Massive Präsenz der Vereinten Nationen in Liberia
Wie kann Liberia nach 14 Jahren Krieg und insgesamt 26 Jahren schlechter Regierungsführung wieder zu einem Land werden, in dem es sich leben, zumindest überleben lässt? Die Aufgabe scheint kaum zu bewältigen. Aber die Arbeit der Internationalen Gemeinschaft und das Wirken der neuen Präsidentin tragen erste Früchte.
von Renate Wilke-Launer
Erwartungen erfüllen und dämpfen
Eine der schwierigsten Aufgaben der Regierung von Ellen Johnson-Sirleaf ist es, die Erwartungen zu managen. Die Präsidentin weiß das, und auch in den Büros der United Nations Mission in Liberia (UNMIL) und bei den Vertretern der Hilfsorganisationen wird offen darüber diskutiert. Sie habe wohl nur ein paar Jahre Zeit, hat sie gegenüber Alan Doss, dem Vertreter des UN-Generalsekretärs im Land, gesagt. Damit spielte die resolute Regierungschefin nicht auf ihr Alter (68 Jahre) an, sondern auf ihre fast unlösbaren Aufgaben. Sie muss praktisch auf allen Gebieten ganz von vorn beginnen.
Die Bevölkerung hat hohe Erwartungen, sie ist aber nicht nur arm, sondern auch durch die Erfahrungen von 14 Jahren Krieg, insgesamt 26 Jahren schlechter Regierungsführung und zuvor einem Patronage-Regime der Americo-Liberianer schwer belastet. Zainab Bangura, die konflikterfahrene Sierra Leonerin im Dienst von UNMIL, spricht von einem multiplen Trauma durch immer wieder aufflammende Gewalt, das die Mechanismen zur Krisenbewältigung mehrfach belastet und zum Teil zerstört habe. General Obiakor, der nigerianische Force Commander, beklagt, dass es "keine Werte" gebe. Sheikh Kafumba F. Konneh, Mitglied der Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC), fragt sich und seine Landsleute, warum die Menschen in einem so religiös geprägten Land so brutal gegeneinander vorgegangen sind. Der Instinkt des Überlebens habe den Menschen den moralischen Kompass genommen, meint Dr. Alfreda E. Myers von der US-Botschaft in Monrovia. Flüchtlinge und Vertriebene, so berichten die in den Lagern tätigen und mit der Rückführung betrauten Organisationen, hätten sich an Hilfslieferungen von außen gewöhnt, Entwicklungshelfer diagnostizieren eine Kultur der Abhängigkeit und des Anspruchsdenkens: Fix it for us nennt Myers diese Haltung.
Die hohe Präsenz der Vereinten Nationen, die Aufmerksamkeit und Wertschätzung, welche die Präsidentin bei ihren Auslandsreisen genießt, fördern entsprechende Erwartungen. Jeder neue Besucher aus dem Ausland weckt neue Hoffnungen. Mengesha Kebede, der UNHCR-Vertreter in Monrovia, hat deshalb der Präsidentin gegenüber nur halb im Scherz vorgeschlagen, alle einfliegenden Gäste mit 25 Prozent des Flugpreises zu besteuern von diesen Beträgen ließe sich schon ein schönes Hospital bauen. Dass die Regierung derzeit keine Budgethilfe bekommt, sondern alle Hilfszuwendungen über internationale Organisationen und nationale nichtstaatliche Organisationen (NGOs) abgewickelt werden, verstärkt das Dilemma weiter. Das Jahresbudget der Regierung liegt bei 129 Millionen US-Dollar, die UN-Mission allein kostet fast 750 Millionen im Jahr. Nach Kritik am kaum existenten Justizwesen fragt der Vizeminister für internationale Kooperation, Conmany B. Wesseh, im Gespräch zurück, warum eigentlich teure Juristen immer neue Berichte über dessen Mängel verfassen und es gleichzeitig an Dollars und Personen fehle, um Richter im Land zu beschäftigen.
UNMIL versucht, mit (bescheidenen) Quick Impact-Projekten sichtbare Verbesserungen zu schaffen, etwa mit einem von Soldaten aus Bangladesh (BANBAT-10) errichteten Berufsausbildungszentrum. Im März kümmerten sich pakistanische Armeeärzte um die gesundheitliche Betreuung der Insassen von Monrovias total überbelegtem Zentralgefängnis. Die Präsidentin, die ja auch eine erfahrene Politikerin ist, schätzt solche sichtbaren Projekte und Initiativen, lobt sogar, auf diese Weise sei peacekeeping in neue Dimensionen vorgestoßen. Die Organisationen der Not- und Entwicklungshilfe aber runzeln ob solcher Aktionen der Militärs schon mal die Stirn. Und mit gerade mal einer Million US Dollar für diese Projekte, heißt es beim UN Country Team, könnten die doch nicht wirklich etwas bewegen. Die UN-Organisationen haben andere Sorgen: den nach drei Jahren Präsenz bevorstehenden Abzug der humanitären Helfer und den Übergang zu Entwicklungspolitik. Dabei gebe es doch immer noch humanitäre Notlagen, und die Regierung sei gar nicht in der Lage, die Bevölkerung angemessen zu versorgen.
Der UN-Sondergesandte und viele seiner Stabsmitglieder klagen ebenfalls darüber, dass die vielen verschiedenen Geber so umständliche und langwierige Prozeduren haben, dass nicht genügend schnell und genügend viel Hilfe ins Land kommt. Auch die Präsidentin und ihre energische Finanzministerin Dr. Antoinette Sayeh zeigten sich im März enttäuscht, dass selbst zugesagte Hilfsgelder so lange auf sich warten lassen.
The Ellen Government
Die Zeitungen haben sich schnell angewöhnt, die Regierung nach dem Vornamen der Chefin zu benennen. Ein bisschen vertraulich ist das schon, aber es spiegelt auch den Stil der Präsidentin: Großmütterlich schwatzt sie mit den Marktfrauen oder lässt ihren Wagen auch schon mal anhalten, um Kinder zu fragen, ob sie in die Schule gehen, oder einem älteren Menschen kleine Geldscheine zum Verteilen zu geben. Auf der anderen Seite aber wird sie auch als "unsere eiserne Lady" bezeichnet und respektiert. Stählerne Härte und Charme braucht sie auch, denn sie muss nicht nur ein heruntergewirtschaftetes und geplündertes Land von Grund auf aufbauen, sondern sich im Parlament immer wieder um Bündnisse und Kompromisse bemühen, weil ihre Unity Party dort keine Mehrheit hat. Das Wahlsystem für beide Häuser hat zu einem stark zersplitterten und regional/ personenbezogenem Ergebnis geführt. Unter den Abgeordneten und Senatoren sind auch einige exponierte Vertreter der früheren (kriminellen und korrupten) Strukturen: Jewel Howard Taylor etwa, bei der Wahl noch Ehefrau von Charles Taylor, Adolphus Dolo, der notorische General Peanut Butter, und Prince Yormi Johnson, der für die Folter und grausame Ermordung (1990) des früheren Präsidenten Doe verantwortlich war und sich dabei filmen ließ. Nun tritt er als wiedergeborener Christ (vergl. "der überblick" 3/2003) auf, Gott habe ihn schon "arrestiert", Reue zeigt er nicht. Offenbar nutzen einige der früheren Warlords die Gelegenheit, sich und ihre geraubten Reichtümer demokratisch zu ummänteln. Immerhin wird jetzt auch gegen Mitglieder der Übergangsregierung (NTGL) ermittelt, der frühere Regierungschef Gyude Bryant ist verhaftet worden, er war schon im ECOWAS-Report über ökonomische Verbrechen in Liberia von 2005 schwer beschuldigt worden. Der Sprecher des Parlaments, Edwin Snowe, wurde zum Rücktritt genötigt. Charles Taylor hatte den früheren Lastwagenfahrer noch kurz vor seiner erzwungenen Abreise zum Direktor der Liberia Petroleum Refining Company und damit zu einem der reichsten Männer des Landes gemacht. Snowe war einst als Schwiegersohn in den Taylor-Clan eingetreten.
Die Präsidentin muss sich in diesem Spektrum behaupten und durchsetzen, soll aber gleichzeitig für Rechtsstaatlichkeit und Transparenz sorgen. Sie muss sich um (zu) viele Details der Regierungsarbeit kümmern und gleichzeitig im Ausland für mehr Hilfe und Erlass der drückenden Schulden früherer Regime werben. Will sie die Unterstützung der Bevölkerung gewinnen und behalten, muss sie schnelle Erfolge präsentieren und insbesondere den jungen Männern eine Perspektive bieten. In einem Friedensprozess das weiß die erfahrene Politikerin und Administratorin gibt es nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer.
Die Krise Liberias und seiner Nachbarländer entsprang auch dem Lebensgefühl einer frustrierten und sich ausgeschlossen fühlenden Jugend. Liberias junge Männer haben nicht "Ma Ellen", sondern ihren Konkurrenten George "Oppong" Weah gewählt, Liberias ehemaligen Fußballstar. Viele seiner Anhänger sahen in seiner Jugend und seiner fehlenden Bildung einen Vorteil: He know book, he not know book, I'll vote for him war ein populärer Slogan, der an die gespenstische Parole zugunsten von Charles Taylor bei der Wahl 1997 erinnerte: He killed my ma, he killed my pa, I'll vote for him. .Weah hatte in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen 28 Prozent der Stimmen bekommen, Ellen Johnson-Sirleaf nur 19,8. Erst in der Stichwahl konnte sie sich mit 59,4 Prozent durchsetzen, auch dank der erfolgreichen Mobilisierung von Frauen. Viele Liberianerinnen sind stolz auf die erste Präsidentin Afrikas und sagen, dass sie täglich für sie beten. Bei UNMIL und der internationalen Gebergemeinschaft gilt Frau Johnson-Sirleaf geradezu als Glücksfall.
Licht am Ende des Tunnels
Charles Taylor, der studierte Ökonom, sah sich als Präsident nicht in der Pflicht, für Straßenbeleuchtung in Monrovia zu sorgen. Er empfahl seinen genervten Landsleuten, doch einen Generator zu kaufen. Die symbolbewusste Präsidentin aber hat gleich bei der Amtsübernahme versprochen, wieder Laternen leuchten zu lassen. Das war leichter gesagt als getan, gestand Ellen Johnson-Sirleaf am Rande der Inbetriebnahme ein. Es gab nur wenige Ingenieure im Land, der Hafen war nicht richtig funktionsfähig. Am Ende haben ghanaische Techniker dafür gesorgt, dass wenigstens in einem Viertel der Stadt, unter anderem für zwei Krankenhäuser und einen Teil der Hauptstraße, die Lichter wieder angegangen sind. Viele Kinder hatten noch nie eine leuchtende Straßenlaterne gesehen. Jetzt sitzen manchmal einige in ihrem Lichtkegel, um zu lernen. Denn auch im Bildungsbereich hat das Land viel aufzuholen. Liberia und Sierra Leone sind die einzigen Länder der Welt, in denen die Jugend weniger Schulbesuch vorweisen kann als die älteren Generationen.
Wo kein Generator ist, ist es nachts weiterhin dunkel in Monrovia. Nur Handys kann man leuchten sehen. Eine Studie des Welternährungsprogramms hat herausgefunden, dass Handybesitzer sechs Prozent ihres Einkommens für das Mobil- Telefon ausgeben, aber nur drei für Gesundheit. Wo es kein Telefonnetz gibt, sind Handys ein gutes Geschäft. Einer der Anbieter, Lone Star Communications, ist wirtschaftlich mit Charles Taylor und seinen Leuten verbunden.
Charles Taylor Inc Der Staat bin ich
"Es gibt keinen Grund dafür, dass die Leute so arm sind, außer schlechter Regierungsführung," sagt General Obiakor, der nigerianische Force Commander. Liberia hat schon bessere Zeiten gesehen. Bis in die achtziger Jahre gehörte es zu den lower middle-income countries, heute ist es eines der ärmsten Länder der Welt. Die Ursachen dieses Niedergangs sind komplex, sie reichen letztlich bis zur Gründung der Republik durch befreite amerikanische Sklaven (1847) zurück, die bis 1980 wirtschaftlich und politisch dominierten. Der blutige Putsch von Samuel Doe machte dieser Vorherrschaft ein Ende, leitete aber auch den Niedergang ein. Patronagepolitik, der Missbrauch staatlicher Strukturen für persönliche Macht und Bereicherung, die Politisierung ethnischer Unterschiede, das Entwicklungsgefälle zwischen der Hauptstadt und dem Hinterland, die fehlenden Perspektiven für junge Leute lassen sich als strukturelle Ursachen der dann folgenden Auseinandersetzungen benennen.
1989 zettelte Charles Taylor mit seiner National Patriotic Front of Liberia (NPFL) eine Rebellion an. Der 14 Jahre währende Krieg hat bis zu 250.000 Menschen das Leben gekostet, rund eine Million vertrieben und das, was an Infrastruktur und Wirtschaftstätigkeit da war, fast vollständig zerstört. Rohstoffe und Staatseinnahmen nutzte er fast ausschließlich zur persönlichen Bereicherung und Machterhaltung. Schon bevor er sich zum Präsidenten wählen ließ (1997) hat er nach Schätzungen etwa 100 Millionen US-Dollar im Jahr zusammengerafft. Der gerissene Taylor hat nicht nur direkt in die Staatskasse gegriffen, sondern die wirtschaftlichen Reichtümer des Landes auch an kriminelle internationale Netzwerke verscherbelt. Er hat das Land 2003 nicht nur mit viel Geld verlassen, sondern vom luxuriösen Exil im nigerianischen Calabar aus auch weiter wirtschaftliche Fäden gezogen. God willing, I will be back, hatte der auch als Baptistenprediger erfahrene Taylor seinen Landsleuten zum Abschied zugerufen.
Doch er kam nur kurz und in Handschellen. Unter starkem Druck, insbesondere aus den USA, setzte ihn Nigeria schließlich doch fest, nachdem Liberia, ebenfalls auf Druck der USA, im März 2006 ein Auslieferungsbegehren gestellt hatte. Per Haftbefehl gesucht wurde Taylor aber nicht wegen seiner Verbrechen in Liberia, sondern wegen seiner Verstrickung in den Bürgerkrieg im Nachbarland Sierra Leone. Deshalb hat UNMIL ihn gleich nach Freetown weiter gereicht.
Von dort wurde er dann ein paar Monate später nach Den Haag gebracht, wo er nun zusammen mit dem kongolesischen Milizenführer Thomas Lubanga einsitzt und sich im Sommer vor dem Special Court for Sierra Leone verantworten muss. Den Haag schien dem Gericht als geeigneter Haft- und Gerichtsort der "Milosevic Afrikas" (Richard Holbrooke) hat in Westafrika immer noch Anhänger und Kumpane, die Furcht verbreiten können. Dr. Roosevelt Gasolin JayJay von der ECOWAS-Vertretung in Monrovia ist mit der Wahl des Prozessortes sehr einverstanden. Bei der Westafrikanischen Gemeinschaft weiß man nur zu gut, wie gefährlich und größenwahnsinnig Charles Taylor ist. We had to cut him down to size, wir haben ihn in seine Schranken verweisen müssen, sagt er über die ECOWAS-geleiteten Friedensverhandlungen in Ghana.
Die nach dem umfassenden Friedensabkommen von Accra (2003) eingesetzte Übergangsregierung bestand aus Vertretern der drei Konfliktparteien: NPFL, LURD (Liberations United for Reconciliation and Democracy) und MODEL (Movement for Democracy in Liberia). Sie füllten sich so unverfroren die Taschen, dass die BBC im April 2005 urteilte, Korruption habe das AK 47-Gewehr als Methode der Geldbeschaffung abgelöst. Auch die Parlamentarier, ebenfalls aus den Reihen der Kämpfer, aber auch aus der Mitte der Gesellschaft ernannt, betrachteten staatliches Eigentum als ihr privates. Symbol dafür sind die Grand Cherokee-Geländefahrzeuge im Wert von jeweils 40.000 US-Dollar. Sie genehmigten sie sich am Ende selber.
Den Beamten über die Schulter blicken
Ab Mitte 2004 wurden öffentlich Zweifel an der Tätigkeit der Übergangsregierung laut. Die Presse berichtete über Korruption, die verschiedenen Fraktionen beschuldigten einander wechselseitig der persönlichen Bereicherung, und die Finanzprüfungen der Geber dokumentierten finanzielles Missmanagement in so großem Ausmaß, dass zum Beispiel die Europäische Union (EU) die Ergebnisse zunächst gar nicht öffentlich machen wollte. Eine so schamlos agierende Regierung, so die Befürchtung, könne auch den Friedensprozess gefährden. Nach immer neuen Berichten über die Korruption sahen sich die Machthaber in Monrovia schließlich im Mai 2005 gezwungen, internationale Experten in ihren Ministerien zu akzeptieren. Vier Monate später, am 9. September, setzte Präsident Bryant seine Unterschrift unter das Governance and Economic Management Assistance Program (GEMAP). Wirklich in Angriff genommen wurde es aber erst nach der Amtsübernahme durch Ellen Johnson-Sirleaf.
GEMAP bedeutet, dass die ausländischen Geber drei Jahre lang robust in die nationale Wirtschaftspolitik intervenieren. Funktionären in Schlüsselpositionen in verschiedenen Ministerien und Staatsunternehmen werden ausländische Experten an die Seite gestellt, ohne deren Unterschrift keine größeren Ausgaben getätigt werden können. Den Vorsitz im Economic Governance Steering Commitee hat die Präsidentin, der US-amerikanische Botschafter ist ihr Stellvertreter.
Diese weltweit einmalige Beschränkung nationalstaatlicher Souveränität war und ist in Liberia nicht unumstritten. Ellen Johnson-Sirleaf hat die heiße Kartoffel GEMAP in ihrer Inaugurationsrede akzeptiert mit dem erklärten Wunsch, die internationale Aufsicht möglichst bald überflüssig zu machen. Sie selbst hat im Rahmen ihrer Null-Toleranz-Politik gegenüber Korruption energisch Zeichen gesetzt, soweit es die Kräfteverhältnisse zuließen: Sechs hohe Funktionäre ihrer Regierung wurden gefeuert. Dass die Präsidentin im März im Gespräch mit einer Delegation der Journalisten des Landes deren Unterstützung im Kampf gegen die Korruption erbeten und dabei das Bergbauministerium, die Flughafen- und die Hafenverwaltung direkt genannt hat, zeigt, dass sie einerseits weiß, wo es in ihrer Regierung nicht mit rechten Dingen zugeht, aber andererseits auch Verbündete und Beweise braucht. Doch die jahrelang gewachsene Kultur der Selbstbedienung ist so schnell nicht auszurotten.
Auch die gewählten Parlamentarier sorgen wieder gut für sich, während im Staatsdienst weiterhin nur 30 US-Dollar Gehalt im Monat gezahlt werden, diskutieren sie über ein persönliches Reisekostenbudget von 1500 US-Dollar. Die neu ausgebildeten Polizisten bekommen zwar ein vergleichsweise gutes Salär (90 US-Dollar); trotzdem ist es ein offenes Geheimnis, dass viele Verkehrspolizisten schnell mehr Geld in der Tasche haben.
Aus dem Rohstoff-Fluch einen Segen machen
Die Präsidentin kann sich bei ihrer Arbeit auf eine Reihe fähiger Minister, insbesondere Ministerinnen stützen. Antoinette Sayeh, die Finanzministerin, hat die Staatseinnahmen in einem Jahr um 48 Prozent steigern können. Das Wirtschaftswachstum beträgt derzeit acht Prozent. Aber selbst wenn es in den nächsten 25 Jahren bei zehn Prozent läge, würde danach gerade mal wieder der Stand von 1980 erreicht, hat der IWF errechnet.
Damit das Land wirtschaftlich wieder auf die Beine kommt, müssen die reichen Ressourcen des Landes wieder und besser genutzt werden. Die Regierung ist fest entschlossen dazu und hat dabei die Unterstützung von GEMAP. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hatte die gegen Holz- und Diamantenexporte verhängten Sanktionen angesichts der Korruption und der von der Übergangsregierung (NTGL) hastig vergebenen Konzessionen wohlweislich nicht gleich aufgehoben. Die neue Regierung hat alle von ihrer Vorgängerin vergebenen Konzessionen zur Überprüfung zurückgezogen und selbst mit einem so mächtigen Investor wie dem luxemburgischen Stahl-Multi Arcelor Mittal den Eisenerzabbau erfolgreich neu verhandelt. Der Weltmarktführer wird nun eine Milliarde US-Dollar in eine Mine investieren, die im Jahr 2010 mit dem Erzabbau beginnen soll.
Holz kann bald wieder exportiert werden. Der UN-Sicherheitsrat hat die diesbezüglichen Sanktionen bereits im Juni 2006 aufgehoben, Ellen Johnson-Sirleaf hat am 4. Oktober ein neues Gesetz unterschrieben, das die Nutzung detailliert regelt. Um kriminellen Aktivitäten vorzubeugen, dürfen keine bewaffneten Sicherheitsleute mehr beschäftigt werden und bestimmte Personengruppen keine Lizenzen beantragen, etwa Mitglieder der Regierung und der Verletzung von Menschenrechten Beschuldigte. Für den Export von Diamanten bestehen die Sanktionen weiter fort. Die Regierung möchte sie gern aufgehoben sehen, der UN-Sicherheitsrat hat sie aber im Dezember 2006 noch einmal um ein halbes Jahr verlängert, da nicht gewährleistet sei, dass die Regierung kontrollieren könne, was mit den geförderten Diamanten geschieht. Nun hofft man in Liberia, dass der Sicherheitsrat die Sanktionen am 20. April vorzeitig aufheben wird, da das Land auf dem Weg zur Zertifizierung nach dem Kimberley- Prozess weiter vorangekommen ist.
Der Gummiexport unterlag keinen Sanktionen und machte von April bis September letzten Jahres mit 88,7 Millionen US-Dollar 94 Prozent der liberianischen Exporte aus. Dennoch gehören die Plantagen zu den Sorgenkindern. Ellen Johnson- Sirleaf und Alan Doss haben deshalb im Februar 2006 eine Rubber Plantations Task Force eingerichtet. Die Plantagen sind verfallen, auf der Guthrie- Plantage hatten sich ex-combattants niedergelassen, illegal gezapft und die örtliche Bevölkerung drangsaliert. Jetzt sorgen UNMIL und die liberianische Polizei (LNP) einigermaßen für Sicherheit, die Rubber Planters Association of Liberia hat übergangsweise das Management übernommen.
Doch die Unzufriedenheit mit den neuen Herren ist so groß, dass sich ein Bürgerkomitee im März öffentlich beschwert hat, die Manager würden kaum etwas für die dort lebende Bevölkerung tun und Posten fast ausschließlich an Menschen aus anderen Regionen vergeben. Auch da, wo Gummiplantagen nicht in die falschen Hände (Alan Doss) geraten sind, gibt es Auseinandersetzungen, etwa bei Firestone, seit 1926 im Land und der größte und bekannteste Arbeitgeber Liberias. Vom Reichtum der Rohstoffe möchten die Arbeiter auch ganz direkt profitieren.
Jobs, Jobs, Jobs
Hält eines der gelben Taxis auf Monrovias Straßen an, ist es sofort umringt von Menschen, die etwas anbieten, eine Sonnenbrille, Taschentücher, Kaugummi oder auch nur ein Plastiksäckchen Wasser. Viel verkaufen können die meisten nicht, die Konkurrenz ist groß, die Kaufkraft gering. Die Geschäftigkeit täuscht nur auf den ersten Blick darüber hinweg, dass kaum jemand so etwas wie ein geregeltes Einkommen hat. Drei Viertel der Bevölkerung haben weniger als pro Tag zum Leben, knapp die Hälfte der Bevölkerung muss sogar mit einem halben US-Dollar oder weniger auskommen, viele können sich nicht einmal ausreichend ernähren. Die meisten Menschen schlagen sich irgendwie durch: in der Subsistenzwirtschaft oder eben durch informellen Handel oder Gelegenheitsjobs. Sie versuchen, aus dem Mangel das Beste zu machen. In Monrovia sind die Schubkarren zum Symbol dieser Wirtschaftsweise geworden.
Gerade mal 120.000 Liberianer haben eine Anstellung im formalen Sektor. Was einst an Jobs da war, ging durch Missmanagement und 14 Jahre Krieg verloren. Die 2003 verhängten und seit wenigen Monaten aufgehobenen Sanktionen zur Verhinderung der illegalen Holzexporte haben 25.000 Arbeitsplätze gekostet. Weitere 12.000 Jobs sollen den Sanktionen gegen die Ausfuhr von Diamanten zum Opfer gefallen sein. Auf den heruntergekommenen Gummiplantagen könnten 50.000 Menschen Arbeit und Brot finden, derzeit sind es nur 10.000. Seefahrt und Hafen sowie Bergbau geben ebenfalls nur noch wenigen Menschen Arbeit. Bis zu 85 Prozent der arbeitsfähigen Einwohner Liberias sind demnach ohne festes Arbeitsverhältnisverhältnis. Es ist deshalb klar, was die Bevölkerung von der Regierung will: Jobs, Jobs, Jobs.
Stolpersteine auf dem Weg zur Versöhnung
Das von den Kriegsparteien 2003 unterzeichnete Umfassende Friedensabkommen von Accra (Comprehensive Peace Agreement, CPA) legte in Artikel XIII(1) bereits fest, dass in Liberia eine Wahrheits- und Versöhnungskommission eingerichtet werden soll. Eine Strafverfolgung das überrascht bei diesen Unterzeichnern nicht wurde nicht vorgesehen. Im Gegenteil: mit Artikel XXXIV wird die Interimsregierung sogar angehalten, die Empfehlung für eine Generalamnestie für alle in den Konflikt verwickelten Personen und Parteien aufzunehmen.
Die Übergangsregierung hat mit internationaler Unterstützung ein Gesetz über die Wahrheits- und Versöhnungskommission erarbeitet, das im Juni 2005 vom Parlament verabschiedet wurde. Übergangspräsident Bryant ernannte am 19. Oktober nach einem längeren Auswahlverfahren neun Mitglieder, alles Liberianer. Das Gesetz sieht zusätzlich drei externe Mitglieder vor, zwei sollen von ECOWAS, der Gemeinschaft westafrikanischer Staaten, einer vom Hohen Kommissar für Menschenrechte ernannt werden (UNHCHR). Nur eine der drei Personen ist bisher in Liberia angekommen, reiste aber nach einiger Zeit frustriert wieder ab.
Offiziell wurde die Kommission dann im Februar 2006 von der Präsidentin eingesetzt, im Juni nahm sie in einer feierlichen Zeremonie ihre Arbeit auf. Sie soll die schweren Menschenrechtsverletzungen und Wirtschaftsverbrechen untersuchen, die zwischen Januar 1979 und dem 14. Oktober 2003 begangen wurden. Sie kann nur dann Amnestierung empfehlen, wenn die Täter vollumfänglich ausgesagt und Reue gezeigt haben. Die Kommission kann der Staatspräsidentin in bestimmten Fällen aber auch Strafverfolgung empfehlen. Für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen kann sie einen Fonds zur Entschädigung vorschlagen.
Die Arbeit der Kommission wurde von Anfang an durch unterschiedliche Vorstellungen der Kommissionsmitglieder überschattet. Hinzu kamen Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Personal sowie finanzielle, logistische und administrative Mängel. Die Kommission hat ähnliche Probleme wie das Justizwesen insgesamt. Sie haben sich Anfang des Jahres so zugespitzt, dass die Gebergemeinschaft schließlich kein Geld mehr bewilligt und mit Jerome Verdier, dem angesehenen jungen Vorsitzenden, regelmäßige Arbeitsbesprechungen vereinbart hat. Und so hört man in fast allen Büros der internationalen Gemeinschaft viel Kritik, aber auch Sorge um die für das traumatisierte Land so wichtige Arbeit. Es gibt hier keinen Bischof Tutu bedauert zum Beispiel Alfreda E. Myers. Sie hätte auch gern ein Strafgericht.
Wie in anderen Ländern auch, sind die Menschen verschiedener Meinung, wie man mit der Vergangenheit umgegangen werden soll. Die einen wollen einfach weitergehen und nicht zurückblicken; anderen wie dem Methodisten und Kommissionsmitglied Arthur Kulah ist das Vergeben wichtig, wieder andere wollen aufklären, den Opfern eine Stimme geben und die Täter zum Sprechen bewegen. Und schließlich gibt es auch Forderungen nach einem Strafgericht. Am 12. Mai 2006 veranstaltete das Forum for the Establishment of a War Crimes Court in Liberia eine Demonstration und übergab dem Parlament und einigen der Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft eine entsprechende Petition. Die Präsidentin hatte schon bei der Einsetzung der Kommission signalisiert, dass sie ein solches Gericht nicht für sinnvoll hält.
"Real Men don't rape"
Afrikas erste Präsidentin hat der Vergewaltigung öffentlich den Kampf angesagt. In ihrer Inaugurationsrede hat sie im Januar 2006 sogar angesprochen, dass man sie selbst einmal zu vergewaltigen versucht habe. Am Tag nach ihrer Amtseinführung trat ein neues Gesetz (Rape Amendment Act) in Kraft, welches noch das 2003 eingesetzte Übergangsparlament erarbeitet hatte und das im Dezember 2005 verabschiedet worden war: Es hat die Definition von Vergewaltigung präzisiert und erweitert und das Strafmaß erhöht.
Vergewaltigung wurde von allen Kriegsparteien systematisch als Waffe eingesetzt. Weil es seit Dezember 1989 nicht weniger als 14 Jahre lang immer wieder neue Auseinandersetzungen gab, sind manche Frauen in jeder Phase vergewaltigt worden. Und oft genug war es gang rape, eine Vergewaltigung nach der anderen. Der Krieg ist seit 2003 beendet, die UNMIL-Truppen sorgen auf den Straßen für Sicherheit. Manche Frauen aber begegnen ihren Vergewaltigern auf der Straße oder müssen in ihrer Nähe leben. Aufgearbeitet ist bisher nichts, bestraft wurde niemand, die Truth and Reconciliation Commission kommt nicht voran, die Frauen müssen irgendwie weiterleben.
Auch nach Beendigung der Kriegshandlungen gehört Vergewaltigung weiter zum Alltag, es ist das am häufigsten verübte Verbrechen. Feministinnen sprechen sogar von einer "nationalen Freizeitbeschäftigung". Verurteilt aber wurden bisher nur wenige Männer. Wie überall auf der Welt, halten Scham und Angst Mädchen und Frauen davon ab, sich jemandem anzuvertrauen oder gar öffentlich darüber zu sprechen, was man ihnen angetan hat. Polizisten berichten, dass wenn überhaupt nur Vergewaltigungen Minderjähriger angezeigt werden, dass andere bekannt gewordene Fälle meist the family way geregelt werden: Der Ehemann oder die Familie der Frau bekommen zum Ausgleich etwa ein Huhn oder eine Flasche Zuckerrohrsaft.
Nach Angaben der UN-Polizei werden im Schnitt lediglich acht Vergewaltigungen pro Woche angezeigt. Wie soll man auch Vertrauen in ein Justizsystem haben, das nicht einmal in Ansätzen existiert? Die Hürden bis zu einer Verurteilung sind zahlreich und nur schwer oder gar nicht zu überwinden: Die Polizei wird gerade erst aufgebaut und ist doch auch teilweise schon wieder für Bestechung anfällig, die Gefängnisse sind überfüllt, es fehlen Haftrichter, Staatsanwälte und Verteidiger. Und es fehlen manchmal die elementarsten Voraussetzungen: ein Gerichtsgebäude, Stühle und Tisch, Schreibmaterial, ein Aktenschrank. Und schließlich lässt sich mancher Polizist oder Richter gegen eine kleine Gebühr auch dazu herab, jemanden freizulassen. Der Verband der Rechtsanwältinnen in Monrovia (Association of Female Lawyers of Liberia) fordert deshalb ein Spezialgericht, um die Verfahren zu beschleunigen.
Wie überall auf der Welt erregen sich die Bürger und die Medien vor allem dann, wenn Kinder vergewaltigt werden. Auch in Liberia werden immer mehr jüngere Mädchen Opfer von Übergriffen. Dann kommt auch die Justiz eher auf Trab. Am 28. März dieses Jahres wurden drei prominente Vertreter der Never Die Church schuldig gesprochen, die drei junge Mädchen die älteste war gerade 12 vergewaltigt und dies vor Gericht als christliche Liebe verteidigt hatten. Dabei illustrieren die vielen handbemalten Stellwände in der Stadt doch ziemlich deutlich, was verboten ist.
Die Vierte Gewalt
Im Büro der Press Union of Liberia ist es ziemlich heiß, der Generator ist wieder mal ausgefallen. George Barpeen, ihr Präsident, hat eigentlich nur Sorgen. Selbst wenn er schlicht Zahlen nennt, stehen sie im Raum. Wie soll das Land 800 Journalisten ernähren, wenn so viele Menschen nicht lesen können oder kein Geld für Zeitungen haben? Wie sollen sie ihren Beruf ausüben, wenn es keinen Strom gibt, es an Computern und Fahrzeugen mangelt? Ist es wirklich ein Zeichen lebendiger Diskussionskultur, wenn es allein in Monrovia 18 Zeitungen gibt? Leben sie nicht nur von den Stellenanzeigen der großen UN-Mission? Welchen Stellenwert hat eine Zeitung, wenn die Auflage bei kaum einer 1000 Exemplare übersteigt?
Im Journalismus spiegeln sich die Probleme des Landes: Der brain drain hat die besten Köpfe das Land verlassen oder den Beruf wechseln lassen. Mancher Reporter hat nicht einmal einen High-School-Abschluss. Gehälter und Honorare sind so niedrig, dass kaum jemand davon leben kann. "Journalisten gehören zu den ärmsten Bürgern in Liberia", schrieb der Analyst 2006 in einem Editorial. Wer so arbeiten muss, wird kaum ablehnen, wenn er etwas umsonst oder ein Geschenk bekommt, kato nennt man diese korrumpierende Gaben im liberianischen Journalismus. Dennoch fehlt es manchen Journalisten nicht an Sendungs- und Selbstbewusstsein, einige nehmen ganz offen für sich in Anspruch, die Vierte Gewalt zu repräsentieren.
Dass auch die Medien nicht frei von der die ganze Gesellschaft prägenden Korruption sind, ist auch der Präsidentin nicht verborgen geblieben. Ellen Johnson-Sirleaf kritisierte im August 2006 in einer Rede an der United Methodist University des Landes unter anderem die Praxis des kato scharf: "Professionelle ethische Standards sind durch Scheckbuch-Journalismus und kato ersetzt worden." Dass dann wenige Monate später 18 Medienbetriebe einen Scheck über 500 US-Dollar von der Präsidentin erhielten, führte vor diesem Hintergrund zu einer kontroversen Debatte. Die meisten fanden diesen Beitrag zur Weihnachtsfeier angemessen oder zumindest akzeptabel, während drei andere das Geld zurückgeschickt haben.
Erwartungen erfüllen und dämpfen
Auf Stippvisite in Monrovia gewinnt man den Eindruck, dass UNMIL im großen und ganzen ein Erfolg ist. Der UN-Sicherheitsrat hat aus früheren Fehlschlägen Lehren gezogen und nicht versucht, mit "UNMIL Light" (Alan Doss) nur einen halbherzigen Versuch zu machen. Die UN-Mission ist groß (derzeit 14.832 Personen) und in Monrovia deutlich präsent. Allen strukturellen und personellen Problemen zum Trotz, die auf freiwillige Entsendung von Personal angewiesenen Missionen dieser Art immer haben, und manchen Fehler und Schwächen, wird an vielen Baustellen gemeinsam mit der Regierung ernsthaft an einem Neuanfang gearbeitet. Ellen Johnson-Sirleaf ist für das Land und die UN-Mission eine gute Wahl, das Einvernehmen zwischen Regierung und UNMIL offensichtlich gut. "Man will", sagt mit leiser Ironie Mengesha Kebede, "hier offenbar einen Mercedes bauen".
Friedenskonsolidierung und Wiederaufbau brauchen nicht Jahre, sondern Jahrzehnte. Wie lange aber wird die bevorzugte Behandlung Liberias durch die internationale Gemeinschaft noch währen? "Die Geber haben keine Geduld," weiß Alan Doss aus langjähriger Erfahrung. Auch bei den UN hat bereits die Diskussion um den drawdown der Mission begonnen. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon hatte den Sicherheitsrat im März 2007 ersucht, das Mandat UNMIL um ein Jahr zu verlängern, doch der Rat hat das aber nur für ein halbes Jahr getan und den Generalsekretär aufgefordert, im Juni einen detaillierten Plan für die Reduzierung vorzulegen.
Aber wann und wie zieht man sich aus einem Land zurück, das so große Probleme hatte, dass es praktisch unter Kuratel gestellt wurde und sich dann auch schnell an die fremde Fürsorge und die finanzielle Hilfe gewöhnt hat? Ein zu schneller Abzug kann die teuren Bemühungen auch schnell wieder zunichte machen, ein zu später Abzug kann unerwünschte Nebenwirkungen haben, die den Erfolg ebenfalls gefährden können. Wenn man die bereits diskutierten Kriterien für den Abbau ernst nimmt, etwa Rechtsstaatlichkeit, dann werden sich die Vereinten Nationen nur sehr vorsichtig zurückziehen können, dann werden sie und die Geber wohl noch mindestens zwei Jahrzehnte Geduld mit Liberia und sich selbst haben müssen. Das mit einer reformfreudigen Regierung ausgestattete Liberia ist möglicherweise ein geeigneterer Kandidat für die neu eingerichtete UN Peacebuilding Commission als das weit weniger ehrgeizige Sierra Leone, das die Kommission als erstes Land überhaupt im März 2007 besucht hat.
Was kann die Regierung, was kann das Land auf Dauer selbst tragen? Selbst wenn so etwas wie good governance gelingen sollte, was schon fast ein Wunder wäre, wird das reichen, um die Erwartungen der Liberianer zu erfüllen? Gute Regierungsführung bedeutet ja nicht, dass jeder Ex-Kämpfer ein Motorrad und jeden Monat Sprit bekommt, sondern beinhaltet nur das Versprechen, die Früchte harter Arbeit ernten zu können. Und auch Arbeit muss man erst mal haben.
Zainab Bangura, die Direktorin im Dienst von UNMIL, weist darauf hin, dass man es in ihrem Heimatland Sierra Leone versäumt habe, die Ursachen des blutigen Konflikts Korruption und die Situation der Jugend wirklich anzugehen. Die Bekämpfung der Korruption hat Afrikas erste Präsidentin fest am Blick, aber hat sie ein Rezept für die unzufriedene Jugend, Westafrikas großes Problem? Hat überhaupt jemand in der Welt eine Antwort für große Gruppen sich ausgeschlossen fühlende junge Männer?
aus: der überblick 01/2007, Seite 128
AUTOR(EN):
Renate Wilke-Launer
Renate Wilke-Launer ist Chefredakteurin des "überblick"