Chinesen bauen in Algerien neue Städte
Angesichts des chronischen Wohnungsmangels und trotz der anhaltend hohen Arbeitslosenzahlen im Land wirbt der algerische Staat chinesische Arbeitskräfte an. 10.000 Chinesen, die Tag und Nacht, sieben Tage die Woche arbeiten, bauen in Rekordzeit und zu unschlagbaren Preisen neue Städte.
von Nicolas Bourcier
Eine neue Stadt, eine Betonsiedlung, die aus dem Nichts zwischen Himmel und Schotter auftaucht, eine Reihe von Hochhäusern unter sengender Sonne. Verloren irgendwo an einer Straße Algeriens, rund fünfzehn Kilometer hinter Constantine, wäre Ali Mendjeli mit seinen langen seelenlosen Straßen, in denen der Staub und die Langeweile regieren, der perfekte Schauplatz für einen modernen Western. Die Straßen sind verlassen. Die Kräne stehen still. Es ist zwölf Uhr mittags.
Zur Linken dessen, was einmal eine der Hauptverkehrsadern des Ortes werden soll: Gebäudeskelette, hohle Fassaden, Phantombaustellen. Manche Mauern sind gestrichen, andere nicht. Zwei junge Arbeiter, die Gesichter von der Hitze gezeichnet, ziehen am Seil eines Flaschenzugs, um einen einzigen lächerlichen Ziegel auf ein Gebäude zu heben. Darunter ein offizielles Schild. Der Generalunternehmer heißt Geco, ein algerisches Bauunternehmen.
Gegenüber, auf der anderen Straßenseite, Szenenwechsel: dicht bebaute Häuserreihen, Wohnblocks kurz vor der Fertigstellung. Sie sind pastellfarbig gestrichen, wirken so fast anheimelnd. Ein Stockwerk türmt sich auf das andere, schier himmelhoch. Schon wachsen die ersten Parabolantennen auf den Balkons. Im Erdgeschoss nehmen zwei Arbeiter in graubeigefarbigen Uniformen die letzten Arbeiten in Angriff. Es sind Chinesen. Sichtlich befangen weichen sie Blicken aus, suchen Fragen zu meiden. Die werden nicht reden. Weiter oben, unter den Dächern, eine große Tafel, ebenfalls gut sichtbar. Dort ist das Kürzel CSCEC zu lesen, CSCEC für China State Construction & Engineering Corporation, eines der großen chinesischen Bauunternehmen.
In Ali Mendjeli, dessen Bau 2001 von den staatlichen Behörden beschlossen wurde, um Constantine vor dem Erstickungstod zu bewahren, treffen offensichtlich zwei Welten aufeinander. Zwei Methoden stehen einander gegenüber und illustrieren den voluntaristischen politischen Kurs, den die algerische Zentralregierung in den letzten Jahren eingeschlagen hat. Unfähig, auf den enormen Wohnungsmangel angemessen zu reagieren, haben die starken Männer des Landes sich entschieden, chinesische Bauunternehmen anzuwerben. So strömten chinesische Arbeitskräfte ins Land auf rund 10.000 wird ihre Zahl heute geschätzt und verteilten sich über das gesamte Staatsgebiet. Das ist zumindest ein Novum in einem Land, in dem jeder zweite Jugendliche ohne Beschäftigung ist.
Der Anstoß kam Ende der Neunziger Jahre. Zu jener Zeit wurden Großaufträge zum Bau von Wohnungen, die schnell entstehen sollten, an chinesische Unternehmen vergeben, weil deren Bauzeiten und Preise nicht zu unterbieten sind. Die ersten Bauprojekte waren in weniger als zwei Jahren vollendet. Im Sommer 2002 stellte ein chinesisches Unternehmen die Verbindung zwischen den Staudämmen im Westen Algiers her, um die dürstende Hauptstadt mit Trinkwasser zu versorgen. Auch zum Bau von Streckenabschnitten der großen Ost-West-Straße wurden Chinesen herangezogen. Und Chinesen waren es, die dem französischen Bauunternehmen Bouygues den einträglichen Vertrag zur Erweiterung des Flughafens von Algier vor der Nase wegschnappten.
Algier und Peking kommen sich näher. Die Zusammenarbeit, die bereits zu Zeiten von Präsident Houari Boumediène gepflegt wurde, wird intensiver, gewinnt eine neue Dimension. Der wirtschaftliche Boom in China lässt den Energiebedarf des Landes stark steigen. Algerien will seine Märkte erweitern, den Markt für Öl natürlich Algerien ist eines der großen Ölexportländer der Welt und auch den für Gas. Im Jahr 2004 schließen die beiden Staaten Handelsabkommen: algerische Rohstoffe gegen chinesische Fertigerzeugnisse, die mehr oder weniger überall auf den algerischen Märkten vertrieben werden sollen.
Im gleichen Jahr ergattern die achtzehn chinesischen Bauunternehmen, die mittlerweile in Algerien präsent sind, die Mehrzahl der großen Bauaufträge. Jede zweite Wohnung wird von Arbeitern gebaut, die die Uniform eines chinesischen Unternehmens tragen. Nach offiziellen Pressemeldungen aus Peking wurden und werden in Algerien rund 55.000 Wohnungen von chinesischen Bauunternehmen errichtet. Eines der vorrangigen Ziele der algerischen Regierung ist der Bau von einer Million Wohnungen bis zum Jahr 2009: Die chinesischen Unternehmen sehen einer goldenen Zukunft entgegen. Und das nicht nur im Wohnungsbau. Von Oran bis Annaba, von den Vorstädten Algiers bis zur Raffinerie von Skikda die chinesischen Unternehmen sind da, sie sind immer nahe genug, um auf die Vielzahl von Projekten zu reagieren, die in Algier verkündet werden.
Das Stadtplanungsbüro von Ali Mendjeli liegt zu Füßen eines der chinesischen Wohntürme. Ein kleines weißes Fertighaus, die Eingangstür steht weit offen. Hierher zu kommen heißt einzutauchen in diese Welt der Bauleute, wo Architekten, Ingenieure und Vorarbeiter chinesischer und algerischer Herkunft einander begegnen. Hinter der ersten Tür: ein Arbeitszimmer. Vier Algerier sitzen an einem Tisch und schlagen die Zeit tot. Sie rauchen, sie erzählen Geschichten, sie lästern halb im Spaß, halb im Ernst über das elende Leben in diesem Land, »in dem es an allem fehlt«. Nur einer will über seine Arbeit mit den Chinesen sprechen. Nennen wir ihn Omar. Omar ist um die vierzig, hat tiefschwarze Augen, er ist Gruppenleiter und soll den Arbeitsfortschritt auf der Baustelle kontrollieren. Er zeigt sich sehr beeindruckt vom Arbeitstempo der Chinesen, das schon fast an Zauberei grenze. »Trotz des Arbeitskräftemangels infolge der SARS-Epidemie in China, trotz der sintflutartigen Regenfälle und der beispiellosen Schneefälle in Algerien werden die letzten Wohnungen Ende Oktober mit nur sechs Monaten Verspätung übergeben.«
Wie das? »Das Tempo der chinesischen Arbeiter ist infernalisch, ihre Arbeitsorganisation phänomenal, methodisch.« Nach seinen Beobachtungen diskutieren die Chinesen nie auf den Baustellen, sie rauchen nicht, sie befolgen Befehle »wie in einer Kaserne«. Omar macht eine Pause, wirft seinen Kollegen einen schnellen Blick zu und fährt, als diese zustimmend nicken, fort: »Sie arbeiten im Akkord, das heißt, sie werden pro Quadratmeter bezahlt. Ihr Vorteil liegt vor allem im Zeitgewinn.« Den Gedanken, die Qualifikation des algerischen Personals könne ein Problem sein, verwirft er sofort. »Das ist eine Frage der Kosten, ein rein wirtschaftliches Problem.« Omar bringt Zahlen vor. »Der durchschnittliche Preis für den Bau eines Quadratmeters Wohnfläche beträgt 20.800 Dinar (230 Euro), wenn die Arbeiten von einem chinesischen Unternehmen durchgeführt werden. Bei einem algerischen Unternehmen liegt der Preis nur bei 18.500 Dinar (205 Euro). Aber die Chinesen haben hier in 31 Monaten 1280 Wohnungen gebaut, während das algerische Unternehmen Geco, das zur gleichen Zeit mit den Arbeiten begonnen hat, seine 500 Wohnungen auf der anderen Straßenseite bis heute nicht fertiggestellt hat...«
In der Hochphase arbeiteten knapp 1000 Chinesen auf den Baustellen von Ali Mendjeli. Tag und Nacht. Heute sind laut Omar nur noch ein paar Dutzend da, um die Arbeiten abzuschließen, höchstens hundert. Die anderen werden in Richtung Algier gezogen sein, vermutet er, um auf neuen Baustellen zu arbeiten.
Es ist 15 Uhr. Die Hitze nimmt zu. Die Tür des Nachbarbüros macht den Eindruck, als ob sie schon ewig halboffen steht. Aus dem Raum dringt kein Geräusch, nichts. Ein junger Chinese, allein, sitzt auf einem Stuhl und studiert ein Blatt Papier mit Notizen. Genüsslich trinkt er eine Tasse kalten grünen Tee. Bietet einen Apfel an. Auch er will seinen Namen nicht preisgeben, erzählt aber in einem lustigen Kauderwelsch aus französischen, englischen und arabischen Wörtern, dass er Ingenieur sei, seit 2003 auf algerischen Baustellen arbeite und aus der Provinz Anhui im Westen Shanghais komme. Er sei verheiratet und habe keine Kinder. In den vergangenen beiden Jahren habe er nur dreißig Tage Urlaub genommen, um seine Frau zu sehen. »Das ist hart«, murmelt er. »Ein chinesischer Maurer verdient hier mehr als zuhause, etwa 20.000 Dinar (220 Euro) im Vergleich zu umgerechnet 90 Euro in China. In arbeitsreichen Zeiten, wenn zum Beispiel der Beton gegossen werden muss, können die Arbeiter zwei Monate am Stück und bis zu vierzehn Stunden am Tag arbeiten mit nur einem Tag Pause.« Er lächelt schwach, weiß, dass er gerade einen kritischen Punkt angesprochen hat. Er fährt fort, als wolle er seiner Aussage die Spitze nehmen: »Aber in den ruhigeren Phasen, zum Beispiel jetzt bei den Abschlussarbeiten, haben wir Anspruch auf einen freien Tag pro Monat...«
Schweigen, dann: »Passt auf! Ein algerischer Maurer verdient zwischen 10.000 und 12.000 Dinar (110 bis 135 Euro), also weniger als ein chinesischer Arbeiter. Der Algerier arbeitet allerdings nur 22 Tage pro Monat. Dann ist es doch normal, wenn unsere Löhne unterschiedlich hoch sind.« Die Frage, wie er seine Lebensbedingungen beurteilt, lockt den Ingenieur noch etwas mehr aus der Reserve. Er erklärt, dass er jeden Abend in seine Base de Vie (Lebensbasis) zurückkehren muss, das Barackenlager in der Nähe der Baustelle, das von vier hohen Mauern umgeben ist und von einem algerischen Wachposten bewacht wird. Die Gittertore werden um 19.30 Uhr geschlossen, an allen Wochentagen zur gleichen Zeit. »Wie im Gefängnis«, scherzt er.
Nur die Zigaretten und der Tee kommen aus China. »Den Import von Lebensmitteln haben wir aufgegeben, sie verderben auf dem langen Transportweg.« Er und die anderen kaufen ihren Reis am Ort, auf dem Markt nebenan. Wenn es Probleme gibt, sind chinesische Ärzte für sie da. Dolmetscher auch, für den Papierkram, für Arbeitsbescheinigungen und Versicherungsangelegenheiten. »Wir gehen höchstens einmal eine Tasse Kaffee trinken, sonst gehen wir nicht aus, wir haben Angst«, sagt er. »Wir haben keinerlei Kontakt mit Algeriern, die kulturellen Schranken sind zu hoch.«
Im Hauptbüro der Arbeitsaufsichtsbehörde von Constantine dringt durch die wenigen Fenster ein trübes Abendlicht nach einem ermüdenden Tag. Menschen kommen und gehen, die Blicke gesenkt, die Gesichter abgespannt. Einige warten, mit oder ohne Sitzgelegenheit. Die Türen stehen offen, Hinweisschilder gibt es nicht, die Wände könnten einen Anstrich vertragen. Zwei Beamte erklären sich zögernd bereit, mit uns ein paar Worte zu wechseln. Ein inoffizielles Gespräch, unverbindlich, ganz unverbindlich. Der eine seufzt tief auf, bevor es aus ihm heraussprudelt. Es sei ihm unmöglich, die Arbeit der chinesischen Arbeiter zu kontrollieren. »Wir bräuchten allein für sie eine ganze Brigade, einen Aufsichtsbeamten pro Baustelle!« Sein Kollege ergreift das Wort und präzisiert, dass die Chinesen immer in Begleitung ihrer Dolmetscher kommen, »was es noch schwieriger macht, von ihnen etwas zu erfahren«. Einstimmig weisen sie darauf hin, dass die gesetzliche Wochenarbeitszeit in Algerien 40 Stunden beträgt, Überstunden natürlich nicht inbegriffen, und dass es strikt untersagt ist, mehr als sechs Tage ohne Pause zu arbeiten. Wir nicken zustimmend. »Hunderte von Verstößen wurden festgestellt, Protokolle wurden aufgenommen, viele Fälle vor Gericht gebracht, aber « Unser erster Gesprächspartner unterbricht sich, zuckt mit den Schultern und fährt fort: »Aber was will man machen, wenn die Regierung erklärt hat, dass sie eine Million Wohnungen bauen will?«
Einmal, berichten sie, hätten chinesische Arbeiter demonstriert, Straßen nach Tiaret blockiert, ihre Unterkunft im Westen des Landes in Brand gesteckt, um die Bezahlung ausstehender Gehälter zu erzwingen und gegen die miserablen Unterkunftsbedingungen zu protestieren. Einmal, »aber dann ist wieder Ordnung eingekehrt«, betonen sie, ohne näher darauf einzugehen, was aus den Protestführern geworden ist. Den Gerüchten, dass einige kleinere Privatunternehmen des chinesischen Baugewerbes Häftlinge beschäftigen, um die Kosten zu senken, wollen die beiden keinen Glauben schenken. Jedenfalls sei das nicht nachzuweisen, sagen sie und kommen zu dem Schluss: »Würde denn ein Algerier, ein Franzose oder ein Deutscher für diese Bezahlung mehr als 30 Tage am Stück hier arbeiten?«
Die Ankunft dieser hoch produktiven chinesischen Arbeitskräfte hat in Algerien zu keinen größeren Auseinandersetzungen geführt. Die Medien und die politischen Eliten des Landes zeigten sich davon wenig beeindruckt. Als ob die neue Zuwanderung nach Ali Mendjeli oder zu anderen Orten unvermeidlich sei, eine logische Folge für dieses Land, in dem die Petrodollars in Strömen fließen und das trotzdem keine wohlhabende Nation wird. Die entscheidende Frage, so Khatim Kherraz, der frühere Bürgermeister von Constantine und heute dessen Stellvertreter, sei doch die, »ob wir noch Zeit haben zu warten«. Der erfahrene Politiker mit Löwenmähne gibt zu verstehen, dass die Behörden ihre Entscheidung bereits getroffen haben: »Ja, wir beauftragen chinesische Firmen, die natürlich Arbeitslosigkeit produzieren oder zumindest nicht zu ihrem Abbau beitragen, aber auf diese Weise versuchen wir, so schnell wie möglich der Wohnungskrise Herr zu werden.«
Blindheit? Vielleicht! »Nicht nur«, kommentiert er. »Alle großen öffentlichen Unternehmen der Baubranche wurden in den neunziger Jahren aufgelöst, aber es wurden keine Maßnahmen ergriffen oder Anreize geboten, um Bauberufe attraktiv zu machen. So liegt es auf der Hand, dass junge Algerier sich bei der Berufswahl nicht mehr für die Bauwirtschaft entscheiden, weil in der Branche zu wenig bezahlt wird.« Und der stellvertretende Bürgermeister klappt sozusagen das Visier hoch: »41 Milliarden US-Dollar Währungsreserven in den Staatskassen regen nicht unbedingt zum Denken an!« Er weist auf diesen »Dschungel« hin, auf den das Land nicht vorbereitet sei, auf das »verwundbare System« Algeriens, in dem es praktisch keine heimische Produktion gebe und die Steuereinnahmen zu niedrig seien. »In Algerien gibt es alles, aber hergestellt wird hier nichts! Wie könnte ein Land wie das unsere einer so mächtigen Exportnation widerstehen?«
Wir lassen die Bilder Revue passieren: Ain Mlila, südlich von Constantine, mit seinen prunkvollen Häusern im Barockstil mit Spitzdächern à la chinoise, in denen die Barone der Schattenwirtschaft, Spezialisten für den Import von Autoersatzteilen aus Südostasien, wohnen; Ain Fakroun, etwas weiter östlich, eine schnell gewachsene Stadt, deren 50.000 Einwohner einzig und allein vom Verkauf chinesischer Kleidung der untersten Preisklasse leben, Plunder, der täglich in mehr als 50 zum Bersten gefüllten Containern eintrifft. Nicht zu vergessen die unzähligen großen und kleinen Straßenmärkte, diese riesigen Basare des Welthandels in den Vororten von Algier Dubai und Hamiz und viele andere mehr , wo man sich um die in China hergestellten, in Korea endmontierten Handys reißt, wo man die Preise von importierten Ventilatoren und Computern der Marken Cristor, Prince oder Unitron vergleicht, wo Fernsehgeräte angeboten werden, deren Einzelteile mehr oder weniger alle aus China stammen, die aber hier in Algerien zusammengebaut werden.
In Constantine hat das erste von einem chinesischen Geschäftsmann geführte Warenhaus eröffnet. In Algier gibt es schon mehrere, einige Dutzend. Sie verkaufen alles, im Wesentlichen Kleidung und wertlosen Tand. »Für uns ist das hier so etwas wie die Steinzeit in San Francisco« (wo es im übrigen eine sehr große chinesische Bevölkerungsgruppe gibt), schmunzelt Hu, ein pfiffiger junger Ladenverkäufer mit fehlerfreiem Englisch. Ohne Zögern ist dieser hochgewachsene junge Mann seinem Vater nachgefolgt, der hierher kam, um seine kärgliche Rente aufzubessern. Wie sein Vater möchte er drei bis vier Jahre bleiben das ist die Aufenthaltsdauer, die von den konsularischen Diensten im Allgemeinen bewilligt wird. »Das Land verlassen, das ist für uns neu und ein langwieriger Prozess«, erzählt er. »Wir brauchen ein berufsbezogenes Einladungsschreiben und Papiere, die nicht allzu schwer zu bekommen sind, auch wenn man es sich manchmal etwas kosten lassen muss «
Hu lacht amüsiert über den Gedanken, er sei »eine asiatische Version des polnischen Klempners in Frankreich«. Er fährt fort: »Es ist viel einfacher, hierher zu kommen als in die USA oder nach Europa. Außerdem ist Algerien ein Land im Aufbau, in dem das Geld nicht so viel wert ist.«
Eine sanfte Brise streicht über den Meeresstrand. Die jeunesse dorée, die Jet-Set-Jugend von Algier, ist zum Baden am Privatstrand Moretti erschienen, der nicht weit entfernt liegt vom Club des Pins und vom Hotel Sheraton, das übrigens auch von einem chinesischen Bauunternehmen errichtet wurde. Auf den Caféterrassen dieser staatlichen Herberge, deren Zugang von der Polizei und von einem privaten Wachdienst streng kontrolliert wird, trinken die Gäste ein wenig Alkohol, knabbern an Fleischspießchen und warten auf den Sonnenuntergang. Fünfzehn an der Zahl, die meisten Anfang dreißig, alle Chinesen, überwiegend Ingenieure. Zehn Männer und halb so viele Frauen sitzen an einem Tisch und sind fest entschlossen zu trinken, zu lachen und zu singen. »Wir gehen selten aus«, erzählt einer. »Den Arbeitern sagen wir, dass sie sich lieber nicht draußen herumtreiben sollen.«
Die Gruppe wird nicht später als 22 Uhr wie immer bei solchen Unternehmungen in einem Kleinbus mit einem algerischen Fahrer in ihr Quartier am anderen Ende der Stadt zurückkehren. »Ja, es ist hart für uns, hier zu sein«, sagt ein anderer. »Die Arbeit, das Leben, nichts ist einfach für uns.«
Der Älteste der Gruppe blickt zurück, erinnert daran, dass China seit mehr als zwanzig Jahren in Algerien präsent ist, um Straßen und anderes im Bereich Infrastruktur zu bauen. »Aber heute geht es um ganz andere Dimensionen, wir sind sehr viel mehr geworden. Die Aufträge sind größer, die Vertragssummen höher.« Und die Algerier? »Am Anfang haben wir mit ihnen auf einer Baustelle zusammengearbeitet«, unterstreicht er. »Aber das hat nicht funktioniert. Sie waren langsam. Sie haben sich nicht an unsere Methoden angepasst...« Niemand singt mehr. Die Bedienung nimmt eine letzte Bestellung entgegen: Eine Runde Bier, gut gekühlt.
aus: der überblick 04/2005, Seite 6
AUTOR(EN):
Nicolas Bourcier und Nourdine Oumeddour
Nicolas Bourcier arbeitet seit neun Jahren bei der französischen Tageszeitung »Le Monde« und ist seit zwei Jahren Reporter bei der Wochenbeilage »Le Monde 2«. Seine Schwerpunkte sind Migration, internationale Krisen und Kultur, sei es im Nahen Osten, in der Türkei oder auch in Deutschland. Nourdine Oumeddour war Mitarbeiterin für diesen Artikel.
Dieser Artikel ist am 24. September 2005 in »Le Monde 2«, der Wochenbeilage der französischen Zeitung »Le Monde« erschienen. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.