Peking zog, nahm er den tüchtigen Neffen mit. »Nach China!« lacht Bob, »Ans andere Ende der Welt! Ich hatte überhaupt keine Ahnung, was mich erwartete.« Damals war er 21 Jahre alt. Ein Jahr lang arbeitete er in der Botschaft, als Fahrer und Faktotum »was eben so anfiel«. Nebenbei lernte er Chinesisch und begann, hier und da bei verschiedenen Firmen zu arbeiten. Er vermittelte Anzeigen für Pekinger Stadtmagazine, Geschäftskontakte und kleine Deals. Wie früher im Freetowner Haus seines Onkels machte er sich bald bei seinen neuen Bekannten in Botschaftskreisen unentbehrlich. Als er eines Tages einem Diplomaten innerhalb weniger Stunden zur begehrten Automarke verhalf und dafür eine großzügige Belohnung erhielt, wusste er: »Daraus mache ich einen Beruf.« »Bob Lösungen rund ums Auto« nannte er seine Firma damals, die er von seinem alten, sorgsam polierten Mercedes mit Handy auf dem Armaturenbrett aus dirigierte. Ein kleines Zimmer in einem Hotel wurde 2003 seine erste feste Geschäftsadresse.
Mittlerweile ist das Unternehmen auf hundert Quadratmeter in einem Neubaukomplex am Chaoyang-Park angewachsen und hat neun Angestellte: vier Fahrer, die mit den Firmenwagen ständig unterwegs sind, um die Kunden zu betreuen; außerdem drei Verkaufsassistentinnen. Eine Sekretärin und der Computerfachmann halten die Bücher und die Firmenwebseite auf den neuesten Stand. Die Putzfrau bringt den Tee. Bobs Handy klingelt ununterbrochen.
An der Wand seines aufgeräumten kleinen Chefzimmers gruppieren sich die gerahmten Fotos, wie sie in allen Geschäften Chinas zu finden sind. Sie zeigen Firmenchef Bob zusammen mit möglichst wichtigen Persönlichkeiten: hier mit dem Bürgermeister des ostchinesischen Ortes Zhibo, den er einmal bei einer Messe getroffen hatte; da steht er beim Zuprosten mit einem chinesischen Polizeibeamten; und dort mit einem chinesischen Schlagersänger. Daneben hängt ein christliches Kalenderblatt. »Ja«, erläutert er, »ich gehe seit meiner Kindheit in die Kirche, das hat mir durch schwere Zeiten geholfen, und hier in Peking tu ich es weiter.« Seit einiger Zeit hat er eine chinesische Freundin. »Mit ihr verstehe ich mich gut.«
Sein Onkel hat Peking im vergangenen Jahr wieder verlassen. Doch für Bob liegt die Zukunft in China. Der Krieg hat das ohnehin verarmte Sierra Leone vollends zerrüttet. Der Frieden in seiner Heimat ist brüchig: »Was sollte ich dort anfangen?« fragt er. »Hier habe ich bessere Chancen.« Darin ist er sich einig mit seinen beiden Freunden, die er am Abend im thailändischen Restaurant Serve the People des Sanlitun-Distrikts trifft. Innocent Macumi, der vor zehn Jahren als 24-jähriger aus Burundi zum Medizinstudium nach China kam, sieht »keinen Grund, irgendwo anders hinzuziehen«. Er ist mit einer Deutschen verheiratet, die ebenfalls in Peking arbeitet, und hat nach seinem Examen einen guten Job als Arzt in einem internationalen Krankenhaus gefunden. Auch der 49-jährige Ghanaer Stephen Ketu hat in Peking die Chance ergriffen, sich auf eigene Beine zu stellen, nachdem es ihn vorher in mehrere Länder verschlagen hatte. An seine zwei Jahre in Libyen erinnert er sich mit leisem Schaudern: »Kein Whiskey, keine Bars, kein Spaß!« Wie anders das Leben in der chinesischen Hauptstadt mit ihren unzähligen Diskos, Kneipen darunter auch Restaurants und Musikschuppen wie das Timbuktu oder Lucky Lips mit afrikanischen Gerichten und Live-Musik.
Als er 1988 aus Hongkong nach China kam, hielt Stephen Ketu sich zunächst als Friseur für das Personal in den afrikanischen Botschaften über Wasser. Dann begann er, Kontakte zwischen afrikanischen und chinesischen Firmen zu vermitteln. Mit einem Landsmann aus Ghana und vier chinesischen Angestellten betreibt er inzwischen die Export-Import-Firma Able International Trading Company. Das in den letzten Jahren deutlich verstärkte Interesse chinesischer Investoren an Afrika bringt ihm immer mehr Kundschaft.
»Wer als Afrikaner in China lebt, muss sich an gewisse Regeln halten«, sagt Stephen Ketu. Die wichtigste: »Immer nett und cool bleiben«. Ein Beispiel: »Wenn ich beim Tanzen aus Versehen einen Chinesen anrempele, dann entschuldige ich mich sofort überschwänglich auf Chinesisch, so lange, bis er es akzeptiert und über mich lacht.« Bei beleidigenden und rassistischen Sprüchen wiederum »verstehe ich kein Chinesisch«.
Das ist die klügste Strategie, finden auch seine Freunde. Zwar habe sich die Situation gegenüber den siebziger und achtziger Jahren verändert, als afrikanische Studenten an mehreren Universitäten in China gewaltsam angegriffen wurden, vor allem, wenn sie mit chinesischen Frauen ausgingen. »Viele Chinesen kriegen im ersten Moment immer noch einen riesigen Schreck, wenn sie uns sehen«, beschreibt es Bob vorsichtig. Deshalb sei es für ihn »sehr schwer, chinesische Mitarbeiter zu finden. Wenn sie die Wahl haben, entscheiden sie sich fast immer gegen uns«. Mittlerweile wisse er damit besser umzugehen als am Anfang seiner Zeit in China. Seine Lösung: »Ich zahle besonders gute Gehälter und achte darauf, dass alle Angestellten korrekt behandelt werden und sich wohlfühlen.« Er habe die Erfahrung gemacht, dass sich dieses Vorgehen langfristig bewährt.
Würde er lieber in eine europäische oder amerikanische Stadt ziehen, wenn er könnte? »Nein!« antwortet Bob ohne zu Zögern. Immer, wenn er Berichte aus den USA oder Europa im Fernsehen sehe, habe er das Gefühl: »Leute aus unserem Teil der Welt sind da nicht willkommen. Hier ist es anders. Je länger ich in China bin, desto mehr fühle ich mich wie zu Hause.«
aus: der überblick 04/2005, Seite 30
AUTOR(EN):
Jutta Lietsch
Jutta Lietsch ist freie Journalistin und lebt als Auslandskorrespondentin in Peking, Volksrepublik China.