Die ökumenische Solidarität wird in Mitleidenschaft gezogen: Veränderter Kollektenplan der Nordelbischen Kirche
Die Anzeichen mehren sich. Nicht nur im gesellschaftlichen und staatlichen, sondern auch im amtskirchlichen Bereich nehmen das Interesse an der Entwicklungspolitik und das finanzielle Engagement für die Entwicklungshilfe und -zusammenarbeit zwischen den Völkern im Süden und Norden beständig ab.
von Helmer-Christoph Lehmann
Mit grundlegenden Änderungen im Kollektenplan hat nun die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche (NEK) ein weiteres negatives Zeichen gesetzt: Statt die bisherigen vier Kollekten zu Gunsten von Projekten der Aktion Brot für die Welt zu stabilisieren, sind vom Jahre 2001 an nur noch zwei als verbindlich vorgesehen: am 1. Sonntag im Advent und am Heiligen Abend, zugegebenermaßen zwei herausragende Tage im Verlauf des Kirchenjahres. Fortgefallen aber sind zwei nicht weniger bedeutende Tage: die Kollektenempfehlung für den Erntedank- und den Buß- und Bettag. Inhaltlich wie materiell ist die Streichung der Empfehlung zum Erntedankfest besonders bitter; obwohl nur empfohlen und nicht verpflichtend, erbrachte diese Kollekte das zweithöchste Spendenaufkommen, ganz zu schweigen von dem Verlust der Aktualisierung der theologischen Begründung von Brot für die Welt, der 4. Bitte des Vaterunsers: "Unser tägliches Brot gib uns heute." Diese qualitative wie quantitative Reduktion wird für die Betroffenen im Süden der Welt, bekanntermaßen vor allem für Kinder und Frauen, nicht ohne Folgen bleiben.
Mit dem voreiligen Beschluss ihrer Kirchenleitung konterkariert die Nordelbische Kirche, die vor Jahren schon die Losung ausgegeben hat "Nordelbien an der Seite der Armen", die im November 1999 erschienene Erklärung von Brot für die Welt "Den Armen Gerechtigkeit 2000 - Herausforderung und Handlungsfelder". Dies ist eine Pflichtlektüre für alle, die sich kompetent zur seit vier Jahrzehnten bewährtesten "Aktion der Gemeinden der evangelischen Landes- und Freikirchen" verhalten wollen, die getragen wird durch Gebet und Fürbitte, durch beachtliche Spenden und intensive ehrenamtliche Mitarbeit, durch anerkannte entwicklungsbezogene Bildungs- und innovative Öffentlichkeitsarbeit bis hin zur bewussten Veränderung des eigenen Lebensstiles nicht nur von Gemeindegliedern, sondern ebenso von Nichtmitgliedern.
Der jetzt von der Kirchenleitung der NEK verabschiedete Kollektenplan, der im August offiziell im Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlicht wird soll zunächst für zwei Jahre erprobt werden. Verbesserungen sind also noch möglich. Der Kollektenplan ist vom Nordelbischen Kirchenamt entworfen worden, ohne dass zum Beispiel die Diakonischen Werke mit ihren Abteilungen "Ökumenische Diakonie" zuvor konsultiert worden sind. Hinter dieser Ignoranz, die nicht nur die Diakonischen Werke betrifft, sondern alle Dienste und Werke und die vielen anderen Einrichtungen und Initiativen, die bisher am Kollektenaufkommen partizipierten, wird eine Grundtendenz sichtbar, die nicht nur auf der nordelbischen, sondern ebenso auf der kirchenkreislichen wie gemeindlichen Ebene anzutreffen ist. Sie betrifft nicht nur den Umgang mit Spenden, sondern ebenso den mit den Kirchensteuern, die zulasten des Kirchlichen Entwicklungsdienstes schon seit geraumer Zeit Schritt um Schritt umverteilt werden (ich weiß, wovon ich rede): Verfahren wird nach der Rock- und Hemd-Devise! Kein Wunder also, dass dabei die entwicklungsbezogene Bildungsarbeit, zu der unter anderem die "Eine-Welt-Projekte: Veränderung in Nord und Süd" von Brot für die Welt gehören, sowie die ökumenische Solidarität als Erstes in Mitleidenschaft gezogen werden!
Nach meiner Kenntnis rächt sich zunehmend, dass zum einen nicht schärfer differenziert wird zwischen den weltweiten Nöten generell und der speziellen Not im Süden, wo nicht nur Not, sondern Tod herrscht (die Existenzbedrohung in Afrika, die Südsee, Mittel- und Lateinamerika wird nicht wirklich wahrgenommen) und dass zum anderen theologisch wie bildungspolitisch nicht mehr gewusst wird, warum es sich bei Aktionen wie der von Brot für die Welt um mehr handelt als um einen sozialethischen, kulturellen, ökonomisch wie ökologisch gebotenen Imperativ (womit ich nichts gegen ihn gesagt haben will). Verkümmert ist das Wissen, dass das gesellschaftsdiakonische Handeln der Kirche, wofür Brot für die Welt nur ein Beispiel ist, zu ihren ökumenischen Wesensäußerungen gehört. So wichtig das Geld ist, das durch Spenden und Steuern aufgebracht wird, entscheidend ist, dass, anstatt der "Rock-Hemd-Devise" Vorschub zu leisten, intensiver Bewusstsein geweckt und gefördert wird — auch und gerade durch eine Kirchenleitung — für die Weltverantwortung eines jeden Christenmenschen wie einer jeden Kirchengemeinde. Aus eigener, jahrzehntelanger Erfahrung weiß ich, dass keine Kollekte und keine Aktion so bewusstseinsbildend, über die Kirchengrenzen hinaus so akzeptiert und für das Ansehen der Kirche als Stimme für die Stummgemachten so ausschlaggebend ist wie die zu Gunsten von Brot für die Welt. Wer hier kürzt und Initiative schwächt, muss wissen, was er oder sie tut. Die nordelbische Kirchenleitung wäre darum gut beraten, ihren Kollektenplan zu korrigieren und die Zahl der Pflichtkollekten ökumenischer Aktionen wie Brot für die Welt zu erhöhen, auf jeden Fall aber die Kollekte zum Erntedanktag zu empfehlen beziehungsweise verbindlich zu machen und die zum Beispiel für Gründonnerstag und/oder Karfreitag ebenfalls, solange der Buß- und Bettag nicht wieder gesetzlicher Feiertag in Nordelbien ist. Nicht nur der ökumenischen Diakonie käme eine solche Schwerpunktsetzung zugute, sondern der Entwicklungspolitik und -hilfe als ganzer.
aus: der überblick 03/2000, Seite 128
AUTOR(EN):
Helmer-Christoph Lehmann:
Helmer-Christoph Lehmann ist Propst im Ruhestand und war bis zum
30. April 2000 Vorsitzender des
Ausschusses für Kirchlichen
Weltdienst der Nordelbischen Kirche.