"Alternative Wege suchen..."
Dr. Badal Sen Gupta (63 Jahre) ist Ökonom und Soziologe. Er leitet das Referat Fachberatung im EED, das zum Ressort "Internationale Programme" gehört. Er ist in Kalkutta geboren und spricht neben Deutsch und Englisch Bengali und Hindi.
von Uwe Kerkow
Herr Sen Gupta, Sie waren gerade in Südasien. Was war der Zweck Ihrer Reise?
Im Juli bin ich zunächst in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch,
gewesen und anschließend in Jamshedpur, einer Stadt in dem neu
gegründeten indischen Bundesstaat Jharkand. Das ist ein
Verwaltungsbereich, der früher zu Bihar gehört hat.
Doch der Reihe nach: In Dhaka war ich bei der Christliche Kommission
für Entwicklung in Bangladesch (CCDB), der Entwicklungsorganisation der
protestantischen Kirchen, die seit der Gründung des Staates Ende 1971
besteht und etwa 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat.
Trotz aller Proklamationen war die Beteiligung der Armen bei der Planung und
Durchführung von Entwicklungsaktivitäten in der Arbeitspraxis von
CCDB in Wirklichkeit jedoch behutsam gesagt relativ schwach
ausgeprägt. Das ist auch bei der Mehrheit der
Nichtregierungsorganisationen (NGO) in Bangladesch nicht anders. Es hat mehrere
Jahre gedauert, bis die CCDB den Grundwert Partizipation wirklich verinnerlicht
hatte.
Gleichzeitig hatte sich die Problemlage in der Dritten Welt und besonders in
Bangladesch erheblich verschärft ich nenne nur die Stichworte
Strukturanpassung, Globalisierung oder WTO (Welthandelsorganisation). Auch von
Seiten der multi- und bilateralen Geberorganisationen war ein Trend zu
beobachten, Entwicklung wieder nur als Wirtschaftswachstum und Modernisierung
zu definieren also eine Rückkehr zum ökonomistischen Ansatz.
Die große Mehrheit der NGO hat sich von diesem Modell kooptieren lassen
oder zumindest doch angepasst.
Dagegen wollte CCDB angehen...
Ja. Man entschied sich, einen alternativen Weg zu gehen, den wir
"people centered participatory sustainable and just development"
nennen. Gemeinsam stellten wir dann fest, dass CCDB noch nicht ausreichend auf
diese große Aufgabe vorbereitet war. Das menschliche Potential dazu
musste auf allen Ebenen erst geweckt und aufgebaut werden. Das war für die
700 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit einer direkten Strategie nicht zu
leisten und zu bezahlen. Deshalb wurden zunächst 15 Trainern
ausgebildet.
Dieses integrierte Kapazitätsbildungsprogramm, an dessen Planung und
Ausführung ich beratend und gestaltend mitgewirkt habe, begann mit einer
Einführung in das Wertefundament des alternativen Entwicklungsweges, ging
über verschiedene Ansätze und Theorien der Entwicklung und
Organisationsentwicklung sowie Planungs-, Evaluations-, und Monitoringmethoden
und reichte bis zu politischen und wirtschaftlichen Fragestellungen wie
Globalisierung, Strukturanpassung und den verschiedenen Organisationsformen von
Armen in Bangladesch.
Zum praktischen Teil gehörte unter anderem ein vierwöchiger
Aufenthalt der Trainer in kleinen Dörfern. Sie lernten diese Perspektive
kennen und wendeten die Methode des "participatory action research"
an. Auch ein Süd-Süd-Lernprogramm gehörte dazu. Der
Auswertungsworkshop zum Abschluss dieses Programms war der aktuelle Anlass
für meinen Aufenthalt in Dhaka. Jetzt sollen die Trainer im
Schneeballsystem weitere Menschen innerhalb und außerhalb von CCDB
ausbilden. Aus diesem alternativen Entwicklungsansatz heraus können CCDB
und andere NGO jetzt die aktuellen Probleme in Bangladesch angehen so,
wie es sich die Menschen in den Dörfern wünschen. Dazu zählen
vor allem der Zugang zu, das Recht auf und die nachhaltige Nutzung der
natürlichen Ressourcen Land, Wasser und Wald, aber auch die Fragen der
besonders gravierenden Probleme der indigenen Bevölkerung in
Bangladesch.
Und in Indien warteten ähnliche Aufgaben auf Sie?
In Indien stellt sich die Situation etwas anders dar. Dort existiert das
SWARAJ-Netzwerk, das aus etwa 200 NGO, sozialen Aktionsgruppen und sozialen
Bewegungen in sieben Bundesstaaten besteht. SWARAJ ist ein Begriff in Hindi,
den Mahatma Gandhi geprägt hat, und bedeutet übersetzt etwa
Selbstbestimmung. Hier lief seit zwei Jahren ein strategischer Planungsprozess.
Dieser soll das Netzwerk befähigen, seine eigenen Bedürfnisse selbst
zu identifizieren, dann zu analysieren, was gebraucht wird, um mit der neuen
Situation fertig zu werden und schließlich die dazu nötigen Mittel
möglichst aus eigener Kraft aufzubringen. Das Ziel ist, dass SWARAJ in
Zukunft nicht bei jedem neuen Problem Dritte um Unterstützung bitten
muss.
Denn das ist der Grundsatz unserer Abteilung im EED: Wir gehen nicht
irgendwo hin, analysieren die Probleme und stellen dann ein Rezept aus, mit dem
man sie lösen kann. Wir versuchen, Gruppen in die Lage zu versetzen, ihre
eigenen Kapazitäten aufzubauen, um ihren Herausforderungen
eigenständig und mit eigenen Mitteln begegnen zu können.
Welche praktischen Probleme bestehen in Indien?
In Bihar zum Beispiel hat sich eine Oligarchie der Nutzung der großen
Flüsse wie des Ganges, des Gandak oder Koshi bemächtigt, die
eigentlich Allgemeingut sein sollten. Industrieunternehmen, mächtige
Einzelpersonen, aber auch die Verwaltung und die Polizei nutzen die Flüsse
in Allianz miteinander und in ihrem Sinne. Fischerei- und Fährrechte auf
einer Flussstrecke von bis zu 300 Kilometern Länge sind zum Beispiel
Eigentum von mächtigen Einzelpersonen. Auch haben die ökologischen
Schäden ein kritisches Maß oft schon überschritten, wogegen
unter anderem das Save the Ganges Movement kämpft.
Wichtig ist auch: SWARAJ ist ein Netzwerk, das von einer gandhischen
Vorstellung von Entwicklung geprägt ist und deren Mitglieder aus dieser
Perspektive heraus alternative Wege suchen.
Aus unserer Zusammenarbeit ist nun eine längerfristige Programmplanung
hervorgegangen. Es stellte sich heraus, dass dafür eine Menge spezifischer
Kapazitäten gebraucht werden. Dafür wurde wie wir es nennen
ein integrierter Kapazitätsbildungsplan erarbeitet. Diesen
sechstägigen Planungsworkshop habe ich mit gestaltet. Man kann sagen: Was
wir in Dhaka bei CCDB gerade abgeschlossen haben, beginnt jetzt bei SWARAJ in
Indien.
aus: der überblick 03/2001, Seite 134
AUTOR(EN):
Uwe Kerkow :
Uwe Kerkow ist freier Journalist in Bonn.