Die Freundin wird zur Kundin gemacht
Internationale Kosmetikfirmen wagen sich auf den vietnamesischen Markt vor. Dort steht ein Heer von willigen Verkäuferinnen und Verkäufern bereit, um die Ware an die Frau zu bringen - aber das Geschäft ist kein reines Zuckerschlecken.
von Margot Cohen
Eine blaue Flasche mit der Aufschrift Emergency Face Lift (Notfall-Gesichtsfaltenglätter) genügte, um die 40-jährige Le Tuyet Hoa davon zu überzeugen, dass sie zum Geldverdienen nicht allein auf das schäbige Café ihrer Eltern in Can Tho, einer Stadt im vietnamesischen Mekong-Delta, angewiesen ist.
Nach dem Gebrauch des Mittels war Hoa nach eigenem Bekunden von ihrem “geglätteten” Gesicht so beeindruckt, dass sie sich im September 2003 als Verkäuferin für die schwedische Kosmetikfirma Oriflame International verpflichten ließ. Danach hat sie in schneller Folge zwei Verwandte und sieben Studentinnen der örtlichen Universität dazu überredet, es ihr gleichzutun.
In dem mehrstufigen Vertriebssystem (Strukturvertrieb) von Oriflame - dem Herzstück eines weltweit tätigen Unternehmens, das 2002 einen Jahresumsatz von 650 Millionen US-Dollar erzielte, - erhält Hoa eine Provision auf die Verkäufe ihrer Kolonne und verdient zusätzlich an den Kosmetika, die sie selbst direkt an Kundinnen verkauft. Bisher hat ihr dies ein monatliches Einkommen von vier Millionen Dong (umgerechnet 260 US-Dollar) eingebracht. Das ist das Vierfache eines durchschnittlichen Beamtengehalts in Can Tho. Hoas wichtigstes Verkaufsargument ist ein Oriflame-Katalog mit strahlenden schwedischen Models. “Ich erzähle den Leuten aus eigener Erfahrung, dass europäische Erzeugnisse besser sind als asiatische”, erklärt die zierliche Hoa, und ihre Lippen leuchten in Oriflames Exotic Red, die Haare hat sie mit einem Stift von Oriflame zu einem lockeren Knoten hochgesteckt.
Wenn Globalisierung und vietnamesischer Unternehmergeist aufeinander treffen - das zeigt die Erfahrung von Oriflame -, kann das dramatische Folgen haben. Auf dem jungen vietnamesischen Kosmetikmarkt trägt ein Einsatzkommando von Verkäuferinnen und Verkäufern wesentlich dazu bei, die Nachfrage anzukurbeln. Der gleiche Geist hat in der vietnamesischen Lebensversicherungswirtschaft zu explosivem Wachstum geführt.
In einem Land, in dem viele Menschen nur zu gerne mit mehreren Jobs jonglieren, um an Geld zu kommen, ist es für ausländische Firmen nicht schwer, Verkaufspersonal zu finden. Das bringt Vietnam wirtschaftliche Vorteile, zum Beispiel Mehrausgaben für neue Wohnungen, für eine Universitätsausbildung, für Konsumgüter und, als Krönung, Startkapital für die Gründung neuer Unternehmen. Als erster Schritt reicht es aus, einfach nur da zu sein. Die Oriflame-Manager rechneten zunächst mit etwa 500 Verkäufern, als sie im letzten Juni in Ho-Chi-Minh-Stadt erstmalig mit der Mitarbeiterwerbung begannen. Binnen drei Monaten hatten 11.000 Menschen einen Vertrag unterschrieben. Heute hat die Verkaufstruppe etwa 15.000 Mitglieder, und die Firma plant, ihre Verkaufstätigkeit noch in diesem Jahr auf Hanoi auszudehnen.
Ganz anders im benachbarten Thailand: Dort brauchte Oriflame ganze drei Jahre, um 7000 Mitglieder für ihre Verkaufstruppe anzuwerben, die man feinsinnig als “unabhängige Schönheitsberaterinnen” titulierte. Das ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass Vietnam in der regionalen Kosmetikszene ein unbeschriebenes Blatt ist. Im Gegensatz zu Thailand oder anderen heiß umkämpften Märkten Asiens betrachteten die internationalen Kosmetikmagnaten Vietnam lange als Aschenputtel, das wenig Geld für Lippenstift, Puder und Hautcreme übrig hat. Zum einen taten kommunistische Ideologen Make-up als Übel der Bourgeoisie ab, zum anderen bevorzugten Frauen aufgrund sehr niedriger verfügbarer Einkommen billige, aus China eingeschmuggelte Kosmetika. Die großen Marken waren in Vietnam kaum vertreten.
Der Wandel begann 1997, als der koreanische Mischkonzern LG eine Möglichkeit ausmachte, das vietnamesische Glamour-Vakuum zu füllen. Man setzte auf eine gewitzte Vermarktungsstrategie, die aus der vergleichsweise unbekannten LG-Marke De Bon einen Trendsetter machte. Anstatt sich auf die übliche Anzeigenkampagne zu beschränken, entfachte der Konzern in Vietnam eine wahre Korea-Manie, indem er die Ausstrahlung koreanischer Familiendramen und Liebeskomödien im öffentlichen vietnamesischen Fernsehen häufig unterstützte. Dazu eröffnete das Unternehmen Kosmetikboutiquen und entsandte sein Verkaufspersonal in den Mittagspausen in die Bürowelt, um den Vietnamesinnen beim Rasieren der Augenbrauen zu helfen und ihnen weitere Schönheitstricks beizubringen.
Aber die Bahnbrecher werden häufig Opfer ihres eigenen Erfolgs. De Bon muss sich nun einer Welle koreanischer Mitbewerber erwehren. Hinzu kommen Konkurrenten wie Oriflame und die Avon-Produkte aus den USA. Sie alle werden von den verfügbaren Einkommen angezogen, die im Einklang mit der Wachstumsrate des vietnamesischen Bruttoinlandsprodukts von 7,24 Prozent steigen. Während die De-Bon-Boutiquen an ihrem Slogan The First Name in Beauty (Der beste Name in der Schönheit) festhalten, werden ihre Führungskräfte von der Konkurrenz abgeworben. “Unser Unternehmen ist hier so etwas wie eine Ausbildungsakademie”, sagt Nam Taek Bom, Generaldirektor der LG-Tochter LG Vina Cosmetics. Er fürchtet auch die Konkurrenz von Billiganbietern. Nach Aussagen des vietnamesischen Gesundheitsministeriums werden heute Kosmetika und Toilettenartikel von mehr als 200 ausländischen Herstellern in Vietnam verkauft.
Natürlich hat der vietnamesische Markt auch seine Fallstricke. Der vietnamesische Pro-Kopf-Verbrauch in dieser Produktgruppe beträgt umgerechnet nur vier US-Dollar. Das ist ein Bruchteil der 20 Dollar pro Person, die in Thailand ausgegeben werden, und dies trotz eines hundertprozentigen Wachstums der Verkaufszahlen im Zeitraum zwischen 1998 und 2003. Da die Kosmetikwirtschaft in Vietnam umfangreichen bürokratischen Kontrollen unterliegt, müssen sich die Firmen mit langen Fristen bei der Zulassung neuer Produkte abfinden, müssen sie hohe Einfuhrzölle und Mindestpreisvorschriften mit entsprechenden Gewinneinbußen hinnehmen. Unsicher sind auch die Absatzmöglichkeiten in den ländlichen Gebieten. Verteilungsnetze sind kaum entwickelt, und in den Dörfern gilt es als unschicklich, wenn junge, unverheiratete Frauen sich schminken. Hautausschläge nach der Anwendung von Erzeugnissen schlechter Qualität - darunter auch Nachahmungen bekannter Marken - haben vietnamesische Verbraucherinnen vorsichtig werden lassen.
Trotz dieser Hindernisse haben einige ausländische Kosmetikfirmen die neu entdeckte unternehmerische Energie in Vietnam als Schlüssel zur Entwicklung eines Marktes für sich entdeckt. Sie orientieren sich unter anderem an den 80.000 Neugründungen von Unternehmen im vietnamesischen Privatsektor seit dem Jahr 2000 oder an den 69.000 Vertreterinnen und Vertretern, die ausländische Lebensversicherer in den letzten Jahren unter Vertrag genommen haben. Wie bei Versicherungen heißt das Spiel auch im Kosmetikgeschäft Networking, ein Vertriebsweg über Freunde und Verwandte.
Offenbar wird auch Avon auf diese Vernetzungsfähigkeiten bauen, das in diesem Jahr erste Versuche mit Direktmarketing unternimmt. “Unsere Marktforschung lässt auf ein starkes Interesse am Kauf und Verkauf von Avon-Produkten schließen”, erklärt Ben Gallina, Präsident von Avon Asia Pacific. Auch die US-Firma Mary Kay Cosmetics liebäugelt mit dem vietnamesischen Markt, um ihr Direktvertriebsimperium auszudehnen. K. K. Chua, Präsident von Mary Kay Asia Pacific bestätigt dies: “Wir glauben, dass Vietnam unser nächster Anlaufhafen sein wird, die dortigen Entwicklungsmöglichkeiten sind gut.”
An der Einzelhandelsfront haben Kosmetikboutiquen sowohl in Hanoi als auch in Ho-Chi-Minh-Stadt Hochkonjunktur. Das gilt für Spezialgeschäfte mit nur einer Marke im Angebot wie die Kette der italienischen Pupa-Kosmetik, aber auch für Läden, die mehrere Marken nebeneinander verkaufen, was die neu gegründeten vietnamesischen Vertriebsfirmen bevorzugen. “Bis jetzt ist die Markenbindung in Vietnam noch nicht sehr stark entwickelt. Das gibt internationalen Firmen die Möglichkeit, ihr Markenimage zu etablieren”, meint Sylvia Mu. Sie ist Forschungsleiterin in der Singapurer Niederlassung von Euromonitor, einem Marktforschungsunternehmen mit Hauptsitz in London.
Es besteht allerdings die Gefahr, dass das wachsende Heer der Kosmetikverkäuferinnen und -verkäufer in Vietnam nicht übermäßig loyal ist. Nehmen wir den Fall der US-Firma Forever Living Products. Sie bedient sich eines mehrstufigen Vertriebssystems, um Ernährungsprodukte und Kosmetika auf Basis des Liliengewächses Aloe abzusetzen. Tran Kim Uyen, Leiterin des Forever-Living-Vertriebsnetzes in Can Tho, räumt ein, dass sie ebenso Oriflame-Erzeugnisse verkauft, während eine andere Forever-Living-Verkäuferin sich auch als Vertreterin von Prudential-Lebensversicherungen zu erkennen gibt. Hinzu kommt, dass Netzwerke, die auf einen Kreis von Freunden und Verwandten beschränkt sind, schnell an ihre Grenzen stoßen. “Die Zahl der potenziellen Kunden ist nicht unendlich”, weiß ein Verkäufer zu berichten, der seinen Namen nicht genannt haben möchte. “Die Leute lehnen es ab, von Fremden zu kaufen.”
Die Firmen sehen solche “Gemischtwarenläden” gar nicht gerne, weil sie einen Ruf zu wahren haben. Im Dezember berichtete beispielsweise die örtliche Presse, dass Verkäufer von Forever-Living-Produkten bei der Darstellung des Ernährungswerts ihrer Aloe-Getränke stark übertrieben. Das Management der Firma erklärt, man habe seit diesem Vorfall die Verkäufer ermahnt, keine übertriebenen Versprechungen zu machen, und die Schulungsintensität erhöht.
Der öffentliche Wirbel veranlasste die Regierung, Maßnahmen zur Regulierung der Strukturvertriebe zu ergreifen. Allerdings will Vietnam diese Vertriebsform nicht ganz verbieten, wie das vor einiger Zeit in China geschehen ist. In einer von chronischer Unterbeschäftigung geplagten Gesellschaft weicht die Aufregung um mehrstufige Vertriebssysteme in der Verwaltung schnell dem dringenden Anliegen, Arbeitsplätze zu schaffen und den sozialen Frieden zu sichern.
In der Praxis ist es für die Kosmetikfirmen schwierig, die Loyalität ihrer Vertreterinnen und Vertreter zu überwachen. Oriflame versucht, seine Leute mit Schulungen bei der Stange zu halten. So bemühte sich unlängst in Ho-Chi-Minh-Stadt ein Ausbilder mit rotem Hemd und einer beißend rosaroten Krawatte, rund zwei Dutzend gequält wirkender Verkäufer zu größeren Höhenflügen zu motivieren. “Oriflame hat Ihnen eine Chance geboten, jetzt müssen Sie mit beiden Händen zugreifen”, appellierte er und stellte monatliche Provisionen von bis zu 20 Millionen Dong (1300 US-Dollar) in Aussicht. “Schaffen Sie eine entspannte, vertrauensvolle Atmosphäre. Sie haben das Zeug zum Starverkäufer. Beweisen Sie es!”
aus: der überblick 04/2004, Seite 55
AUTOR(EN):
Margot Cohen:
Margot Cohen schreibt als Journalistin für die "Far Eastern Economic Review", wo dieser Artikel am 1. April 2004 erschien. Wir drucken ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion ab.